Rechtsprechungsticker von Tacheles 02/2010

1.   Bundessozialgericht B 8 SO 16/08 R 29.09.2009, Urteil

Rückwirkende Sozialleistungen können nur bei aktuell bestehender Bedürftigkeit des Hilfesuchenden erbracht werden.

Der Senat hat bereits entschieden, dass eine rückwirkende Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen im Recht des BSHG über § 44 SGB X grundsätzlich möglich ist (BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 15 RdNr 19). Im Bereich der Sozialhilfe ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dient (so genanntes Gegenwärtigkeitsprinzip) und nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet ist (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803, 805; BVerwGE 60, 236, 238; 66, 335, 338; 69, 5, 7; 79, 46, 49; Rothkegel, ZfSH/SGB 2003, 643, 645; ders, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, 2000, S 68). Deshalb müssen Sozialhilfeleistungen nach der ständigen Rechtsprechung zum Sozialhilferecht für einen zurückliegenden Zeitraum auch nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann ("keine Sozialhilfe für die Vergangenheit"; BVerwGE 40, 343, 346; 57, 237, 238; 60, 236, 237 f; 66, 335, 338; 90, 154, 156; Rothkegel, ZfSH/SGB 2002, 8, 10). Dies setzt nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch aktuelle Bedürftigkeit des Hilfesuchenden voraus. Allerdings hat schon das BVerwG zu Recht eine Vielzahl von Ausnahmen davon gemacht, insbesondere nach rechtswidriger Ablehnung der Hilfegewährung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter, wenn der Hilfesuchende innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf einlegt und im Rechtsbehelfsverfahren die Hilfegewährung erst erstreiten muss (vgl: BVerwGE 40, 343, 346; 58, 68, 74; 90, 154, 156; 90, 160, 162; 94, 127, 133; 96, 18, 19). Die Einklagbarkeit abgelehnter Sozialhilfe wäre nämlich uneffektiv, wenn der Träger der Sozialhilfe durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Sozialhilfeleistung auf Jahre hinausschieben oder gar den mit dem bekanntgewordenen Bedarf entstandenen Anspruch vereiteln könnte. Aus Billigkeitsgründen (Rothkegel, ZfSH/SGB 2002 8, 10) ist deshalb in diesem Fall auch bei (inzwischen) fehlender gegenwärtiger Bedürftigkeit der Garantie effektiven Rechtsschutzes Vorrang zu geben; Sozialhilfe ist dann auch für die Vergangenheit zu gewähren (BVerwG aaO).

Besteht Bedürftigkeit iS des SGB XII oder (inzwischen) des SGB II ununterbrochen fort, sind Sozialhilfeleistungen im Wege des § 44 Abs 4 SGB X (nachträglich) zu erbringen, weil der Sozialhilfeträger bei rechtswidriger Leistungsablehnung nicht dadurch entlastet werden darf, dass der Bedarf anderweitig gedeckt wurde. Die Sozialhilfe kann ihren Zweck noch erfüllen, weil an die Stelle des ursprünglichen Bedarfs eine vergleichbare Belastung als Surrogat getreten ist.

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2.   Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 1 B 25/09 AS 05.01.2010 rechtskräftig, Beschluss

Es besteht kein Anspruch eines SGB II – Empfängers auf Erstausstattung einer Wohnung mit Teppichboden.

