Rechtsprechungsticker von Tacheles 07/2010 – Teil II

5.   Sächsisches Landessozialgericht L 3 AS 188/08 10.09.2009, Urteil

Die Betriebskostennachzahlung für die frühere Wohnung eines Hartz IV-Empfängers ist zu übernehmen.

Die Frage, ob Betriebskostennachzahlungen auch dann zu übernehmen sind, wenn das Mietverhältnis, aus welchem sie herrühren, im Zeitpunkt der Fälligkeit der Betriebskostennachzahlung nicht mehr besteht, der Leistungsberechtigte aber im Zeitpunkt der Fälligkeit bedürftig ist, hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.

Betriebskostennachzahlungen sind auch dann als laufender Bedarf nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen, wenn das Mietverhältnis, aus welchem sie herrühren, im Zeitpunkt der Fälligkeit der Betriebskostennachzahlung nicht mehr besteht, der Leistungsberechtigte aber im Zeitpunkt der Fälligkeit bedürftig ist, § 22 Abs. 5 SGB II und § 37 Abs. 1 und 2 SGB II stehen dem nicht entgegen.

Erhält der SGB II-Träger die Rechnung, nach dem der Bewilligungsbescheid erlassen war, muss er die Nachforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X übernehmen (LSG Sachsen vom 3.4.2008 – L 3 AS 164/07-, Sächsisches Landessozialgericht L 3 AS 188/08 v. 10.09.2009, Urteil).

Der Berücksichtigung der Forderung zur Betriebskosten- und Heizmittelnachzahlung stehen die Regelungen in § 37 Abs. 1 und 2 SGB II, wonach Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag, jedoch nicht für Zeit vor der Antragstellung erbracht werden, nicht entgegen. Diese Regelungen beziehen sich auf die Leistungen der Grundsicherung insgesamt. Für eine Antragstellung im Sinne des § 37 SGB II reicht eine Geltendmachung dem Grunde nach aus (vgl. SG Freiburg, Urteil vom 1. Februar 2008 – S 12 AS 3204/06 –Rdnr. 19; SG Hildesheim, Urteil vom 27. April 2009 – S 43 AS 80/08 – Rdnr. 28).

Nachforderungen auf Mietneben- und Heizkosten, die trotz ordnungsgemäßer Zahlung der vertraglich vereinbarten monatlichen Vorauszahlungen entstehen und vom Vermieter geltend gemacht werden, sind grundsätzlich als gegenwärtiger Bedarf im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen und nicht etwa als Schulden nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen (vgl. SächsLSG, a. a. O., Rdnr. 41; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Januar 2009 – L 7 AS 44/08 – Rdnr. 50). Hilfebedürftigkeit besteht zunächst nur in Höhe der vereinbarten Vorauszahlung, die sich im Nachhinein als zu gering bemessen herausstellen kann. Denn der Mieter hat tatsächlich nur diese Vorauszahlung zu leisten. Mietschulden liegen hingegen erst vor, wenn der Mieter auf eine mietrechtliche Verpflichtung (vgl. § 241 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) trotz Fälligkeit (vgl. § 271 BGB) nicht geleistet hat (vgl. SächsLSG, a. a. O., Rdnr. 42).

Wenn – wie vorliegend – der Vermieter am Ende der vereinbarten Rechungsperiode an Hand der dann bekannten Daten feststellt, dass die monatlichen Vorauszahlungen die tatsächlich entstandenen Kosten nicht decken und dementsprechend von dem Mieter eine Nachzahlung fordert, so stellt diese Nachforderung erst zu diesem Zeitpunkt einen gegenwärtigen, nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu befriedigenden Bedarf dar. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsverwaltungsgericht zur Sozialhilfe konnte der Anspruch des Vermieters auf Nachzahlung erst nach endgültiger Abrechnung entstehen und fällig werden, und stellte dementsprechend erst im Zeitpunkt seiner Geltendmachung eine Tatsache dar, die als gegenwärtiger Bedarf zu befriedigen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 1988 – 5 C 89/85 – BVerwGE 79, 46 = JURIS-Dokument Rdnr. 10; Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [3. Aufl., 2009], § 22 Rdnr. 20, m. w. N.).

