Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 03/2011

1.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vonm 17.08.2010, – L 5 AS 72/10 B –

Geldschenkung zum Erwerb eines LKW-Führerscheins ist kein anrechenbares Einkommen.

Bei der Geldschenkung der Mutter handelt es sich um eine zweckbestimmte Einnahme, denn die Schenkung hat die Lage der Antragstellerin nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt gewesen wären.

Zweckbestimmt ist eine Leistung dann, wenn ihr eine bestimmte Zweckrichtung innewohnt, die für den Fall der Anrechnung als Einkommen nach dem SGB II vereitelt würde. In der Rechtsprechung wird vertreten, dass nicht erforderlich ist, die Leistungen nur zu dem bestimmten Zweck verwenden zu dürfen. Es soll vielmehr genügen, dass die Leistung nur unter einer bestimmten Erwartung gegeben wird und der Empfänger sie für den bestimmten Zweck erhalten soll, ohne jedoch zur zweckbestimmten Mittelverwendung gezwungen werden zu können (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. November 2009, L 5 AS 221/09).

Die Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfassen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilhabe am kulturellen Leben. Der Erwerb eines LKW-Führerscheins fällt demnach nicht unter die Regelleistungen.

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1.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.12.2010 , – L 5 AS 444/10 B ER –

Die Leistungen für Kosten der Unterkunft sind nicht als Darlehen, sondern als (vorläufiger) Zuschuss zu erbringen.

Denn die Bedürftigkeit bei einem nicht vermögensgeschützten Haus i.S.v. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II entfällt nur dann, wenn das Vermögen innerhalb von sechs Monaten verwertbar ist. Dabei ist von vornherein eine Prognose zu treffen (BSG, Urteil vom 30. August 2010, B 4 AS 70/09 R, Rz. 16 ).

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1.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 17.12.2010 , – L 2 AS 392/10 B ER –

In der Saison berufsbedingt herumreisende Schaustellerin hat Anspruch auf Gewährung von Kosten der Unterkunft, denn auch bei Personen, die ein Reisegewerbe ausüben, ist ein grundsätzliches Bedürfnis nach einer festen Wohnung als eigentlichem Lebensmittelpunkt anzuerkennen.

Bei in der Saison berufsbedingt herumreisenden Schaustellern ist der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort anzunehmen, zu dem sie eine feste Beziehung unterhalten und an den sie auch regelmäßig aus Gründen wiederkehren, die nicht unmittelbar mit ihrer Tätigkeit als Schausteller zusammenhängen. Derartige Gründe können z. B. das Vorhandensein einer festen Wohnung und die Notwendigkeit, von dem Ort aus Bankgeschäfte oder behördliche Angelegenheiten zu erledigen sei (so nach Auffassung des Senats zutreffend das VG Oldenburg, Urteil vom 3. Juni 2005 – 13 A 3042/04).

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Eine Abwesenheit von längerer Dauer hebt den gewöhnlichen Aufenthalt nur dann auf, wenn keine Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren und der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse verlagert wird. Regelmäßig ist bei nur einem Wohnsitz dieser auch der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts (Link in Eicher/Spellbrink, SGB II; 2. Aufl., § 36 Rn. 30).

Einem Leistungsanspruch der Antragstellerin steht auch nicht entgegen, dass sie in der Saison für die Antragsgegnerin nicht durchgehend in der Wohnung in L E erreichbar ist. SGB II-Leistungen erhält nach § 7 Abs. 4a SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb der in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 definierten zeit- und ortnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend. Hier war dem für die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin zuständigen Ansprechpartner seit der erstmaligen Antragstellung bekannt, dass die Antragstellerin im Saisonbetrieb als Schaustellerin mit wechselnden Arbeitsorten tätig ist.

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1.4 – Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 25.11.2010 , – L 6 AS 423/10 B ER –

Im Rahmen einer Folgenabwägung sind die beim Antragsteller aus seiner selbständigen Tätigkeit monatlich anfallenden Tilgungsraten für den Kauf eines Omnibusses einkommensmindernd als notwendige Ausgaben im Sinne des § 3 Abs. 2 Alg II-V von den Betriebseinnahmen abzusetzen.

