Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 44/2010

1.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 07.09.2010 – L 5 AS 925/10 B ER

Hat der Rentenversicherungsträger die volle Erwerbsminderung des Antragstellers rückwirkend festgestellt, ist jedoch die Feststellung der Erwerbsfähigkeit gemäß §§ 44a Abs. 1 SGB II zunächst der Agentur für Arbeit und im Falle des Widerspruchs eines hierzu berechtigten Leistungsträgers der gemeinsamen Einigungsstelle vorbehalten, so dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis dahin weiter erbracht werden müssen (Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 10/06 R).

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1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.10.2010 – L 14 AS 1599/10 B ER –

Kein Anspruch auf vorläufige Erbringung eines höheren Zuschusses zu den Beiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung, denn für einen Hilfebedürftigen ist es zumutbar, vor der Inanspruchnahme vorläufigen sozialrechtlichen Schutzes zunächst seine zivilrechtlichen Ansprüche gegenüber seinem Versicherer – gegenbenfalls ebenfalls in einem gerichtlichen Eilverfahren durchzusetzen bzw. zu klären(vgl. Bayerische LSG, Beschluss vom 21. April 2010 – L 7 AS 201/10 B ER –).

Es ist somit im bereits anhängigen Hauptsacheverfahren zu klären, ob der Antragsteller nach der bestehenden Rechtslage einen höheren Zuschuss zu seinen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung beanspruchen kann (so SG Stuttgart, Urteil vom 14. Januar 2010 – S 9 AS 5449/09 –, Revision anhängig beim BSG – B 14 AS 36/10 R – und LSG für das Saarland, Ur-teil vom 13. April 2010 – L 9 AS 15/09 –, Revision anhängig beim BSG – B 4 AS 108/10 R –).

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1.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 13.10.2010 – L 3 AS 1173/10 –

Das Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I wird nicht verletzt, wenn die für die Leistungsbewilligung nach dem SGB II erforderlichen Daten nur bei Dritten erhoben werden können.

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1.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.09.2010 – L 9 AS 64/08 –

Kein Anspruch auf Förderung einer Umschulungsmaßnahme zur psychologischen Beraterin an einer Heilpraktikerschule als Leistung zur Förderung der beruflichen Weiterbildung nach §§ 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB III

Die Teilnahme einer Bildungsmaßnahme muss gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III notwendig sein, um Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern. Die Weiterbildung muss erwarten lassen, dass die Eingliederungschancen nach Abschluss der Maßnahme erheblich besser sind als vorher.

Eine Förderung nach dieser Vorschrift scheidet schon deswegen aus, weil es sich bei der Maßnahme nicht um eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung i. S. v. § 77 SGB III handelt. Es handelt sich vielmehr um eine Ausbildung. Eine solche ist aber nur unter den Voraussetzungen von §§ 59, 60 SGB III förderungsfähig, deren Voraussetzungen aber ebenfalls nicht vorliegen.

Eine berufliche Ausbildung ist gemäß § 60 Abs. 1 SGB III aber nur förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufausbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt wird. Die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe scheidet bereits aus, weil es sich bei dem Berufs-bild der Psychologischen Beraterin nicht um eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handelt. Gleiches gilt für den Beruf der Heilpraktikerin. Hinzu kommt noch, dass Berufsausbildungsbeihilfe für eine Ausbildung dann nicht bewilligt werden kann, wenn der Arbeitslose bereits eine Ausbildung absolviert hat (§ 60 Abs. 2 S. 1 SGB III)

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++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 06.10.2010 – L 12 AS 35/09 –

Kein Anspruch auf berufliche Weiterbildung im Frisörfach gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 77 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

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1.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.09.2010 – L 7 AS 918/10 –

Hat der Hilfebedürftige bei Antragstellung nicht mitgeteilt, dass er gegenüber dem Vermieter Zurückbehaltungs- und Minderungsrechte geltend gemacht hat und an den Vermieter keine Zahlungen leiste, sind die bereits erbrachten Leistungen für Kosten der Unterkunft zurück zu zahlen.