Die Regelungen in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 22 Abs. 5 SGB II stehen sich in einem Ausschließlichkeitsverhältnis gegenüber. Das bedeutet, dass ein gegenwärtiger Bedarf hinsichtlich der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, der nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu decken ist, nicht zugleich eine Mietschuld im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II sein kann. Ein gegenwärtiger Bedarf im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der noch nicht gedeckt ist, kann sich auch nicht beispielsweise durch bloßen Zeitablauf in Schulden im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II umwandeln. Daher sind Schulden im Sinne des § 22 Abs. 5 SGB II nur zum einen solche offenen, das heißt von dem Hilfedürftigen noch nicht erfüllten, fälligen Verbindlichkeiten, die aus der Zeit vor Beginn des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II herrühren. Zum andern können darüber hinaus während des laufenden Leistungsbezugs Schulden im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II entstehen, wenn der Hilfebedürftige seine laufenden zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten über Dritte nicht vollständig erfüllt, obwohl der Leistungsträger Leistungen in gesetzmäßiger Höhe gewährt hatte (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 31. Mai 2006 – L 3 B 273/05 AS-ER – Rdnr. 41).

In Bezug auf die streitige Nachzahlungsforderung ist eine Bedarfslage im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachzahlungsforderung nicht mehr die Unterkunft bewohnte, auf die sich die Forderung bezieht. Denn die Grundsicherung bezweckt, soweit es die Leistungen für Unterkunft und Heizung betrifft, nicht nur, den Hilfebedürftigen durch die Übernahme der angemessenen Aufwendungen vor Wohnungslosigkeit zu bewahren. Vielmehr soll mit dem Arbeitslosengeld II dem Betroffenen und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben ermöglicht und der Lebensunterhalt im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums gesichert werden, wenn sie hierzu selbst nicht in der Lage sind (vgl. BT-Drs. 15/1516 S. 44 f.). Dies bedeutet aber, dass ein Hilfebedürftiger, der sich durchgängig im Leistungsbezug befand, der seinen Verpflichtungen aus einem Mietvertrag ordnungsgemäß nachkam, und bei dem die Unterkunfts- und Heizkosten angemessen sind, nicht mit einem Teil dieser Kosten als Schulden zurückgelassen werden darf.

Etwas anderes würde möglicherweise gelten, wenn es sich um Mietschulden handeln würde, die aus der Zeit herrühren, die vor der Hilfebedürftigkeit lagen oder aber wenn im Zeitpunkt der Gegenwärtigkeit des Bedarfs beim Leistungsempfänger Hilfebedürftigkeit nicht mehr vorliegen würde (vgl. Herold-Tews, in: Löns/Herold-Tews, SGB II [2. Aufl., 2009], § 22 Rdnr. 22).

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Anmerkung :

1. Für die Frage, ob hilfebedürftige ALG II Bezieher im Rahmen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Anspruch auf Zahlung ("Übernahme") von Nebenkosten als Kosten der Unterkunft (im Rahmen des Arbeitslosengelds II, vgl §§ 19 Satz 1, 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) haben, wenn sie während des gesamten Zeitraums, auf den sich die Nebenkostenrechnung bezieht, im Leistungsbezug nach SGB II standen, sich wegen der (zu geringen) Höhe der vorläufigen monatlichen Abschlagszahlungen bei der erst im nächsten Jahr erfolgenden Betrieb-/Nebenkostenabrechnung ein Nachzahlungsbetrag ergibt, und sie im Zeitpunkt der Fälligkeit/Geltendmachung dieser Nachforderung durch den Vermieter nicht mehr im Leistungsbezug stehen, ist Prozesskostenhilfe vom Gericht zu gewähren (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 1 B 4/09 AS 28.04.2009 rechtskräftig, Beschluss).

Ob ein solcher Anspruch besteht, das heißt ob für die Beurteilung der Hilfe(bedarfs)bedürftigkeit in solchen Fällen auf den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung (dem Grunde nach) oder – frühestens – auf den Zeitpunkt der Fälligkeit/Geltendmachung abzustellen ist, ist bisher – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden. Es handelt sich damit um eine nicht geklärte Rechtsfrage, die nicht einfach und ohne Weiteres aus dem Gesetz heraus zu beantworten ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht entscheidend, dass durchaus gewichtige Argumente für die Richtigkeit der vom 7.Senat des LSG NRW hierzu vertretenen Auffassung sprechen (LSG NRW, Beschluss vom 14.11.2008, Az L 7 B 262/08 AS).

