Rechtsprechungsticker von Tacheles 19/2010

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum SGB II vom 06.05.2010

BSG, Urteil vom 06.05.2010, – B 14 AS 3/09 R

6- jähriger, behinderter und chronisch kranker Sozialgeldempfänger hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Anerkennung des Mehrbedarfs für das Merkzeichen G (§ 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II), denn er ist keine nicht erwerbsfähige Person im Sinne dieser Vorschrift.

juris.bundessozialgericht.de

BSG, Urteil vom 06.05.2010, – B 14 AS 2/09 R

Ein Pflichtteilsanspruch ist nicht als Vermögen zu berücksichtigen, wenn aufgrund besonderer Härte anzunehmen ist, dass der überlebende Elternteil den Anspruch nur bei einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung erfüllen könnte. Eine solche ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die in § 9 Abs. 5 SGB II iVm § § 1 Abs. 2, 4 Abs. 2 Alg II-V festgelegten wirtschaftlichen Grenzen unterschritten würden.

juris.bundessozialgericht.de


BSG, Urteil vom 06.05.2010, – B 14 AS 7/09 R

Übernahmepflicht der Umzugskosten bei Grundsicherungsempfängern grundsätzlich nur für selbstorganisierten Umzug, denn es besteht bei Umzügen im Regelungsbereich des SGB II die Obliegenheit, die Kosten eines Umzugs möglichst gering zu halten. Dieser ist daher im Regelfall selbstorganisiert durchzuführen, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Hilfskräften und Mietwagen. Lediglich in Aus¬nahmefällen (Alter, Behinderung, Vorhandensein von Kleinkindern etc.) kommt die Übernahme der Kosten eines professionellen Umzugsunternehmens in Betracht.

juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum SGB II vom 22.03.2010

BSG, Urteil vom 22.03.2010, – B 4 AS 69/09 R –

Bei der Berechnung der Höhe des Zuschusses nach § 22 Abs 7 SGB II ist von den angemessenen Heizkosten einen Abzug für die Kosten der Warmwasserbereitung (vgl BSG, Urteil vom 27.2.2008 – B 14/11b AS 15/07 R – BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 und vom 22.9.2009 – B 4 AS 8/09 R) vorzunehmen (a. Auffassung Hessisches LSG, Beschluss vom 27.3.2009 – L 6 AS 340/08 B ER- ).

Die Höhe des Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II bemisst sich nicht allein nach der Differenz zwischen den Unterkunftskosten nach dem SGB II und dem nach dem SGB III zu Grunde zu legenden Unterkunftsbedarf. Es ist vielmehr der ungedeckte Bedarf nach den Vorschriften des SGB II unter Berücksichtigung der Leistung nach dem SGB III einschließlich des dort eingerechneten Unterkunftsbedarfs sowie ggf weiterem Einkommen zu ermitteln. In Höhe des sich ergebenden ungedeckten Bedarfs nach dem SGB II ist der Zuschuss dann – gedeckelt durch die Differenz zwischen Unterkunftsbedarf nach dem SGB II und in der Ausbildungsförderungsleistung enthaltenem Unterkunftsanteil – vom Grundsicherungsträger zu zahlen.

BAB ist als Einkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur BAföG-Leistung beinhaltet sie selbst keinen zweckgebundenen ausbildungsbedingten Anteil. Soweit allerdings mit der Berufsausbildungsbeihilfe ausbildungsbedingte Leistungen nach § § 67 ff SGB III (zB Fahrtkosten) erbracht worden sein sollten, wären diese als zweckbestimmte Einnahmen von der Berücksichtigung nach dem SGB II auszunehmen.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

BSG, Urteil vom 22.03.2010, – B 4 AS 39/09 R –

vgl. dazu Parallelentscheidung zu dem BSG-Urteil vom 22.3.2010 – B 4 AS 69/09 R.-

www.sozialgerichtsbarkeit.de

BSG, Urteil vom 22.03.2010, – B 4 AS 59/09 R

Erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige erhalten den Mehrbedarf wegen Teilnahme an einer Maßnahme zur Erlangung eines Platzes im Arbeitsleben nur bei Geeignetheit der Maßnahme.