Denn nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Gemeint sind die Geldaufwendungen, die der Hilfebedürftige in der Bedarfszeit für die Nutzung/Gebrauchsüberlassung einer bestimmten Unterkunft Dritten gegenüber nach dem bürgerlichen Recht aufzubringen hat. Übernahmefähig sind die tatsächlichen Mietkosten, deren Höhe sich i.d.R. aus dem schriftlichen Mietvertrag ergibt. Auf die Rechtmäßigkeit des Mietverhältnisses kommt es für § 22 SGB II nicht an. An die Stelle von Mietzinszahlungen können auch Nutzungsentschädigungen oder sonstige die Unterkunft sichernde Zahlungen treten. Entscheidend ist allein, dass Aufwendungen für Unterkunft und Heizung tatsächlich entstanden und Zahlungen erfolgt sind (BSG, Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 34/08 R Rn. 16; Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 30.08.3020 – L 12 AS 1098/10 B ER; Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.06.2006 – L 11 SO 8/06 Rn. 23; Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 17.09.2009 – S 22 SO 50/09 Rn. 37 f. ; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 15c, 16). Eine Rechtspflicht zur Zahlung von Aufwendungen ist notwendig (Berlit in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009 § 22 Rn. 14).

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++ Anmerkung: Vgl. dazu Sozialgericht Lüneburg Urteil vom 17.09.2009 – S 22 SO 50/09 –

Nach § 29 Absatz 1 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht.

Nach dem klaren Wortlaut der Norm sind die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft zu übernehmen. Daraus folgt, dass entscheidend darauf abgestellt werden muss, welchen Mietzins der Leistungsberechtigte dem Vermieter tatsächlich schuldet und aufgrund der Schuldverpflichtung leistet. Die Zahlungspflicht muss rechtlich wirksam bestehen (vgl. LPK/SGB XII/Berlit § 29, Rd.13). Soweit Gegenrechte, wie eine Mietminderung, bestehen, sind diese auszuüben und mindern den Hilfebedarf an Unterkunftsleistungen.

1.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 06.10.2010 – L 12 AS 35/08 –

Kostensenkungsaufforderung ist rechtswidrig, wenn der Leistungsträger dem Hilfebedürftigen nur die Kaltmiete mitteilt.

Denn hierbei handelt es sich lediglich um einen Sammelbegriff, der im Mietrecht sachgerecht unterteilt wird in die Brutto-Kaltmiete und die Netto-Kaltmiete.

Letztere bringt lediglich den Wert des zur Verfügung gestellten Wohnraums pro Quadratmeter zum Ausdruck, während erstere die im Mietverhältnis anfallenden Nebenkosten ohne die Heizkosten umfasst. Angesichts dessen ist es ungenau, wenn die Arge darauf hingewiesen hat, unter dem Begriff Kosten der Unterkunft verstehe der Gesetzgeber den Preis der Grundmiete zuzüglich der Vorauszahlungen für die allgemeinen Betriebskosten, was insgesamt als Kaltmiete bezeichnet werde. Nur die erforderliche Aufschlüsselung zwischen Brutto- und Netto-Kaltmiete schafft hier die erforderliche Klarheit. Gegen die Möglichkeit, durch die Kostensenkungsaufforderung unmissverständlich Klarheit zu erhalten, welche Kosten angemessen sind, spricht vorliegend auch der Umstand, dass die Arge die allgemeinen Betriebskosten nur beispielhaft anhand dreier Positionen (Müllabfuhr, Straßenreinigung, Kaltwasserverbrauch) aufführt, so dass letztlich unklar bleibt, welche allgemeinen Betriebskosten in toto berücksichtigt werden. Angesichts der Tatsache, dass eine Kostensenkungsaufforderung zu weitreichenden Folgen bis zum Verlust der bisherigen Wohnung als Lebensmittelpunkt führen kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 01.06.2010, – B 4 AS 78/09 R -) ist in dem Zusammenhang eine unmissverständliche Formulierung und eine präzise Verwendung der Begrifflichkeiten für zwingend geboten.

