Rechtsprechungsticker von Tacheles 06/2010

1.   Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 19 AS 1351/07 01.12.2009, Urteil

Noch keine höchstrichterliche Klärung, ob und unter welchen Voraussetzungen eine allgemeine Beratung und Unterstützung oder medizinische und psychologische Hilfen einen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II begründen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilnahme am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 SGB XII erbracht werden, einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % der nach § 20 SGB II maßgeblichen Regelleistung. Liegen die Voraussetzungen vor, besteht ein Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf. Daher kommt es zur Überzeugung des Senats nicht darauf an, ob der Kläger einen behinderungsbedingten Mehrbedarf konkret-individuell vortragen und ggf. beweisen kann.

Der Kläger erfüllt in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, was von den Beteiligten auch nicht in Frage gestellt worden ist. Im streitigen Zeitraum lag auch eine Erwerbsfähigkeit gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II vor. Der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser EM wurde vom Rentenversicherungsträger (DRV Bund) abgelehnt. Auch an der Behinderung im Sinne des § 2 SGB IX bestehen insbesondere aufgrund der Feststellung eines GdB von 60 bzw. 70 keine Zweifel.

Die Anwendung des § 21 Abs. 4 SGB II setzt indes voraus, dass die in dieser Vorschrift bezeichneten Leistungen "erbracht werden". Für die Bejahung eines Mehrbedarfs genügt nicht, dass möglicherweise ein Anspruch auf eine Teilhabeleistung oder eine Leistung der Eingliederungshilfe (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2008, B 11b AS 19/07 R, Rn. 22, Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 21 Rn. 41) abstrakt-generell in Betracht kommt. Die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf sind erst erfüllt, wenn der Berechtigte an einer Maßnahme des § 33 SGB IX tatsächlich teilnimmt (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2008, aaO; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Juli 2009, L 7 AS 65/08, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2008, L 29 B 414/08 AS NZB, Loose in GK-SGB II, § 21 Rn. 28). Dem erkennbaren Sinn und Zweck nach setzt die Anerkennung des in § 21 Abs. 4 SGB II geregelten Mehrbedarfs danach die Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme voraus, die grundsätzlich geeignet ist, einen Mehrbedarf beim Betroffenen auszulösen (BSG, Urteil vom Urteil vom 25. Juni 2008, aaO).

Im streitigen Zeitraum hat der Kläger erkennbar nicht an einer besonderen regelförmigen Maßnahme iS des § 21 Abs. 4 SGB II teilgenommen. Erst vom 21. Juni bis 28. Juni 2006 hat er an einer Maßnahme des B B teilgenommen. Für die Dauer der Teilnahme an dieser Maßnahme ist ihm Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II vom Beklagten bewilligt worden. Über die möglicherweise in Betracht kommenden Zeiträume der Teilnahme an regelförmigen Maßnahmen (2. Juli bis 14. Dezember 2007 – Lehrgang "Medienoperator" bei D, Betreuung und Vermittlung durch den I auf der Grundlage des Vermittlungsvertrages I vom 27. September 2007, MAE-Maßnahme vom 1. Juni bis 2. November 2008) ist hier nicht zu entscheiden.

Die psychotherapeutische Behandlung des Klägers ab 10. Januar 2006 (siehe Attest des Dipl.-Psychologen, Psychologischer Psychotherapeut W vom 7. Oktober 2007) ist keine Teilnahme an einer besonderen regelförmigen Maßnahme. Es handelt sich dabei um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Form der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, die nach der Systematik des SGB keine Leistung zur Teilnahme am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sein kann. Dies gilt auch dann, wenn die Behandlung durch den Psychotherapeuten Weine Leistung zur medizinischen Rehabilitation wäre. Denn Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden von § 26 SGB IX erfasst und sind von den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX bzw. den sonstigen Hilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XII zu trennen. Zwar umfassen die Leistungen nach § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB IX auch psychologische Hilfen. Zur Ab- und Begrenzung des weit gefassten § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ("die erforderlichen Leistungen") ist zur Überzeugung des Senats zusätzliche Voraussetzung für einen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II, dass die Leistungen nach § 33 SGB IX bzw. sonstige Hilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XII durch Verwaltungsakt bewilligt sind (vgl. Münder in LPK-SGB II, 2. Auflage § 21 Rn. 21). Das BSG hat diese Voraussetzung in seinem Urteil vom 26. Juni 2008 (aaO) offen gelassen.

Die allgemeine Beratung und Unterstützung des Klägers durch den Beklagten stellt ebenfalls keine Teilnahme an einer besonderen regelförmigen Maßnahme iS des § 21 Abs. 4 SGB II dar. Auch ist die allgemeine Beratung und Unterstützung die Pflicht jedes Leistungsträgers nach dem SGB (§§ 13, 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) sowie bei den Leistungen nach dem SGB II zusätzlich Ausfluss des vorrangigen Ziels einer möglichst zügigen (Wieder-) Eingliederung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den Arbeitsmarkt (dazu BSG, Urteil vom 30. September 2008, B 4 AS 19/07 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 14) und kann schon deshalb keine Leistung nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX (Hilfe zur Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung) sein.

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Anmerkung : Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 AS 65/08 16.07.2009, Urteil anhängig beim B SG – B 4 AS 59/09 R-

Bei der einjährigen Betreuung durch den Integrationsfachdienst handelt es sich um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II.

