BSG, Urteil vom 06.05.2010, – B 14 AS 3/09 R –
Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II (Merkzeichen G) muss nicht extra beantragt werden.
Wie das BSG zuletzt entschieden hat (Urteil vom 23.3.2010 – B 14 AS 6/09 R) ist der Antrag im SGB II jeweils so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (Grundsatz der Meistbegünstigung, vgl. Urteil des Senats vom 2.7.2009 – B 14 AS 75/08 R und Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R – BSGE 97, 217, 230 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 11). Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen. Das sind bei einem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig alle im ersten und zweiten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels SGB II genannten Leistungen. Mit dem Antrag wird mithin ein Hilfebedarf geltend gemacht, der alle Leistungen umfasst, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Alg II dienen. Auch bei dem Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II handelt es sich um eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diese Leistung muss von daher nicht gesondert beantragt werden. Ein solches Erfordernis lässt sich jedenfalls § 37 SGB II nicht entnehmen.
2. Entscheidungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 13.09.2010, – L 6 AS 110/10 B ER –
Bei existenzgefährdender Bedarfsunterdeckung ist der Grundsicherungsträger zur Übernahme der Kosten für privat Krankenversicherte verpflichtet.
Muss der Hilfebedürftige monatlich aus seinem Regelsatz 145,75 EUR für seinen Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsschutz zu zahlen, ist die verfassungsrechtliche Untergrenze des sozialrechtlich zu sichernden Existenzminimums eines in der Bundesrepublik Deutschland lebenden alleinstehenden Erwachsenen unterschritten und damit das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nicht mehr gewährleistet (im Ergebnis ebenso: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3. Dezember 2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -; Sozialgericht (SG) Stuttgart, Beschluss vom 13. August 2009 – S 9 AS 5003/09 ER -, jeweils mit Beträgen deutlich unterhalb des Regelsatzes; zu den verfassungsrechtlichen Untergrenzen des sozialrechtlich zu sichernden Existenzminimums BSG, Urteil vom 22. April 2009 – B 1 KR 10/07 R -, mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
++ Anmerkung: Vgl. dazu Zur Deckungslücke bei der Übernahme von Krankenversicherungskosten bei privat Versicherten, ein Beitrag von Bernd Eckhardt vom ALZ Nürnberg.
2.2 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 20.09.2010, – L 6 AS 128/10 B ER –
Vom Hilfebedürftigen behauptete Verbindlichkeiten mindern das vorhandene Vermögen nicht.
Denn im Hinblick darauf, dass es sich bei Alg II um eine aus Steuermitteln finanzierte Fürsorgeleistung handelt, kann nicht allein das Bestehen von – möglicherweise erst weit in der Zukunft fälligen – Verbindlichkeiten den Einsatz des aktuell vorhandenen Vermögens für den eigenen Unterhalt ausschließen.
++ Anmerkung: Dass bestehende Verbindlichkeiten (und deren Begleichung) bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit damit grundsätzlich außer Acht gelassen werden müssen, entspricht dabei dem SGB II zugrundeliegenden Grundsatz, dass staatliche Fürsorge lediglich subsidiär ist und erst dann eingreifen soll, wenn der Hilfebedürftige ihm zur Verfügung stehende Mittel (zur Deckung seines Lebensunterhalts) verbraucht hat. Dies gilt auch dann, wenn der Leistungsempfänger ihm zufließende Einkünfte entgegen dem Gebot, vor der Befriedigung seiner Gläubiger zunächst seinen eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen, zur Tilgung von Schulden einsetzt (BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R Rn 19; Urteil vom 15.04.2008, B 14 AS 27/07 R Rn 44).
2.3 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 16.08.2010, – L 16 AS 449/10 B ER –
Während des Bezugs von Arbeitslosengeld II besteht keine Notlage, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die Übernahme der vollständigen Beiträge zur privaten Krankenversicherung rechtfertigen würde (BayLSG, Beschluss vom 29.01.2010 Az. L 16 AS 27/10 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 10.02.2010 Az. L 7 AS 28/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.03.2010 Az. L 13 AS 919/10 ER-B; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.04.2010 Az. L 2 AS 16/10 B ER).
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 24.09.2010, – L 19 AS 1405/10 B ER; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 41/2010.