Nach der Rechtsprechung der Grundsicherungssenate des BSG hat der Hinweis auf die Rechtslage nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zwar allein Aufklärungs- und Warnfunktion, bezweckt werden soll damit jedoch, dass der Hilfebedürftige Klarheit über die aus Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft erhält. Die Vorschrift stellt auch keine sonstigen erhöhten inhaltlichen oder formellen Anforderungen an diese Erklärung, andererseits erfordert die Aufklärungs- und Warnfunktion jedoch, dass zumindest die Angabe des angemessenen Mietpreises erfolgt, da dieser nach der Produkttheorie der entscheidende Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit ist. Diese Mindestanforderung an die Kostensenkungsaufforderung folgt aus der der Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch inne wohnenden Schutzfunktion. Mit der Zumutbarkeitsregelung soll verhindert werden, dass der Leistungsberechtigte sofort bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit gezwungen wird, seine bisherige Wohnung aufzugeben. Ihm soll eine Übergangszeit verbleiben, in der sich um Kostensenkungsmaßnahmen bemühen kann (vgl. hierzu BSG vom 17.12.2009 – B 4 AS 19/09 R – Rdz. 16; BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 78/09 R – Rdz. 15, jeweils m.w.N.).

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++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 30.03.2010 , – L 28 AS 1266/08 – ; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 24/2010.

Eine Kostensenkungsaufforderung ist –nicht – unwirksam, wenn die Arge eine Bruttowarmmiete als angemessen bezeichnet.

Eine Kostensenkung ist allenfalls dann als unmöglich anzusehen, wenn der Grundsicherungsträger dem Hilfeempfänger zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft über die als angemessen angesehene Referenzmiete hinaus unrichtige Richtgrößen (Parameter) mitteilt und der Hilfeempfänger gerade deshalb keine angemessene Wohnung findet (BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R – Rn. 38).

Die von der Arge benannte Referenzgröße einer Bruttowarmmiete ist im Lichte der neueren Erkenntnisse über die Auslegung von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II unzutreffend, weil die Heizkosten nicht bei der Festlegung dieser Größe pauschaliert werden dürfen. Jedoch ist der Hilfebedürftige durch die Angabe der aus Sicht der Behörde angemessenen Unterkunftskosten und die über die aus seiner Sicht bestehende Rechtslage grundsätzlich hinreichend informiert worden (vgl BSG, Urteil vom 27.2.2008 – B 14/7b AS 70/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 8 Rn 14 f), denn durch die Angabe der zu hohen Werte ist der Hilfebedürftige nicht in seiner Suche eingeschränkt worden.

1.7 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 22.07.2010 – L 7 AS 16/08 –

Für die Bejahung einer Bedarfsgemeinschaft ist nicht von Belang, ob sich im Verhältnis des Partners zu dem Kind ein Einstandswille, wie er im Rahmen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c) SGB II notwendig ist (BSG, Urteil vom 13.11.2008 – B 14 AS 2/08 R Rn 30 ) feststellen lässt.

Denn es besteht kein Anspruch des Stiefkindes auf Leistungen nach dem SGB II bei ausreichendem Einkommen des neuen Partners der Mutter.

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++ Anmerkung: Vgl. dazu SG Dresden, Urteil vom 11.05.2009, -S 10 AS 908/07, anhängig beim BSG unter dem Az. B 4 AS 40/09 R; veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 38 KW / 2009.

Auch bei volljährigen Stiefkindern ist das Einkommen der Stiefeltern bei der Ermittlung ihrer Hilfebedürftigkeit heranzuziehen.

Es verstößt nicht gegen die Grundrechte von 18-24-jährigen Stiefkindern, dass auch das Einkommen ihrer mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Stiefeltern bei der Berechnung ihrer Ansprüche nach dem SGB II heranzuziehen ist, insbesondere wenn die Möglichkeit eines Auszuges bestünde, aber nicht genutzt wird.

1.8 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 22.06.2010, – L 1 AS 36/08, Revision zugelassen