Der Anspruch setzt die Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme voraus, die grundsätzlich geeignet ist, einen Mehrbedarf beim Betroffenen auszulösen (so ausdrücklich bereits BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1, jeweils RdNr 22). Diese einschränkende Auslegung folgt aus dem Wortlaut und dem aus der Entstehungsgeschichte der Norm herzuleitenden spezifischen Sinn und Zweck des Mehrbedarfs.

www.sozialgerichtsbarkeit.de


3.   Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 10 AS 216/10 B ER vom 24.03.2010 rechtskräftig, Beschluss

Keine isolierte Feststellung der Erforderlichkeit des Auszugs im Rahmen eines (einstweiligen) Zusicherungsverfahrens nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II.

Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen (§ 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II).

Für eine isolierte Entscheidung über die Erforderlichkeit eines Auszugs aus der bisher innegehabten Wohnung ohne Nennung einer Zielwohnung fehlt es im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II an einer speziellen Anspruchsgrundlage. Ein Anspruch auf Erlass eines Bescheides, mit dem die Erforderlichkeit eines Auszugs bindend festgestellt wird, stünde im Widerspruch zum Wortlaut und zum Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II.

Die Erteilung einer Zusicherung i.S. dieser Norm setzt bereits nach dem Wortlaut die Vorlage eines konkreten Mietvertragangebots über eine bestimmte Wohnung mit einem bezifferten Mietzins voraus. Nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II betrifft die Abgabe der Zusicherung zu den laufenden künftigen Aufwendungen ausdrücklich "die" neue Unterkunft und hängt inhaltlich davon ab, dass der Umzug in diese Unterkunft notwendig ist und die Aufwendungen für "die" neue Unterkunft angemessen sind (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Juni 2009 – L 13 AS 3036/07, RdNr 25; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. April 2009 – L 28 B 2179/08 AS ER, aaO, S 2 und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2009 – L 5 B 2097/08 AS ER, RdNr 18)

Der Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II besteht in der Schaffung von Rechtssicherheit. Für den Hilfebedürftigen soll das Entstehen einer (erneuten) Notlage in Folge einer nur teilweisen Übernahme der Unterkunftskosten vermieden werden. Auch der kommunale Träger muss an einer Entscheidung über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor einem Umzug interessiert sein, um für den Fall der Unangemessenheit der neuen Wohnung das Entstehen weiterer Kosten durch einen dann erforderlichen zweiten Umzug zu verhindern (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: November 2009, RdNr 102 zu K § 22).

Dies gilt auch und insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch die begehrte Zusicherung immer nur situativ Gültigkeit beanspruchen kann. Treten nach Abgabe einer allein den Auszug betreffenden Zusicherung, aber vor Bezug einer neuen Wohnung Änderungen im personellen Umfang der Bedarfsgemeinschaft ein, beispielsweise durch Hinzutreten einer weiteren Person, hätte eine erteilte abstrakte Zusicherung der Art, wie sie von den Antragstellerinnen begehrt wird, für diese keinen praktischen Nutzen mehr (vgl. LSG Baden-Württemberg, aaO, RdNr 27).

www.sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung : Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 19 AS 151/10 B ER 25.02.2010 rechtskräftig, Beschluss

Für eine abstrakte Prüfung einer Zusicherung der Übernahme der Aufwendungen bzw. Wohnungsbeschaffungskosten für irgendeine gewünschte Wohnung im einstweiligen Rechtschutzverfahren fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, denn die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz1 SGB II besteht, kann immer nur für eine konkrete Wohnung auf der Grundlage eines aktuellen Wohnungsangebotes erfolgen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. August 2009, L 5 AS 1273/09 B ER, mwN).

