Rechtsprechungsticker von Tacheles 03/2010

1.   Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 409/09 AS ER 22.12.2009 rechtskräftig, Beschluss

Der gewöhnliche Aufenthalt ist keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, sondern dient dazu, die örtliche Zuständigkeit der verschiedenen Grundsicherungsträger nach dem SGB II gegeneinander abzugrenzen.

Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin ist der "gewöhnliche Aufenthalt" keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, sondern dient dazu, die örtliche Zuständigkeit der verschiedenen Grundsicherungsträger nach dem SGB II gegeneinander abzugrenzen (§ 36 Satz 1 SGB II). Andernfalls säße ein hilfebedürftiger Mensch trotz unstreitig bestehender Hilfebedürftigkeit "zwischen den Stühlen" der streitigen Zuständigkeit. Dass dieses Ergebnis bei existenzsichernden Leistungen wie den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nicht sein kann, versteht sich bereits angesichts der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des (jedenfalls physischen) Existenzminimums ohne Weiteres von selbst (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)). Einfachrechtlich verdeutlicht zudem die Regelung des § 44a Abs. 1 Satz 3 SGB II, dass die Gesetzgebung einen Zuständigkeitsstreit auf dem Rücken des Hilfebedürftigen (dort einen sachlichen Zuständigkeitsstreit zwischen einem Grundsicherungs- und einem Sozialhilfeträger) auf jeden Fall und von vornherein verhindern will.

Wo der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt derzeit hat, steht nicht abschließend fest. Denn nach der Legaldefintion des "gewöhnlichen Aufenthalts" in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist damit die über eine vorübergehende Verweildauer hinausgehende Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts an bestimmten Orten, die sich in bestimmten Umständen manifestieren müssen. "Gewöhnlich" ist der Aufenthalt nicht nur dann, wenn er ein ständiger Aufenthalt ist. Dauerhaftigkeit liegt bereits dann vor, wenn und solange der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, er also zukunftsoffen ist. Entscheidend ist, dass die Umstände auf einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt schließen lassen (zum Ganzen Schlegel in: jurisPK-SGB I, § 30 Rn. 37-37 m.w.N.).

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1.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 AS 12/09 21.10.2009 rechtskräftig, Urteil

Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 31 Abs. 1 SGB II.