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind vom Leistungsanspruch ausgeschlossen Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Gemäß Artikel 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder ggfls. während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Abs. 4 b (Zeiten der Arbeitsuche) einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Diese Regelung rechtfertigt europarechtlich den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 19 SGB II stellen Sozialhilfeleistungen im Sinne des Artikels 24 Abs 2 der Unionsbürgerichtlinie dar. Denn das zum 01.01.2005 eingeführte Arbeitslosengeld II ist in Anlehnung an die Sozialhilfe ausgestaltet. Es umfasst eine pauschalierte, dem Regelsatz der Sozialhilfe nach dem SGB XII vergleichbare Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie die Übernahme der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Ähnlich wie in der Sozialhilfe nach dem SGB XII sind für verschiedene Bedarfslagen Leistungen für Mehrbedarfe vorgesehen. Die Leistung wird nur bei Hilfebedürftigkeit gem. § 9 SGB II gezahlt. Die seit dem 01.01.2005 bestehende Aufteilung in erwerbsfähige und nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige ist für die Beurteilung der Frage, ob es sich um Sozialhilfeleistungen i.S.d. Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie handelt, unerheblich. Beide Personengruppen sind für den Fall ihrer Hilfebedürftigkeit einem steuerfinanzierten, bedarfsabhängigen Transferleistungssystem zugeordnet, ohne dass die Frage, ob es sich um eine erwerbsfähige oder nicht erwerbsfähige Person handelt, für den dogmatischen Charakter der Leistung bedeutsam wäre (ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.04.2010 – L 13 AS 1124/10 ER-B -; LSG Niedersachsen – Bremen, Beschluss vom 26.02.2010 – L 15 AS 30/10 B ER-; LSG Berlin – Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 – L 34 AS 1350/09 B ER; Strick, NJW 2005, 2182; Piepenstock, in: JurisPR-SozR 23/2009 Anm. 1; zweifelnd LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.02.2010 – L 6 B 154/09 AS ER-; verneinend: SG Berlin, Urteil vom 29.02.2008 – S 37 AS 1403/08-; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.02.2010 – L 19 B 392/09 AS ER).

Gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II werden die Geldleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Geldleistungen, die der Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Arbeit dienen, einerseits und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes andererseits unterschieden. Der Umstand, dass die Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II Voraussetzung dafür ist, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gezahlt werden, ändert nichts daran, dass es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht um Eingliederungsleistungen, sondern um Mindestsicherungen handelt, die unabhängig davon erbracht werden, ob hierdurch der Zugang zu einer Beschäftigung erreicht wird, oder nicht (im Ergebnis ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.04.2010 – L 13 AS 24/10 ER-B-; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 – L 34 AS 1350/09 B ER; Piepenstock, in: JurisPR-SozR 23/2009 Anm. 1).

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++ Anmerkung: Vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – , veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 43/2010.

In Deutschland lebender Franzose hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II

Dies gilt selbst dann, wenn sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Denn in Deutsch¬land lebende arbeitslose Ausländer sind nicht vom Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, wenn sie sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11. Dezember1953 berufen können. In diesem Fall ist die Ausschlussregelung in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II auf sie nicht anwendbar.

1.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.10.2010 – L 6 AS 1076/10 B –

Liegt ein Meldeversäumnis vor, so obliegt es dem Hilfebedürftigen, einen wichtigen Grund dafür zu belegen, warum es ihm nicht möglich war, der Meldeaufforderung nachzukommen.

Allein die Behauptung des Hilfebedürftigen, er sei so krank gewesen, dass er nicht habe kommen können, genügt hierfür nicht. Vielmehr müssen ärztliche Befunde erhoben worden sein, die konkret dokumentieren, dass an eben dem streitigen Tag eine so gravierende Erkrankung vorgelegen hat, dass die Wahrnehmung der Meldepflicht gesundheitlich nicht möglich gewesen ist.

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++ Anmerkung: Aus den von der Hilfebedürftigen vorgelegten Unterlagen muss hervorgehen, dass die Arztbesuche gerade – etwa aufgrund akuter Erkrankungen – an den Tagen und zu den Uhrzeiten notwendig gewesen wären, an denen die Behörde die HB zu sich bestellt hat , denn bei normalen Terminkollisionen ist es dem Hilfebedürftigen indes zumutbar, Bemühungen um deren Verlegung zu entfalten (Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 31 Rdnr. 77; SG Reutlingen Urteil vom 30.09.2008, – S 2 AS 4133/07 -).

Hat der erwerbsfähige Hilfebedürftige dem Leistungsträger rechtzeitig mitgeteilt, weshalb er an einem vorgesehenen Termin nicht teilnehmen kann, ist der Leistungsträger verpflichtet, noch vor dem Termin mitzuteilen, ob der vorgetragene Entschuldigungsgrund ausreicht und anerkannt wird (vgl. dazu Sonnhoff, in JurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 31 Rn. 179).