Kein Bedürfnis für die vorläufige Verpflichtung der SGB II-Leistungsträger zur Gewährung eines Beitragszuschusses in Höhe des vom Leistungsbezieher geschuldeten Versicherungsbeitrags (Beschl. des Senats v. 23.03.2010 – L 19 AS 235/10 B ER -; LSG NW Beschl. v. 10.02.2010 – L 7 AS 28/10 B ER -; LSG NRW Beschl. v. 16.10.2009 – L 20 B 56/09 SO ER -; ebenso Bayrisches LSG Beschl. v. 29.01.2010 – L 16 AS 27/10 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt Beschl. v. 14.04.2010 – L 2 AS 16/10 B ER -; LSG Baden-Württemberg Beschl. v. 22.03.2010 – L 13 AS 919/10 -; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. 23.03.2010 – L 25 AS 43/10 B ER -; a.A. SG Mainz Beschl. v. 20.07.2010 – S 10 AS 920/10 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 18.01.2010 – L 34 AS 2001/09 B ER -; Hessisches LSG Beschl. v. 15.12.2009 – L 6 AS 368/09 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER).
2.4 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 04.08.2010, – L 8 AS 356/10 B ER –
Die Verpflichtung zur Mietschuldenübernahme im einstweiligen Rechtsschutz ist dann nicht angezeigt, wenn das Mietverhältnis noch nicht gekündigt wurde (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.09.2007, L 32 B 1558/07).
2.5 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 04.08.2010, – L 8 AS 466/10 B ER –
Mit der Vorsprache im Eingangsbereich des Dienstgebäudes der Arge erfüllte der Hilfebedürftige seine Meldepflicht nicht (Vgl. auch Beschluss des BayLSG vom 26.04.2010, L 7 AS 212/10 B ER).
2.6 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 11.08.2010,- L 11 AS 349/10 B ER –
Allein die Tatsache, dass der Antragsteller Schulden bei seiner Großmutter tilgen muss, rechtfertigt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht, auch nicht der substantiierte Vortrag, der Antragsteller könne ansonsten seinen Umzug nicht finanzieren.
Denn nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers trägt dessen Mutter die Mietkosten der neuen Wohnung, sodass dem Antragsteller auch insoweit kein Nachteil droht.
Die Berücksichtigung fiktiven Einkommens ist im Regelfall ausgeschlossen, eine Ausnahme gelte aber bei tatsächlich bestehenden, zumutbaren und kurzfristig realisierbaren, aber ungenutzten Selbsthilfemöglichkeiten.
Auf eine solche bestehende Möglichkeit habe die HB durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags und die unentgeltliche Überlassung der bisher vermieteten Räume an Dritte verzichtet. Eine vertragliche Vereinbarung, die aber einzig und allein den Zweck hat, dass der Vertragspartner zwangsläufig der Sozialhilfe anheimfallen muss, ist gemäß § 138 BGB nichtig (so für den Fall der Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts unter Ehegatten: Bundesgerichtshof – BGH -, Urteil vom 17.9.1986, BGHZ 86, 82, 86 – NJW 1987, 1546, 1548).
2.8 – Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 19.05.2010, – L 9 AS 69/09, Bundessozialgericht B 14 AS 82/10 B vom 19.08.2010
Aufrechnung in Höhe von 20,00 Euro monatlich für ein vom Leistungsträger gewährtes Stromdarlehen nach § 22 Abs. 5 SGB II ist zulässig
Prozesskostenhilfe für die Fahrkosten des HB aufgrund seines Umgangsrechts mit seinen 3 kleinen Kindern.
Es bestand eine atypische Bedarfslage, die einen unabweisbaren Bedarf bedingte. Sie wird entscheidend durch die besondere Schwierigkeit geprägt, den Umgang der Kinder auch mit dem nicht an deren Wohnort lebenden Elternteil aufrecht zu erhalten, dessen Wohnort weit entfernt liegt. Es ist unerheblich, wem die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts unterhaltsrechtlich zuzuordnen sind (vgl. bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R, juris; dazu noch BGH, Urteil vom 09.11.1994 – XII ZR 206/93 -, NJW 1995, 717; vgl auch Berlit in LPK-SGB XII, 7. Aufl 2005, § 73 RdNr 6).