Das Gericht habe ebenso wenig wie die Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.12.2006 – Az.: L 19 B 842/06 AS NZB -, LSG NRW, Beschluss vom 29.05.2006 – Az.: L 20 B 52/06 AS ER -, Bayerisches LSG, Urteil vom 17.03.2006 – Az.: L 7 AS 118/05 -) keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 31 Abs. 1 SGB II. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b SGB II i.V.m. § 15 SGB II werde das Alg II abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigere, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Das Gericht sehe in der Vorgehensweise des Gesetzgebers, die Absenkung einer Sozialleistung an das Erfüllen von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung zu knüpfen, keine Anhaltspunkte für einen Verfassungsverstoß. Bei der Eingliederungsvereinbarung handele es sich nach herrschender Ansicht nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage, § 15 Rdz. 8 ff. m.w.N.). Der öffentlich-rechtliche Vertrag sei ein gesetzlich vorgesehenes Mittel des allgemeinen Verwaltungsrechts zur Regelung öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse. Seine Grundlagen im Sozialrecht finde er in §§ 53 ff. SGB X. Im Gegensatz zum Verwaltungsakt, der allein hoheitlich von der Verwaltung an den Einzelnen gerichtet werde, sei der Einzelne beim öffentlich-rechtlichen Vertrag Mitwirkender bei der Gestaltung des konkreten öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses. Der Gesetzgeber habe den als Eingliederungsvereinbarung bezeichneten öffentlich-rechtlichen Vertrag als Mittel zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit gewählt, um durch Abstimmung zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürften und dem Fallmanager eine besondere Einzelfallbezogenheit herzustellen zu können und dem Modell eines passiv rezeptiven Leistungsempfängers einen aktivierenden Sozialstaat gegenüber zu stellen (Spellbrink, a.a.O., § 15 Randnr. 3). Es gebe eine Vielzahl von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die ausführten, dass die Abhängigkeit eines Anspruchs auf Gewährung staatlicher Leistungen von zumutbaren Eigenbemühungen verfassungsrechtlich unbedenklich sei (BVerfG, Beschluss vom 23.12.1979, Az.: 5 B 114/78). So bestünden auch im konkreten Fall keine verfassungsrechtlichen Bedenken, denn die Eingliederungsvereinbarung sei ein geeignetes Mittel, zumutbare Eigenbemühungen festzulegen. Insbesondere könne das Gericht keinen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG erkennen. Der dort niedergelegte allgemeine Gleichheitssatz beinhalte, dass es verfassungsrechtlich untersagt sei, wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Im vorliegenden Fall könne das Gericht schon keine Anhaltspunkte für eine Ungleichbehandlung feststellen. Sollte diese darin liegen, dass in jedem Einzelfall, in dem bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Absenkung in Betracht gezogen werde, eine andere Eingliederungsvereinbarung den Anknüpfungspunkt darstelle, liege darin gerade die Intention des Gesetzgebers, in individueller Abstimmung einen Katalog von Rechten und Pflichten von Leistungsträgern und Leistungsempfängern aufzustellen. Eine Sanktion trete nach § 31 Abs. 1 SGB II so auch nur dann ein, wenn die eigene, persönlich abgeschlossene Eingliederungsvereinbarung verletzt werde. Diese "Ungleichbehandlung" sei sogar zwingend, um dem Gleichheitssatz gerecht zu werden. Das Anknüpfen von Sanktionen an eine immer gleiche Eingliederungsvereinbarung, unabhängig von den Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten des Einzelnen, sei wesentlich problematischer, weil dann eine Vielzahl von unterschiedlichen Fällen unter einen allgemeinen Tatbestand fielen. Da das Gesetz vorsehe, dass mit allen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen werden solle, liege darin auch eine explizite Form der Gleichbehandlung, denn jede einzelne sei in dasselbe System von Rechten, Pflichten und Sanktionen eingebunden. Auch einen Verstoß gegen Artikel 20 Abs. 3 GG vermöge das Gericht nicht zu erkennen. Artikel 20 Abs. 3 GG beinhalte das formelle Rechtsstaatsprinzip, nach dem der Gesetzgeber an die verfassungsmäßige Ordnung und die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden sei. Mit der Schaffung von § 31 Abs. 1 SGB II bewege sich der Gesetzgeber im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, da er versuche, ein legitimes Ziel mit legitimen Mitteln zu erreichen. Die Beseitigung von Arbeitslosigkeit sei ein Ziel des Sozialstaates und der öffentliche Vertrag in Form der Eingliederungsvereinbarung, mit der der Einzelne zu Eigenbemühungen verpflichtet werde, sei ein verfassungskonformes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Auch das Vorbringen des Klägers zur Begründung seiner Berufung führt zu keiner abweichenden Entscheidung, denn auch aus Sicht des Senats bestehen unter Berücksichtigung des teilweise schwer nachvollziehbaren Vortrag des Klägers keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschriften der §§ 31, 15 SGB II. Der Kläger verkennt die Strukturen und die Systematik der öffentlich-rechtlichen Handlungsformen im Allgemeinen und der Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB II im Besonderen.

Aus diesem Grunde ist daher zunächst grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag als Handlungsform der Verwaltung anerkannt und in den entsprechenden Verfahrensgesetzen seinen Eingang gefunden hat (§ 53 SGB X, § 54 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)). Neben dem Verwaltungsakt ist er als zweite wichtige Handlungsform gesetzlich geregelt und wird von der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung für grundsätzlich zulässig gehalten, auch soweit es sich um Verträge im Über- und Unterordnungsverhältnis (subordinationsrechtliche Verträge) handelt (vgl. hierzu Begründung des Regierungsentwurfs zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910, Seite 78). Wie § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu entnehmen ist, kann eine Behörde sich seiner, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, bedienen. Da die Beklagte als die auf dem Gebiet des SGB II zuständige Behörde gegenüber den Bürgern und damit speziell dem Kläger die Befugnis hat, einen Verwaltungsakt zu erlassen, ist sie damit auch legitimiert, mit dem Kläger einen öffentlich-rechtlichen Vertrag in Form einer Eingliederungsvereinbarung zu schließen.