1.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 32 AS 1639/09 29.12.2009, Urteil

Kosten der Unterkunft; Miete, Warmwasserpauschale; tatsächlicher Verbrauch; Missbrauch; Verschuldenskosten; EVS 03; Dynamisierung

Warmwasserbereitungskosten sind auch dann nur in dem Umfang, in welchem sie bereits pauschaliert im Regelsatz enthalten sind, kein Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II, wenn sie zwar separat ausgewiesen an den Vermieter zu leisten sind, sie jedoch nicht nach dem tatsächlichen Verbrauch, sondern als Bruchteil des Gesamtverbrauchs nach dem Wohnflächenanteil zu tragen sind

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, von der aus Sicht des hier entscheidenden Senates jedenfalls nicht zu Gunsten des Beklagten abzuweichen ist, sind separat erfasste Kosten für Warmwasserbereitung nur dann von den an den Vermieter zu leistenden Nebenkosten abzuziehen und nicht als Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu erstatten, wenn die tatsächlichen Kosten erfasst sind. Nur dann –und das ist das maßgebliche Argument- liegt es in der Hand des Hilfebedürftigen, seinen Warmwasserverbrauch zu steuern und zu versuchen, mit dem ihm durch die Regelleistung zur Verfügung gestellten Rahmen auszukommen (so BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 48/08 R – Rdnr. 25).

Die von der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales in der zitierten Argumentationshilfe vertretene Auffassung, dass Warmwasserbereitungskosten nur dann in Betriebskostenabrechnungen gesondert aufgeführt werden könnten, wenn sie konkret erfasst werden könnten, ist eine schlichte Behauptung und bereits rein empirisch falsch. Nicht nur der vorliegende Fall zeigt, dass mietvertraglich eine separate Berechnung der Warmwasserkosten vereinbart sein kann, die konkrete Umlage aber nicht nach dem tatsächlichen Verbrauch, sondern nach dem quadratmetermäßigen Anteil am Gesamtverbrauch zu ermitteln ist. Eine Erfassung der tatsächlichen Kosten im Sinne der BSG-Rechtsprechung liegt hier – wie ausgeführt- nicht vor (vgl. für den gesetzlich angeordneten Regelfall, der Abrechnung nach der Heizkosten-AV, welche in § 8 maximal 70 % der Kosten des Betriebes einer zentralen Warmwasserversorgungsanlage nach dem erfassten Warmwasserverbrauch als umlegbar regelt, die übrigen Kosten hingegen zwingend nach der Wohn- oder Nutzfläche: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Mai 2009 – L 14 AS 1830/08 -).

Dem Beklagten ist allerdings beizupflichten, dass diese Rechtsprechung des BSG in sich nicht ohne Widersprüche ist. Einerseits sollen die Kosten für Warmwasserversorgung aus dem Regelsatz zu erbringen sein, obgleich sie im Regelfall Teil der an den Vermieter zu zahlenden Miete darstellen. Dies steht im Kontrast zu der Rechtsprechung, dass die Kosten für andere mitgemietete Objekte und Dienstleistungen, für die durch mietvertragliche Vereinbarung ebenfalls Beträge an den Vermieter zu zahlen sind (Kabelnutzungsgebühren, Möblierungszuschläge etc.) Kosten der Unterkunft sein sollen, obgleich die Aufwendungen für solche Güter und Dienstleistungen an sich ebenfalls im Regelsatz enthalten sind (vgl. BSG a.a.O. Rdnr. 16 ff. für Kabelnutzungsgebühren sowie für Möblierungszuschläge). Dies würde eher dafür sprechen, mit dem Sächsischen Landessozialgericht (Urteil vom 29. März 2007 – L 3 AS 101/06 -) die an den Vermieter zu zahlenden Kosten für die Warmwasserbereitung generell als Kosten für Unterkunft und Heizung anzusehen. Gegen die Argumentation des Beklagten ist aber jedenfalls mit dem BSG (Urteil vom 27. Februar 2008 – B 14/ 11 b AS 15/07 – Rdnr. 23) einzuwenden, dass die Kosten der Warmwasserbereitung nicht generell bereits in der Regelleistung enthalten sind, sondern nur in Höhe des Betrages, welcher im Regelsatz hierfür vorgesehen ist. Nur insoweit würden die Hilfebedürftigen nämlich doppelt Leistungen erhalten, wenn dies unberücksichtigt würde. Diese konkrete Berücksichtigung widerspricht ihrerseits allerdings dem Prinzip der Regelleistung, welche die Leistung gerade pauschal unabhängig von den konkreten Bedürfnissen und Erfordernissen des Hilfebedürftigen gewährt. So sollen nach der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG (vgl. B. v. 16.07.2009 – B 14 AS 121/08 B – Rdnr. 9) – soweit ersichtlich- Stromkosten, die nicht zum Heizen verwendet werden, auch dann nicht Teil der Kosten der Unterkunft sein, wenn – zum Beispiel bei Untermietverhältnissen- die Kosten für Strom an den Vermieter zu leisten sind und der für Strom im Regelsatz enthaltene Betrag abgezogen wird.

