Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 16/2011

1.  Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BVerfG 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 vom 16.03.2011

Volle Anrechnung der Verletztenrente auf Hartz IV-Leistungen.

www.bundesverfassungsgericht.de

Anmerkung: Dazu ein Beitrag vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann im Nomos- Fachforum für Existenzsicherung

Das war nicht anders zu erwarten, denn für die "Ungleichbehandlung" besteht ein hinreichender Grund und die Beschwerdeführer haben nicht geltend gemacht, dass sie gegenüber dem Arbeitgeber einen Schmerzensgeldanspruch gehabt hätten, wenn es kein Haftungsprivileg des Arbeitgebers gäbe.
Im Übrigen ist der Gesetzgeber ziemlich frei hinsichtlich der Frage, welches Einkommen er von der Anrechnung ausnimmt. Dies sind insbesondere Fälle der Aufopferung für das gemeine Wohl oder nahe verwandte Tatbestände. D.h. Grundrenten bei Kriegs- und Wehrdienstbeschädigung, sowie die Opferentschädigung. Hier war der Staat nicht in der Lage seinen Bürger hinreichend vor Schaden zu bewahren. Der Fall bei der Unfallrente liegt anders, denn hier ist der Staat in der Regel nicht beteiligt.

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1.2 – BVerfG vom 24.03.2011, – 1 BvR 1737/10-

Anhand des Streitwertes kann nicht darauf geschlossen werden, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist oder nicht.

„Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10, einer Verfassungsbeschwerde gegen einen ablehnenden PKH-Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04.03.2010 – S 39 AS 21029/09, sowie gegen den zurückweisenden Beschwerdebeschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.06.2010 – L 5 AS 610/10 B PKH, stattgegeben.

Das Sozialgericht hatte im Rahmen eines Alg II-Klageverfahrens die beantragte Prozesskostenhilfe und anwaltliche Beiordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein nichtbedürftiger Kläger für eine Klageforderung in Höhe von hier 42 € keinen Anwalt beauftragt hätte. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Landessozialgericht mit der Begründung zurück, dass eine anwaltliche Hilfe nicht notwendig sei. Insbesondere sei das sozialgerichtliche Verfahren kostenfrei und es handele sich nur um eine Streitigkeit im Bagatellbereich. Es sei keine angemessene Relation zwischen Streitwert (42 €) und Kostenrisiko (bis 460 €) erkennbar.

Nach der jetzigen Entscheidung des BVerfG wurden die ablehnenden Beschlüsse wegen Verletzung des Grundrechts auf Rechtsschutzgleichheit aufgehoben und die Sache an das SG zur Entscheidung zurückverwiesen. Das BVerfG hat u.a. ausgeführt, dass anhand des Streitwertes nicht darauf geschlossen werden kann, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist oder nicht. Dies richtet sich vielmehr danach, ob zwischen den Parteien eine Waffengleichheit besteht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dem Rechtssuchenden prozesserfahrene und rechtskundige Behördenvertreter gegenüberstehen. Ein vernünftiger Rechtssuchender wird daher regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende rechtliche Kenntnisnisse und Fähigkeiten verfügt.“

„(Mitgeteilt von Rain Neubacher, Kanzlei Püschel & Kollegen, Mahlow)“

Anmerkung: Vgl. Beschluss des BVerfG vom 24.03.2011 – 1 BvR 2493/10 -, kommentiert vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann, Nomos Das Existenzsicherungsrecht – Aktuelle Informationen zur Entwicklung des Existenzsicherungsrecht

Leitsatz zur Bagatellentscheidung des BVerfG

In einem sozialgerichtlichen Verfahren kann Prozesskostenhilfe nicht allein wegen eines geringen Streitgegenstandes (7 EUR monatlich) abgelehnt werden. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes im Wege der Prozesskostenhilfe ist im sozialgerichtlichen Verfahren erforderlich, wenn zwischen den Parteien den Fähigkeiten und Kenntnissen der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht. Das ist bei einer Behörde mit rechtskundigen Prozessvertretern der Fall, wenn die Partei nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. BVerfG stattgebender Kammerbeschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 2493/10

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2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 13.04.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 98/10 R –

Werden Hartz-IV-Empfängern rechtswidrige Ein-Euro-Jobs zugewiesen, steht ihnen die Nachzahlung des Tariflohns zu.

juris.bundessozialgericht.de

Anmerkung: Dazu ein Beitrag vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann im Nomos- Fachforum für Existenzsicherung

Das BSG hat am 13.4.2011 – B 14 AS 98/10 R entschieden, dass eine Leistungsberechtigter der nicht in einem "zusätzlichen" 1 EURO Job beschäftigt ist, einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Leistungsträger haben kann.

