Rechtsprechungsticker von Tacheles 09/2010

1.   Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 2 B 181/08 AS ER 27.11.2008 rechtskräftig, Beschluss

Zur Berechnung des Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II

1. Ob die Berechnung des Zuschusses sich nach den SGB II-Regelungen oder nach der BAföG-Regelung bestimmt und inwieweit Kindergeld angerechnet werden kann oder nicht, ist umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass vom allgemeinen Konzept der Anrechnung von Einkommen und Vermögen des SGB II auszugehen sei. Diese Einkommensanrechnung könne sich bei § 22 Abs. 7 SGB II allerdings nur isoliert auf die Kosten der Unterkunft beziehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Februar 2008 – L 7 AS 403/08 ER-B –; OVG Bremen, Beschluss vom 19. Februar 2008 – S 2 B 538/07 –). Nach anderer Auffassung wird vertreten, dass der Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II allein von der Höhe der ungedeckten Unterkunftskosten abhänge, ohne dass eine Bedarfs- bzw. Einkommensberechnung nach dem SGB II, insbesondere nach Maßgabe des § 11 SGB II vorzunehmen sei (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 25. März 2008 – L 8 B 130/07 –. Zum Teil wird auch die Auffassung vertreten, dass ein Gesamtbedarf nach dem SGB II zu ermitteln sei und diesem das vorhandene, nach Maßstäben des SGB II bereinigte Gesamteinkommen gegenüber zu stellen sei, wobei eine isolierte Anrechnung von Einkommen nur auf den Unterkunftsbedarf nach § 22 Abs. 7 SGB II ausscheide (LSG Berlin-Brandenburg – Beschluss vom 3. Juni 2008 – L 28 B 819/08 AS –).

2. Das bereinigte Kindergeld als Einkommen ist nicht isoliert von dem Unterkunftsbedarf nach § 22 Abs. 7 SGB II in Abzug zu bringen. Allerdings muss diese ergänzende Leistung zusammen mit der Ausbildungsförderung und dem Kindergeld begrenzt sein auf die fiktive Gesamthöhe aller Leistungen für einen Leistungsempfänger, der nicht von der Leistungsgewährung nach dem SGB II ausgeschlossen ist (diese gesamten Leistungen bestehen aus der ergänzenden SGB II-Leistung, der BAföG-Leistung und dem Kindergeld). Es muss eine komplette fiktive Berechnung der Ansprüche bei einem ergänzenden SGB II-Bezug neben der Leistung der Ausbildungsförderung erfolgen (vgl. im Ergebnis auch SG Berlin Beschluss vom 4. Mai 2007 – S 102 AS 932/07 ER).