Die Eingliederungsvereinbarung im Besonderen ist nach überwiegender Ansicht, worauf bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, als subordinationsrechtlicher öffentlich rechtlicher Vertrag ausgestaltet (vgl. hierzu Berlit in Lehr- und Praxiskommentar (LPK) zum SGB II, 2. Auflage 2006, § 15 Anm. 8 m.w.N.). Für sie gelten damit die allgemeinen Regelungen über öffentlich-rechtliche Verträge sowie die spezielleren Regelungen der §§ 15 SGB II und der hier streitigen Regelung bezüglich der Sanktionierung von Verstößen gegen Eingliederungsvereinbarungen in § 31 SGB II.

Die vom Kläger geäußerten grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung, die er aus Artikel 20 Abs. 3 GG ableitet, teilt der Senat nicht. Artikel 20 Abs. 3 GG legt fest, dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Hierbei handelt es sich um das Rechtsstaatsprinzip, das die Beklagte als Verwaltungsbehörde verpflichtet, nur im Rahmen der bestehenden rechtlichen Vorschriften zu handeln und an diese gebunden zu sein. Da es sich bei den Regelungen über die Eingliederungsvereinbarung und die Sanktionierungsvorschriften um materiell-rechtliche Regelungen handelt, die im SGB II normiert sind, ist die Beklagte an diese Vorschriften gebunden. Da sie sich an den Wortlaut der gesetzlichen Regelungen gehalten hat, ist ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG auch nicht ansatzweise erkennbar. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, durch die Regelungen über die Eingliederungsvereinbarung würde die Beklagte exekutiv und gesetzgeberisch tätig und durch die Auslegung der Vorschriften des SGB II erhielten die Eingliederungsvereinbarungen einen überhöhten judikativen Anteil, entbehrt diese Auffassung jeder tatsächlichen und rechtlichen Grundlage. Indem die Beklagte diese Vorschriften anwendet, übt sie ausschließlich exekutive Funktionen aus. Ein gesetzgeberisches Tätigwerden liegt nicht vor, denn der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung ist eben der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages und nicht als Entwurf eines Gesetzes anzusehen. Ebenso wenig ist ein erhöhter judikativer Anteil – was auch immer der Kläger darunter verstehen mag – erkennbar, denn wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt, unterliegt die wegen des Verstoßes gegen die Regelungen der Eingliederungsvereinbarung verhängte Sanktion der gerichtlichen Kontrolle in vollem Umfang. Grundsätzlich besteht für den Grundsicherungs-empfänger gegen belastende Regelungen in einer Eingliederungsvereinbarung die Möglichkeit, z.B. eine einfache Feststellungsklage gemäß § 55 SGG zu erheben (vgl. hierzu Spellbrink in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 15 Anm. 39).

Mit der Justiziabilität der Eingliederungsvereinbarung ist auch das Argument des Klägers widerlegt, ein öffentlich-rechtlicher Vertrag habe eine höhere juristische Wirksamkeit als ein Verwaltungsakt.

Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen Artikel 3 GG über die vom Sozialgericht hierzu getroffenen Feststellungen hinaus erkennbar. Entgegen der Ansicht des Klägers wird dieser Verstoß nicht dadurch begründet, dass sich bei Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages in Form einer Eingliederungsvereinbarung Vertragspartner mit unterschiedlichem juristischem Kenntnisstand gegenüber stehen, denn dieser Sachverhalt wird vom Schutzbereich des Artikel 3 GG nicht erfasst. Das Gleichheitsgrundsrecht verlangt keine "Waffengleichheit" zwischen Vertragspartnern, sondern verbietet lediglich, wesentlich Gleiches ohne sachlichen Grund verschieden zu behandeln. Für einen Verstoß gegen dieses Verbot bietet der vorliegende Sachverhalt jedoch weder im Allgemeinen noch im Konkreten irgendwelche Anhaltspunkte.