2.10 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 04.10.2010 , – L 19 AS 942/10 B –
Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn fraglich ist zunächst schon, ob der Aufenthalt eines EU-Angehörigen zwecks Arbeitssuche nach Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit – sei es bei durchgehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder nach einer Wiedereinreise – überhaupt unter die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fällt (ablehnend für den Fall einer vorherigen Beschäftigung Bayrisches LSG Beschl. v. 12.03.2008 – L 7 B 1104/07 AS; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 08.06.2009 – L 10 AS 617/09 B ER – u. Beschl. v. 14.11.2006 – L 14 B 963/06 AS ER).
Ferner erscheint es zweifelhaft, ob es sich bei der Grundsicherungsleistung nach dem SGB II, die eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2 a VO (EWG) 1408/71 ist (Beschl. des Senats v. 30.03.2007 – L 19 B 102/06 AS; Fuchs NZS 2007, 1, 4), um Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handelt (kritisch Strick NJW 2005, 2282, 2184 f.; bejahend wohl Hailbronner ZFSH/SGB 2009, 195, 201; offengelassen vom erkennenden Senat Beschl. v. 16.04.2007 – L 19 B 13/07 AS ER -). Diese Frage ist zwar von den nationalen Gerichten zu beantworten, der EuGH hat aber darauf hingewiesen, dass "eine Voraussetzung wie die in § 7 Abs. 1 SGB II enthaltene, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein muss, ein Hinweise darauf sein könnte, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll" (Urt. v. 04.06.2009 – C-22 u. 23/08 Rn 44).
Besteht demzufolge eine bisher ungeklärte Rechtslage, die auch nach der Rechtsprechung des LSG NW (Beschl. v. 17.02.2010 – L 19 B 392/09 AS ER- u. v. 25.03.2010 – L 7 AS 327/10 B ER u. L 7 B 172/09 AS ER) zu einer vorläufigen Zuerkennung von Leistungen an EU-Angehörige sowohl der alten wie der neuen Beitrittsländer geführt hat, sind die Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung als hinreichend anzusehen.
2.11 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 27.09.2010, – L 6 AS 1210/10 B –
Ein Notanwalt ist gemäß § 121 Abs. 5 Zivilprozessordnung (ZPO) erst dann beizuordnen, wenn ein Antragsteller substantiiert glaubhaft gemacht hat, dass er zumindest eine gewisse Zahl zur Vertretung befugter Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht habe.
2.12 – Sächsisches Landessozialgericht Beschlüsse vom 06.09.2010,- L 7 AS 204/10 B PKH – und – L 7 AS 777/09 B ER –
Eine darlehensweise Leistungsgewährung gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB II kommt im Regelfall erst in Betracht, wenn der Vermögensinhaber erste Schritte zur Verwertung seines Vermögens unternommen hat (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.05.2009 – L 5 AS 56/09 B ER -). Ist eine Vermögensverwertung nicht beabsichtigt, besteht für die Anwendung der Überbrückungsregelung gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB II kein Raum (LSG Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 20.08.2009, – L 7 AS 852/09 B ER -).
Dies ist Ausfluss des in § 2 SGB II verankerten Nachrangprinzips, das die Hilfebedürftigen verpflichtet, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen.
2.13 – Sozialgericht Wiesbaden, Beschluss vom 11.10.2010, – S 23 AS 766/10 ER –
Die Kosten, die einem Drogenabhängigen für die Fahrten zu einer Substitutionstherapie entstehen, muss die ARGE vorläufig – bis zur endgültigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens nach § 21 Abs. 6 SGB II übernehmen.
Das Vorhandensein von geringfügigem Einkommen kann den Leistungsträger nicht davon entbinden, mit der Sanktionsentscheidung nach Maßgabe von § 31 Abs 3 S 6 SGB 2 zugleich auch über die Erbringung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen für den Sanktionszeitraum zu entscheiden.