Das BVerwG hatte zwar am 16.12.2004 5 C 71.03 entschieden, dass der damals geltende § 19 Abs. 2 BSHG auch zugunsten des "zusätzlich" Beschäftigten" wirkt. Ob auch § 262 SGB III zugunsten der Leistungsempfänger gilt, war völlig offen.
Ich habe die Schutzwirkung auch hinsichtlich der Leistungsberechtigten abweichend vom LSG BW 2.11.2009 L 1 AS 746/09 bisher immer angenommen (Das Hartz IV Mandat, Baden-Baden 2010 Kap. § 3 Rn. 174).

Das BSG hatte jetzt über die Revision eines anderen Senates des LSG BW L 13 AS 419/07 zu entscheiden und ebenfalls die Schutzwirkung des § 262 SGB III wohl angenommen. Ich bin gespannt auf die Begründung des Urteils.

In einer Entscheidung vom 16.12.2008 B 4 AS 60/07 R hatte der 4. Senat noch daran gezweifelt, ob der § 262 SGB III drittschützenden Charakter hat (vgl. Rn 28 Zitat: "Zweifel daran, dass eine Prüfung dieses Merkmals auch von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die sich gegen die Absenkung ihres Leistungsanspruchs zur Wehr setzen, verlangt werden kann, sind jedenfalls unter dem Gesichtspunkt angebracht, als die Zielrichtung des Merkmals der Zusätzlichkeit eher auf den Schutz von Konkurrenten ausgerichtet sein dürfte.")

Für mich ist die Entscheidung deshalb eine kleine Sensation.

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2.2 – BSG Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 53/10 R-

Hartz IV- Empfänger haben für die Wohnungserstausstattung als auch für die Erstausstattung mit Bekleidung nach Haftentlassung nur Anspruch auf Grundausstattungen, die einfachen Bedürfnissen genügen.

Die zugrunde gelegten Preise für die einzelnen Einrichtungsgegenstände und Kleidungsstücke sind nachvollziehbar unter Angabe von Bezugsquellen dargelegt; sie sind zudem so kalkuliert, dass neben dem – grundsätzlich zumutbaren – Kauf von gebrauchten Waren auch der Kauf von Neuwaren möglich ist. Bei der Kleidung wurden schließlich auch die Wäsche- und jahreszeitlich bedingten Wechsel berücksichtigt.

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2.3 – BSG Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 85/09 R-

Bei der Bestimmung der angemessenen KdU bildet das gesamte Stadtgebiet von Berlin den maßgeblichen Vergleichsraum.

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2.4 – BSG Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 32/09 R-

Keine höhere Hartz-IV-Leistungen für Langzeitmieter

Gründe wie, der HB bewohne die Wohnung bereits seit dem Jahr 1959; zum anderen bewahre er in ihr ein umfassendes Archiv insbesondere zu den Themen Sport, Ministerium für Staatssicherheit und Fußball auf, in denen er als wissenschaftlicher Experte international anerkannt ist, lassen nicht erkennen, warum er über den abgelaufenen Sechs-Monats-Zeitraum des § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II hinaus einen höheren Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft als die angemessenen haben sollte.

Zur Bestimmung eines angemessenen Quadratmeterpreises ist auf den Berliner Mietspiegel zurückzugreifen. Bezüglich der von ihm zugrunde gelegten Baualtersklasse von 1965 bis 1972 mit einem einfachen Ausstattungsstandard und einer Wohnfläche von 40 qm bis unter 60 qm bedarf es jedoch der Feststellung, dass derartige Wohnungen statistisch nachvollziehbar über alle Bezirke hinweg so häufig vorhanden sind, dass allein auf diese Baualtersklasse zurückgegriffen werden kann. Sollte nicht auf eine Baualtersklasse zurückgegriffen werden können, bietet es sich an, einen gewichteten arithmetischen Wert nach Verteilung der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen in den jeweiligen Baualtersklassen zu bilden (vgl dazu BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R).