Diesen Anspruch können die Klägerinnen nicht aus dem Gesetz herleiten. Er ergibt sich insbesondere nicht aus § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 iVm Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach diesen Vorschriften werden Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung gesondert (also neben der pauschalierten Regelleistung) erbracht. Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II sind für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen (BSG, Urteile vom 20. August 2009 – Aktenzeichen (Az) B 14 AS 45/08 R und vom 16. Dezember 2008 – Az B 4 AS 49/07 R; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 23 RdNr 332). Ausgehend von diesem rechtlichen Ansatzpunkt, besteht regelmäßig kein Anspruch auf Ausstattung einer neu bezogenen Wohnung mit einem Teppichboden, weil es sich dabei regelmäßig nicht (mehr) um eine Erst-, sondern um eine individuelle Zusatzausstattung handelt (BSG jeweils aaO; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 3.4.2008, Az L 19 AS 1116/06; LSG Sachsen Anhalt, Beschl. v. 14.2.2007, Az L 2 B 261/06 AS ER). So liegt der Fall auch hier, da die Wohnung vollständig mit Bodenfliesen ausgelegt und damit uneingeschränkt bewohnbar ist, ein Teppichboden somit bereits begrifflich nicht eine Erst- sondern eine Ersatz-, Ergänzungs- oder Alternativausstattung mit einem (anderen, zusätzlichen) Bodenbelag darstellt. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen umfasst der Anspruch auf Erstausstattung nach § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 iVm Satz 2 SGB II nicht (auch) einen Anspruch auf Herstellung eines "durchschnittlichen Isolierstandards", wie überhaupt die Ansprüche nach dem SGB II nicht an durchschnittlichen Maßstäben orientiert sind. Deshalb erscheinen weitere Ermittlungen zu den Behauptungen der Klägerinnen entbehrlich. Weist eine Mietwohnung Mängel auf, sind diese in der Regel durch den Vermieter zu beseitigen. Ist vertragsgemäßes Wohnen möglich, fällt die weitere (zusätzliche, ergänzende) Ausstattung (auch des Bodens) in den Gestaltungsspielraum des Mieters. Die Ausstattung mit einem Teppichboden dient dabei regelmäßig der Herrichtung der Wohnung und ihrem Zuschnitt auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner und ist deshalb über die Regelleistung zu finanzieren (BSG, Urt. v. 16.12.2008, Az B 4 AS 49/07 R, Rdnr 23). Selbst die Klägerinnen sprechen in ihrem Widerspruchsschreiben vom 17.2.2009 von einer Maßnahme "zur Verbesserung der Wohnqualität".

Ob etwas Anderes gelten könnte, wenn aus gesundheitlichen Gründen nachweislich (kalte) Bodenfliesen ein an durchschnittlichen Lebensgewohnheiten orientiertes Leben in der Wohnung nicht ermöglichen (so im Ansatz wohl LSG Berlin-Brandenburg, aaO, Rdnr 28), kann hier offen bleiben, da ein solcher Sachverhalt von den Klägerinnen nicht behauptet wird und auch nicht nahe liegt.

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Anmerkung: Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II sind Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung nicht von der Regelleistung erfasst, sondern werden gesondert erbracht. Dies betrifft neben den ausdrücklich, aber nicht abschließend genannten Haushaltsgeräten unter anderem auch Teppiche (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.05.2006, Az.: L 6 As 170/06 ER, NZS 2006, 540 [541]; SG Oldenburg, Beschluss vom 12.01.2006, Az.: S 47 As 1027/95 ER Rdnr. 40; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11.04.2005, Az.: S 11 AS 25/05 ER Rdnr. 6).

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 1 B 29/09 AS 05.01.2010 rechtskräftig, Beschluss

Eine einmalig gezahlte Invaliditätsleistung aus privater Unfallversicherung von EUR 3650,-ist auf 12 Monate verteilt als Einkommen beim Hilfebedürftigen zu berücksichtigen.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung unter keinen Umständen privilegiertes Einkommen darstellen, weil sie dem gleichen Zweck wie die Leistungen nach dem SGB II dienen und den gesetzlich angeordneten Ausnahmeregelungen gerade nicht unterfallen (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 4, BSGE 99, 47 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5, weiteres Urteil vom 6.12.2007 – Az. B 14/7b AS 62/06 R – und zuletzt Urteil vom 17.3.2009, Az B 14 AS 15/08 R). Für diese Einschätzung spielt – nicht zuletzt wegen § 2 Abs 4 Sätze 2 und 3 Alg II-V – keine Rolle, ob es sich um eine einmalige (Kapital-)Leistung oder eine laufende Rentenleistung handelt. Auch in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht im Übrigen die Option, Verletztenrenten zu kapitalisieren (sog. Abfindung, vgl §§ 75ff Siebtes Buch Sozialgesetzbuch-SGB VII). Die Rechtsprechung zu den Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat das Sächsische Landessozialgericht wegen bestehender Zweckidentität – zu Recht – auf einmalige Leistungen aus privater Unfallversicherung übertragen (Urt. vom 13.3.2008, Az L 2 AS 143/07). Ob für die Rechtsfrage der Berücksichtigung von Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen nach dem SGB II gleichwohl hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen wäre, weil gegen die o.g. höchstrichterliche Auffassung wohlbegründete Bedenken erhoben wurden (Wenner. Was darf beim Arbeitslosengeld II als Einkommen angerechnet werden? in: Soziale Sicherheit 2007, 395, 396; Hänlein in Gagel. SGB II. § 11 Rdnr 62 mwN; Mecke in Eicher/Spellbrink Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kommentar. § 11 Rdnr 39; LSG Hamburg, Breithaupt 2007, 685ff) und gegen die beiden o.g. Urteile des Bundessozialgerichts vom 6.12.2007 Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht anhängig sind (Az 1 BvR 591/08 und 1 BvR 593/08), kann hier dahin stehen. Diese Bedenken gründen zum Einen darauf, dass in der gesetzlichen Unfallversicherung der Schmerzensgeldanspruch gegen den Schädiger ausgeschlossen (§ 104 Abs 1 SGB VII) und damit durch die Verletztenrente u.U. mitabgegolten ist, zum Anderen darauf, dass eine Nähe der Leistung zu den in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ausdrücklich aufgeführten Leistungen (die jeweils wohl auch eine immaterielle Komponente beinhalten) besteht. Beides gilt für die Leistung der Q nicht, da die Leistungen der privaten Unfallversicherung frei vereinbart werden und ausschließlich der finanziellen Absicherung gegen den Ausfall von Erwerbsfähigkeit wegen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit durch Eintritt des versicherten Risikos (idR: eines Unfall) dienen.