2. Betriebskostennachzahlungen, welche einen Zeitraum betreffen, in welchem der Leistungsträger auch unangemessene Kosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen hatte, sind Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, auch wenn die laufenden Kosten nicht mehr voll zu tragen sind(Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 32 AS 1592/09 28.12.2009, Beschluss).

6.   Sozialgericht Berlin S 128 AS 28212/08 28.01.2010, Urteil

Sozialgerichtliches Verfahren – Umfang des Klagebegehrens – Arbeitslosengeld II – Beschaffung von Gegenständen für die Erstausstattung einer Wohnung – notwendiger Bedarf

1. Es bestehen auch bei einem zum Zeitpunkt der Klageerhebung rechtlich unvertretenen Kläger keine Bedenken dagegen, die unter der Klagebegründung aufgeführten Erläuterungen für die Auslegung des Klagebegehrens heranzuziehen. Ergibt diese Auslegung, dass der Kläger im Rahmen seiner Klage auf Wohnungserstausstattung einen bestimmten Gegenstand gerade nicht begehrt, macht er ihn aber später außerhalb der Klagefrist nach § 87 Abs 1 S 1 SGG doch geltend, ist die Klage insoweit verfristet.

2. § 23 Abs 3 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 ist nicht die richtige Anspruchsgrundlage für die Beschaffung von Bodenbelegen. Insoweit kommt ein Anspruch nur nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 in Betracht (Anschluss an BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 49/07 R – BSGE 102, 194).

3. Ausstattungsgegenstände, die nur deshalb erforderlich werden, weil der Hilfebedürftige zuvor eine nicht notwendige Veränderung in der Wohnung vorgenommen hat, sind nicht nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 2 übernahmefähig.

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6.1 – Sozialgericht Berlin S 128 AS 25352/07 28.01.2010, Urteil

1. Die Zahlungen aus Zugewinnausgleich in Höhe von monatlich 500,- EUR sind kein Einkommen im Sinne des § 11 SGB II sondern Vermögen (vgl. bereits für die Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil vom 8. Juni 1989 – 7 RAr 34/88 – SozR 4100 § 138 Nr. 25), auch wenn sie nach Antragstellung auf ALG II zugeflossen sind (a. A. BSG, Urteil vom 30. September 2008 (B 4 AS 29/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 15).

2. Nicht nur in dem bereits zitierten Urteil vom 8. Juni 1989, sondern auch im Übrigen war in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stets anerkannt, dass dann, wenn bei (oder nach) der Antragstellung Vermögen durch Veräußerung verwertet – also umgeschichtet – wird, nicht von einem "Zufließen von Einkünften" auszugehen und somit das Erlangte nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist (vgl. BSG, Urteil vom 20. Juni 1978 – 7 RAr 47/77 – SozR 4100 § 138 Nr. 3; vgl. auch Beschluss der Kammer vom 14. Dezember 2009 – S 128 AS 38212/09 ER -).

3. Wenn zu mehreren Fälligkeitsterminen stattfindende Ratenzahlungen das Vermögen nicht mehren, sondern umschichten (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, K § 12, Rn. 96; Brühl in LPK-SGB II, § 11, Rn. 15 ff.), ist es kein anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 SGB II).

4. Auch die Unterhaltsnachzahlung von 900,- EUR in drei Raten stellt kein Einkommen dar, sondern schichtet das Vermögen um, denn ihr Anspruch wandelt sich um in Geld (a. A. SG Speyer, Beschluss vom 1. Juni 2006 – S 1 ER 161/06 AS -).

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6.2 – Sozialgericht Berlin S 128 AS 32434/08 28.01.2010, Urteil

Arbeitslosengeld II – Durchführung eines Vorverfahrens – Fahrkostenerstattung für Aufwendungen aus Anlass eines Meldetermins – Monatsfahrschein

1. Dem Prozesserfordernis des Vorverfahrens ist auch dann genügt, wenn die Verwaltung nur unvollständig über den Widerspruch entschieden hat (Anschluss an BSG, Urteil vom 15. November 1979 – 7 RAr 75/78 – SozR 4100 § 100 Nr. 5).