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 16.6.2009, L 13 AS 3036/07

Die Erteilung einer Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 12 SGB II setzt voraus, dass ein konkretes Mietvertrags Angebot über eine bestimmte Wohnung mit einem bezifferten Mietzins vorgelegt wird. Eine Verpflichtung des Grundsicherungsträgers, abstrakt die Erforderlichkeit eines Auszugs festzustellen, besteht nicht.

3.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 10 AS 393/10 B ER 24.03.2010 rechtskräftig, Beschluss

Eine drohende Einstellung der Gasversorgung und damit die Beendigung der regulären Beheizungsmöglichkeit kann grundsätzlich eine der Gefährdung der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage darstellen, so dass Gassschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II als Darlehen übernommen werden können.

Stehen neben der Begleichung der Schulden noch andere Möglichkeiten offen, die Gasversorgung und damit die Beheizbarkeit der Wohnung sicher zustellen, droht keine der Wohnungslosigkeit vergleichbare Notlage (Nach Satz 2 der Vorschrift sollen sie übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht).

1. Nach der Liberalisierung des Gasmarktes können Kunden grundsätzlich den Anbieter wechseln, ohne dass der bisherige Grundversorger die Möglichkeit hätte, wegen noch bestehender Schulden die Durchleitung zu verhindern (vgl § 36 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung iVm § 6 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz, vgl auch Gotzen, Übernahme von Energiekostenrückständen nach § 34 SGB XII, ZfF 2007, 248).

2. Im Rahmen der vorrangigen Selbsthilfe müssen Hilfebedürftige gehalten sein, die Schulden ggf im Wege einer Ratenzahlungsvereinbarung zu tilgen.

3. Durch Nicht- Anrechnung auf den ALG II- Bedarf unterfallende Freibeträge sind bereite Gelmittel, welche vom Hilfebedürftigen einzusetzen sind, um die Gasschulden zu tilgen.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung : Bayerisches Landessozialgericht L 11 AS 177/07 13.09.2007 rechtskräftig (Bundessozialgericht B 14 AS 163/07 B 14.01.2008 )

Nach § 22 Abs 5 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr 1 (SGB II) ist vorrangig anzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

§ 22 Abs 5 SGB II betrifft von seinem Sinn und Zweck her lediglich Schulden, die sich aus dem Miet- und Eigentumsverhältnis ergeben. Eine allgemeine Verschuldung genügt nicht (vgl. Schmidt in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 22 SGB II RdNr 141). § 22 Abs 5 SGB II stellt insoweit eine Sonderregelung für Miet- und Energieschulden dar (Kalhorn in Hauck/Noftz SGB II § 22 RdNr 72, vgl. auch BT-Drs 16/688 S 14), nicht jedoch eine Regelung zur Übernahme allgemeiner Schulden. Mietschulden stellen allenfalls die Nachzahlung bzgl. der Betriebskosten dar.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 14 AS 748/09 B ER vom 05.06.2009, rechtskräftig, Beschluss

Besteht Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, ist die in § 22 Abs. 5 SGB II für die Übernahme von Mietschulden geforderte Voraussetzung, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, erfüllt (SG Berlin, Beschluss v. 23. März 2007 – S 37 AS 2804/07 – ; VG Bremen, Beschluss v. 14. Dezember 2997 – S8 V 3445/07 – ; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 123). Ausweislich der Überschrift des § 22 SGB II zählt der Gesetzgeber auch die Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung. Soweit in § 19 Satz 2 SGB II ausdrücklich bestimmt ist, dass der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II nicht als Arbeitslosengeld II gilt, sollte damit nur verhindert werden, dass Berechtigte wegen des Zuschusses als sozialversicherungspflichtig angesehen werden (BT-Drucks 16/1410 S. 23). Wenn der Gesetzgeber es für richtig gehalten hat, ergänzende Leistungen für Unterkunft und Heizung an Auszubildende, die Berufsausbildungsbeihilfe erhalten, nach Maßgabe des SGB II zu gewähren, erscheint es nur konsequent, dass für diesen Personenkreis dann ebenso die Vorschriften des SGB II über eine Übernahme von Mietschulden angewandt werden. Ausreichend muss bereits der Anspruch auf ergänzende Leistungen sein, wenn alle Voraussetzungen für eine Bewilligung vorliegen. Denn ansonsten würden von den Leistungsträgern zu verantwortende Verzögerungen der Bearbeitung zu Lasten der Hilfebedürftigen gehen.