Dem Leistungsempfänger muss klar sein, dass er trotz der vorgetragenen Verhinderung erscheinen muss und andernfalls eine Leistungsabsenkung eintreten wird. Reagiert der Leistungsträger nicht, wird nicht hinreichend deutlich, dass die Meldeaufforderung weiterhin Bestand hat und die in der Rechtsfolgenbelehrung dargestellten Folgen eintreten können. Es mangelt in diesen Fällen an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung, denn der Leistungsträger hat zumindest dann, wenn erkennbar ist, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige einem Rechtsirrtum unterliegt, die Verpflichtung zu einer individuellen Belehrung über die Rechtsfolgen. Das gilt allerdings nur, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige noch damit rechnen konnte, dass der Leistungsträger auf seine Einlassung reagieren wird. Wird der Entschuldigungsgrund so kurzfristig vorgetragen, dass ein Zugang oder eine Kenntnisnahme des zuständigen Sachbearbeiters und eine schriftliche Stellungnahme zu diesem Sachverhalt nicht mehr wahrscheinlich ist, muss davon ausgegangen werden, dass die ursprüngliche Meldeaufforderung und auch die Rechtsfolgenbelehrung wirksam sind. Der Leistungsempfänger kann in einer solchen Situation mit einer Reaktion nicht mehr rechnen und trägt das Risiko, ob die von ihm vorgetragene Entschuldigung tatsächlich einen wichtigen Grund für die Säumnis darstellt. Kann aus Sicht des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen der Termin kurzfristig nicht wahrgenommen werden, ist es zumutbar, eine telefonische Klärung herbeiführen(Sonnhoff, in JurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 31 Rn. 179).

Es kann dahinstehen, ob in solchen Fällen der Leistungsträger grundsätzlich dazu verpflichtet ist, dem Betroffenen noch vor dem Termin mitzuteilen, ob der vorgetragene Entschuldigungsgrund ausreicht oder nicht, und ein Unterlassen dazu führt, dass die Rechtsfolgenbelehrung fehlerhaft wird (vgl. dazu Sonnhoff, in JurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 31 Rn. 179). Unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten und einer angemessenen Bearbeitungszeit kann der HB bei einer kurzfristigen Entschuldigung nicht davon ausgehen, dass er noch vor dem Termin eine Mitteilung des Leistungsträgers erhalten würd. Unter diesen Umständen ist es dem HB zumutbar, eine telefonische Klärung herbeizuführen (Sonnhof, a.a.O.). Hat er dies nicht getan , bleibt die ursprüngliche Meldeaufforderung wirksam und die Rechtsfolgenbelehrung ausreichend (Sonnhof, a.a.O.; vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 23.07.2009 – L 5 AS 131/08 -, Revision anhängig beim BSG unter dem AZ.: – B 4 AS 27/10 R-).

Nach § 31 Abs. 2 SGB II ist eine schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen einer Meldeversäumnis erforderlich. Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Rechtsfolgenbelehrung ist, dass sie konkret, richtig, vollständig und verständlich erläutert, welcher Verstoß gegen welche Pflichten zu welchen konkreten Sanktionen führt (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 – B 14 AS 53/08 R). Sind der Behörde bestimmte Umstände bekannt, die gegen die Verpflichtung des Betroffenen sprechen können, muss aus der Belehrung hervorgehen, dass diese Umstände eine Meldepflicht nicht ausschließen (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 31 Rn 48).

2.  Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

 
2.1 – Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 04.10.2010, Az.: S 31 AS 317/08
Umzugsgrund in eine neue, teuere Wohnung für eine Hartz IV-Bezieherin und ihrer 6-jährigen Tochter ist gegeben, wenn trotz Renovierungsversuchen mehrfach Schimmel in der alten Wohnung aufgetreten ist und dies zur Erkrankung der Tochter führte.

Ein in Verwaltungsvorschriften enthaltener Genehmigungsvorbehalt bei Umzügen von Grundsicherungsempfängern ist nicht geeignet, die gesetzliche Verpflichtung der Stadt zur Übernahme notwendiger Unterkunftskosten zu verdrängen.

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2.2 – Sozialgericht Dortmund Urteil vom 13.07.2010 , – S 28 AS 349/10 –

Hilfebedürftige haben gemäß § 44 Abs. 1 SGB X einen Rechtsanspruch auf Rücknahme einer formell rechtswidrigen Aufhebungs- bzw. Rücknahmeentscheidung im Sinne der §§ 45, 48, 50 SGB X.