Auch die Tatsache, dass die Beiträge an die Q möglicherweise aus der Regelleistung gezahlt wurden, ändert nichts daran, dass es sich beim Zufluss der einmaligen Kapitalleistung während des Leistungsbezugs nach dem SGB II um Einkommen (und nicht etwa um Vermögen nach § 12 SGB II) handelt, weil es sich nicht lediglich um eine Umwandlung von Vermögen, sondern um einen (keinesfalls sicher eintretenden) Wertzuwachs, mithin um eine Wertsteigerung durch zusätzliche Einnahmen handelt (vgl zB Mecke. AaO. § 11 Rdnr 28 mwN).

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2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 B 166/09 AS ER 29.12.2009 rechtskräftig, Beschluss

Ist die begehrte Wohnung bereits vergeben, kann im EA-Verfahren die Zusicherung für den Antragsteller nicht mehr ausgesprochen werden.

Es wird mithin im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) die Zusicherung zu einem bestimmten, nach Lage der Wohnung sowie den aufzuwendenden Kosten konkretisierten Wohnungsangebot begehrt (vgl. hierzu etwa Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.09.2007 – L 9 AS 489/07 ER und LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 30.07.2008 – L 7 AS 2809/08 ER-B). Kommt in dieser Konstellation in einem Hauptsacheverfahren ggf. ein Fortsetzungsfeststellungsantrag in Betracht, scheidet die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung des früheren, nunmehr überholten Antrages im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich aus (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz – SGG -, 9. Auflage, § 86b Rn. 9b und § 131 Rn. 7c m.w.N.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.11.2008 – L 8 B 900/08 SO ER vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.01.2009 – L 5 B 2097/08 AS ER m.w.N.).

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Anmerkung : vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 B 120/09 AS ER 15.12.2009 rechtskräftig, Beschluss, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 AS 573/09 B ER 14.05.2009, Urteil

3.   Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 17.12.2009, Az.: S 26 (1) R 40/08

Arbeitsgelegenheiten der Grundsicherungsträger (sog. 1 Euro-Jobs) können der Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung entgegenstehen.

Dies entschied das Sozialgericht Dortmund im Falle eines 47jährigen Langzeitarbeitslosen aus Hagen, der die Deutschen Rentenversicherung Westfalen auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsminderung verklagt hatte. Zugleich übte der Mann auf Veranlassung der Arbeitsbehörde eine Tätigkeit als Hausmeistergehilfe aus.

Das Sozialgericht Dortmund wies die Klage als unbegründet ab. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein und sei damit nicht voll erwerbsgemindert. Die bei ihm vorliegende soziale Phobie, ein Alkoholmissbrauch und eine depressive Störung hinderten ihn nicht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies ergebe sich aus dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme und dem Umstand, dass der Kläger als Hausmeistergehilfe eine zumutbare Tätigkeit tatsächlich ausübe. Zwar handele es sich bei der Arbeitsgelegenheit nicht um ein reguläres Arbeitsverhältnis. Gleichwohl bestätige die tatsächliche Arbeitsleistung im Rahmen des 1 Euro-Jobs die Erwerbsfähigkeit des Klägers.

Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 17.12.2009, Az.: S 26 (1) R 40/08

Herausgeber: Präsidentin des SG Anita Schönenborn
Ruhrallee 1-3, 44139 Dortmund
Pressesprecher: Richter am SG a.w.a.R. Ulrich Schorn
Tel.: 0231/5415-227, Fax: 0231/5415-551
E-Mail: pressestelle@sgdo.nrw.de

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4.   Sozialgericht Berlin S 128 AS 18211/09 05.01.2010, Beschluss

Zum Bescheid über Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem SGB 2 – Rücknahme früherer bestandskräftiger Bewilligungsentscheidungen – Gewährung bzw. Versagung von Prozesskostenhilfe bei teilweiser bzw. geringer Erfolgsaussicht – Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe bei Unzulässigkeit der Berufung in der Hauptsache

1. Es ist dem Gericht nicht möglich, eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 Abs 1 SGB 10 mit der Begründung zugunsten des Betroffenen zu korrigieren, dass die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung zu niedrig gewesen ist. Eine ursprünglich rechtswidrige Entscheidung zuungunsten des Bescheidadressaten kann allein nach Maßgabe des § 44 SGB 10 korrigiert werden.

2. Das Gericht kann nicht ohne weiteres über einen gestellten, aber nicht vorbeschiedenen Antrag nach § 44 Abs 1 SGB 10 entscheiden. Erforderlich ist eine abschlägige Entscheidung des Antrags nach § 44 Abs 1 SGB 10 wenigstens im Widerspruchsbescheid.

3. Bei nur teilweiser Erfolgsaussicht in der Hauptsache kann das Gericht auch nur teilweise Prozesskostenhilfe bewilligen. In Fällen geringfügiger Erfolgsaussichten (vorliegend etwa ein Prozent) ist Prozesskostenhilfe ganz zu versagen.

4. Gegen einen Beschluss, mit dem Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, ist die Beschwerde auch dann zulässig, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre.

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5.   Sozialgericht Cottbus S 27 AS 1923/09 21.12.2009, Urteil (Sprungversion zugelassen)

1.) Zur Frage der Zulässigkeit einer Anfechtungsklage gegen einen, eine vorläufige Bewilligung, aufhebenden Bescheid (Kürzungsbescheid) und der daraus folgenden gerichtlichen Überprüfungskompetenz.

2.) Zur Frage der Anrechenbarkeit der Umweltprämie (Abwrackprämie) auf die Leistungen nach dem SGB II.

3.) Zur Frage der Gerechtfertigkeit von Leistungen nach dem SGB II bei Bezug der Umweltprämie (Abwrackprämie).

Die Umweltprämie stellt zweckgebundenes Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB II dar und hat bei der Einkommensanrechnung unberücksichtigt zu bleiben. Der Bezug der Umweltprämie ist mit dem Bezug der Eigenheimzulage vergleichbar. Es besteht keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit (Art. 13 GG) die Eigenheimzulage anders zu behandeln als die Anschaffung eines Personenkraftwagens.

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Anmerkung : vgl. dazu auch Sozialgericht Cottbus S 27 AS 1704/09 21.12.2009, Urteil und Kurznachricht zu "Anmerkung zum Beschluss des LSG NRW vom 03.07.2009, Az.: L 20 B 59/09 AS ER und L 20 B 66/09 AS ("Abwrack"-Prämie als berücksichtigungsfähiges Einkommen im Rahmen der Grundsicherung)" von RiLSG Heinz Schäfer, original erschienen in: ZFE 2009 Heft 10, 396 – 397.

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6.   Sozialgericht Berlin S 128 AS 37434/08 04.01.2010

Keinen Anspruch auf kostenwendige Ernährung aus medizinischen Gründen bei höherem Kalorienbedarf wegen mittlerer körperlicher Aktivitäten im Berufsalltag und intensiver Freizeitaktivitäten.

1. Der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB 2 kann als abgrenzbarer Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes eigenständig geltend gemacht werden.

2. Die Geltendmachung eines berufs- oder freizeitbedingten höheren Kalorienbedarfs fällt nicht unter § 21 Abs 5 SGB 2.

3. Im sozialgerichtlichen Verfahren muss bei einer auf eine Geldleistung gerichteten Klage der geforderte Geldbetrag nicht genau beziffert werden. Möglich ist es auch, einen Mindestbetrag geltend zu machen.

4. Wird ein Geldbetrag als Mindestbetrag geltend gemacht und ausgehend hiervon der Beschwerdewert des § 144 Abs 1 S 1 Nr.1 SGG nicht erreicht, bedarf die Berufung gleichwohl keiner Zulassung.