Soweit der Kläger der Auffassung ist, die gesetzlichen Regelungen verpflichteten ihn gleichsam im Sinne eines Kontrahierungszwangs zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung und darin liege insbesondere mit den Sanktionsregelungen des § 31 SGB II so, wie es teilweise diskutiert wird (Berlit in LPK a.a.O, § 31 Anm. 12 ff.) ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip und die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikel 2 Abs. 1 GG, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Bereits das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass in einer Vielzahl von Entscheidungen zum Sozialhilferecht geklärt worden ist, dass die Abhängigkeit des Anspruchs auf Gewährung staatlicher Leistungen von zumutbaren Eigenbemühungen zur Sicherung der Lebensgrundlage verfassungsrechtlich unbedenklich ist. In diesem Sinne sieht der Senat auch die Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB II als geeignetes Mittel zur Förderung und Koordinierung der Eigenbemühungen des Hilfebedürftigen mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit an und hält sie deshalb nicht für verfassungswidrig. Dem stehen die genannten verfassungsrechtlichen Zweifel an der Pflicht zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nicht entgegen, denn die Rechtsprechung ist dem nicht gefolgt (vgl. hierzu Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 12.05.2006 – L 7 AS 40/05 -). Das Bayerische LSG hat die Revision nicht zugelassen, womit erkennbar ist, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG verneint worden ist. In diesem Sinne hat auch der 20. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 02.05.2006 – L 20 B 37/06 AS ER -) entschieden.

Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor, da der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 31 Abs. 1 SGB II hat und diese Auffassung auch in der zitierten Rechtsprechung geteilt wird. Soweit im Beschluss vom 11.03.2009 die Berufung gegen die sozialgerichtliche Entscheidung zugelassen worden ist, hält der Senat die dort vertretene Auffassung, dass die Pflicht zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung einen Verstoß gegen die durch Artikel 2 GG geschützte Privatautonomie beinhaltet, aus den in dieser Entscheidung dargestellten Gründen nicht aufrecht.

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2.   Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 29 AS 1752/09 B ER 03.12.2009 rechtskräftig, Beschluss

Keine Mietschuldenübernahme bei unangemessener Wohnung – Kein Darlehen für Prozesskosten

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch -SGB II). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden
Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs.1 S. 3 SGB II). Sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft und zur Behebung einer vergleichbaren Notlage
gerechtfertigt ist (§ 22 Abs. 5 S. 1 SGB II). Sie sollen übernommen werden, denn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (§ 22 Abs. 5 S. 2 SGB II), wobei Geldleistungen als Darlehen erbracht werden sollen (§ 22 Abs. 5 S. 4 SGB II).

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist ein solcher Anordnungsanspruch – der auf eine Leistung gerichtet ist, die im Ermessen des Antragsgegners steht – schon deshalb nicht erkennbar, weil die Sicherung einer unangemessenen Wohnung nicht gerechtfertigt im Sinne von § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II ist. Ein Mietzins von monatlich 432,71 EUR ist für einen 1-Personen-Haushalt aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht angemessen. Die Sicherung einer unangemessenen Unterkunft ist jedoch nicht durch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II geschützt.

Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 4. Dezember 2008 in einem vergleichbaren Fall (L 29 B 1928/08 AS ER, L 29 B 1930/08 AS PKH, zitiert nach Juris) entschieden hat, ist in einem solchen Fall die Übernahme von Schulden grundsätzlich nicht gerechtfertigt.

Die gesetzliche Regelung des § 22 Abs. 1 Zweites Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) würde ins Leere laufen, wenn zwar einerseits nur die angemessenen Kosten der Unterkunft zu leisten sind, andererseits jedoch Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen wären, die daraus resultieren, dass der über den angemessenen Betrag hinausgehende tatsächliche Mietzins nicht als Leistung erbracht wurde. Letztlich würden dann dem Antragsgegner durch die Verpflichtung zur Schuldenübernahme doch sämtliche Kosten der Unterkunft aufgebürdet, auch wenn sie unangemessen hoch sind. Dies gilt gleichermaßen oft auch bei einer Übernahme der Kosten als Darlehen. Denn wie die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift selbst einräumt, ist nicht absehbar, dass sie in der Lage ist, hieraus resultierende Darlehensverbindlichkeiten zu begleichen. Die Antragstellerin sieht sich nicht einmal in der Lage, monatlich 20 EUR zu tilgen, obwohl nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II ein Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10% der Regelleistung (351 EUR x 10%= 35,10 EUR) zu tilgen wäre.