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3.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.02.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – BSG Urteil vom 24.02.2011, – B 14 AS 45/09 R –

Hat die Antragstellerin als (Mit-)Erbin die Gesamtrechtsnachfolge nach ihrer Großmutter angetreten, ist davon auszugehen, dass ein sich aus dem Erbe ergebender Geldbetrag als – Vermögen – einzuordnen ist, denn die HB hat die zugeflossene Summe als Einzelzuwendung im Wege eines Vermächtnisses und damit als Forderung gegen den Nachlass erlangt(1939 BGB, vgl nur Weidlich in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1939 RdNr 5 mwN).

Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge geht die Erbschaft unmittelbar kraft Gesetzes auf die Erben über, unbeschadet der Tatsache, dass wegen des Ausschlagungsrechts ein Erbe erst mit Annahme erworben wird.). Bereits mit dem Erbfall kann der Erbe über seinen Anteil am Nachlass verfügen (vgl § 2033 Abs 1 Satz 1 BGB), ohne dass es auf die Durchsetzung von Ansprüchen etwa gegen die Miterben ankommt (im Einzelnen BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12).

Bereits diese Verfügungsmöglichkeit bedeutet einen Zufluss im Sinne der dargestellten Rechtsprechung(Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das SGB II selbst nicht vor. Wie die für das SGB II zuständigen Senate des BSG bereits entschieden haben, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II grundsätzlich alles das, das jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl nur BSG Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr 17 und BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15; s auch Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 R). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung).

Maßgebend ist im Falle der Gesamtrechtsnachfolge also, dass der Erbfall mit dem Tod der Großmutter bereits vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist (insoweit bereits BSG Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 R – juris RdNr 22).Der Zufluss des Geldbetrages im Juni 2008 aus diesem Erbe stellt sich in diesem Fall als versilbern bereits vorhandenen Vermögens dar und ist somit weiterhin als – Vermögen – zu qualifizieren (vgl BSG Urteil vom 6.9.2007 – B 14/7b AS 66/06 R – BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr 5, jeweils RdNr 19).

Wenn die HB dagegen mit dem Erbfall lediglich Inhaberin einer Forderung gegen den Nachlass geworden ist, sind Freibeträge nicht zu berücksichtigen, weil es sich in diesem Fall im Zeitpunkt des Zuflusses des Geldbetrages um Einkommen iS des § 11 SGB II handelt (BSG Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 R – RdNr 22).

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4.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18.01.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – BSG Urteil vom 18.01.2011, – B 4 AS 14/10 R –

Kein Hartz IV im Ausland

Wer außerhalb Deutschlands lebt, kann keine Hartz-IV-Leistungen beziehen. Das gilt auch für Arbeitslose, die im grenznahen Ausland wohnen und als sogenannte Grenzgänger in der Bundesrepublik gearbeitet haben. Das Gesetz schreibt vor, dass Hartz-IV-Empfänger ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben müssen. Schließlich sei die Höhe der Leistungen für ein Leben hierzulande berechnet

Mit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II hat der Gesetzgeber – entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, wonach jedenfalls bei steuerfinanzierten Leistungen an den Wohnsitz angeknüpft wird (Mrozynski, SGB I, Allgemeiner Teil, 4. Aufl 2010, § 30 RdNr 9, 12) – ausdrücklich auf den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 1 SGB I Bezug genommen (vgl BT-Drucks 15/1516 S 52). Nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich auch nicht aus einer Einschränkung des Territorialitätsprinzips des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 SGB I.

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5.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 14.04.2011 zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – BSG Urteil vom 14.04.2011, – B 8 SO 18/09 R –

Für eine normative Aufteilung (nach Kopfteilen) besteht jedenfalls dann keine Berechtigung, wenn – wie vorliegend – weder eine Einsatzgemeinschaft noch eine Bedarfsgemeinschaft zwischen den Bewohnern bzw. eine Haushaltsgemeinschaft mit weiteren Hilfebedürftigen besteht.

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5.2 – BSG Urteil vom 14.04.2011,- B 8 SO 12/09 R-

Kein höherer Freibetrag gem. § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII für einen über 70 jährigen.