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7.   Sozialgericht Bremen S 23 AS 2179/09 ER 01.12.2009, Beschluss

§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II findet nur dann Anwendung, wenn dem Hilfebedürftigen eine Rückzahlung oder ein Guthaben zufließt, über das er tatsächlich verfügen kann (Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn. 18 zur Zuflusstheorie, SG Oldenburg Beschluss vom 30.12.2009, – S 45 AS 2450/09 ER-).

§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II besagt, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben insofern außer Betracht.

Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II kann nur dann Anwendung finden, wenn dem Hilfebedürftigen eine Rückzahlung oder ein Guthaben zufließt, über das er tatsächlich verfügen kann (Urt. des SG Neubrandenburg vom 6. Mai 2009 – S 11 AS 1042/08 -). Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift; denn eine Rückzahlung oder ein Guthaben ist begrifflich mit einer tatsächlichen Verfügungsberechtigung verbunden. Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, denn nur dann, wenn dem Hilfebedürftigen tatsächlich Mittel zur Verfügung stehen, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, kommt eine Minderung der Leistungen nach dem SGB II in Betracht, weil ansonsten eine Bedarfsunterdeckung bestünde. Auch aus dem Sinnzusammenhang mit § 11 SGB II folgt, dass nur sol-che Mittel angerechnet werden können, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich zufließen (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn. 18 zur Zuflusstheorie).

Dementsprechend kann eine nur fiktive, nicht aber tatsächliche Rückzahlung, wie sie vorliegend von der Antragsgegnerin ermittelt worden ist, nicht gem. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II an-gerechnet werden. Der Grundsicherungsträger ist folglich in einem solchen Fall auf den Erlass eines Änderungsbescheides und gegebenenfalls auf den Erlass eines Rückforderungsbescheides zu verweisen, sofern er der Auffassung sein sollte, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung überzahlt worden sind.

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Anmerkung : vgl. dazu LSG Hamburg Urteil vom 16.7.2009, L 5 AS 81/08

1. Ein Guthaben aus einer den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnenden Betriebskostenabrechnung kann gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) den Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Folgemonat der Gutschrift nur mindern, wenn die Gutschrift die Zahlungsverpflichtungen des Hilfebedürftigen für diese Aufwendungen tatsächlich gemindert hat. Dafür genügt nicht, dass eine Gutschrift in der Weise erfolgt, dass das Guthaben mit anderen Forderungen des Vermieters (hier: aus Gerichts- und Anwaltskosten) verrechnet wird. Bei anderer Auslegung wäre der Hilfebedarf nicht gedeckt.

2. In einem solchen Fall ist die Gutschrift nicht leistungsrechtlich unbeachtlich. Sie kann vielmehr dazu führen, dass der Anspruch auf die Regelleistung gemäß §§ 11 und 19 Satz 3 in Verbindung mit den Vorschriften der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung <Alg II-V> um zu berücksichtigendes Einkommen zu mindern ist.

3. Erreicht das Guthaben nicht den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V genannten Schwellenwert von 50 EUR für einmalige Einnahmen, hat es hiermit sein Bewenden.

vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 6 AS 11/09 22.09.2009, Urteil

1. Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II müsse die Reduzierung der von der öffentlichen Hand gezahlten Sozialleistungen einer Pfändung durch Insolvenzgläubiger vorgehen. Ansonsten würden Schulden mittels Sozialleistungen getilgt, was gerade nicht Intention des Gesetzgebers sei.

vgl. dazu auch: § 22 Abs 1 S 4 SGB 2 schließt einen Rückgriff auf § 48 Abs 1 SGB 10 insoweit aus, als nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine Verrechnung der Rückzahlung oder Gutschrift mit den Kosten der Unterkunft erst ab dem Folgemonat ihres Zuflusses vorgesehen ist, eine Verrechnung im Zuflussmonat ist nicht zulässig.

Die Voraussetzungen für die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 SGB X lagen hier nicht vor, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bezogen auf den Leistungsanspruch nicht vorliegt. Eine solche wesentliche Änderung kann insbesondere nicht im Hinblick auf das Betriebskostenguthaben aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II abgeleitet werden. Danach mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben insoweit außer Betracht. Damit sieht das Gesetz eine Verrechnung der Rückzahlung oder Gutschrift mit den KdU ab dem Folgemonat ihres Zuflusses vor (Berlit in: LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 52; Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Aufl., § 22 Rn. 61c). Eine Verrechnung im Zuflussmonat ist demnach nicht zulässig.
(SG Berlin S 123 AS 15344/07 07.11.2008,Urteil).