Zwar wird dem Leistungsträger mit § 31 Abs 3 S 6 SGB 2 hierfür ein Ermessensspielraum eingeräumt; dieser verdichtet sich jedoch im Lichte der Grundrechte des Hilfebedürftigen aus Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 2 S 1 GG in den Fällen, in denen durch die Absenkung der Leistungen das physische Existenzminimum nicht mehr gesichert ist. Der Grundrechtschutz wird auch nicht dadurch gewahrt, wenn der Leistungsträger einen Hilfebedürftigen im Absenkungsbescheid darauf hinweist, selbst einen Antrag auf Gewährung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen zu stellen.
++ Anmerkung: Anderer Auffassung Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.08.201,- L 6 AS 999/10 B ER; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 35/2010 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Ein Sanktionsbescheid ist nicht rechtswidrig, wenn dort keine abschließende Regelung über die Bewilligung von ergänzenden Leistungen oder geldwerten Leistungen getroffen wird.
Denn der Hinweis auf eine mögliche Beantragung der Leistungen trage dem Gesetzeszweck des § 31 Abs. 3 S. 6 i.V.m. Abs. 6 S. 6 SGB II ausreichend Genüge. Durch die Regelung solle sichergestellt werden, dass für den Hilfebedürftigen auch im Rahmen einer Sanktionierung die Grundversorgung gewährleistet bleibe. Da es sich um eine Ermessensentscheidung handele, bei welcher die individuellen Bedürfnisse sowie der Wille des Hilfebedürftigen zu berücksichtigen seien, komme eine ergänzende Bewilligung von Sachleistungen ohne Mitwirkung des Betroffenen nicht in Betracht (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 10.12.2009, L 9 B 51/09 AS ER).
3. Entscheidungen zur Sozialhilfe (SGB XII)
3.1 Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 29.06.2010,- L 8 SO 205/09 –
Beim Bezug einer Altersrente kann gemäß § 82 Abs. 3 SGB XII bei der Grundsicherung im Alter – nicht – ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Einkommens aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit des Leistungsberechtigten abgezogen werden.
Denn welche Einkünfte zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit gehören, bestimmt sich gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII (SGB-XII-EinkBV), nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG). § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG führt folgende Einkünfte als solche aus nichtselbstständiger Arbeit auf: Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst. Die Regelaltersrente des HB gehört nicht zu diesen Einkunftsarten, weil sie nicht auf einer aktuell ausgeübten Beschäftigung des HB beruht, sondern auf einer in der Vergangenheit liegenden Beschäftigung. Solche früheren Beschäftigungen werden aber nicht von § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst, wie sich aus dem Vergleich mit § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG ergibt, der u.a. Ruhegelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen nennt (Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen, auch soweit sie von Arbeitgebern Ausgleichspflichtiger Personen an ausgleichsberechtigte Personen infolge einer nach § 10 oder § 14 des Versorgungsausgleichsgesetzes durchgeführten Teilung geleistet werden).
info also 5/2010
5. Fragen und Antworten zur Grundsicherung nach dem SGB II
Ist die Rücknahme und Aufhebung von Leistungen nach SGB-II gegen minderjährigen Hilfebedürftigen wegen falscher Angaben der Mutter rechtswidrig?
Nein, denn die Rücknahme und Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch gegen einen minderjährigen 15 – jährigen Hilfebedürftigen wegen falscher Angaben seiner Mutter als Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft in Bezug auf das Verschweigen ihrer Witwenrente bei Antragstellung ALG II ist statthaft(Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 01.07.2010- L 11 AS 162/09, Revision zugelassen beim BSG unter AZ.:B 14 AS 144/10 R).
Eine Zurechnung des Vertreterhandelns kommt in Betracht, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Bevollmächtigung bejaht werden kann. Die Mutter konnte als nach § 1626 BGB Sorgeberechtigte den minderjährigen Sohn nach §§ 1629 i.V.m. 164ff BGB wirksam vertreten. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Sohn bereits zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hatte und danach nach § 36 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) selbst handlungsfähig war. Die Befugnis zu einer eigenen Antragstellung des Minderjährigen nach § 36 Abs. 1 S.1 SGB I ist zwar vorrangig gegenüber den daneben bestehenden Rechten des gesetzlichen Vertreters, verdrängt diese jedoch nicht.