Denn die vom HB als Grund für die Anwendung der Vorschrift geltend gemachte Unzumutbarkeit der Beschäftigung im Hinblick auf sein Alter ist gerade der Regelfall des SGB XII, das Hilfe zum Lebensunterhalt (3. und 4. Kapitel des SGB XII) nur für über 65-jährige und Erwerbsunfähige vorsieht. Für die besonderen Sozialhilfeleistungen des 5. bis 9. Kapitels, die auch anderen Personen bei Bedürftigkeit zustehen, gelten für die Anrechnung von Einkommen die Regelungen der § § 85 ff SGB XII.

juris.bundessozialgericht.de

5.3 – BSG Urteil vom 14.04.2011, – B 8 SO 19/09 R –

Bei der Betreuungspauschale handelt es sich um Kosten der Unterkunft im Sinne von § 29 SGB XII, weil es sich um eine zwingende Verpflichtung aus dem Mietvertrag handelt, die zudem als Auflage im Bescheid an den Vermieter über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus enthalten ist.

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5.4 – BSG Urteil vom 14.04.2011, – B 8 SO 23/09 R –

Die Übergangsregelung des § 147 BSHG bzw § 115 SGB XII erfasst nicht nur Erstattungsansprüche, die bereits vor 1994 angefallene Kosten betreffen. Vielmehr sind diese Vorschriften auch für Kosten, die erst nach 1993 entstanden sind, aber auf laufende Erstattungsfälle vor 1994 zurückgehen, anwendbar. Sie stellen wie auch § § 108 BSHG, 108 SGB XII nicht auf den einzelnen Erstattungsanspruch, sondern den gesamten Erstattungsfall ab.

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6.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

6.1 – Landessozialgericht Niedersachsen- Bremen Beschluss vom 08.04.2011, -L 13 AS 104/11 B ER-

Für höhere Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.01.20111 fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage- (so auch schon die Vorinstanz Sozialgericht Oldenburg Beschluss vom 18.02.2011, – S47 AS 196/11 ER-, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 09/2011).

Quelle: Tacheles-Leser

6.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 09.03.2011, – L 2 AS 87/11 ER (L 2 AS 484/10) –

Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt keine aufschiebende Wirkung.

Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Bescheid der (im Anschluss an eine Aufhebung der Leistungsbewilligung) eine Regelung über die Erstattungspflicht des Leistungsempfängers trifft, wird aber nicht ausgeschlossen. Auch eine entsprechende Anwendung scheidet angesichts der eindeutigen Regelung des § 39 Abs. 1 SGB II in der ab Anfang 2009 (übergangslos) maßgeblichen Neufassung aus (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 3.Auflage, § 39 Rdnr. 4 und 11).

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6.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 25.03.2011, – L 5 AS 71/11 B ER –

Widerspruch gegen Bescheid über Leistungsversagung nach § 66 SGB I hat grundsätzlich – keine – aufschiebende Wirkung.

Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der ab 1. Januar 2009 gültigen Fassung haben der Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Die Neuregelung präzisiert die bisherige Fassung des Gesetzes. Nach der früheren Nr. 1 der Vorschrift waren nach allgemeiner Ansicht auch die Bescheide auf der Grundlage von § 66 SGB I sofort vollziehbar (vgl. Conradis in: LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 39 Rdnr. 1; Hengelhaupt in: Hauck/Notfz, SGB II, § 39 Rdn 76; a.A.: Coseriu/Holzhey in: Linhart/Adolph, SGB II, § 39 Rdnr. 10). Aus dem Willen des Gesetzgebers ergibt sich eindeutig, dass hinsichtlich der Bewertung von Versagungsbescheiden nach § 66 SGB I eine Änderung der Rechtslage nicht erfolgen sollte. Der Gesetzgeber wollte lediglich klarstellen, dass Aufhebungs- und Erstattungsbescheide von § 39 Nr. 1 SGB II nicht erfasst sind. Es war lediglich eine Erweiterung und Präzisierung der Norm beabsichtigt (vgl. BT-Drs. 16/10810, S. 50 zu Nr. 14 (§ 39 SGB II)). Daher gilt für auch Versagungsbescheide nach § 66 SGB I die bisherige Regelung fort (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 24. September 2010, B 5 AS 36/10 B ER; so auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. März 2010, L 13 AS 34/10 B ER).