Denn ein Rücknahmebescheid mit einer Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrages ohne Konkretisierung dieses Betrages für die einzelnen Wochen genügt nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X.

Ist folglich die Aufhebungsentscheidung rechtswidrig und damit aufzuheben, so gilt dies gleichermaßen für die Erstattungsentscheidung. Denn die Rückforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X setzt eine rechtmäßige bzw. wirksame Aufhebungsentscheidung voraus (vgl. zum Meinungsstand: Waschull, in LPK-SGB X, 2. Auflage, § 50 Rdnr. 24).

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++ Anmerkung: Vgl. dazu Sozialgericht Oldenburg Urteil vom 23.10.2009 – S 47 AS 38/09, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 48/2009.

Die rechtswidrige Versagung von Vertrauensschutz im Rahmen eines Rückforderungsbescheides kann durch einen Leistungsbezieher der Grundsicherung nach dem SGB II durch einen Antrag auf Rücknahme des Bescheides geltend gemacht werden.

Die aufgeführte rechtswidrige Versagung des Vertrauensschutzes nach dem § 45 SGB X kann auch im Rahmen eines Antrages nach § 44 SGB X geltend gemacht werden (BSG vom 28.05.1997 Az.: 14/10 RKG 25/95; BSG vom 04.02.1998 Az.: B 9 V 16/96 R ).

Nach § 44 SGB X kann ein bestandskräftiger Rücknahmebescheid auch dann zurückgenommen werden, wenn der Leistungsempfänger auf den Fortbestand einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung vertrauen durfte.

Der Sinn und Zweck des § 44 SGB X besteht darin, dass ein materiell rechtswidriger Zustand korrigiert werden soll. Zugleich soll eine dem materiellen Recht widersprechende Besserstellung ausgeschlossen sein (vgl. Heße in BeckOK SGB X Stand: 01.09.2009 § 44 Rn. 16; Steinwedel in Kasseler Kommentar SGB X 61. Ergänzungslieferung 2009 § 44 Rn. 32).

3.  Entscheidung zur Arbeitsförderung (SGB III)

3.1 – Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.06.2010, – L 6 AL 13/08 –

Verliert ein Berufskraftfahrer wegen Alkohols am Steuer seine Fahrerlaubnis und wird deshalb arbeitslos, so rechtfertigt dies eine Sperrzeit von zwölf Wochen. Dies gilt auch bei einer Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit.

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4.  Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Darmstadt Urteil vom 12.10.2010 – S 28 SO 31/10 – , Berufung zugelassen

Bei Anmietung einer möblierten Wohnung ist der Abzug einer Möblierungspauschale rechtswidrig.

Denn ein direkter Abzug der Möblierungspauschale vom Regelsatz kann nicht erfolgen.

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5.  Folienvertrag zum ALG II, Stand 01.11.2010, erarbeitet von Referent für Arbeitslosen – und Sozialhilferecht Harald Thome

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6.  Fragen und Antworten zur Grundsicherung nach dem SGB II

Sind die Kosten für Kaltwasser in der Regelleistung enthalten oder handelt es sich um übernahmefähige Kosten der Unterkunft ?

Die Kosten für Kaltwasser sind nicht in der Regelleistung enthalten. Die Abteilung 04 des Regelsatzes enthält nach der vorgenannten Drucksache nur die Kosten für Strom, Reparatur der Wohnung durch den Mieter und Dienstleistungen für Instandhaltungen/Reparatur der Wohnung (in EVS 2003 Instandhaltung und Schönheitsreparaturen genannt). Es gibt angesichts der realen Verteilung von Wasserkosten (primär für Warmwasser, Waschmaschine, Spülmaschine und nur in geringem Umfang für Ernährung) keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Kosten sachfremd in der Abteilung 01 Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren enthalten wären.

Die Kosten für Wassergebühren sind nach dem Urteil des BSG vom 03.03.2009, B 4 AS 38/08 R, Rn. 14, Kosten der Unterkunft bei Eigenheimen. Es gibt keinen Grund dies bei Wohnungsmietern anders zu sehen.

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de