Sozialgericht Lüneburg S 81 AS 311/09 ER 10.03.2009, Beschluss

Nach § 22 Abs. 5 SGB II können nämlich, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen gem. § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II regelmäßig übernommen werden, wenn das gerechtfertigt und notwendig ist und andernfalls Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Hierunter fällt auch die Übernahme von Energiekostenrückständen (vgl. Berlit in LPK – SGB II, Rdnr. 116 zu § 22). Die bei der Ermessensentscheidung im Rahmen einer umfassenden Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigenden Umstände, wie Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, die Zusammensetzung des von der eventuellen Energiesperre bedrohten Personenkreises und die Möglichkeiten sowie die Zumutbarkeit einer anderweitigen Energieversorgung, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten, insbesondere Bemühungen, das Verbrauchsverhalten einzuschränken bzw. angemessen anzupassen und ein Selbsthilfewillen (vgl. hierzu Berlit LPK – SGB II Rdnr. 118 zu § 22 SGB II) können im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes noch nicht derart umfassend wie in einem Verfahren der Hauptsache geprüft und geklärt werden, da sie sich regelmäßig nicht vollständig den Verwaltungsakten entnehmen lassen.

Ein sozialwidriges, unwirtschaftliches und die Möglichkeiten der Selbsthilfe ignorierendes Verhalten, welches das Ermessen der Antragsgegnerin prägen könnte, liegt hier jedenfalls nicht offensichtlich zutage (vgl. dazu SG Hannover v. 19.12.2005 – S 51 SO 741/05 ER), hat somit außer Betracht zu bleiben – zumal ein etwa unwirtschaftliches Verhalten der Antragsteller vom Träger der Leistung nachzuweisen wäre (LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 2.10.2008 – L 7 AS 463/08 ER – ).

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 34 AS 1090/09 B ER 21.07.2009 rechtskräftig, Beschluss

Keine Übernahme von Stromschulden, wenn der Hilfebedürftige darauf vertraut hatte, dass der Träger der Grundsicherung die monatlichen Abschlagszahlungen an den Stromversorger übernimmt.

Bei der Prüfung der Frage, ob die Leistung gerechtfertigt ist, ist u.a. von Bedeutung, wie es zur Notlage gekommen ist. Die Übernahme der Schulden ist regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten o.ä.) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können. Nicht gerechtfertigt ist die Übernahme von Schulden, wenn z. B. Miete oder Energiekostenabschläge im Vertrauen darauf nicht gezahlt werden, dass der Leistungsträger die Miet- und/oder Energieschulden später übernehmen werde (BT-Drs. 13/2440 S. 19 zur Vorläuferregelung des § 15a des Bundessozialhilfegesetzes) oder Mietschulden dadurch entstanden sind, dass der Hilfesuchende trotz Belehrung durch den Träger in einer unangemessen teuren Wohnung verblieben ist und die Differenz zwischen angemessenen und tatsächlichen Kosten nicht aufgebracht hat (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. März 1999 – 4 M 756/99 – Rdnr. 23). Auch soll durch eine Übernahme der Schulden nicht nachträglich verantwortungsloses Verhalten der Leistungsberechtigten honoriert und hierdurch eine fehlende Eigenverantwortlichkeit weiter gestärkt werden.