Denn die Frage, ob Tilgungsleistungen für den von ihm betriebenen Omnibus einkommensmindernd als notwendige Ausgaben im Sinne des § 3 Abs. 2 Alg II-V von den Betriebseinnahmen abzusetzen sind, kann weder aus dem Wortlaut der maßgeblichen Regelungen des SGB II bzw. der Ag II-V beantwortet werden , noch ist sie bislang durch die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt worden.

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1.5 – LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 3.12.2010, – L 13 AS 2698/09 NZB –
Werden im Wege einer objektiven Klagehäufung einerseits Ansprüche, die Geldleistungen oder hierauf gerichtete Verwaltungsakte zum Gegenstand haben, verfolgt und andererseits Ansprüche anderer Art (hier: isolierte Anfechtung von Verwaltungsakten), kommt im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG eine Zusammenrechnung der Gegenstandswerte/ der Werte der Beschwerdegegenstände der verschiedenen Anspruchsarten nicht in Betracht.

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1.6 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 17.11.2010 , – L 11 AS 926/10 B

Keine Erfolgsaussicht der Klage , wenn der Grundsicherungsträger nach dem SGB II den von der teilweisen Aufhebung nach § 48 SGB X betroffenen Leistungsbescheid im Änderungsbescheid nicht konkret genannt hat.

Denn für die Antragsteller war allein nach dem Wortlaut des Bescheides zweifelsfrei erkennbar, dass der Änderungsbescheid den Bewilligungszeitraum von Juli/August 2010 betraf. Damit wies der Änderungsbescheid noch die nach § 33 SGB X erforderliche Bestimmtheit auf (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 30/09 R, Rn 16, 17; vgl. zu den Einzelheiten des vom BSG entschiedenen Sachverhalts: LSG Bayern, Urteil vom 11. Dezember 2008 – L 7 AS 100/08, Rn 31, 32).

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2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Oldenburg Beschluss vom 10.01.2011,- S 45 AS 1/11 ER –

Für höhere Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.01.20111 fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, die alten Vorschriften zum SGB II werden weiter angewandt. Bei einer gesetzlichen Neuregelung sind Nachzahlungen möglich.

Ein Anspruch auf die Bewilligung höherer Leistungen lässt sich nicht bereits aus den §§ 20, 28 SGB II herleiten. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um geltendes, wenn-gleich nach dem 1. Januar 2011 mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG unvereinbares Recht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 -1 BvL 1/09 u.a. – (Rdnr. 210 ff.) ausdrücklich davon abgesehen, die genannten Vorschriften für nichtig zu erklären, da es ansonsten an einer für die Gewährung von Leistungen zur Sicherstellung des Existenzminimums erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlen würde und damit die Bewilligung von Leistungen gänzlich unmöglich würde. Das Bundesverfassungsgericht hat insofern ausdrücklich ausgeführt, dass die verfassungswidrgen Normen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiterhin anwendbar bleiben. Sofern eine solche Neuregelung durch den Gesetzgeber – pflichtwidrig – nicht bis zum 31. Dezember 2010 erfolgt sein sollte, so hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber lediglich zur rückwirkenden Neuregelung ab dem 1. Januar 2011 verpflichtet (a.a.O., Rdnr. 218).

In diesem Zusammenhang weist das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes in der Regel keine Verpflichtung zur Vorlage nach Art. 100 GG besteht (BVerfGE 63, 131, 141 m.w.N.).

Aber auch ein unmittelbarer Anspruch der Antragsteller aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG auf die Bewilligung weiterer, über die gegenwärtigen Leistungen hinausgehende Leistungen besteht nicht. Ein solcher Anspruch ist bereits deshalb als nicht glaubhaft gemacht anzusehen, weil eine konkrete Bezifferung des zur Sicherung des Existenzminimums für erforderlich erachteten Betrages nicht erfolgt ist.

Überdies steht dem auch der Grundsatz vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes nach Artikel 20 Abs. 1 GG (Rechtsstaatsprinzip) sowie in seiner einfach gesetzlichen Ausprägung nach § 31 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) entgegen. Dieser beinhaltet nämlich auch, dass Leistungen nicht gegen den ausdrücklichen Wortlaut geltender Gesetze erbracht werden (s. dazu H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1992, § 6 Rdnr. 2 ff.). Für grundrechtliche Schutzpflichten wird dieser Aspekt unter dem Stich-wort der „Gesetzesmediatisierung“ diskutiert und eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nur dann angenommen, wenn nur ein bestimmtes und konkretes Schutzmittel einen effektiven Schutz des Grundrechtsgutes bewirken könne (vgl. dazu statt aller P. Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 258 ff, insbes. 266, m. umfangreichen Nachweisen). Dass dies jedenfalls gegenwärtig nicht der Fall ist, da von Seiten der Antragsteller der weitergehende Bedarf noch nicht einmal beziffert ist, liegt auf der Hand.