Außerdem würde das Ziel einer nachhaltigen Kostensenkung auf das Niveau eines angemessenen Betrages verfehlt, wenn den Hilfebedürftigen ein Verbleib in der unangemessenen Wohnung durch Übernahme der Mietschulden ermöglicht würde. Aus diesem Grunde ist in § 22 Abs. 5 S. 2 SGB III eine Übernahme von Mietschulden regelmäßig auch nur dann vorgesehen, wenn nicht nur Wohnungslosigkeit einzutreten droht, sondern zudem die Übernahme der Schulden gerechtfertigt und notwendig ist. Zumindest diese Voraussetzungen dürften nicht erfüllt sein, wenn die Mietschulden sich als Konsequenz aus einer Anwendung des § 22 Abs. 1 SGB II darstellen (vgl. in diesem Sinne LSG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2007, L 28 B 269/07 AS ER, zitiert nach Juris) oder – wie hier im Falle der Antragstellerin -, wenn vom Antragsgegner überhöhte Kosten der Unterkunft und Heizung bereits gezahlt worden sind, vom Hilfebedürftigen, d.h. der Antragstellerin jedoch nicht an den Vermieter weitergeleitet worden sind.

§ 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kann ebenfalls nicht zu einer anderen Einschätzung führen. Zwar kann nach dieser Regelung auch ein unangemessen hoher Mietzins weiter erbracht werden, soweit es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Dieser Regelung hat – wie ausgeführt – der Antragsgegner jedoch bereits dadurch Rechnung getragen, dass er der Antragstellerin den unangemessenen Mietzins bereits in der Vergangenheit gezahlt und erklärt hat, diesen auch noch bis zum Abschluss der Umschulung (Ende 2010) weiterhin zu zahlen.

Die Übernahme der begehrten Mietschulden ist demgegenüber in § 22 Abs. 5 SGB II abschließend geregelt. Wie bereits dargestellt, begegnet die Ablehnung der Mietschuldenübernahme durch den Antragsgegner nach dieser Regelung keinen Bedenken.

Hinsichtlich der von der Antragstellerin befürchteten Wohnungslosigkeit ist zum einen auf den entspannten Wohnungsmarkt in Berlin hinzuweisen. Insbesondere, wenn der Antragsgegner sich gegenüber einem potentiellen Vermieter zur direkten Zahlung des Mietzinses an ihn verpflichtet, erscheint die zeitnahe Anmietung einer angemessenen Wohnung durchaus als möglich. Zum anderen ist die Antragstellerin nach dem Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Wedding vom 14. Mai 2009 zur Räumung der Wohnung (bereits bis zum 31. Juli 2009) unabhängig von der Verurteilung zur Zahlung der Mietrückstände verpflichtet.

B. Sofern die Antragstellerin schließlich die Gewährung eines Darlehens zur Begleichung der Prozesskosten der Räumungsklage begehrt, ist ein Anordnungsanspruch ebenfalls nicht glaub-haft gemacht.

Diese von der Antragstellerin zu tragenden Rechtsanwaltskosten des Vermieters stellen keine Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II dar und können daher auch nicht über diese Regelung als Darlehen übernommen werden.

Für die hierfür einzig in Betracht kommende Regelung des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II sind die Anspruchsvoraussetzungen ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Es kann dahinstehen, ob derartige Prozesskosten von der Regelleistung umfasst sind. Jedenfalls stellen sie keinen nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des
Lebensunterhaltes dar. Denn eine Unabweisbarkeit im Sinne dieser Regelung setzt insbesondere voraus, dass die Begleichung dieser Forderungen keinen Aufschub duldet (vgl. Lang in Eichler/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 23 Rn. 27). Eine solche Situation ist jedoch nicht erkennbar.

Dass der Erhalt der Wohnung insbesondere auch von der zeitnahen Begleichung der Rechtsanwaltskosten abhängt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn allein durch die Begleichung der Rechtsanwaltskosten würde der Erhalt der Wohnung nicht gesichert; es wäre zumindest auch die Begleichung der aufgelaufenen Mietschulden erforderlich. Wie bereits dargestellt, kommt eine solche Mietschuldenübernahme jedoch nicht in Betracht.

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3.   Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 AS 221/09 06.11.2009, Urteil

Der von den Eltern gewährte monatliche Zuschuss in Höhe von 200 Euro zu den Kosten der Unterkunft ist kein zu berücksichtigendes Einkommen.