4.   Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 323/09 AS ER 27.04.2010 rechtskräftig, Beschluss

Hilfebedürftigen ist die Regelleistung im EA – Verfahren einstweilen und vorläufig zu bewilligen, denn der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für einen niederländischen Staatsangehörigen als Alt-Unionsbürger unter Berücksichtigung des primären EU-Rechts begegnet erheblichen Bedenken ( Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) insbesondere in den Verfahren Collins (Urteil vom 23.03.2004, C-138/02) und Vatsouras, Koupatantze (Urteil vom 04.06.2009, C-22/08 und C-23/08).

www.sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung : Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 489/09 AS ER, Beschluss vom 03.05.2010, rechtskräftig

Hilfebedürftigen ist die Regelleistung im EA – Verfahren einstweilen und vorläufig zu bewilligen, denn der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für einen portugiesischen Staatsbürger als Alt-Unionsbürger unter Berücksichtigung des primären EU-Rechts begegnet erheblichen Bedenken ( Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) insbesondere in den Verfahren Collins (Urteil vom 23.03.2004, C-138/02) und Vatsouras, Koupatantze (Urteil vom 04.06.2009, C-22/08 und C-23/08).

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für Alt-Unionsbürger normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. (vgl. u.a. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008, L 7 AS 3031/08 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.06.2009, B 34 AS 790/09 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 16.07.2008, L 19 B 111/08 AS ER; Schreiber info also 2008, 3 ff. und 2009, 195 ff.; Kunkel/Frey, ZFSH 2008, 387 ff.; Husmann, NZS 2009, 547 ff., 652 ff.; Hailbronner, ZFSH 2009, 195 ff.; Piepenstock, jurisPR-SozR, 23/09 Anm. 1; Daiber, VSSR 2009, 299, 311 ff.).

Diese Rechtsfrage lässt sich im Eilverfahren jedoch nicht abschließend klären. Eine Vorlagepflicht der deutschen Gerichte an den Europäischen Gerichtshof, der für die Auslegung der hier in Betracht kommenden Art. 39 und 12 EGV zuständig ist, besteht indes nur für das Hauptsacheverfahren, nicht aber für das einstweilige Rechtsschutzverfahren, weil dies seinem Charakter als einstweiliges und eiliges Rechtsschutzverfahren zuwiderliefe. Unter Berücksichtigung der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung und des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II ist nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deshalb eine Folgenabwägung vorzunehmen.

4.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 19 AS 219/10 B ER 28.04.2010 rechtskräftig, Beschluss

ALG II – Empfänger sind gemäß § 60 SGB I obliegenden Mitwirkungspflichten gehalten, die vom Leistungsträger begehrten Unterlagen zu ihrem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit vorzulegen, denn die Mitwirkungsobliegenheiten des SGB I gelten auch im Rahmen des SGB II (vgl. BSG Urt. v. 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R; BSG Urt. v. 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R- ).

www.sozialgerichtsbarkeit.de


5.   Landessozialgericht Baden-Württemberg L 7 AS 5458/09, Urteil vom 22.04.2010, Revision zugelassen

Zahlungen eines Elternteils aufgrund eines Unterhaltstitels zugunsten eines minderjährigen Kindes sind auch dann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II vom Einkommen abzusetzen, wenn der Elternteil durch die Zahlung selbst hilfebedürftig wird, weil ihm der aufgrund dieses Titels geleistete Betrag nicht mehr als bereites Mittel im Sinne des Sozialhilferechts zur Verfügung steht.