Soweit die Antragsteller insofern auf den sich im Gesetzgebungsverfahren befindenden Gesetzentwurf verweisen, aus dem sich ein um 5,- € erhöhter Regelsatz ergeben soll (BT-Drs.17/3404), lässt sich daraus eine konkrete Gefährdung der Antragsteller in ihrer menschenwürdigen Existenz nicht herleiten. Einem Gesetzentwurf, der das gesetzgeberische Verfahren noch nicht abschließend durchlaufen hat, kommt diesbezüglich allenfalls indizielle Wirkung im Hinblick auf den von Seiten der Gesellschaft für erforderlich gehaltenen Mindestbedarf zu, ohne dass ihm eine evidente Verfassungswidrigkeit der bisherigen Rechtslage zu entnehmen wäre. Dies muss umso mehr gelten, als dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des verfassungsrechtlich gebotenen Existenzminimums, dessen Höhe sich nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz entnehmen lässt, ein erheblicher Gestaltungsspielraum zukommt, um den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen und den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen (BVerfG, Urt. v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rdnr. 138).

Quelle: www.tacheles-sozialhilfe.de – Unser Dank gilt Herrn Istelmann.

2.2 – Sozialgericht Bremen Beschluss vom 06.01.2011 , – S 21 AS 2626/10 ER –

§ 21 Abs. 6 SGB II ist die einzige Rechtsgrundlage im Bereich des ALG II für die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht (vgl. LSG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 26.10.2010, Az. L 3 AS 181/10 B ER, L 3 AS 181/10 B ER PKH).

Die Kostenübernahme setzt jedoch besondere Umstände im Einzelfall voraus. Nachhilfebedarf ist vom Leistungsträger nur dann zu übernehmen, wenn unter anderem besondere Umstände im Einzelfall dies erforderlich machen (so auch SG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 20.04.2010, Az. S 2 AS 802/10 ER). Solche Umstände stellen nach der Geschäftsanweisung der Ag. Nr 08/10 vom 17.02.2010 z.B. eine langfristige Erkrankung oder ein Todesfall in der Familie dar. Diese zeigt auch, dass die dort genannten Fälle nicht abschließend sind, so dass weitere besondere Fälle miterfasst werden könnten. Als ein solcher wurde z.B. auch eine Lese- und Rechtsschreibstörung angesehen (SG Dessau-Roßlau, aaO; i.E. auch SG Halle, Beschluss vom 19.03.2010, Az. S 7 AS 1072/10 ER).

Ein Migrationshintergrund allein erfüllt diese Voraussetzung nicht.

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++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt , Beschluss vom 02.06.2010, – L 2 AS 138/10 B ER- , veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 32/2010.

Ein Anspruch auf Übernahmen der Kosten für Nachhilfeunterricht gemäß § 21 Abs. 6 SGB II besteht dann, wenn der erfolgreiche Abschluss der Schullaufbahn gefährdet ist.

2.3 – Sozialgericht Dortmund Beschluss vom 28.12.2010,- S 22 AS 5857/10 ER –

Nimmt ein langzeitarbeitsloser Vater das Umgangsrecht mit seinem Kind regelmäßig wahr, kann dies den Umzug in eine größere Wohnung rechtfertigen.

Denn dem Wohnbedarf einer temporären Bedarfsgemeinschaft von zwei Personen entspricht eine Wohnung mit einer Fläche von 40 qm nicht. Diese Fläche liegt schon deutlich unter dem Flächenbedarf, der einer Einzelperson im Rahmen des SGB II regelmäßig zugebilligt wird. Für den Umzug in eine größere Wohnung besteht daher ein plausibler Grund, weil eine Wohnung von 40 qm für zwei Personen – auch wenn diese nur zeitweilig zusammenwohnen – offenkundig als zu klein betrachtet werden kann. Dies gilt vorliegend umso mehr, als es sich bei den beiden Personen um Vater und elfjährige Tochter handelt, die das gegenseitige Umgangsrecht wahrnehmen. Dies muss in einem auch räumlichen und wohnlichen Umfeld möglich sein, das insbesondere auch den Bedürfnissen und dem Wohl des Kindes entspricht. Dazu gehört ein – zumindest kleines – eigenes Zimmer für das Kind.