2. Ist eine Zeitfahrkarte (hier Monatsfahrschein der Berliner S-Bahn) unabhängig vom Meldetermin nach § 59 SGB 2 in Verbindung mit § 309 SGB 3 erworben worden, kommt eine auch nur anteilige Übernahme der Kosten für die Zeitfahrkarte nicht in Betracht. Denn solche Aufwendungen sind nicht aus "Anlass der Meldung" im Sinne des § 309 Abs. 4 SGB 3 entstanden.

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7.   Sozialgericht Fulda S 10 AS 53/09 27.01.2010, Urteil

Bei temporärer Bedarfsgemeinschaft kann beim Leistungsträger erhöhter Wohnraumbedarf geltend gemacht werden. Die Frage, ob und in welchem Umfang eine temporäre Bedarfsgemeinschaft auch im Bereich der Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen ist, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden (das Problem wurde vom BSG in seinem Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R lediglich angedeutet) und wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch nicht einheitlich beurteilt.

Die Kammer ist insoweit allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger eine angemessene Wohnfläche für 2 Personen – entsprechend der oben genannten Richtlinie (in der Fassung vom 19.01.2004) im Umfang von 60 qm – zusteht. Dieser zusätzliche Wohnraumbedarf folgt daraus, dass sich die Beigeladenen in einem zeitlichen Umfang bei dem Kläger aufhalten, welcher es rechtfertigt, entsprechend den vom BSG entwickelten Grundsätzen zur "temporären Bedarfsgemeinschaft" (BSG, Urt. vom 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R) einen erhöhten Wohnraumbedarf anzuerkennen. Nach Auffassung des BSG – welcher sich die Kammer in vollem Umfang anschließt – verlangt die Regelung des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II nach ihrem Wortlaut ("dem Haushalt angehörend") kein dauerhaftes Leben der unverheirateten Kinder im Haushalt des jeweiligen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, wie es etwa für andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in den Tatbeständen des § 7 Abs 3 Nr 2 und 3 SGB II vorausgesetzt wird. Es genügt danach vielmehr ein dauerhafter Zustand in der Form, dass die Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen. Diese Auslegung des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II, die eine SGB-II-immanente Lösung des Problems der Umgangskosten sicherstellt, ist angesichts der besonderen Förderungspflicht des Staates nach Art 6 Abs 1 Grundgesetz geboten (BSG, Urt. vom 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R). Dass auch im vorliegenden Fall eine temporäre Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger und den Beigeladenen während der Aufenthalte der Beigeladenen bei dem Kläger besteht, liegt in Anbetracht der Ausführungen des BSG auf der Hand und wird auch von der Beklagten nicht angezweifelt. Diese temporäre Bedarfsgemeinschaft rechtfertigt es jedenfalls bei einem umfassenden Umgang mit den Kindern wie vorliegend, dem Kläger zusätzlichen Wohnflächenbedarf für eine weitere Person zuzubilligen.