Soweit das SG die maßgeblichen Warmwasserkostenpauschalen auf der Grundlage der EVS 03 errechnet hat, folgt dem der Senat jedenfalls für den Zeitraum bis Juni 2008 nicht. Er behält seine Auffassung aufrecht, dass die Berechnung, die das BSG im genannten Urteil vom 27.02.2008 aufgestellt hat, einfach zu dynamisieren ist (so Beschlüsse vom Beschlüsse vom 29.07.2008 – L 32 B 1458/08 AS ER – und vom 9.12.2008 – L 32 B 2223/08 AS ER -; ebenso jetzt BSG, U. v. 22.09.2009 – B 4 AS 8/09 R – Rdnr.28ff). Die abweichende Berechnung wirkt sich aber nicht zu Gunsten des Beklagten als des Berufungsklägers aus.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG. Die Entscheidung des SG, dem Beklagten Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen, war aufzuheben. Sie ist Teil der Kostenentscheidung, über welche das Landessozialgericht von Amts wegen (neu) zu entscheiden hatte. Der Beklagte hat den Rechtsstreit nicht missbräuchlich fortgeführt im Sinne des § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG, obgleich das SG zutreffend die Frage des konkreten Abzuges für Warmwasserbereitung für die konkrete Fallvariante als von der Rechtsprechung des BSG geklärt angesehen hat. Wie ausgeführt, kann der Beklagte auf Widersprüche dieser Rechtsprechung hinweisen. § 192 SGG zwingt einen Beteiligten nicht dazu, eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht mehr angreifen zu können. Auf die Qualität der Ausführungen kann es dabei regelmäßig nicht ankommen: Die Missbräuchlichkeit setzt die Erkenntnis der Erfolglosigkeit voraus. Zudem ist hier die Argumentation des Beklagten zumindest teilweise bereits aus den Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid ersichtlich gewesen, so dass auch insoweit nicht von einem Beharren auf der Klage trotz erkannter völliger Aussichtslosigkeit ausgegangen werden kann.

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1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 32 AS 1592/09 28.12.2009, Beschluss

Kosten der Unterkunft; Miete; Betriebskosten; Betriebskostenabrechnung; Nachzahlung

Betriebskostennachzahlungen, welche einen Zeitraum betreffen, in welchem der Leistungsträger auch unangemessene Kosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen hatte, sind Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, auch wenn die laufenden Kosten nicht mehr voll zu tragen sind.

Der Beklagte muss die Betriebskosten- und Heizkostennachzahlung für das Jahr 2007 als Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II übernehmen.

Das SG hat die vom Beklagten aufgeworfene Frage bereits zutreffend verneint. Auf die Begründung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG entsprechend Bezug genommen. Richtig hat es zunächst ausgeführt, dass ein Nachzahlungsverlangen des Vermieters zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat gehört (so jetzt auch ausdrücklich BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R – Rn. 16). Es hat weiter richtig § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II angewendet. Danach sind die Aufwendungen für die Unterkunft, welche dem im Einzelfall angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate. Das BSG hat in der vom SG angeführten Entscheidung vom 19. September 2008 (B 14 AS 54/07 Rn. 22) ausgeführt, dass diese Vorschrift auch für die Heizungskosten gilt, obwohl nach dem Wortlaut nur von der Unterkunft die Rede ist. Auch der hier entscheidende Senat folgt dieser Auffassung. Die Vorschrift enthält nämlich eine Zumutbarkeitsregelung, mit der verhindert werden soll, dass der Leistungsberechtigte sofort bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit gezwungen ist, seine bisherige Wohnung aufzugeben. Für eine Übergangszeit wird dem Hilfebedürftigen der räumliche Lebensmittelpunkt auch bei unangemessenen Kosten erhalten. Zu dem Grundbedürfnis Wohnen, das von § 22 SGB II geschützt wird, gehört nicht nur die bestimmte Räumlichkeit, sondern auch eine angemessene Raumtemperatur (so wörtlich BSG, a.a.O.). Zur geschützten Räumlichkeit in diesem Sinne gehören, wie das SG richtig ausgeführt hat, auch die Gebrauchsvorteile, für welche die sonstigen Betriebskosten aufgebracht werden müssen. Zum Wohnen gehört beispielsweise, dass die Wohnung über ein beleuchtetes Treppenhaus erreichbar ist und die Wasserversorgung funktioniert.

Akzeptiert die Behörde die Kosten der Unterkunft als angemessen, kann der Leistungsberechtigte davon ausgehen, dass die Kosten der Unterkunft in vollem Umfang übernommen werden (BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 – B 14 AS 14/08 R – Rn. 29). Maßgeblich ist, ob der Betroffene die Aufwendungen senken kann bzw. konnte. Rückwirkend können bereits entstandene Verpflichtungen (Nettokaltmiete, nicht beeinflussbare Betriebskosten) und bereits erfolgter Verbrauch (Verbrauchsabhängige Heiz- und andere Kosten wie Wasserkosten) nicht mehr gesenkt werden. Die Kosten für Unterkunft und Heizung entstehen zeitabschnittbezogen für die jeweilige aktuelle Nutzung, auch wenn der Vermieter diese erst später abrechnet und Nachforderung erst später fällig werden.

Die Klägerin konnte also darauf vertrauen, dass im gesamten Jahr 2007 sowohl die Nettokaltmiete, als auch die so genannten kalten Betriebskosten wie die warmen übernommen würden. Daraus folgt, dass das JobCenter alle im Jahr 2007 tatsächlich entstandenen Kosten übernehmen muss, auch wenn die – wie hier bezüglich der streitgegenständlichen Betriebskosten- und Heizkostennachforderung – erst zu einem Zeitpunkt fällig gewesen ist (hier frühestens Januar 2009), an welchem sich möglicherweise eine Unangemessenheit der Wohnung herausgestellt hat.