§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II über die Absetzung von Aufwendungen zur Erfüllung titulierter gesetzlicher Unterhaltspflichten vom Einkommen kann nicht dahingehend einschränkend ausgelegt werden, dass nur gepfändete oder aussichtsreich pfändbare Unterhaltstitel zu berücksichtigen sind

Von einer Absetzung der Unterhaltszahlungen vom Einkommen kann in diesem Fall auch nicht allein unter dem Gesichtspunkt unterlassener Selbsthilfe (§ 2 SGB II) mit der Begründung abgesehen werden, der Leistungsempfänger habe nicht auf eine Abänderung seines Unterhaltstitels hingewirkt. § 2 SGB II enthält insoweit keine durchsetzbaren Rechtspflichten, sondern Obliegenheiten, deren Verletzung lediglich leistungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, die speziell und abschließend in §§ 31, 32 SGB II geregelt sind.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die höchstrichterlich bislang nicht geklärte Frage der Absetzung von Zahlungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II aufgrund von Unterhaltstiteln zugunsten minderjähriger Kinder bei Hilfebedürftigkeit des Unterhaltsverpflichteten gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung: Es besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, wenn sich wegen der Zahlung auf einen Unterhaltstitel kein anzurechnendes Einkommen mehr ergibt. Dies gilt so lange, wie der Anspruch tituliert ist und sich die Zahlung im titulierten Rahmen bewegt (Sächsisches Landessozialgericht L 7 AS 146/09 B ER, Beschluss vom 12.05.2009).

6.   SG Karlsruhe Urteil vom 27.4.2010, S 4 SO 3120/08

Zum verwertbaren Vermögen i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB XII gehören grundsätzlich auch kleine land- und forstwirtschaftliche Grundstücksflächen. Diese sind verwertbar, wenn in absehbarer Zeit ein vertretbarer Preis erzielt werden kann. vom Verkehrswert ist ein 10%iger Verwertungsabschlag in Abzug zu bringen, etwa für eine katasterbezogene Neuausmessung sowie für notarielle und grundbuchrechtliche Kosten, die bei einer Veräußerung unweigerlich anfallen.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

6.1 – Sozialgericht Karlsruhe S 4 SO 1393/10 ER 28.04.2010, Beschluss

Wer Anspruch auf Wohngeld hat, das der Höhe nach seinen sozialhilferechtlichen Bedarf für Unterkunftskosten deckt, erhält insoweit keine Sozialfhilfe.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

6.2 – Sozialgericht Karlsruhe S 16 AS 1798/09 29.03.2010, Urteil

Das Konzept eines Grundsicherungsträger zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten, das nicht nach Wohnungsgrößen differenziert und sich auf nicht auf das maßgebliche Vergleichsgebiet beschränkte Daten in räumlich nicht zusammenhängenden Teilwohnungsmärkten stützt, ist nicht schlüssig i.S.d. Rspr. d. BSG.

Zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen Mietwohnungsmarktes und zur Ermittlung einer Mietobergrenze für Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und 558d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abstellen. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss allerdings auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben (Bundessozialgericht, Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R Rdnr. 16 m.w.N. ). Entscheidend ist insoweit, dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein angemessenes Maß hinreichend nachvollziehbar ist. Bei der Erstellung eines solchen Konzepts ist zu beachten, dass es dem Hilfebedürftigen angesichts der danach ermittelten Referenzmiete möglich sein muss, im konkreten Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten. Hierzu ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung der erforderlichen Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichszeitraum erforderlich. Schlüssig ist das vom Grundsicherungsträger gewählte Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt (Bundessozialgericht, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R, Rdnr. 19; Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R, Rdnr. 23; Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 26 ):

– Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung).

– Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen – Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße.

– Das Konzept muss Angaben über den Beobachtungszeitraum enthalten.

– Es bedarf einer Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel).

– Der Umfang der einbezogenen Daten muss repräsentativ sein.

– Die Validität der Datenerhebung muss sichergestellt sein.

– Die anerkannten mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung sind einzu-halten.