Die Frage, ob und in welchem Umfang eine temporäre Bedarfsgemeinschaft auch im Bereich der Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen ist, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden (das Problem wurde vom BSG in seinem Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R lediglich angedeutet) und wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch nicht einheitlich beurteilt. So führt das SG Duisburg in seiner Entscheidung vom 31.03.2009 (Az.: S 5 AS 93/08), aus, dass bereits aus der besonderen Förderungspflicht des Staates gem. Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass – unter der Voraussetzung einer gewissen Regelmäßigkeit und zeitlichen Erheblichkeit der Anwesenheit von Kindern im Haushalt eines hilfebedürftigen Elternteiles – ein höherer Anspruch auf Leistungen für Unterkunft bestehen müsse. Ähnlich stellt das LSG NRW in seinem Beschluss vom 17.06.2008 (Az.: L 20 B 225/07 AS ER) heraus, dass Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II in einem Umfang gewährt werden müssen, der eine Wahrnehmung des Umgangsrechts nicht vereiteln darf. Zwar sei es nicht sachgerecht, im Rahmen der Wahrnehmung des Umgangsrechts und bei zeitweisen Bedarfsgemeinschaften allein auf die Anzahl der während der "Besuchszeiten" anwesenden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abzustellen. Vielmehr bedürfe es insoweit der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Kriterien für die Bestimmung einer angemessenen Wohnungsgröße gem § 22 Abs 1 S 1 SGB II könnten insbesondere der zeitliche Umfang der Ausübung des Umgangsrechts, das Alter der Kinder, individuell erhöhte Raumbedarfe, ggf auch die Entfernung zum Haushalt des anderen Elternteils sein. In Abhängigkeit davon sei daher bei zeitweisen Bedarfsgemeinschaften ein Zuschlag ausgehend von der dem Bedarf permanenten Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach den landesrechtlichen Vorgaben über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus bzw den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen in Betracht zu ziehen. Demgegenüber hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 05.12.2008 (Az.: L 25 B 2022/08 ER) die Auffassung vertreten, dass ein Unterkunftsbedarf für zwei Personen nur dann ausgelöst werde, wenn auch tatsächlich zwei Personen die Wohnung ausschließlich oder aber ganz überwiegend bewohnen. Allein daraus, dass weitere Personen zeitweise in die Wohnung aufgenommen werden, folge nicht automatisch ein – ständiger – höherer Unterkunftsbedarf. Dies ergebe sich bereits aus der Überlegung, dass ansonsten in ähnlich gelagerten Fällen für drei Personen Unterkunftskosten für vier Personen übernommen werden müssten, was sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn des Gesetzes widerspreche, soweit dieses in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bestimme, dass nur tatsächliche Unterkunftskosten übernommen würden. Tatsächlich könnten nicht Mutter und Vater jeweils einen Zweipersonenhaushalt mit demselben Kind führen.

Der letztgenannten Auffassung kann zur Überzeugung der Kammer bereits vor dem Hintergrund nicht gefolgt werden kann, als dort der grundrechtlichen Bedeutung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht hinreichend Genüge getan wird. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 25.10.1994 (Az.: 1 BvR 1197/93) klargestellt, dass Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG "bestimmt, daß Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Art. 6 Abs. 2 GG gewährt – neben seiner Bedeutung als Richtlinie – zugleich ein Abwehrrecht gegen unzulässige Eingriffe des Staates in das elterliche Erziehungsrecht und bindet insoweit auch die Gerichte als unmittelbar geltendes Recht (vgl. BVerfGE 4, 52 (57)). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die freie Entscheidung der Eltern darüber, wie sie ihrer natürlichen Elternverantwortung gerecht werden wollen (vgl. BVerfGE 24, 119 (143)).

Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. () Wird eine Ehe geschieden und nur einem Elternteil das Sorgerecht übertragen, so bedeutet dies, daß nur dieser Elternteil die notwendigen Entscheidungen über die Pflege und Erziehung des Kindes zu treffen hat und die entsprechenden Elternfunktionen tatsächlich wahrnimmt. Jedoch soll nach der gesetzlichen Regelung des Umgangsrechts die Bindung des Kindes zu dem anderen Elternteil fortbestehen und entsprechend berücksichtigt werden. Das Umgangsrecht ermöglicht dem nichtsorgeberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Absprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen."