Dass die Klägerin auf die Angemessenheit der Wohnungskosten vertrauen durfte, ergibt sich aus den Bewilligungsbescheiden. Erst ab April 2008 sollte nach Auffassung des Beklagten die Klägerin genug Zeit gehabt haben, sich um Alternativen bemüht zu haben. Angesichts der Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide im Jahr 2007 kann hier dahingestellt bleiben, ob und welche Rechtswirkungen der bestandskräftige Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2006 als Verwaltungsakte (noch) entfaltet hat. Jedenfalls für den Zeitraum 2007 ist dieser in seiner etwaigen rechtsgestaltenden Wirkung durch die genannten Bewilligungsbescheide bzw. Änderungsbescheide wieder aufgehoben worden.

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2.   Landessozialgericht Baden-Württemberg L 1 AS 900/08 21.07.2009, Urteil

Verbot der Verböserung in – Arbeitslosengeld II – Angemessenheit der Unterkunftskosten – Heranziehung von Mietspiegeln oder Mietdatenbanken – Unmöglichkeit der Kostensenkung durch unzutreffende Angaben in Kostensenkungsaufforderung – Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse – Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung – Zuflussprinzip – Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes – kein Vertrauensschutz

Eine reformatio in peius („Verböserung“) im Widerspruchsbescheid liegt nicht vor, wenn bei einem Höhenstreit im Rahmen eines einheitlichen Streitgegenstands (hier: Kosten der Unterkunft nach § 22

SGB II) hinsichtlich eines einzelnen Berechnungselements eine Verböserung erfolgt, im Ergebnis aber eine Nachzahlung festgesetzt wird. Zu diesem Berechnungselement ist im Widerspruchsverfahren auch eine gesonderte Anhörung nicht erforderlich.

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3.   Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 AS 92/07 12.11.2009, Urteil

Stromkosten, soweit sie den in der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 1 SGB II enthaltenen Anteil überschreiten, sind vom Hilfebedürftigen selbst zu tragen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger geltend gemachten Stromkosten zum Betrieb der Gasetagenheizung als "versteckte Heizkosten" anzusehen sind und dementsprechend den Heizkosten und nicht dem Haushaltsstrom zuzurechnen sind. Selbst wenn es sich um Heizkosten handelt, überschreitet zur Überzeugung des Senats der dem Kläger zustehende monatliche Betrag nicht den Betrag von 6,22 Euro, den die Beklagte für die Warmwasserzubereitung bei den Kosten der Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hätte in Abzug bringen müssen (zur Höhe des Betrages vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, B 14/11b AS 15/07, SozR 4-4200 § 22 Nr. 5).

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, sofern sie angemessen sind. Grundsätzlich besteht damit gemäß § 22 Abs. 1 SGB II im Rahmen der Angemessenheit ein Anspruch auf Übernahme der vollständigen und tatsächlichen Kosten für die Bereitung von Warmwasser. Allerdings besteht dieser Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft nur, soweit der Bedarf nicht bereits anderweitig gedeckt ist. Dies ist hier der Fall. Die Kosten der Warmwasserbereitung sind bereits von der Regelleistung gemäß § 20 SGB II umfasst. Welche Bedarfe von der Regelleistung umfasst werden, umschreibt § 20 Abs. 1 SGB II. Die hier maßgebende Fassung des § 20 Abs. 1 SGB II war allerdings insofern nicht eindeutig, als die Warmwasserbereitung bzw. die Haushaltsenergie in der Aufzählung nicht ausdrücklich erwähnt war. Aber auch unter Geltung des § 20 Abs. 1 SGB II a.F. ging die herrschende Meinung in der Rechtsprechung der Sozialgerichte und der Literatur davon aus, dass die Regelleistung die Kosten für Haushaltsenergie umfasste (BSG, Urteil vom 27.02.2008, a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

Für den Fall, dass eine gesonderte und konkrete Fassung der Warmwasserbereitung (technisch) möglich ist, obliegt es – so das BSG – "der Selbstverantwortung und dem Selbstbestimmungsrecht des Grundsicherungsempfängers, seinen Warmwasserverbrauch zu steuern. Er kann dann selbst entscheiden, inwieweit er mit dem ihm eingeräumten "Budget" von 6,22 Euro (Regelleistung West) bzw. 5,97 Euro (Regelleistung Ost) monatlich für Warmwasserkosten auskommen will" (BSG, Urteil vom 27.02.2008, B 14/7b 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2; BSG Urteil vom 19.03.2008, B 11b AS 23/06 R, SozR 4-4200 § 24 Nr. 3).

Der Rechtsprechung des BSG ist damit zu entnehmen, dass Stromkosten, soweit sie den in der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 1 SGB II enthaltenen Anteil überschreiten, von dem Hilfebedürftigen selbst zu tragen sind. Er muss folglich mit seinem "Budget" eigenständig haushalten, ebenso wie bei den anderen in § 20 Abs. 1 SGB II genannten Bedarfen.