Die abweichende Auffassung, welche sich am Wortlaut des neugefassten § 39 Abs. 1 SGB II orientiert (Hessisches LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 9 AS 612/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 2010, L 7 AS 304/10 ER-B) berücksichtigt die gesetzgeberische Intention und die Entstehungsgeschichte der Norm nicht hinreichend und führte zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung innerhalb des § 66 SGB I. Denn es kann in dessen Anwendungsfällen für die aufschiebende Wirkung nicht darauf ankommen, ob wegen mangelnder Mitwirkung eine schon erfolgte Leistungsbewilligung entzogen oder ob eine beantragte Leistung von vornherein versagt wird.

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6.4 – Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 25.03.2011, – L 9 AS 108/11 B –

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist im sozialgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (vgl. Beschluss des Senats vom 6. Juli 2009 – L 9 AS 274/08 AS -).

Daran hat sich durch die Neuregelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 5. August 2010 (BGBl. I 1127), in Kraft getreten am 11. August 2010, nichts geändert.

Der Senat sieht daher wie der 7. Senat des Hess. LSG (Beschluss vom 4. Oktober 2010 – L 7 AS 436/10 B -) keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, so dass in Hauptsacheverfahren die Beschwerde gegen eine die Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht ablehnende Entscheidung nach §§ 73a, 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO nach wie vor ausgeschlossen ist, wenn der Wert des Streitgegenstandes der Hauptsache die Wertgrenze für die Zulässigkeit der Berufung nicht übersteigt(ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Dezember 2010 – L 5 AS 426/10 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. September 2010 – L 20 AS 1602/10 B PKH – und vom 22. Dezember 2010 – L 34 AS 2182/10 B PKH -; a.M. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Oktober 2010 – L 25 B 2246/08 AS PKH -; Sächs. LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – L 3 AS 240/09 B PKH -).

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6.5 – Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 29.März 2011 – L 8 AS 75/1-

Keine Berufung per e-mail

sms, twitter und e-mail haben inzwischen die klassischen Formen des Schriftverkehrs weitgehend verdrängt. Gilt das auch für den Rechtsverkehr mit Gerichten, insbesondere für die Einlegung von Rechtsmitteln?

Ausgangspunkt

Ein Kläger hatte sich gegen die Rückforderung von Hartz-IV-Leistungen iHv rund 1.300 EUR gewandt. Vergeblich, das Sozialgericht hatte seine Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil wandte sich der Kläger, allerdings nicht schriftlich sondern per e-mail.

Die Entscheidung

Das Bayerische Landessozialgericht hat klargestellt, dass e-mails zur Einlegung von Rechtsmitteln nicht den gesetzlichen Formerfordernissen des Verfahrensrechts genügen.

Auswirkungen der Entscheidung

Der elektronische Rechtsverkehr wird auch in der Gerichtsbarkeit die Papierform ablösen – in der Zukunft. Dann allerdings wird es aus Gründen der Rechtssicherheit bestimmte Formerfordernisse auch für den Zugang zu den Gerichten geben. Signaturlose e-mails werden nicht zuletzt wegen ihrer redundanten Beliebigkeit sicherlich auch künftig nicht zur Einlegung von Rechtsmitteln ausreichen.

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Anmerkung: Vgl. dazu Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 09.03.2011, – L 7 AS 151/11 B ER -, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 15/2011.

Nach § 65a Abs. 1 Satz 1 SGG können dem Gericht elektronische Dokumente übermittelt werden, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung zugelassen worden ist. Es gibt in Bayern keine derartige Rechtsverordnung. Daher können keine verfahrenserheblichen Schriftsätze durch E-Mail eingereicht werden (Breitkreuz/Fichte, Sozialgerichtsgesetz, 2009, § 65a Rn. 4). Dies gilt sowohl für die Beschwerde als auch für den erstinstanzlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Auch der erstinstanzliche Eilantrag ist in elektronischer Form nur unter den Voraussetzungen von § 65a SGG möglich (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 8b).