Das Verschulden der Mutter ist dem Sohn auch zuzurechnen, denn der er durch die Mutter vertretene Sohn muss die Folgen wissentlich unwahrer Angaben oder das Verschweigen wesentlicher Umstände durch seine gesetzliche Vertreterin gegen sich gelten lassen (vgl. Waschull in Fichte/Plagemann/ Waschull, Sozialverwaltungsverfahren, Rdnr. 156; Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, § 45 Rdnr. 40, 43,44; Radüge in jurisPK – SGB II, § 38 Rdnr. 16;). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – nur in der Person der vertretenden Mutter die Voraussetzungen für zumindest grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemachte Angaben vorliegen (vgl. BSGE 28, 258ff; Schütze in von Wulffen SGB X, 6. Aufl. § 45 Rdnr. 51). Soweit das Sozialgesetzbuch schon von einer eigenen Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen ausgeht, ist es ihm dann auch möglich und zumutbar, die Angaben der ihn vertretenden Mutter zu überprüfen.
Nach § 50 SGB X hat der hilfebedürftige Sohn die erbrachten Leistungen zu erstatten,§ 1629 a BGB findet keine (entsprechende) Anwendung. Nach § 1629 a Abs. 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. § 1629 a Abs. 1 BGB kann bei der Frage der Erstattung aber auch nicht in Form einer Ermessensentscheidung berücksichtigt werden, denn es handelt sich bei § 50 SGB X um eine gebundene Entscheidung. Darüber hinaus wäre eine Haftungsbeschränkung im vorliegenden Fall wegen § 1629 a Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Danach findet § 1629 a Abs. 1 BGB keine Anwendung für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften, die allein der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienten. Die vom Sohn bezogenen Leistungen sicherten aber das persönliche Existenzminimum und kamen damit diesem unmittelbar zu Gute (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 13/5624 S. 13), eine Haftungsbeschränkung wäre somit ausgeschlossen.
++ Anmerkung: Siehe dazu auch Beitrag von RA Ludwig Zimmermann, Autor des Buches Das Hartz IV- Mandat
Müssen minderjährige Hilfebedürftige, die durch Verschulden ihrer Eltern unrechtmäßig Leistungen nach dem SGB II erhalten haben, damit rechnen auch nach Eintritt ihrer Volljährigkeit Rückforderungsansprüchen der Leistungsträger ausgesetzt zu sein?
Ja, aber der vormals Minderjährige kann gegenüber dem Leistungsträger die Einrede der Haftung auf den Bestand seines Vermögens zum Zeitpunkt der Volljährigkeit erheben (§§ 1629a Abs.1 BGB).
Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§§ 20, 22, 28 SGB II) ist ebenso wie der Anspruch auf Rückforderung von Leistungen (§ 50 SGB X) ein individueller Anspruch, der gegenüber jedem einzelnen Hilfebedürftigen einer Bedarfsgemeinschaft besteht.
Die Leistungsträger müssen, da die Leistungsbescheide konstitutiv sind, diese Bescheide nach den Regelungen in den §§ 45, 48 ff. SGB X aufheben und mittels eines Aufhebungs- (§§ 45, 48 SGB X) und Erstattungsbescheides (§ 50 Abs. 3 S.1 SGB X) zurückfordern.
Der Erstattungsbescheid, der regelmäßig mit dem Aufhebungsbescheid verbunden wird, ist ein Bescheid, der zur Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird (§ 52 Abs.1 SGB X). Ein bestandskräftiger (unanfechtbarer) Erstattungsbescheid verjährt in 30 Jahren (§ 52 Abs. 2 SGB X), so dass der Erstattungsanspruch gegen den vormals Minderjährigen, jedenfalls wenn er volljährig wird, noch nicht verjährt ist.
Hinweis: Selbstverständlich kann der vormals minderjährige Hilfebedürftige auch Schadenersatzansprüche (§ 1664 Abs. 1 BGB) gegenüber seinen Eltern geltend machen (OLG Brandenburg Urteil vom 29.03.2007 – 12 U 185/06), und die Leistungsträger könnten sich diese Ansprüche pfänden- und überweisen lassen.
Zur Rückforderung von Leistungen allgemein vergleiche: Zimmermann, Das Hartz-IV-Mandat, Baden-Baden 2010, § 6 Rn. 8 ff..