3. Eine isolierte Anrechnung des Kindergeldes bei der Ermittlung des ungedeckten Unterkunftsbedarfes würde zu Wertungswidersprüchen zu der Nichtanrechenbarkeit von Kindergeld als Einkommen im BAföG führen. Auch die Leistungen nach dem BAföG sind bedürftigkeitsabhängig, d. h. Einkommen und Vermögen werden angerechnet (vgl. § 21 BAföG). Diese Anrechnung gilt seit dem 1. April 2001 nicht mehr für Kindergeld (Streichung von § 21 Abs. 3 Nr. 3 BAföG). Diese Gesetzesänderung von § 21 BAföG (durch das Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung – Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19. März 2001) sollte zu einer Anhebung der Bedarfssätze führen, um eine deutliche Ausweitung des Kreises der Förderberechtigten zu erreichen; die Herausnahme des Kindergeldes aus dem Einkommensbegriff habe die gleiche Wirkung wie eine zusätzliche deutliche Anhebung der Freibeträge (vgl. BT-Drucks. 14/4731, S. 21; zu dem Zusammenhang mit dem Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 – 2 BvR 1057/91 – zu der Erweiterung der steuerlichen Freibeträge um einen Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung vgl. Hess LSG, Beschluss vom 24. April 2008 – L 7 AS 10/08 B ER). Diesem Ziel würde eine isolierte Anrechnung des Kindergeldes bei den ungedeckten Unterkunftskosten widersprechen. Im Ergebnis käme das "zusätzliche" Kindergeld den BAföG-Empfängern nicht zugute, obwohl es der Funktion nach dem Grundbedarf zuzurechnen ist und deshalb im Ergebnis eine Unterdeckung des Grundbedarfs im Verhältnis zur Regelleistung nach dem SGB II, ausgleicht. So hat der Antragsteller den Grundbedarf nach § 12 Abs. 2 BAföG in Höhe von 348 EUR nicht allein für die Sicherung des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Auf den Grundbedarf entfällt – anders als bei der Regelleistung nach § 19 SGB II – ein Anteil von 52 EUR auf die Kosten der Unterkunft (Umkehrschluss aus § 19 Abs. 3 BAföG). Eine solche Anrechnung würde BAföG-Empfänger, die von der Leistung nach dem SGB II ausgeschlossen sind, sogar schlechter stellen als BAföG-Empfänger, die ergänzende SGB II Leistungen beziehen. Denn für diesen Personenkreis könnten die ausbildungsbedingten Mehraufwendungen von dem als Einkommen anzurechnenden BAföG in Abzug gebracht werden. So gelten Leistungen der Ausbildungsförderung nach der Neuregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 10 Alg II-V ab 1. Januar 2008 nicht als Einkommen, soweit sie für Fahrkosten oder Ausbildungsmaterial verwandt werden. Diese Möglichkeit, das Einkommen um den Sonderbedarf für die Ausbildung zu bereinigen, würde bei einer isolierten Anrechnung des Kindergeldes auf den ungedeckten Unterkunftsbedarf entfallen. Den ausbildungsbedingten Mehrbedarf in Form der Fahrkosten und der Ausbildungsmaterialien müsste der Antragsteller aus seinen übrigen Leistungen (Grundbedarf nach dem BAföG und Kindergeld) bestreiten. Dadurch würde das Ziel in Frage gestellt, über die Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II die für die Kosten der Unterkunft unzureichenden Leistungen nach dem BAföG zu ergänzen. Der Sinn des § 22 Abs. 7 SGB II besteht darin, zu verhindern, dass die Auszubildenden ihre Ausbildung abbrechen müssen, weil die in den ihnen gewährten Leistungen der Ausbildungsförderung enthaltenen pauschalen Anteile für Unterkunft und Heizung die tatsächlichen Kosten nicht abdecken (BT-Drs. 16/1410 S. 24) und die Existenzsicherung nicht gewährleisten. Dieses Ziel würde in vielen Fällen gefährdet.

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2.   Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 89/09 AS 10.02.2010 rechtskräftiger Beschluss

Die Rechtsfolgenbelehrung muss konkret, verständlich, richtig und vollständig sein (BSG vom 16.12.2008, B 4 AS 60/07 R, BSGE 102, 201; BSG vom 17.12.2009, B 4 AS 30/09 R, hierzu Terminbericht Nr. 70/09 des BSG vom 17.12.2009).

1. In der Rechtsfolgenbelehrung vom 03.07.2008 wird ausgeführt, bei einer unangemeldeten oder unerlaubten Ortsabwesenheit entfalle der Anspruch auf Arbeitslosengeld II "mit dem ersten Tag der Ortsabwesenheit". Gleichzeitig war der Rechtsfolgenbelehrung der Gesetzestext der Sanktionsnorm des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II beigefügt. Damit war für den Antragsteller nicht erkennbar, welche Rechtsfolge – Entfall des Anspruchs oder aber Absenkung der Leistung – bei einer unerlaubten Ortsabwesenheit greifen würde (hierzu auch Beschluss des 19. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) vom 13.07.2009 – L 19 B 69/09 AS – im Parallelverfahren der Ehefrau des Antragstellers).

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2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 424/09 AS 10.02.2010 rechtskräftig, Beschluss

Seit vielen Jahren bestehender Baulärm im Haus machen einen Umzug nicht erforderlich, wenn der Vermieter nicht zur Mängelbeseitigung aufgefordert wurde.

Soweit sich die Kläger hierzu auf den nach ihrem Vortrag seit vielen Jahren bestehenden Baulärm im Haus berufen haben, fehlt es an jeglichem Vortrag dazu, ob sie die ihnen zustehenden mietvertraglichen Gewährleistungsrechte (§§ 536 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) bereits ausgeübt und ihren Vermieter ergebnislos zur Mängelbeseitigung aufgefordert haben gemäß § 536c BGB. Denn käme ihr Vermieter seiner zivilrechtlichen Pflicht zur Mängelbeseitigung nach, entfiele von vornherein das Erfordernis eines Umzuges.