Es spricht viel dafür, von einer Fläche von 50 qm als angemessen für eine Person auszugehen, weil dies den derzeit geltenden landesrechtlichen Bestimmungen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus entspricht.

Eine Bezugnahme auf die Wohnraumförderbestimmungen wird nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17.12.2009 (Az. B 4 AS 27/09 R) nicht in Betracht kommen, weil in dieser Regelung die Größe der Wohnung lediglich mit der Zahl der Zimmer und nicht mit der Zahl der Personen verknüpft wird (vgl. ausführlich Urteil des LSG NRW vom 29.04.2010, L 9 AS 58/08).

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++ Anmerkung: Vgl. dazu Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 01.11.2010 , – L 6 AS 441/10 B ER – , veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 45/2010.

Im Falle einer temporären Bedarfsgemeinschaft, wenn zwei Kinder mehrere Tage in der Woche beim Leistungsberechtigten wohnen ist die Angemessenheit einer Wohnfläche für zwei Personen zu Grunde legen.

++ Anmerkung: Vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 04.08.2010, – L 11 AS 105/10 B PKH –, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 34/2010.

Ist zwar grundsätzlich eine Rückführung des Kindes aus der stationären Einrichtung in die Familie geplant, die zeitliche Perspektive jedoch unklar, besteht aufgrund des Umgangsrechts der Mutter mit ihrem Sohn kein Anspruch auf erhöhten Wohnraumbedarf.

Es bedarf der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Kriterien für die Bestimmung einer angemessenen Wohnungsgröße können insoweit insbesondere der zeitliche Umfang der Ausübung des Umgangsrechts, das Alter der Kinder, individuell erhöhte Raumbedarfe, gegebenenfalls auch die Entfernung zum Haushalt des Elternteils usw. sein (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2008 – L 20 B 225/07 AS ER).

Bei Alleinerziehenden kann die Wohnung so gestaltet sein, dass ein an den Wochenenden oder während der Ferienzeiten anwesendes Kind nicht angemessen untergebracht werden kann. Das Umgangs- und Elternrecht des Hilfebedürftigen kann dann eine Rolle spielen, wenn er eine Wohnung bewohnt, die evident für Besuche durch ein oder mehrere Kinder nicht geeignet ist. Dann kann z. B. im Einzelfall im Anwendungsbereich des § 22 SGB II ein erforderlicher Umzug in eine größere Wohnung bejaht werden. Allerdings verbleibt es grundsätzlich dabei, dass staatliche Leistungen zur Existenzsicherung im Rahmen familienrechtlicher Beziehungen nicht dazu bestimmt sind, die fehlende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen in allen Bereichen zu ersetzen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R). Die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen die Ausübung des Umgangsrechts bei Bedürftigkeit ermöglichen, aber nicht optimieren. Ermöglicht wird das Umgangs- und Elternrecht, wenn bei der zeitweiligen Aufnahme eines Kindes bzw. eines weiteren Kindes keine unzumutbaren Verhältnisse entstehen (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. April 2010 – S 128 AS 11433/08- Rn. 23).

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil vom 23.09.2010 , – L 8 SO 58/08 –

Befristeter Zuschlag nach § 24 SGB II der Ehefrau ist kein anrechenbares Einkommen beim Partner, der Leistungsbezieher der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel ist .

Die Nichtanrechnung des befristeten Zuschlags erfolgt aus Erwägungen, wie sie bereits in der Gesetzesbegründung zur Neuregelung anklingen, nämlich eine vor Artikel 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu vermeiden. Wäre der Kläger ebenso wie seine Ehefrau anspruchsberechtigt für Leistungen nach dem SGB II, fände eine Anrechnung des befristeten Zuschlags seiner Ehefrau auf sein Alg II nicht statt, wie sich aus § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ergibt. Danach sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, also nach dem SGB II. Darunter fiele auch der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II. Die Schlechterstellung des Klägers erfolgt, weil er einem anderen Leistungssystem angehört als seine Ehefrau (SGB XII bzw SGB II) und beide Systeme gerade für die hier vorliegende gemischte Bedarfsgemeinschaft unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach beanstandet und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen SGB II und SGB XII eine Harmonisierung nach Maßgabe des Artikel 3 Abs 1 GG verlangt (vgl zuletzt Urteil vom 23. März 2010 B 8 SO 17/09 R ; siehe auch Senatsbeschluss vom 5. August 2010 L 8 SO 208/10 B ER ).