Die Beschwerde per E-Mail ist aus einem weiteren Grund unwirksam. Ein E-Mail, das einem unterzeichneten Schriftstück gleichstehen soll, müsste nach § 65a Abs. 1 Satz 3 und 4 SGG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder in einem anderen zugelassenen sicheren Verfahren übermittelt worden sein. Eine Beschwerde muss nach § 173 Satz 1 SGG schriftlich eingelegt werden. Dies bedeutet, dass ein eigenhändig unterschriebener Schriftsatz vorgelegt werden muss (vgl. § 126 Abs. 1 BGB und Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 173 Rn. 3). Eine Vorschrift, die das Unterschriftserfordernis relativiert (so § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG bei der Klage: "Die Klage soll… unterzeichnet sein), gibt es bei der Beschwerde nicht,. Das E-Mail vom 17.02.2011 hatte aber keine qualifizierte Signatur.

6.6 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28.02.2011, – L 14 AS 205/11 B ER –

Der Hilfebedürftige wird – solange er im Leistungsbezug steht – zumeist auf die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger angewiesen sein (BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 – B 14 AS 31/07 R –).

Vor diesem Hintergrund hat jeder erwerbsfähige Hilfebedürftige Anspruch darauf, dass ihm die ihm von Gesetzes wegen zustehenden Leistungen so rechtzeitig erbracht werden, dass er in der Lage ist, seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Vermieter von Wohnraum ebenfalls rechtzeitig zu erfüllen. Das Risiko einer Kündigung von Wohnraum oder eines Prozesses wegen verspäteter Zahlung des Mietzinses (mit der damit verbundenen Kostenfolge) oder gar einer Klage auf Räumung ist ihm in aller Regel nicht zuzumuten (zuletzt Beschluss des Senats vom 31. August 2010 – L 14 AS 1263/10 B ER –).

Ein Anordnungsgrund wird dementsprechend bei glaubhaft gemachtem Anordnungsanspruch regelmäßig nur dann zu verneinen sein, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige die tatsächlichen Aufwendungen jedenfalls vorläufig aus nicht zu berücksichtigendem Einkommen ("Freibeträge") oder Vermögen ("Schonvermögen") tätigen kann.

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7.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

7.1 – Sozialgericht Darmstadt Urteil vom 14.03.2011, – S 22 AS 395/10 –

Das Jobcenter muss nicht deshalb die unangemessenen Unterkunftskosten übernehmen, weil die Wohnung ideale Voraussetzungen für eine beabsichtigte selbständige Tätigkeit bietet.

1. Die Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft gem. § 22 Abs. 1 SGB II erfolgt im Landkreis Bergstraße nach einem schlüssigen Konzept.

2. Der Vergleichsraum ist, unabhängig von kommunalpolitischen Grenzen, so groß zu bilden, dass er einen statistisch valide fassbaren Wohnungsmarkt abbildet.

3. Beschränkt der SGB II – Leistungsträger seine Datenerhebung nicht auf das einfache Marktsegment, ist er nicht verpflichtet, Daten zur Zimmerzahl, Ausstattung, zur Lage oder zur Bausubstanz zu erheben.

4. Frustrierende Kosten für Eigenleistungen bei Renovierung und Umbau der Mietsache führen auch wenn Sie besonders hoch waren nicht zu einer Unzumutbarkeit des Umzugs.

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7.2 – Sozialgericht Aachen Urteil vom 06.04.2011, – S 5 AS 462/10 -,Berufung zugelassen

Die Fragestellung, wie zukünftiges unklares Einkommen bei der vorläufigen Leistungsbewilligung anzurechnen ist, ist in der Rechtsprechung bisher nicht ausreichend geklärt.

Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld (ALG II-V) in der Fassung vom 17.12.2007 (BGBl. I 2007, 2942), geändert am 23.07.2009 (BGBl. I 2009, 2340) kann als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt werden, wenn bei laufenden Einnahmen im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist, dass diese in unterschiedlicher Höhe zufließen. Als monatliches Durchschnittseinkommen ist für jeden Monat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt (vgl. Satz 2 des § 2 Abs. 3 ALG II-V).