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2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 371/09 AS 10.02.2010 rechtskräftig, Beschluss

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Grundsicherungsrecht nach dem SGB II besteht grundsätzlich keine Einstandspflicht des Grundsicherungsträgers für weitergehende medizinische Maßnahmen (so BSG vom 19.09.2008, B 14/7b AS 10/07 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 18 und Juris (dort Rn. 26)).

1. Bei einer kiefernorthopädische Fehlstellung wird zu prüfen sein, ob eine Einstandspflicht des Grundsicherungsträgers bzw. des Sozialhilfeträgers (über § 73 SGB XII wegen einer atypischen Bedarfslage, hierzu BSG vom 07.11.2006, B 14/7b AS 14/06 R, BSGE 97, 242) ausnahmsweise in Betracht kommt.

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Anmerkung : Vgl. dazu auch Bayerisches Landessozialgericht L 7 B 668/08 AS PKH 16.10.2008, Beschluß und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.06.2007, L 1 B 7/07 AS ER).

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 289/09 AS 10.02.2010 rechtskräftig, Beschluss

Eine Sanktion ist rechtswidrig, wenn die Rechtsfolgenbelehrung den Hilfebedürftigen nicht darüber belehrt, ob in jedem Fall – auch bei ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit der hilfebedürftige erscheinen muß, Ob die pauschale Rechtfolgenbelehrung der Antragsgegnerin im Allgemeinen den rechtlichen Vorgaben entspricht, konnte der Senat deshalb offenlassen; nach der Rechtsprechung des BSG muss die Rechtsfolgenbelehrung konkret, verständlich, richtig und vollständig sein (BSG vom 16.12.2008, B 4 AS 60/07 R, BSGE 102, 201; BSG vom 17.12.2009, B 4 AS 30/09 R, hierzu Terminbericht Nr. 70/09 des BSG vom 17.12.2009).

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2.4 – LSG NRW L 20 B 49/08 SO ER, Beschluss v. 08.07.2008

Lebt ein ausländischer Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Kind, haben beide einen Anspruch auf Zustimmung zur Anmietung einer angemessenen Privatwohnung und können nicht auf eine Gemeinschaftsunterkunft verwiesen werden.

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3.   Hessisches Landessozialgericht L 7 B 293/06 AS 27.01.2010, Beschluss

1. Zur Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt es, den aktuellen Bewilligungsbescheid nach dem SGB II vorzulegen und nur Angaben zu den Rubriken A-D der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu machen, wenn keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass Einkommen oder Vermögen vorhanden ist, welches nach § 115 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem SGB XII die Bedürftigkeit ausschließen kann (Anschluss an OVG Sachsen-Anhalt, 14.4.2009 – 2 O 26/09).

2. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, S. 2 SGB II Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst (S. 1). Sie werden gesondert erbracht (S. 2). Die Leistungen nach S. 1 Nr. 1 können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden (S. 5). Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen (S. 6). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind auch erfüllt, wenn auf Grund eines vom Grundsicherungsträger veranlassten Umzugs Möbel des Hilfebedürftigen unbrauchbar werden und insoweit eine Ersatzbeschaffung erforderlich ist. Anders ist die Sachlage allerdings zu beurteilen, wenn der Umzug nicht durch zwingende Umstände hervorgerufen ist (BSG, 20. August 2009 – B 14 AS 45/08 R; BSG, 1. Juli 2009 – B 4 AS 77/08 R). Entscheidend ist mithin, ob ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt ist. Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II sind für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen (vgl. auch Behrend in juris-PK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 23 RdNr. 80; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 10/2007, § 23 RdNr. 332; vgl. auch BSG, 16. Dezember 2008 – B 4 AS 49/07 R).

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4.   Landessozialgericht Baden-Württemberg L 8 AL 66/08 05.02.2010, Urteil

Keine Rückzahlung zu viel gezahlten Arbeitslosengeldes, wenn Bundesagentur Bescheide nicht vorlegen kann, denn ohne Bewilligungsbescheide ist das Verschulden des Arbeitslosen nicht belegbar.

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5.   Sozialgericht Augsburg S 6 AS 372/09 13.10.2009, Urteil (2. Instanz Bayerisches Landessozialgericht L 16 AS 757/09).

Bei Einnahmen mit Darlehenscharakter handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II, soweit aus diesen der Lebensunterhalt bestritten werden, daran ändert auch die Rückzahlungsverpflichtung nichts, weil diese den wertmäßigen Zufluss im Bedarfszeitraum nicht mindert.

1. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II erhalten nämlich nur die Personen Leistungen nach dem SGB II, die hilfebedürftig sind. Dies sind sie dann, wenn sie ihren Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern können und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalten. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II ist aber als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Unerheblich ist dabei aus welchem Rechtsgrund der Einnahmenzufluss erfolgt. Entscheidend ist, dass der Antragsteller nach der Antragstellung wertmäßig etwas dazu erhält und hieraus seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (siehe hierzu BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/ 07 R sowie BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.07.2008 – L 13 AS 97/08 ER, FEVS 60 [2009], S. 87 [90]; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn. 38 sowie Hähnlein in: Gagel, SGB III mit SGB II, § 11 SGB II Rn. 17). Damit handelt es sich auch bei Einnahmen mit Darlehenscharakter um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II, soweit aus diesen der Lebensunterhalt bestritten werden konnte. Daran ändert auch die Rückzahlungsverpflichtung nichts, weil diese den wertmäßigen Zufluss im Bedarfszeitraum nicht mindert (siehe hierzu Beschluss des Bay. Landessozialgerichts vom 30.03.2009 – L 11 AS 15/09 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.07.2008 – L 13 AS 97/08 ER, FEVS 60 [2009], Seite 87 [89 f.], LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.12.2008 – L 7 AS 62/08, sowie SG Reutlingen, Gerichtsbescheid vom 10.06.2009 – S 2 AS 1472/08 m.w.N.).

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Anmerkung : Vgl. dazu zur Grundsicherung nach dem SGB XII LSG NSB L 8 SO 57/07, Urteil vom 26.02.2009

Auch wenn im Anwendungsbereich des § 82 SGB XII teilweise vertreten wird, dass Darlehensleistungen aufgrund ihres Zuflußcharakters als Einkommen anzurechnen sind, ist der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 13.06.1986 -7 RAr 27/84 = BSGE 58, 160) zu folgen, nach der ein rückzahlbares Darlehen kein anrechnungsfähiges Einkommen darstellt, da es aufgrund der Rückzahlungsverpflichtung zu keiner Netto-Vermehrung auf der Vermögensseite beim Bedürftigen führt.

6.   Sozialgericht Bremen S 26 AS 2028/09 ER 20.11.2009 rechtskräftig, Beschluss

Der Umstand, dass eine Beziehung im Leistungsantrag durch Ankreuzen als Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft bezeichnet und die Richtigkeit dieser Angabe durch Unterschrift bestätigt wird, ist grundsätzlich ebenfalls ein wichtiges Indiz für das Bestehen einer solchen Gemeinschaft (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 30.03.2006 – S2 B 58/06, S2 B 59/06 -; Beschl. v. 09.09.2005 – S 2 B 211/05 -).

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6.1 – Beschluss des SG Bremen vom 25. Februar 2010 – S 23 AS 319/10 ER –

Die Deckelung der Unterkunftskosten gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II findet auf Umzüge von einer Stadt oder Gemeinde in eine andere keine Anwendung.

§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II bestimmt zwar, dass bei einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Kosten weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden. Allerdings findet diese Regelung nur Anwendung auf Umzüge, die innerhalb einer Gemeinde erfolgen, nicht aber auf Umzüge von einer Gemeinde oder Stadt in eine andere. Dies ergibt sich aus einer teleologischen Reduktion der Norm, denn andernfalls wären Hilfebedürftige dauerhaft in ihrer freien Wohnortwahl beschränkt (ausführlich: Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn. 47b m.w.N.; Berlit, in: Münder, SGB II, 3. Aufl., § 22 Rn. 51 m.w.N.); ein Ergebnis, das unter der Geltung der in Art. 11 Grundgesetz verbürgten Freizügigkeit nicht zutreffend sein kann.

www.sozialgericht-bremen.de (pdf)


6.2 – Sozialgericht Bremen S 18 AS 286/10 ER 24.02.2010, Beschluss

Auf Grund der auch im SGB II geltenden Mitwirkungsobliegenheiten gemäß § 60 ff. SGB I ergibt sich, dass Leistungsbezieher von Hartz IV- Leistungen auf Verlangen der Behörde ihren Pass vorlegen müssen.