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4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Lüneburg Urteil vom 20.05.2010 , S 22 SO 80/09 –

Der Sozialhilfeträger darf einem Bestattungspflichtigen, der die Übernahme von Bestattungskosten beantragt hat, nicht Ausgleichsansprüche gegenüber Dritten entgegenhalten, wenn deren Durchsetzung ein gerichtliches Vorgehen mit unsicherem Ausgang erfordert(vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R -).

Nach § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, so-weit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.

Der Kläger ist nach landesrechtlichen Vorschriften kostentragungspflichtig, obgleich er als Sohn des Verstorbenen das Erbe ausgeschlagen hat (vgl. Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 74, Rd. 15).

Ein Anspruch auf Kostenübernahme setzt die Unzumutbarkeit voraus, die Kosten selbst zu tragen, wobei es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriff handelt (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 74, Rd. 10). Dieses Tat-bestandsmerkmal konkretisiert das Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe nach § 2 Ab-satz 1 SGB XII (vgl. Grube/Wahrendorf, § 74, Rd. 27). Der Begriff der Zumutbarkeit ist nach Maßgabe des Einzelfalls auszulegen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05. Juni 1997 – 5 C 13/96 -; Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 27. März 1992 – 6 S 1736/90 -). Neben den wirtschaftlichen Verhältnissen sind auch andere Momente zu berücksichtigen. Je enger das Verwandtschaftsverhältnis ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R -).

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4.2 – Sozialgericht Neuruppin Beschluss vom 28.08.2010 , – S 14 SO 107/10 ER –

Als Anspruchsgrundlage für eine Übernahme von Stromschulden kommt nur § 34 Abs. 1 SGB XII in Betracht, § 73 SGB XII findet keine Anwendung.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB XII sollen sie übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB XII können Geldleistungen als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.

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4.3 – Sozialgericht Bremen Beschluss vom 11.01.2011, – S 24 SO 323/10 ER –

Keine Gewährung eines Darlehens nach 37 SGB XII für die Ersatzbeschaffung eines Fernsehgerätes, denn dem Hilfebedürftigen ist es zumutbar, aus der Regelleistung einen gebrauchten Fernseher anzusparen.

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5.   Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R

Autor: Jörg Neunaber, RA , Fundstelle: jurisPR-SozR 1/2011 Anm. 1

Keine Einkommensberücksichtigung bei Darlehen von Verwandten

Leitsätze

1. Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die als Darlehen mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung belastet sind, sind bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

2. An den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrags unter Verwandten sind strenge Anforderungen zu stellen, um eine Darlehensgewährung eindeutig von einer Schenkung oder einer Unterhaltsleistung abgrenzen zu können.

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6.   Fragen und Antworten zum SGB II
Ist ein Umzug als erforderlich anzusehen, wenn die Antragstellerin als Grund benennt, dass sich die neue Wohnung im Mietshaus befindet, wo auch die Mutter der Antragstellerin wohnt, die dann während der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme den Sohn beaufsichtigen könne?

Ob ein Umzug erforderlich ist, bestimmt sich danach, ob für ihn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nicht-Hilfeempfänger leiten lasse würde (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 29.04.2010, – L 7 AS 1262/09 B ER – ).

Aus der Sicht eines vernünftigen Nicht-Hilfeempfängers ist in jedem Fall die durch den Umzug ermöglichte erleichterte Betreuung des Sohnes durch seine Großmutter als plausibeler Grund anzuerkennen. Dies gilt im vorliegenden Fall auch deshalb, weil aufgrund dessen zu erwarten war, dass die Antragstellerin leichter an der berufsvorbereitenden Maßnahme teilnehmen könnte und dadurch im Ergebnis eine Verbesserung ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu erreichen sein würde (vgl. §§ 1 Abs. 1, 14 Satz 1 SGB II).

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de