Die Klägerin hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des besagten Zuschusses ihrer Eltern. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II sind sowohl hinsichtlich der Altersgrenzen, der Erwerbsfähigkeit, der Hilfebedürftigkeit als auch des Aufenthalts grundsätzlich erfüllt. Im Rahmen der Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) ist der von den Eltern der Klägerin gewährte Zuschuss zu den Unterkunftskosten nicht in Höhe von 170,00 EUR als Einkommen zu berücksichtigen. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Zweckbestimmte Einnahmen können neben Einnahmen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, auch Einnahmen nicht öffentlich-rechtlicher Art, insbesondere von Privatpersonen sein (Söhngen, in JurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 55; Brühl, in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 54). Zweckbestimmt ist eine Leistung, wenn der Gesetzgeber oder der Leistungserbringer ihr eine bestimmte Zweckrichtung gegeben hat, die im Falle einer Anrechnung als Einkommen bei den nach dem SGB II zu gewährenden Leistungen vereitelt würde; dabei ist nicht erforderlich, dass der Empfänger die Leistung nur zu dem im Gesetz oder vom Leistungserbringer bestimmten Zweck verwenden darf und der Leistende ein Kontrollrecht oder einen Einfluss auf die bestimmungsgemäße Verwendung hat; es genügt, wenn die Leistung aus einem bestimmten Anlass und in einer bestimmten Erwartung gegeben wird und der Empfänger sie im Allgemeinen für den bestimmten Zweck verwendet, ohne dass er jedoch dazu angehalten werden könnte (vgl. Söhngen a. a. O. Rn. 56; Brühl a. a. O. m. w. N.).

Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von 200,00 EUR monatlich um eine zweckbestimmte Leistung i. S. d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II. Denn nach der von den Eltern vorgegebenen Zweckbestimmung soll der Zuschuss dem Ausgleich der Differenz zwischen den von der Beklagten bewilligten und den tatsächlichen Unterkunftskosten dienen und so der Klägerin ermöglichen, ihre bisherige, nach den gesetzlichen Bestimmungen unangemessene Wohnung beizubehalten.

Der Zuschuss dient auch einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Das von der Beklagten bewilligte Alg II dient der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 S. 1 SGB II). Nach der Zweckbestimmung der Eltern soll der Zuschuss gerade nicht der allgemeinen Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin dienen, sondern ihr ermöglichen, trotz der Beschränkung der Unterkunftskosten durch die Beklagte, die bisherige – nach den gesetzlichen Bestimmungen unangemessene – Wohnung beizubehalten. Diese Zweckbestimmung würde vereitelt, wenn der Zuschuss als Einkommen bei der Bedarfsberechnung nach dem SGB II angerechnet würde.
Der Zuschuss beeinflusst die Lage der Klägerin auch nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Nach Sinn und Zweck der Regelung ist hierbei eine Abwägung zu treffen unter Berücksichtigung der Situation des Hilfebedürftigen im Vergleich zu anderen Hilfebedürftigen und fiskalischen Interessen. Bei privatrechtlich zweckbestimmten Leistungen sind Leistungen nach dem SGB II in der Regel nur dann als nicht mehr gerechtfertigt anzusehen, wenn die Zweckbestimmung einen Missbrauch verschleiern soll, z. B. eine allgemeine Unterhaltszuwendung für einen besonderen, tatsächlich nicht bestehenden Aufwand deklariert wird (Brühl a. a. O. Rn. 55 m. w. N.). Für eine solche Missbrauchsverschleierung gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Eltern für die 1968 geborene Klägerin besteht nicht; es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eigentlicher Zweck des Zuschusses der Eltern eine Unterstützung für den allgemeinen Lebensunterhalt der Klägerin wäre und dieser Zweck durch die geltend gemachte Zweckbestimmung verschleiert werden soll. Hiervon geht auch die Beklagte wohl nicht aus. Die Eltern der Klägerin würden den Zuschuss nicht zahlen, wenn die Unterkunftskosten der Klägerin in der bisherigen Wohnung von der Beklagten gedeckt würden. Fiskalische Interessen werden hierdurch nicht beeinträchtigt, denn die Klägerin erhält von der Beklagten nur die angemessenen Kosten der Unterkunft. Der Zuschuss ist auch nicht so hoch, dass die Klägerin damit im Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen unangemessen bessergestellt wäre.

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4.   Sächsisches Landessozialgericht L 2 AS 99/08 29.10.2009, Urteil

1. Zuschläge für Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagszuschläge sind gemäß § 3b Abs. 1 EStG (begrenzt) steuerlich privilegierte Aufwandsentschädigungen und daher zweckbestimmte Einnahmen i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II.

