BSG, Urteil vom 19.08.2010,- B 14 AS 13/10 R –
Hygienemehrbedarf bei Aids-Erkrankung war bis 2010 nach § 73 SGB XII als atypischer Bedarf anzuerkennen.
Für fortlaufende bzw. wiederkehrende Bedarfe scheidet eine Darlehensgewährung § 23 Abs 1 SGB II aus (BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 44/08 R – RdNr 27). Bei regelmäßig monatlich anfallenden Kosten in Höhe von 20,45 Euro (also weniger wie 10 % der maßgeblichen Regelleistung) scheitert ein Klagebegehren nicht bereits an einer in § 73 SGB XII unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen Bagatellgrenze.
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 09.06.2010, – L 34 AS 2009/09 NZB – , wonach der Aufwand für Hygieneartikel in Höhe von 20,45 Euro monatlich einen nach Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG atypischen unabweisbaren Bedarf darstellt.
++ Anmerkung: Vgl. dazu Fragen und Antworten zu Hartz IV von Nomos, erarbeitet von RA Ludwig Zimmermann, bezüglich der Frage, wann ein laufender oder einmaliger Bedarf vorliegt.
Zitat: Hinweis: Die Frage, wann ein laufender oder einmaliger Bedarf vorliegt, ist noch nicht abschließend geklärt. Das BSG ist in der genannten Entscheidung zum Wachstumsbedarf für Kinder von einem laufenden Bedarf ausgegangen und hat nicht danach unterschieden, ob der Bedarf einmal oder mehrmals im Bewilligungszeitraum anfällt (anders SG Gießen Beschluss vom 19.08.2010 – S 29 AS 981/10). Ein erheblich über dem durchschnittlichen Bedarf liegender Mehrbedarf liegt m.E. immer dann vor, wenn er die maßgebliche Regelleistung um 12% übersteigt, denn dies entspricht dem Mehrbedarf für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 Nr.2 SGB II).
Die Rückzahlung eines Darlehens zur Deckung eines einmaligen Bedarfes wird bis zu 10% der Regelleistung als noch zumutbar angesehen (§ 23 Abs.1 S.3 SGB II). Hinsichtlich der Beurteilung, ob der atypische Bedarf erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweicht, ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die bisherige Ermittlung der Regelleistungen verfassungswidrig ist und jede weitere Belastung den aus Art. 1, 20 GG hergeleiteten Anspruch auf Existenzsicherung berühren kann. Daher kann auch eine Belastung von deutlich unter 10% als erheblich angesehen werden (vgl. LSG Berlin–Brb. Beschluss vom 09.06.2010 – L 34 AS 2009/09 NZB = Hygienebedarf für 20,45 Euro monatlich).
2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 03.09.2010, – L 18 AS 1326/09 –
Fehlt es an einer nach § 45 Abs. 1 SGB X erforderlichen Ermessensentscheidung, ist die Auswechslung der Rechtsgrundlagen der §§ 45 und 48 SGB X nicht möglich.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB III ist lediglich in den – hier nicht gegebenen – Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X eine gebundene Entscheidung statthaft.
2.2 – Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 15.07.2010,- L 3 AS 380/09 –
Keine Gewährung von Mobilitätshilfen, denn Leistungen des Arbeitsförderungsrechts decken nicht die Kosten für eine Einsatzwechseltätigkeit ab.
Aus dieser Systematik ergibt sich, dass diese Beihilfen keinesfalls die Kosten für eine Einsatzwechseltätigkeit, das heißt für eine Tätigkeit mit typischerweise ständig wechselnden Tätigkeitsstätten, abdecken sollten. Die im Zusammenhang mit einer Einsatzwechseltätigkeit anfallenden Zusatzkosten für den Arbeitnehmer muss grundsätzlich der Arbeitgeber nach § 670 BGB, der auch auf Dienst- und Arbeitsverhältnisse anwendbar ist (vgl. Weidenkaff, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch [69. Aufl., 2010], § 611 Rdnr. 125, m. w. N.), tragen. Soweit im Einzelfall eine solche Übernahme (durch einzelvertragliche Regelung oder durch Tarifvertrag) nicht oder nur teilweise erfolgt, kann dies nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft im Anwendungsbereich des SGB III oder der Steuerzahler im Anwendungsbereich des SGB II gehen. Solche Kosten stehen nicht im Zusammenhang mit der Aufnahme einer neuen Beschäftigung, sondern resultieren aus den Besonderheiten der Einsatzwechseltätigkeit.
2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 24.09.2010,- L 19 AS 1405/10 B ER –
Zuschusszahlung zur privaten Krankenversicherung kann bei bestehender Versorgung nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht werden.
Für eine Einzelperson sind in Aachen bis zu 50 Quadratmeter angemessen.
Denn bei der Frage der Angemessenheit einer Wohnung für Empfänger existenzsichernder Leistungen sind die Regelungen zur Belegung von Sozialwohnungen, mithin die in den WNB geregelten m²-Richtwerte für den Wohnungsberechtigungsschein, sachnäher als die Vorschriften zum Bau von Sozialwohnungen.
In Aachen sind für einen Haushalt mit zwei haushaltsangehörigen Personen zwei Wohnräume oder 65 qm Wohnfläche angemessen.