Als Orientierungswert ist das durchschnittliche Monatseinkommen des vorigen Bewilligungszeitraumes zu wählen (so auch Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit für die Anwendung des Sozialgesetzbuch II [DH-BA SGB II], Nr. 11.8). § 2 Abs. 3 Satz 2 ALG II-V trifft ausdrücklich nur eine Regelung für ein in der Summe bekanntes Einkommen, indem die Vorschrift vorsieht, dass das Gesamteinkommen des Bewilligungszeitraumes (also des künftigen Zeitraumes) durch die Zahl der Monate des (künftigen) Zeitraumes zu teilen ist. Wenn indes das Gesamteinkommen für den (künftigen) Zeitraum – wie hier ebenfalls das Einkommen für jeden einzelnen Monat dieses Zeitraumes – noch nicht feststeht und keine Änderung gegenüber dem vorigen Zeitraum zu erwarten ist, ist der Beklagte berechtigt, das Gesamteinkommen des vorigen Bewilligungszeitraumes heranzuziehen und das durchschnittliche Monatseinkommen dieses Bewilligungszeitraumes bei der Leistungsberechnung zugrunde zu legen.

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7.3 – Sozialgericht Bremen Beschluss vom 05.04.2011, – S 23 AS 497/11 ER –

Die Unterbrechung der Stromversorgung stellt auch nach neuer Gesetzeslage (§ 22 Abs. 8 SGB II n.F.) eine der Wohnungslosigkeit nahe kommende Notlage dar (siehe Beschluss der 21. Kammer des Sozialgerichts vom 10. Februar 2009 – S 21 AS 6/09 ER).

Daraus folgt, dass der Leistungsträger in der Regel entsprechende Stromschulden zu übernehmen hat und lediglich in atypischen Fällen hiervon abweichen kann.

Zwar stellt § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II n.F. die Entscheidung über die Übernahme von Schul-den zur Sicherung der Unterkunft grundsätzlich in das Ermessen des Leistungsträgers ("können"). Bei der Ermessensentscheidung über die Übernahme von Energiekostenrückständen hat dieser dann im Rahmen einer umfassenden Gesamtschau alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, so etwa die Höhe der Rückstände, die Ursachen, die zu dem Energiekostenrückstand geführt haben, die Zusammensetzung des von einer eventuellen Energiesperre bedrohten Personenkreises (insbesondere Mitbetroffenheit von Kleinkindern), Möglichkeiten und Zumutbarkeit anderweitiger Energieversorgung, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten, etwa ob es sich um einen erstmaligen oder einen wiederholten Rückstand handelt, Bemühungen, das Verbrauchsverhalten anzupassen sowie einen erkennbaren Selbsthilfewillen (so zu § 22 Abs. 5 a.F.: Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Aufl., 2007, § 22 Rdnr. 118 m.w.N.).

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7.4 – Sozialgericht Kassel Urteil vom 01.03.2011, – S 6 AS 175/09 -, Berufung zugelassen

Bei bestandskräftigen Vorsanktionen muss die Rechtmäßigkeit der Vorsanktionen vom Gericht geprüft werden, denn insbesondere in Fällen, in denen für die Gericht ohne Weiteres erkennbar ist, dass der vorausgegangene Sanktionsbescheid rechtswidrig ist, würden die Gerichte ihrer Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen (BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26), nicht gerecht, wenn sie sehenden Auges die Rechtswidrigkeit des vorhergehenden Sanktionsbescheids unbeanstandet lassen würden.
Dies hat nicht zur Folge, dass der vorhergehende Sanktionsbescheid seinerseits Streitgegenstand wird. Die Gerichte habe aber die Rechtmäßigkeit der vorhergehenden Sanktion, auf welche die Sanktion wegen der wiederholter Pflichtverletzung aufbaut, von Amts wegen inzident zu überprüfen (Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 3. A. 2009, § 31 Rn. 86). Fehlt es an einer rechtmäßigen Vorsanktion ist der Sanktionsbescheid wegen wiederholter Pflichtverletzung rechtswidrig und aufzuheben.

Bei Absenkungen der SGB II-Leistungen wegen wiederholter Pflichtverletzung ist es erforderlich, dass entsprechende vorausgehende Sanktionsbescheide existieren, die das Vorliegen eines vorausgehenden Sanktionsereignisses und eines entsprechenden Sanktionstatbestands auf der niedrigeren Sanktionsstufe feststellen (BSG Urteil vom 09.11.2010, – B 4 AS 27/10 R, Rn. 20).