Zwar ergäbe sich bei den vom Kläger für das Betreiben der Heizung geltend gemachten 500 Kilowattstunden ein monatlicher Betrag in Höhe von 7,61 Euro (500 x 18,27 Cent = 9135 Cent = 91,35 Euro: 12). Zur Überzeugung des Senats sind jedoch 500 Kilowattstunden pro Jahr zum Betreiben der Heizungsanlage unrealistisch. Die von dem Kläger zugrunde gelegten Kilowattstunden würden mehr als ein Viertel der gesamten jährlichen Stromkosten umfassen, obwohl es sich um keine mit Strom betriebene Heizung handelt. Nach den Rechnungen der N vom 18.02.2005 und 21.02.2006 sind in der Zeit vom 30.01.2004 bis 02.02.2005 für Strom insgesamt 1.765 kWh (Gas: 13.583 kWh) und für den Zeitraum vom 02.02.2005 bis 03.02.2006 insgesamt 1.946 kWh (Gas 14.118 kWh) angefallen.

Die Vermieterin des Klägers hat lediglich 72 kWh (120 Tage x 6 Stunden x 100 Watt = 72.000 Watt = 72 kWh) zugrunde gelegt und einen Jahresbetrag in Höhe von 13,15 Euro (72 kWh x 18,27 Cent -GWG Stromtarif- 1315,44 Cent = 13,15 Euro) errechnet. Zwar ist sie bei ihrer Berechnung von einer unzutreffenden Leistungsaufnahme von 100 Watt ausgegangen. Bei Berücksichtigung von 110 Watt, die der Kläger bereits seinen Berechnungen (Schriftsatz vom 09.02.2009) zugrunde gelegt hat, ergibt sich bei 79,2 kWh (120 Tage x 6 Stunden x 110 Watt = 79.200 Watt = 79,2 kWh) lediglich ein Jahresbetrag in Höhe von 14,47 Euro (79,2 kWh x 18,27 Cent -GWG Stromtarif- 1446,98 Cent).

Selbst bei einer nach Auffassung des Senats für den Kläger sehr großzügigen Schätzung der jährlichen Heizperiode (§ 202 SGG in Verbindung mit § 287 Zivilprozessordnung -ZPO-) von 240 Tagen und täglichen 15 Stunden wird der vom BSG als zulässig angesehene Abzugsbetrag für die Warmwasserbereitung in Höhe von 6,22 Euro nicht erreicht. Unter Zugrundelegung von 396 kWh (240 Tage x 15 Stunden x 110 Watt = 396.000 Watt) errechnet sich ein Jahresbetrag in Höhe von 72,35 Euro (396 kWh x 18,27 Cent -GWG Stromtarif-) und ein monatlicher Betrag in Höhe von 6,03 Euro. Erst bei unrealistischer Annahme von 408,54 Kilowattstunden fallen Kosten in Höhe des Betrages an, den die Beklagte bezüglich der Warmwasserbereitung hätte abziehen dürfen (408,54 x 18,27 Cent = 7464,025 Cent = 74,64 Euro: 12 = 6,22 Euro).

Da die Warmwasserbereitung über die Gasheizung erfolgt, kann der Kläger hierfür keine weiteren Stromkosten als Kosten der Unterkunft und Heizung geltend machen; die hierfür anfallenden Stromkosten sind mit der Regelleistung abgegolten.

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4.   Bayerisches Landessozialgericht L 11 AS 643/09 B ER 19.11.2009, Beschluss

Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind grundsätzlich Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen, soweit hierfür eine bedarfsbezogene tatsächliche Verwendungsmöglichkeit besteht, es sich also um "bereite Mittel" handelt, die jederzeit in Geld tauschbar sind (vgl Brühl in LPK-SGB II 3.Aufl. 2009 § 11 Rdnr. 24). Die evtl. bestehende Möglichkeit einer Realisierung von Ansprüchen steht dem tatsächlichen Zufluss von Mitteln nicht gleich, eine Anrechnung von fiktiven Einkünften scheidet damit aus.

Für eine lediglich darlehensweise Gewährung von Leistungen reicht es nicht aus, dass dem Hilfesuchenden Vermögen zusteht, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die Darlehensgewährung erfolgen soll, bis auf weiteres nicht absehbar ist, ob er einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vermögen wird ziehen können. Vielmehr liegt eine generelle Unverwertbarkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB III vor, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt (vgl BSG 14. Senat vom 27.01.2009, Az. B 14 AS 42/07 R mwN).

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5.   Sozialgericht Karlsruhe S 4 SO 1302/09 27.01.2010, Urteil

Schmerzensgeld und die Erträge daraus bleiben bei der Berechnung von Sozialhilfeleistungen regelmäßig anrechnungsfrei. Zum Nachweis von Vermögen aus Schmerzensgeld bei gemischter Schmerzensgeld- und Schadenersatzzahlung.

Es liegt innerhalb der Dispositionsfreiheit des Geschädigten, wie er mit den aus einem Schadensereignis resultierenden Beträgen zum Ausgleich des immateriellen Schadens umgeht (Bundessozialgericht, Urteil vom 15. April 2008, B 14/7b AS 6/07 R, JURIS Rn. 19; zur vergleichbaren Wertung bei "angespartem" Blindengeld vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 20/06 R -).

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5.1 – Sozialgericht Karlsruhe S 4 SO 5333/08 27.01.2010

Für Steuerberatungskosten sind einmalige Beihilfen aus Mitteln der Sozialhilfe regelmäßig ausgeschlossen.