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7.   Sozialgericht Berlin S 37 AS 14128/09 11.09.2009, Urteil

Allein der Umstand längerer Arbeitslosigkeit berechtigt nicht zur Vermittlung in eine Arbeitsgelegenheit, – es sei denn, hierüber kann der Einstieg in eine reguläre Arbeit verbessert werden. Keinesfalls dürfen Arbeitsgelegenheiten zur Ermittlung von Schwarzarbeit oder zur Prüfung der Arbeitsbereitschaft eingesetzt werden, geschweige denn als bloße Hinzuverdienst-Maßnahme für Langzeitarbeitslose. Abgesehen von der damit verbundenen Verschwendung öffentlicher Fördermittel, fehlt einer in dieser Funktion eingesetzten Arbeitgelegenheit die Eignung zur Arbeitsmarktintegration. Dabei muss sich die Eignung auf den Qualifizierungseffekt der Maßnahme beziehen, für die der Maßnahmeträger ja die Mittel erhält. Die Vermittlung in eine Arbeitsgelegenheit zur Abschreckung und Disziplinierung ist ein Missbrauch dieses für Menschen mit besonderen Vermittlungshemmnissen vorgesehenen Förderinstruments.

2. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) Zweifel daran angedeutet hat, ob sich der Arbeitslosengeld-II-Bezieher auf die fehlende Prüfung der Zusätzlichkeit einer Arbeitsgelegenheit i S des § 16 Abs 3 S 2 SGB 2 berufen kann, ist die fehlende Bestimmtheit des Maßnahmeangebots ein Grund, auf den er sich bei Nichtantritt der Maßnahme berufen kann, wobei die fehlende Bestimmtheit nicht nachgeholt oder durch das Einstellungsgespräch ersetzt werden kann (BSG, Urteil vom 16.12.2008 -B 4 AS 60/07 R-).

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8.   Anmerkung zu: BVerfG 1. Senat, Urteil vom 09.02.2010 -, 1 BvL 1/09, BVerfG 1. Senat, Urteil vom 09.02.2010 -, 1 BvL 3/09, BVerfG 1. Senat, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 4/09

Autor: Dr. Steffen Luik, RiSG, z.Z. wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BSG
Erscheinungsdatum: 25.02.2010

Quelle:
Normen: § 28 SGB 2, § 68 SGB 6, § 2 RSV, § 74 SGB 2, § 24a SGB 2
Fundstelle: jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1
Herausgeber: Dr. Thomas Voelzke, Vors. RiBSG
Prof. Dr. Rainer Schlegel, Vors. RiBSG

Regelleistungen nach SGB II ("Hartz IV-Gesetz") verfassungswidrig

Leitsätze von Juris

1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.
2. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.
3. Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.
4. Der Gesetzgeber kann den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken, muss aber für einen darüber hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen.

Zitat : „4. Härtefallklausel für atypische Sonderbedarfe (Rn. 204 ff.)

Da ein pauschaler Regelleistungsbetrag nach seiner Konzeption nur den durchschnittlichen Bedarf abdeckt, wird ein in Sonderfällen auftretender Bedarf von der Statistik nicht aussagekräftig ausgewiesen. Wenn es in seltenen Einzelfällen für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich ist, muss auch dieser unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige, besondere Bedarf gedeckt werden. Dieser Anspruch entsteht allerdings erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Die Gesamtheit der Regelungen des SGB II erlaubt in der Regel auch die Deckung eines individuellen besonderen Bedarfs (Rn. 206). Das BVerfG spricht von engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen, weshalb der Anspruch nur in seltenen Fällen in Betracht kommt. Der so umschriebene Extremfall rechtfertigt für das BVerfG die Annahme einer direkten Anspruchsgrundlage für diese Sozialleistung aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.

Bei einem solchen „Sonderbedarf“ handelt es sich nicht um einmalige oder kurzfristige Bedarfsspitzen, die durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II aufgefangen werden können (Rn. 207), das betrifft z.B. Brillen, orthopädische Schuhe, Zahnersatz, Waschmaschine. Diesbezüglich hat der Hilfebedürftige sein Verbrauchsverhalten im Übrigen zunächst so zu gestalten, dass er auf das in der Regelleistung enthaltene Ansparpotential zurückgreifen kann (Rn. 205). Auch die Mehrbedarfe nach § 21 SGB II können nicht durch den atypischen Sonderbedarf aufgestockt werden.