2.5 – Sozialgericht Neubrandenburg Urteil vom 27.09.2010, – S 11 AS 960/07 –
Keine Anrechnung eines Guthabens aus Betriebskostenabrechnung bei Verrechnung durch Vermieter mit eigener Forderung, denn maßgeblich ist, dass die Betriebskostenerstattung dem Hilfebedürftigen tatsächlich zur Verfügung steht.
Quelle : Juris
++ Anmerkung: Vgl. dazu Sozialgericht Bremen Beschluss vom 01.12.2009,- S 23 AS 2179/09 ER, -; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 02/2010.
22 Abs. 1 Satz 4 SGB II findet nur dann Anwendung, wenn dem Hilfebedürftigen eine Rückzahlung oder ein Guthaben zufließt, über das er tatsächlich verfügen kann (Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn. 18 zur Zuflusstheorie, SG Oldenburg Beschluss vom 30.12.2009, – S 45 AS 2450/09 ER-; unveröffentlicht).
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 20.01.2010, – L 3 AS 3759/09 – ; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 07 KW / 2010.
Auch wenn die Kosten für Unterkunft und Heizung – teilweise – durch Darlehen Dritter finanziert worden sind stellen während des Leistungsbezugs erfolgte Nebenkostenerstattungen- auch wenn diese für eine Zeit außerhalb des Leistungsbezugs erfolgen – anrechenbares Einkommen nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II dar.
Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist hier anwendbar, obwohl der HB die Rückzahlungsbeträge nicht selbst erhalten, sondern auf seine Veranlassung hin diese Beträge vom Vermieter direkt an seine Mutter überwiesen wurden.
2.6 – Sozialgericht Trier Beschluss vom 21.07.2010, – S 1 AS 256/10 ER –
Die Gewährung eines Darlehens zur Aufhebung einer Stromsperre ist nicht gerechtfertigt, wenn der Leistungsempfänger einen deutlich überhöhten Stromverbrauch nicht erklären kann und aufgrund hoher Abschlagszahlungen des Stromversorgers mit einer baldigen neuen Stromsperre zu rechnen ist.
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 09.06.2010, – L 13 AS 147/10 B ER – ; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 27/2010 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen.
Keine Übernahme von Energiekostenrückständen bei missbräuchlichen Verhalten des Hilfebedürftigen .
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 21.07.2009, – L 34 AS 1090/09 B ER – ; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 32 KW / 2009.
Keine Übernahme von Stromschulden , wenn der Hilfebedürftige darauf vertraut hatte , dass der Träger der Grundsicherung die monatlichen Abschlagszahlungen an den Stromversorger übernimmt.
2.7 – Sozialgericht Kassel Gerichtsbescheid vom 27.09.2010,- S 6 AS 539/09 –
Bestandteil eines schlüssigen Konzeptes ist die Festlegung des maßgeblichen Wohnungsmarktes und damit des räumlichen Vergleichsmaßstabs. Hierbei muss der Sozialleistungsträger das Recht der Hilfebedürftigen auf Verbleib in ihrem sozialen Umfeld berücksichtigen, weshalb grundsätzlich vom Wohnort der Hilfebedürftigen auszugehen ist. Auf der anderen Seite muss der Sozialleistungsträger bei der Bestimmung des räumlichen Vergleichsmaßstabs aber zur repräsentativen Bestimmung des Mietpreisniveaus ausreichend große Räume festlegen, die auf Grund ihrer Begebenheiten insgesamt als homogener Lebens- und Wohnbereich anzusehen ist (BSG, Urteil v. 18.02.2010, B 14 AS 73/08 R).
Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Erforderlich ist danach die Feststellung einer Erkrankung, die Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung und schließlich die Ursächlichkeit der Krankheit für den Mehraufwand.
Bei den ernährungsrelevanten Befunden Diabetes und Pankreatitis wird weder von den anerkannten Sachverständigengremien noch von der Rechtsprechung ein ernährungsbedingter Mehrbedarf bejaht.
++ Anmerkung: Berufung zugelassen , weil die Frage der wechselseitigen Beeinflussung bzw. Kumulation ernährungsrelevanter Krankheiten grundsätzliche Bedeutung hat und bisher noch nicht abschließend obergerichtlich geklärt wurde (vgl. Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 56). Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Auswirkungen bei Verdacht auf begleitenden Alkoholmissbrauch. Unter dem Aktenzeichen B 4 AS 100/10 R ist derzeit ein Verfahren beim Bundessozialgericht anhängig, dass sich mit der Frage befasst, ob ein Hilfebedürftiger, der einen erhöhten Kalorienbedarf geltend macht, der weder durch den vorliegenden Diabetes Mellitus, noch durch sonstige krankheitsbedingte Gründe verursacht ist, einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung haben kann.
3. Entscheidungen zur Sozialhilfe ( SGB XII)
Sozialgericht Aachen Urteil vom 28.09.2010,- S 20 SO 40/10 –
Taschengeldzahlungen von der Mutter sind Einkommen, die auf den Sozialhilfeanspruch anzurechnen sind (vgl. §§ 43 Abs. 1, 19 Abs.2, 82 ff. SGB XII).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Begünstigter war zwar der HB, jedoch muss sich dieser ein Verschulden seines Betreuers zurechnen lassen (vgl. dazu ausführlich: SG Aachen, Urteil vom 18.09.2007 – S 20 SO 10/07).
4. DRB: Stellungnahme zur Regelbedarfsermittlung und zur Änderung des SGB II und XII