Zu den Voraussetzung des gerechtfertigten Einsatzes öffentlicher Mittel in der Sozialhilfe nach § 73 SGB XII

Nach § 34 Abs. 1 SGB XII können Schulden des Leistungsberechtigten dann ausnahmsweise übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Dass es sich bei Steuerberatungskosten um keine Kosten zur Unterkunftssicherung handelt, ist offensichtlich. Wann eine Notlage, die dem (drohenden) Verlust der Unterkunft vergleichbar ist, vorliegt, lässt sich hingegen allgemein schwer umschreiben. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (FEVS 44, 160, 166) hat darauf abgestellt, ob eine Notlage vorliegt, die den "vorhandenen gegenständlichen Existenzbereich" des oder der Leistungsberechtigten betrifft. Dies ist etwa der Fall, wenn die Belieferung eines Haushalts mit Energie – elektrische Energie oder Energie für Beheizung – "in Frage gestellt" ist (vgl. Oberverwaltungsgereicht Münster, FEVS 51, 89, 91), also eine Sperre der Strom- und Heizungsversorgung wegen vorhandener Schulden oder anderer offener Zahlungsverpflichtungen gegenüber einem Energieversorgungsunternehmen droht oder bereits eingetreten ist (so auch Landessozialgericht Bayern, FEVS 57, 445). Gleiches gilt, wenn die Versorgung von Wohnraum mit Wasser bedroht oder der Anschluss an die gemeindliche Wasserversorgung zu sichern ist (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, FEVS 42, 92). Ebenso ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung eine Notlage i. S. von § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gegeben, wenn dem Leistungsberechtigten der Verlust von auf Kredit angeschafften Möbeln oder Einrichtungsgegenständen droht und ihm, wenn er notwendige Hausratsgegenstände verlieren würde, insoweit Leistungen nach den §§ 31, 37 SGB XII gewährt werden müssten. Demgegenüber verneint die obergerichtliche Rechtsprechung eine den "Existenzbereich" berührende Notlage, wenn die Übernahme von Tilgungsraten auf Schuldverpflichtungen, die dem Erwerb einer Rentenanwartschaft dienten (so Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, FEVS 44, 160) oder die Übernahme von Spielschulden (so Oberverwaltungsgericht Hamburg, FEVS 34, 318) erstrebt wird. Diese beispielhafte Aufzählung zeigt, eine vergleichbare Notlage i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII setzt einen Bezug zur Sicherung der Unterkunft oder der Bewohnbarkeit einer Unterkunft voraus. Nur für diesen Fall hat der Gesetzgeber eine Ausnahme vom Gegenwärtigkeitsprinzip der auf akute Notlagenhilfe ausgerichteten Sozialhilfe – keine Schuldenübernahme aus Mitteln der Sozialhilfe – zugelassen. Schulden infolge von fälligen Steuerberatungshonoraren stehen in keinem Zusammenhang mit Unterkunftskosten und vermögen schon deswegen tatbestandlich nicht die Voraussetzungen für eine vergleichbare Notlage i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu erfüllen.

Gemäß § 73 SGB XII darf der Beklagte als zuständiger Sozialhilfeträger Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbringen, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 Satz 1 SGB XII ergänzt den in § 8 SGB XII ausgewiesenen Hilfekatalog. Danach umfasst die Sozialhilfe die Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfe in anderen Lebenslagen sowie die jeweils gebotene Beratung und Unterstützung. Die Auffangregelung des § 73 SGB XII ist notwendig, um dem Auftrag der Sozialhilfe, jedem die Menschenwürde widersprechendem Zustand zu begegnen, gerecht zu werden (vgl. zur Vorgängervorschrift in § 27 Bundessozialhilfegesetz – BSHG -: Bundesverwaltungsgericht -BVerwGE 29, 235, 236). Sonstige Lebenslagen i. S. der Norm liegen aber nur vor, wenn sich die Hilfesituation thematisch keiner der in § 8 SGB XII aufgeführten Hilfen zuordnen lässt und zugleich eine typische sozialhilferechtliche Bedarfslage gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25. Juni 2008, B 11b AS 19/07 R Rn. 28) ist nämlich eine Anwendung des § 73 SGB XII nur dann gerechtfertigt, wenn eine Art täglicher Bedarfslage besteht. Dabei darf die Norm aber nicht zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsberechtigte werden. Erforderlich ist vielmehr das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 – 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt (Bundessozialgericht, a. a. O.; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. November 2008, L 3 AS 76/07, Rn. 30 und Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. April 2009, L 7b 401/08 AS, Rn. 7). Steuerberatungskosten, gleich ob notwendig oder nicht, entsprechen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts keiner besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in §§ 47 – 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweisen.

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5.2 – Sozialgericht Karlsruhe S 1 SO 5729/08 19.01.2010

Zur Begleichung der anfallenden Bestattungskosten hat der Bestattungspflichtige vorrangig den Nachlass zu verwenden. Zumutbar ist der Einsatz des gesamten vorhandenen Nachlasses. Eine Aufrechnung gegen den Nachlasswert mit Nachlassverbindlichkeiten ist nicht zulässig.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 74 SGB XII. Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Verpflichtung, die Kosten einer Beerdigung zu tragen, kann sich aus Vertrag, z.B. mit dem Bestattungsunternehmen gemäß § 631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), aus einer Unterhaltspflicht, z.B. als Abkömmling gemäß § 1601 ff., § 1615 Abs. 2 BGB (vgl. BSG vom 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R -), als Erbe (§ 1968 i.V.m. §§ 1924 ff. BGB; vgl. BVerwGE 116, 287, 289) oder nach landesrechtlichem öffentlich-rechtlichem Bestattungsrecht (vgl. BVerwGE 114, 57, 58f., BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr. 5; z.B. § 31 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg) ergeben.