In anderen Zusammenhängen hat das BSG zu Härtefallklauseln Folgendes ausgeführt: Bei dem Begriff des „besonderen Härtefalls“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (BSG, Urt. v. 06.09.2007 – B 14/7b AS 36/06 R – BSGE 99, 67, 73 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 6). Die Verwaltung hat keinen Beurteilungsspielraum; ihr steht auch keine Einschätzungsprärogative zu (vgl. hierzu auch BSG, Urt. v. 30.10.2001 – B 3 P 2/01 R – SozR 3-3300 § 36 Nr. 3). Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe stellt vielmehr eine genuine Aufgabe der Rechtsprechung dar (BSG, Urt. v. 17.10.2002 – B 7 AL 96/00 R – BSGE 90, 90, 97). Die Konkretisierung folgt der im Rahmen der Normanwendung geforderten Interpretation abstrakt-genereller Vorgaben. Demgemäß kommen die üblichen Grundsätze der Normauslegung zum Tragen. Von Bedeutung ist insoweit insbesondere der spezielle Kontext des in Frage stehenden Rechtsgebietes und die Funktion der Regelung innerhalb des jeweiligen Norm- und Gesetzeszusammenhanges (BSG, Urt. v. 18.07.1996 – 4 RA 46/94 Rn. 15 ff. – SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr. 1). Zu beachten sind die Grundrechte und die in ihnen zum Ausdruck kommende Werteordnung (vgl. etwa zur Ausübung des Umgangsrechts durch den nicht sorgeberechtigten Elternteil BVerfG, Beschl. v. 25.10.1994 – 1 BvR 1197/93 – NJW 1995, 1342 f.; vgl. auch BSG, Urt. v. 23.06.1982 – 7 RAr 106/81 – BSGE 54, 14 Rn. 32 = SozR 4100 § 19 Nr. 16). Durch den unbestimmten Rechtsbegriff der besonderen Härte sind immer die Verhältnisse des einzelnen Falles angesprochen (BSG, Urt. v. 08.02.2007 – B 7a AL 34/06 R – SozR 4-5765 § 9 Nr. 1). Die für erwerbsfähige Hilfebedürftige allgemein gültigen Verhältnisse begründen somit noch keinen Härtefall. Auch die jeden Versicherten treffenden Zuzahlungen für Leistungen der Krankenkassen sind kein atypischer Bedarf (BSG, Urt. v. 22.04.2008 – B 1 KR 10/07 R – SozR 4-2500 § 62 Nr. 6). Was erhöhte Aufwendungen für die Anschaffung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente bei chronisch Kranken angeht, kann dies nur in bestimmten Ausnahmefällen in Betracht kommen und muss jeweils krankheitsspezifisch begründet sein (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 22.06.2007 – L 1 B 7/07 AS ER Rn. 28 f., einerseits und Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.11.2007 – L 7 SO 4180/06 Rn. 23 andererseits). Bei Schülerbeförderungskosten hat das BSG einen atypischen Bedarf verneint (BSG, Urt. v. 28.10.2009 – B 14 AS 44/08 R). Die Kosten, die einem geschiedenen oder getrennt lebenden Elternteil regelmäßig aufgrund der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinen Kindern entstehen, können – soweit sie nicht aus evtl. vorhandenem Einkommen, der Regelleistung oder Leistungen Dritter bestritten werden – einen atypischen Bedarf begründen. Eine unbeschränkte Sozialisierung von Scheidungsfolgekosten findet aber nicht statt (BSG, Urt. v. 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R – BSGE 97, 242 ff.; vgl. z.B. Lauterbach, NJ 2006, 199, 200 f.; Gerenkamp/Kroker, NZS 2008, 28 ff.). Es müssen alle das Eltern-Kind-Verhältnis bestimmenden Umstände (wie einverständliche Regelung, Alter und Zahl der Kinder) in Betracht gezogen werden, um das erforderliche Maß des Umgangs festzustellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1994 – 1 BvR 1197/93 – NJW 1995, 1342 f.). In Betracht kommen auch die Kosten für eine Haushaltshilfe, wenn ein besonderer behindertenspezifischer Bedarf besteht, und bestimmte notwendige Tätigkeiten/Verrichtungen im Haushalt, die nicht ohne fremde Hilfe erledigt werden können und wenn keine anderweitige Unterstützung, z.B. durch Angehörige, zur Verfügung steht (vgl. hierzu Knickrehm, NZS 2007, 128 ff.; Schütze, SozSich 2007, 133, 115; Mrozynski, SGb 2009, 450, 455).

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Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de