– Das Konzept muss Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert und Kap-ungsgrenze) enthalten.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

7.   Sozialgericht Cottbus S 14 AS 178/09 09.12.2009

Keinen Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfes nach § 21 Absatz 3 SGB II bei einer Bedarfsgemeinschaft.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

8. Relevante Themen aus dem SGB II bzw. SGB XII – Revisionen anhängig beim BSG

Zur Nichtberücksichtigung von Stromkosten für die Heizungspumpe, Außenbeleuchtung und Gartenpflege als Kosten der Unterkunft bei einem zum Schonvermögen selbst genutztem Hausgrundstück.

LSG NSB L 7 AS 354/06, Beschluss vom 27.04.2009, Revision anhängig beim BSG – B 14 AS 51/10 R-

Eine fehlende Anhörung ist wirksam nachgeholt und geheilt, wenn in der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens den Beteiligten ausdrücklich Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern und der Hilfebedürftige sich im Übrigen zu den relevanten Umständen im Klageverfahren geäußert hat ( so auch ausdrücklich Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 20. August 2007 – L 20 AS 99/06 -).

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 11 AS 8/08 17.03.2009,Urteil,, Revision anhängig beim BSG -B 4 AS 37/09 R –

9.   Anmerkung zu: BSG 4. Senat, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R

Autor: Imme Müller, Oberregierungsrätin im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

Erscheinungsdatum: 06.05.2010

Fundstelle: jurisPR-SozR 9/2010 Anm. 1

Zitat:
1. Ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger hat gegenüber dem Grundsicherungsträger keinen Rechtsanspruch auf Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung oder auf Verhandlungen hierüber.

2. Ein Hilfesuchender hat gemäß § 14 Satz 2 SGB II keinen Anspruch darauf, ihm einen unbefangenen und qualifizierten persönlichen Ansprechpartner zu benennen. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, 1. Senat 3. Kammer vom 26.04.2010 – 1 BvR 1028/10).

www.juris.de


10.   Erste Empfehlungen zur Verbesserung der Erwerbsintegration von Menschen mit Migrationshintergrund

Vorbemerkung

Deutschland ist seit vielen Jahren ein Einwanderungsland und wird auch in Zukunft Zuwanderung erfahren. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland liegt derzeit bei knapp 20 %. Dabei ist dieser Teil der Gesellschaft ebenso vielfältig wie seine Erwerbsverhältnisse heterogen sind. Dennoch sind Menschen mit Migrationshintergrund seit Jahrzehnten überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und unterdurchschnittlich in Führungspositionen, dem öffentlichen Dienst sowie Berufen mit guten Karrierechancen und/oder hohem Lohnniveau anzutreffen. Dies hat komplexe Ursachen, aber vor allem weitreichende Folgen für die Betroffenen wie auch für die Gesellschaft insgesamt.

www.deutscher-verein.de (pdf)

11.   Anrechnung von Vermögen auf das Alg II u.a. wichtige Broschüren

Vermögensschutz und Anrechnung von Vermögen auf das ALGII und das Sozialgeld unter Berücksichtigung der Neuregelungen zum 16.04.2010

Gisela Tripp, Leiterin des ALZ und Jonny Bruhn-Tripp, Mitarbeiter im Fachbereich Erwachsenenbildung und Familienbildung im Evang. Bildungswerk Dortmund haben diese Broschüre auf aktuellem Gesetzesstand erarbeitet.
Arbeitslosengeld II und Sozialgeld erhalten Menschen nur bei bestehender Hilfebedürftigkeit, Bei der Prüfung der Bedürftigkeit wird auch Vermögen berücksichtigt. Die Broschüre gibt Antworten auf die Fragen:

– was versteht man unter Vermögen
– wessen Vermögen wird herangezogen
– welche Vermögensfreibeträge gibt es
– welche Vermögenswerte sind privilegiert.

www.alz-dortmund.de

12.   Sechs Jahre Ringen um das Existenzminimum – und kein Ende.
Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010

Autor: Helga Spindler

Quelle: Nomos Info also – Heft 2/2010


www.info-also.nomos.de

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de