Hier ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und nicht zweifelhaft, dass der Kläger jedenfalls als Erbe verpflichtet war, die Kosten der Beerdigung seines Vaters zu tragen. Ihm ist auch zuzumuten, die erforderlichen Kosten der Bestattung aus dem Nachlass zu tragen. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, ergibt sich insbesondere aus den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts (vgl. Gotzen, ZfF 2006, 1, 3; offen gelassen in BVerwGE 114, 57, 60). Da § 74 SGB XII den Anspruch auf Kostenübernahme nicht zwingend an die Bedürftigkeit des Anspruchsinhabers (des Verpflichteten) knüpft, sondern die eigenständige Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit verwendet (vgl. BVerwGE 105, 51 ff), nimmt § 74 SGB XII im Recht der Sozialhilfe aber eine Sonderstellung ein. Die Regelung unterscheidet sich von anderen Leistungen des 5. bis 9. Kapitels u.a. dadurch, dass der Bedarf bereits vorzeitig (vor Antragstellung) gedeckt sein kann, eine Notlage, die andere Sozialhilfeansprüche regelmäßig voraussetzen, also nicht mehr gegeben sein muss. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe setzt nach § 74 SGB XII nur voraus, dass die (ggf. bereits beglichenen) Kosten "erforderlich" sind und es dem Verpflichteten nicht "zugemutet" werden kann, diese Kosten zu tragen, ohne ausdrücklich und ausschließlich auf die Bedürftigkeit abzustellen (vgl. BSG vom 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R -). Je enger das Verwandtschaftsverhältnis oder die rechtliche Beziehung war, desto geringer sind in der Regel die Anforderungen an die Zumutbarkeit des Einkommens- und Vermögenseinsatzes.

Zu Recht hat der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Bestattungskosten aus § 74 SGB XII – wie sämtliche Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) – unter dem Vorbehalt der Nachrangigkeit stehen. Dies bedeutet, dass der zur Bestattung Verpflichtete – hier: der Kläger als Erbe auf Ableben seines Vaters (§ 1968 BGB) wie auch als Abkömmling (§ 31 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg) – vorrangig zur Begleichung der angefallenen Bestattungskosten den Nachlass zu verwenden hat. Zumutbar ist dabei der Einsatz des gesamten vorhandenen Nachlasses (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, FEVS 48, 446, Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 74, Rdnr. 29, Meusinger in Fichtner/Wenzel, SGB XII – Sozialhilfe und AsylbLG, 4. Aufl. 2009, § 74, Rdnr. 5 und Berlit in LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 74, Rdnr. 8). Dem Bestattungspflichtigen dabei die gesetzlichen Regelungen zur Vermögens¬-schonung (§ 90 Abs. 2 und § 102 Abs. 3 SGB XII) nicht zugute (vgl. BVerwG, FEVS 51, 5 sowie Meusinger, a.a.O. und Berlit, a.a.O.). Der Kläger ist deshalb nicht berechtigt, gegen das im Zeitpunkt des Todes seines Vaters vorhanden gewesene Nachlassvermögen aus Spar- und Wertpapierkonten, das der Beklagte mit 4.031,11 EUR zutreffend berechnet und dabei zugunsten des Klägers bereits den Debetsaldo auf dem Konto-Nr… von 850,- EUR in vollem Umfang berücksichtigt hat, mit Nachlassverbindlichkeiten aufzurechnen. Denn dies würde im Ergebnis dazu führen, dass der Beklagte Schulden des Hilfesuchenden – hier des Klägers als Erbe auf Ableben seines Vaters – übernehmen müsste. Die Übernahme von Schulden ist jedoch – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen des § 34 Abs. 1 SGB XII abgesehen – nicht Aufgabe der Sozialhilfe (vgl. insoweit BVerwGE 40, 59 und 343; 66, 342, 346; 92, 152, 155 ff. sowie LSG Baden-Württemberg vom 14.06.2007 – L 7 SO 3186/06 -).

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6.   Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 05.01.2009, Az.: S 22 AS 369/09 ER

Keine Leistungskürzung bei unzureichender Rechtsfolgenbelehrung

Langzeitarbeitslosen kann das Arbeitslosengeld II wegen Verstoßes gegen die Eingliederungsvereinbarung nur nach konkreter Belehrung über die Rechtsfolgen gekürzt werden.

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7.   Sozialgericht Detmold S 18 (23) AS 69/08 19.08.2009 rechtskräftig, Urteil

Keine Gewährung eines Mehrbedarfs für Diabetes mellitus Typ II Erkrankte.