Nach § 22 Abs. 1 S. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift erfolgenden Aufwendungen.

So wird in der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, es gehe bei der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, auf die sich die Beklagte in der Fassung des Bescheides im Widerspruchsbescheid beruft, "nur um Aufwendungen für den Folgemonat" (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 52). Nur für den Fall, dass die Rückzahlung den monatlichen Bedarf übersteigt, wird auch eine Minderung der Unterkunftskosten in den weiteren Folgemonaten diskutiert (vgl. Berlit, a.a.O., Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, Rn. 61c, vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 B 46/08 AS vom 28.05.2008).

Es kann dahinstehen, ob die von der Vermieterin vorgenommene Aufrechnung des Betriebskostenguthabens mit der Mietzinsforderung als Zufluss eines Einkommens nach § 11 SGB II zu werten ist (so BSG, Urteil vom 15.04.2008 – B 14/7b AS 58/06 R -, Rn 37 zur Betriebskostenerstattung als Einkommen vor dem 01.08.2006)oder Soweit sich in Folgezeiträumen Betriebskostenrückzahlungen ergeben, mindern diese nicht die Aufwendungen in den vorangehenden Zeiträumen (vgl BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 9 Nr 5, jeweils RdNr 37 sowie die zum 1. August 2006 in Kraft getretene ausdrückliche gesetzliche Bestimmung in § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II, vgl. dazu BSG, Urteil vom 2.7.2009, B 14 AS 36/08 R -, Rn. 16).

Ein Betriebskostenguthaben reduziert die durch den Grundsicherungsträger zu erbringenden Kosten für Unterkunft und Heizung, und zwar unerheblich davon, dass der Hilfebedürftige die Rückzahlung tatsächlich erhält. Die Anspruchsgrundlagen für die Höhe des Arbeitslosengeldes II ergeben sich unabhängig von den Regelungen der Insolvenzordnung (InsO) allein aus dem SGB 2. Angesichts des klaren Regelungsinhalts des § 22 Abs 1 S 4 SGB 2 muss die Reduzierung der von der öffentlichen Hand gezahlten Sozialleistungen einer Pfändung durch Insolvenzgläubiger vorgehen; eine Auslegung unter Berücksichtigung des § 35 InsO ist weder möglich und erforderlich (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.09.2009, Az. L 6 AS 11/09, Revision zugelassen).

Das Sozialgericht Neubrandenburg hat entschieden (Urteil vom 06.05.2009, Az.: S 11 AS 1042/08), dass ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung nicht auf das Arbeitslosengeld 2 angerechnet werden darf, wenn das Guthaben tatsächlich gar nicht zur Auszahlung gelangt. Hier wurde das Betriebskostenguthaben vom Vermieter mit offenen Mietschulden verrechnet und der Restbetrag dem Insolvenzverwalter übersandt, denn zugleich lief auch noch ein Insolvenzverfahren. Nur Geld, über das ein Leistungsempfänger tatsächlich verfügen kann, mindert seinen Bedarf, so die Ansicht des SG Neubrandenburg, hier sei dem Hilfebedürftigen kein tatsächliches Einkommen zugeflossen.

7.1 – Sozialgericht Bremen S 23 AS 2415/09 ER 21.12.2009, Beschluss

Privat kranken- und pflegeversicherte Hilfebedürftige haben gem. § 26 SGB II Anspruch auf einen Beitragszuschuss in Höhe ihres tatsächlichen notwendigen Beitrages, maximal bis zur Hälfte des Basistarifes (wie Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. September 2009 – L 3 AS 3934/09 ER-B).

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7.2 – Sozialgericht Bremen S 23 AS 2335/09 ER 10.12.2009, Beschluss

Für eine Brille kann i. d. R. kein Darlehen gem. § 23 Abs. 1 SGB II gewährt werden, weil Brillen mit üblicher Stärke sehr günstig angeboten werden und daher aus der Regelleistung angeschafft werden können.

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Anmerkung: Der Übernahme der Kosten einer Gleitsichtbrille durch den Sozialleistungsträger aufgrund eines unabweisbaren Bedarfs des Hilfebedürftigen kommt nicht in Betracht, wenn dieser bereits über eine Lesebrille verfügt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.07.2009, Az. L 29 AS 244/09 B PKH).

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de