2. Sie sind insbesondere dazu bestimmt, einen zu diesen Zeiten entstehenden Verpflegungsmehraufwand abzudecken. Zwar ist der Beklagten darin Recht zu geben, dass Leistungen für Verpflegung grundsätzlich in der Regelleistung enthalten und durch diese abgedeckt sind (vgl. auch Hasske in: Estelmann, SGB II, Stand November 2007, § 11 Randnr. 49). Wie jedoch insbesondere § 21 SGB II zeigt, gilt diese Regel jedoch nur für den Grundbedarf (gesunde Vollkost); sie gilt jedoch gerade nicht für beschäftigungsbedingte Mehrbedarfe bzw. einen beschäftigungsbedingten Mehraufwand für besondere Verpflegung zu bestimmten Zeiten. Nachtarbeit beansprucht den Menschen stärker als Arbeit, die am Tage geleistet wird; sie erfordert deshalb zusätzliche Mahlzeiten und insoweit besondere Aufwendungen; auch die Zuschläge für Arbeit an Sonn– und Feiertagen haben diesen Aufwandsentschädigungscharakter, d. h. sie sind zweckbestimmt im Sinne der Vorschrift (so auch Thüringer LSG, Beschluss vom 08.03.2005 – L 7 AS 112/05 ER – zitiert nach Juris m.w.N., SG Chemnitz, Urteil vom 22.06.2008 – S 22 AS 4269/07 -, zitiert nach Juris, SG Lüneburg, Urteil vom 25.10.2007 – S 28 AS 1055/07 – veröffentlicht in Sozialgerichtsbarkeit; Brühl in: Münder (Hrsg.), Lehr– und Praxiskommentar zum SGB II, 3. Aufl., § 11 Randnr. 68). Denn zweckbestimmt i. S. d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II ist eine Leistung bereits dann, wenn ihr eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die nicht in der Bestreitung des Lebensunterhaltes besteht, so dass sie verfehlt würde, wenn der Empfänger sie über den Weg der Einkommensanrechnung hierzu verwenden müsste und dadurch gehindert wäre, sie ihrer eigentlichen Bestimmung zufließen zu lassen (Thüringer LSG, Beschluss vom 08.03.2005 a.a.O.). Die (begrenzte) steuerrechtliche Privilegierung der Sonn- und Feiertagszuschläge durch § 3b Abs. 1 EStG offenbart eine vom Gesetzgeber gebilligte Zweckrichtung. Die genannten Zuschläge dienen also einem anderen Zweck als die Regelleistungen nach dem SGB II und könnten daher nicht als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II angerechnet werden.

3. Die Revision wird gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da zu der Frage, ob vom Arbeitgeber gewährte Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, soweit diese (begrenzt) steuerlich privilegierte Aufwandsentschädigungen im Sinne des § 3b Abs. 1 EStG darstellen, als zweckbestimmte Einnahmen i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II anzusehen sind, bislang keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt und diese Frage für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung hat. Hinsichtlich der prozessualen Fragen ist der Senat der ständigen Rechtsprechung des BSG gefolgt.

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5.   Sozialgericht Aachen S 19 SO 81/08 13.01.2010, Urteil

1. Kein Anspruch auf einen höheren Regelsatz unter Berücksichtigung einer KfZ-Haftpflichtversicherung als Abzug vom Renteneinkommen. Nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII können Versicherungsbeiträge unter bestimmten Voraussetzungen vom Einkommen abgesetzt werden. Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen gehören nur dann dazu, wenn das Fahrzeug für den Weg zum Arbeitsplatz benötigt wird (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., 2008, § 82, Rn. 42).

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6.   Gerichtsbescheid der 18. Kammer vom 07. Januar 2010 – S 18 AS 664/09

Zur Frage, ob Leistungen nach Ablauf eines Bewilligungszeitraumes vor Eingang eines Folgeantrages durchgesetzt werden können und der Frage der Beweislast für den rechtzeitigen Eingang des Folgeantrages.

1. Gemäß § 37 Abs. 1 SGB II werden Grundsicherungsleistungen nur auf Antrag erbracht. Sie werden nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Deshalb ist das Datum der Antragstellung für den Beginn der Leistungserbringung maßgeblich. Dies gilt auch für Folgeanträge auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Dazu, wann ein Antrag erneut gestellt werden muss bzw. wann die Wirkung eines wirksam gestellten Antrags erlischt, enthält das SGB selbst keine Regelung. Deshalb bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein verfahrensrechtlicher Antrag gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fortwirkt und wirksam bleibt, solange die Bewilligungsentscheidung nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (Link in Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, 2008, Rn. 19 zu § 37 SGB II).