Für die Gewährung eines Mehrbedarfs für eine kostenaufwändige Ernährung ist erforderlich, dass aus medizinischen Gründen eine besondere Ernährungsform erforderlich ist sowie, dass diese Ernährungsform kostenaufwändiger ist als eine normale Ernährung. Die bei der Klägerin vorliegende Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II erfordert keine besondere Ernährung, die zusätzliche Kosten erfordert. Ausweislich der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe (Stand: 01.10.2008) erfordert eine Diabeteserkrankung die Ernährung mit normaler Vollkost. Die Kosten für eine normale Vollkost sind jedoch bereits im Regelsatz enthalten. Eine Vollkost ist eine Kost, die den Bedarf an notwendigen Nährstoffen deckt, in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf der Person berücksichtigt, die Erkenntnisse der Ernährungsmedizin berücksichtigt und in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist (Kluthe u.a., Das Rationalisierungsschema 2004, Aktuell ErnährMed 2004, Seite 245 ff.). Diese "normale Ernährung" ist durch den Regelsatz abgedeckt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2008, L 25 B 1731/08 AS ER; LSG NRW, Urteil vom 28.07.2008, L 20 SO 13/08). Da bei der Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II eine Ernährung mit normaler Vollkost erforderlich ist, verursacht dies auch keinen krankheitsbedingten Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung (LSG Hessen, Beschluss vom 22.12.2008, L 7 SO 7/08 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.03.2009, L 8 AS 68/08; LSG NRW, Beschluss vom 29.05.2009, L 19 B 79/09 AS). Das Gericht konnte seiner Entscheidung auch die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankheitskostzulagen vom 01.10.2008 zugrunde legen, da diesen auch für Zeiträume vor ihrer Veröffentlichung die Rechtsnatur eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.02.2009, L 9 B 339/08 AS). Ungeachtet dessen sind die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins jedenfalls als Orientierungshilfe zu verwenden, von denen eine Abweichung nur bei konkreten nachgewiesenen Anhaltspunkten im Einzelfall geboten ist (LSG Hessen, Beschluss vom 22.12.2008, L 7 SO 7/08 B ER). An solchen Anhaltspunkten fehlt es im vorliegenden Fall. Denn ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von Dr. U liegt bei der Klägerin lediglich eine Diabetes mellitus Typ II vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund ihrer Diabeteserkrankung medizinisch bedingt einen vom Normalbedarf abweichenden kostenaufwändigen Nahrungsmittelbedarf hat ergeben sich weder aus der Verwaltungsakte noch aus dem klägerischem Vorbringen. Dieses Ergebnis wird auch durch die beiden in dieses Verfahren eingeführten Gutachten von Frau N sowie von Frau Dr. I gestützt. Diese kommen in ihren Gutachten jeweils beide übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass bei Vorliegen einer Diabetes grundsätzlich keine von der normalen Ernährung abweichende Ernährungsweise erforderlich ist, die einen finanziellen Mehrbedarf auslösen würde.

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8.   SG Dresden S 23 AS 1952/09, Urteil vom 08.01.20010

Arbeitslosengeld II-Empfängerin erhält nach Abriss ihrer früheren Wohnung volle Miete der neuen Wohnung.

Medieninformation des Sozialgerichts Dresden vom 05.02.2010

Nach dem Abriss der früheren Wohnung darf die Arbeitslosengeld II-Arge die Miete nicht auf den Betrag dieser Miete deckeln. Eine Arbeitslose hat spätestens nach Abriss der alten Wohnung einen Anspruch auf Übernahme der vollen Miete für die neue Wohnung. Das hat das Sozialgericht Dresden in einem Urteil vom 8. Januar 2010 entschieden.
Die 45-jährige Klägerin bezieht Arbeitslosengeld II („Hartz IV“). Sie bewohnte in Hoyerswerda mit ihren zwei Kindern eine Plattenbauwohnung mit einer Gesamtmiete von knapp 450 €. Als sie inoffiziell erfuhr, dass ihr Wohnblock abgerissen werden sollte, suchte sie nach einer neuen Wohnung. Im Oktober 2006 unterschrieb sie einen neuen Mietvertrag und zog im Dezember 2006 um. Die neue Gesamtmiete betrug allerdings 530 €. Bereits im November 2006 beschloss der Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaft den „Rückbau“ des Gebäudes, in dem die Klägerin bisher gewohnt hatte. Der Abriss erfolgte dann Ende 2007. Dennoch übernahm die Arge Hoyerswerda seit November 2007 nur Mietkosten in Höhe der bisherigen Miete. Der Umzug sei im Dezember 2006 noch nicht notwendig gewesen. Nachträglich könne eine Notwendigkeit nicht entstehen. Die Klägerin und ihre Kinder erhoben mehrere Klagen vor dem Sozialgericht Dresden.
Die 23. Kammer des Sozialgerichts gab den Klagen statt und verurteilte die ARGE Hoyerswerda, die neuen Mietkosten zu übernehmen. Ob die Klägerin mit dem Umzug hätte bis kurz vor dem Abriss warten müssen, ist letztlich unerheblich. Inzwischen war der Abriss erfolgt. Damit hat sich ein zwingender Grund für den Umzug ergeben. Für eine Kürzung der Miete wegen unnötigen Umzuges war damit kein Raum mehr.
Az.: S 23 AS 1952/09 (nicht rechtskräftig)

Anhang:
§ 22 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II):
„Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen erbracht. (…)“

Herausgeber: Friedrich Schilling, Präsident des Sozialgerichts Dresden
Hans-Oster-Str. 4, 01099 Dresden, Tel.: 0351 / 446 – 50
Pressesprecher: Dr. Hans von Egidy, Richter am Sozialgericht
Tel.: 0351 / 446 – 50, Fax: 0351 / 446 – 5399
E-Mail: presse@sgdd.justiz.sachsen.de

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de