Hieran gemessen kann festgehalten werden, dass jedenfalls in den Fällen, in denen die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem getrennt lebenden Elternteil und seinen Kindern durch regelmäßige Aufenthalte der Kinder bei diesem Elternteil aufrechterhalten werden, sichergestellt sein muss, dass auch ein entsprechender Wohn- und Lebensraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen dies möglich ist. In diesem Zusammenhang kann gerade nicht verlangt werden, dass sich die Kinder mit dem getrennt lebenden Elternteil in den Zeiten der Aufenthalte – ungeachtet der tatsächlichen räumlichen Verhältnisse – "einrichten" müssen. Ein solches Verlangen würde gerade in Fällen, in denen die wohnlichen Verhältnisse bezogen auf die Wohnfläche für lediglich eine Person zugeschnitten sind, die Gefahr bergen, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen – als Folge eines dauerhaften bzw. regelmäßigen Zusammenlebens in beengten Verhältnissen – nicht ungehindert aufrechterhalten werden können und demzufolge jedenfalls auf längere Sicht betrachtet durchaus die Möglichkeit einer Vereitelung des Umgangsrechts droht. Die durch Art. 6 Abs. 1, 2 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft wäre dann nicht mehr gewährleistet. Die Kammer ist dementsprechend zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger im vorliegenden Fall ein zusätzlicher Wohnflächenbedarf für eine weitere Person zuzusprechen ist und hat sich insoweit von der Überlegung leiten lassen, dass die Frage, in welchem Umfang bei Vorliegen einer temporären Bedarfsgemeinschaft weiterer Wohnflächenbedarf anzuerkennen ist, nicht pauschal beantwortet werden kann. Insbesondere kann nicht in jedem Fall des Vorliegens einer temporären Bedarfsgemeinschaft für jedes Kind – unabhängig vom Umfang des Aufenthalts bei dem getrennt lebenden Elternteil – der volle zusätzliche Wohnflächenbedarf angesetzt werden, da dies – insbesondere in Fällen, in denen der temporären Bedarfsgemeinschaft drei oder mehr Kinder angehören – in der Tat zu unbilligen Ergebnissen führen könnte. In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass sich der gesamte Wohnraumbedarf für eine weitere Person nicht nur auf ein zusätzliches Zimmer zum Wohnen bezieht, sondern zugleich den sonstigen anteiligen Flächenbedarf für z.B. Bad, Küche, Lagerraum etc. mit abdeckt. Dieser sonstige Wohnflächenbedarf muss in Abhängigkeit vom zeitlichen Umfang des Aufenthalts in der Wohnung beurteilt werden. Andererseits muss allerdings auch beachtet werden, dass bei einem hälftigen Aufenthalt der Kinder bei jedem Elternteil die Grenze dafür erreicht sein muss, beiden Elternteilen den Wohnflächenbedarf für die gesamte temporäre Bedarfsgemeinschaft zuzusprechen, um eine trennungsbedingte Benachteiligung der Mitglieder der jeweiligen gemeinsamen Bedarfsgemeinschaft zu vermeiden. Die Kammer ist daher zu der Auffassung gelangt, dass bei einem zeitlichen Umfang von regelmäßig zumindest 2 Wochenenden im Monat (entsprechend 4-5 Tage monatlich) für jedes Kind der hälftige zusätzliche Wohnflächenbedarf zu berücksichtigen ist. Ob bei einem Aufenthalt von weniger als 4 Tagen monatlich in jedem Fall kein zusätzlicher Wohnflächenbedarf zuzusprechen ist, braucht an dieser Stelle nicht abschließend entschieden zu werden und ist zudem – wie oben ausgeführt – ohnehin vom jeweiligen Einzelfall abhängig.

Des Weiteren ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass es sich bei dem zusätzlichen Wohnflächenbedarf ausschließlich um einen solchen des Klägers selbst und nicht der Beigeladenen handelt. Zwar unterscheidet das BSG in seiner Entscheidung zur temporären Bedarfsgemeinschaft zwischen den Ansprüchen des Klägers und den Ansprüchen seiner von ihm getrennt lebenden Kinder und führt in diesem Zusammenhang aus, dass Anspruchsinhaber nicht generell der Unterhaltsverpflichtete, sondern der jeweils Bedürftige für seine Kosten sei (BSG, Urt. vom 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R). Dies kann allerdings nach Auffassung der Kammer nicht für die Frage der Kosten der Unterkunft gelten, da insoweit zu berücksichtigen ist, dass der Elternteil, bei dem sich die Kinder nur zeitweise aufhalten, den zusätzlichen Wohnflächenbedarf nicht nur für die Zeiten des Aufenthalts, sondern ständig vorhalten muss. Dies ist rein praktisch gesehen nur dann möglich, wenn auch die Gewissheit besteht, dass der regelmäßig fällige Mietzins auch pünktlich beglichen werden kann. In den Fällen, in denen anteilige Kosten der Unterkunft unmittelbar an die Kinder bzw. an den Elternteil, bei dem sich die Kinder vornehmlich aufhalten, ausgezahlt würde, wäre dies nicht ausreichend sichergestellt. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die Ausführungen des BSG zur anteiligen Leistungsgewährung im Fall der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft nicht auf die Leistungen für die Kosten der Unterkunft übertragbar sind (so auch SG Aachen, Urteil vom 19.11.2007, Az.: S 14 AS 80/07).

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8.   Die Beschäftigungslosigkeit als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld

von: Udo Geiger.

www.info-also.de (pdf)

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de
 
 Teil I des Rechtsprechungsticker von Tacheles 07/2010 ist hier zu finden.