2. Vielmehr trägt der Erklärende für den Zugang einer Erklärung die Beweislast. Auch für normale Postsendungen besteht entgegen einer in der Literatur vertretenen Mindermeinung (Schneider in MDR 1984, S. 281 ff.) kein Beweis des ersten Anscheins, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht (Heinrichs in Palandt, BGB, 67. Auflage, 2008,Rn. 21 zu § 130 BGB; BGH, Urteil vom 27.05.1957, Az.: II ZR 132/56 Rn. 7; OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.05.1990, Az.: 6 U 212/89, Rn. 30). Es gilt lediglich bei nachgewiesenem Zugang der Anscheinsbeweis, dass ein Schreiben mit dem Inhalt angekommen ist, mit dem es abgesandt wurde (OLG Düsseldorf, a. a. O., Rn. 31, LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 07.05.2008, Az.: L 9 B 173/07 AS ER).

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7.   Sozialgericht Dresden S 40 AS 2407/08 22.12.2009, Urteil

1. Bei selbstständig Tätigen ist das zu berücksichtigende Arbeitseinkommen der steuerrechtlich definierte Gewinn

2. Die Zulassung der Sprungrevision beruht auf § 161 SGG. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil – soweit für das Gericht ersichtlich – die rechtliche Behandlung von Ansparabschreibungen nach dem 1.10.2005 höchstrichterlich nicht geklärt ist. Dabei wird die grundsätzliche Bedeutung nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich bei der ab dem 1.10.2005 gültigen AlG II-V teilweise um nicht mehr geltendes Recht handelt. Beim Sozialgericht Dresden sind weitere Fälle anhängig, die die gleiche Rechtsfrage zum Gegenstand haben und die maßgeblichen Vorschriften des § 2a Alg II-V sind im wesentlichen unverändert, auch wenn sich die steuerliche Rechtslage bei den nunmehr als Investitionsabzugsbeträgen bezeichneten Ansparabschreibungen leicht geändert hat.

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8.   Sozialgericht Reutlingen S 15 AS 818/09 01.12.2009, Urteil

Bei der Berechnung der im Regelsatz von 351 EUR enthaltenen Kosten für die Haushaltsenergie sind die Werte der EVS aus dem Jahre 2003, und nicht diejenigen der EVS aus dem Jahre 1998 zugrunde zu legen (anderer Ansicht SG Darmstadt, Urteil vom 16.04.2009, S 22 AS 724/08).

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9.   Anmerkung zu: BSG 8. Senat, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 8/08 R

Autor: Uwe Söhngen, RiLSG
Erscheinungsdatum: 14.01.2010
Quelle:
Normen: § 36 SGB 12, § 20 SGB 2, § 8 SGB 2, Art 3 GG, § 19 SGB 12
Fundstelle: jurisPR-SozR 1/2010 Anm. 1
Herausgeber: Dr. Thomas Voelzke, Vors. RiBSG
Prof. Dr. Rainer Schlegel, Vors. RiBSG

Kürzung des Eckregelsatzes der Grundsicherung im Alter bei Zusammenleben in einem Haushalt

Leitsatz
Lebt eine Empfängerin von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit ihrem volljährigen, Arbeitslosengeld II beziehenden Sohn zusammen, ist eine Reduzierung ihres Regelsatzes für die Hilfe zum Lebensunterhalt als Haushaltsangehörige im Rahmen der Sozialhilfe nicht gerechtfertigt.

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10.   Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R

Autor: Jörg Neunaber, RA
Erscheinungsdatum: 23.12.2009
Quelle:
Norm: § 22 SGB 2
Fundstelle: jurisPR-SozR 26/2009 Anm. 1
Herausgeber: Dr. Thomas Voelzke, Vors. RiBSG
Prof. Dr. Rainer Schlegel, Vors. RiBSG

Angemessenheitsprüfung von Heizkosten

Orientierungssatz zur Anmerkung

Bei der Angemessenheitsprüfung der Heizkosten ist ein konkret-individueller Maßstab anzulegen. Die Angemessenheitsprüfung hat getrennt von der Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten zu erfolgen. Eine Pauschalierung der Heizkosten in Form eines Betrages pro qm ist unzulässig.

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Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de