Noch nicht hinreichend geklärt ist innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidende Frage, ob es im Falle eines Sanktionsbescheids wegen einer wiederholten Pflichtverletzung bei einem bestandskräftigen Sanktionsbescheid auf der ersten Sanktionsstufe ausreichend ist, dass ein entsprechender bestandskräftiger Sanktionsbescheid vorliegt.

Nach Auffassung des Bayerischen Landessozialgericht (LSG) sollen bei wiederholten Pflichtverletzungen die bestandskräftigen vorausgehenden Sanktionsbescheide Tatbestandswirkung entfalten (Bayerisches LSG, Beschluss v. 26.04.2010, L 7 AS 212/10 B ER, Rn. 18), so dass der SGB II-Leistungsträger nicht gehalten ist, den vorangegangenen Sanktionsbescheid zu überprüfen.

Das LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 12.10.2007, L 14 AS 1550/07 ER, Rn. 3) und das LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss v. 22.06.2009, L 7 AS 266/09 B ER, Rn. 11 mit Hinweis auf BSG, SozR 3-4100 § 119 Nr.23) verlangen hingegen zu Recht übereinstimmend mit Teilen des wissenschaftlichen Schrifttums (vgl. Valgolio in: Hauck & Noftz (Hrsg.), SGB II, 13. Lfg. VII/07, § 31 Rn. 105; Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 3. A. 2009, § 31 Rn. 86), dass bei Sanktionen wegen wiederholter Pflichtverletzung rechtmäßige Vorsanktionen auf den jeweils niedrigeren Stufen vorliegen.

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7.5 – Sozialgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 30.03.2011, – S 27 AS 667/11 ER –

Kein Leistungsausschluss vom SGB II für griechischen Staatsbürger

Der Antragsteller ist nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach sind Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate des Aufenthaltsrechts (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und deren Familienangehörigen (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II), von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Zwar ist der Antragsteller allein zum Zweck der Arbeitsuche in die Bundesrepublik eingereist und hat auch nur zu diesem Zweck hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, so dass dem Wortlaut nach der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gelten würde. Der Leistungsausschluss ist auf den Antragsteller allerdings deswegen nicht anwendbar, weil sich der Antragsteller als griechischer Staatsangehöriger auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA berufen kann, welches neben der Bundesrepublik Deutschland auch Griechenland unterzeichnet hat (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R).

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7.6 – Sozialgericht Berlin Beschluss vom 17.02.2011, – S 149 AS 414/11 ER –

1. Es bestehen Zweifel daran, ob der zeitlich unbegrenzte Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ohne Differenzierung danach, ob die Arbeitssuche bereits Zweck der Einreise war oder später zum alleinigen Aufenthaltszweck wurde, mit der europäischen Ermächtigungsnorm des Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürger-RL) in Verbindung mit Art 14 Abs 4 Buchst b Unionsbürger-RL vereinbar ist.

2. Auf die Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses kommt es nicht an, wenn ein sonstiges Aufenthaltsrecht besteht. Ein solches kann sich nicht nur aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit und dem Niederlassungsrecht, sondern unter Umständen auch aus der elterlichen Sorge für ein freizügigkeitsberechtigtes minderjähriges Kind ergeben.

3. Soweit im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht hinreichend aufklärbar ist, ob ein sonstiges Aufenthaltsrecht besteht, fällt eine Folgenabwägung angesichts der Tatsache, dass Leistungen nach dem SGB 2 laufend die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG sichern, regelmäßig zugunsten der Antragsteller aus.

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7.7 – Sozialgericht Berlin Urteil vom 18.01.2011, – S 157 AS 26445/08 –

Keine Übernahme von ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 7 SGB II, wenn der Bedarf durch die Mietzahlungen der Mutter gedeckt war und keine ernst gemeinte und konkrete Verabredung über eine Rückzahlung durch den HB bestand (vgl. BSG Urteil vom 17.06.2010, B 14 AS 46/09 R).

Denn bleibt unklar, ob die Geldzahlung von Verwandten zur Unterstützung eines Hartz IV Empfängers ein Geschenk oder nur ein Darlehen sein sollte, geht dies zu Lasten des Hartz IV Empfängers. Die Zahlung ist als Einkommen leistungsmindernd auf den Hartz IV Anspruch anzurechnen.

Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, ist bei einem Geldzufluss unter Verwandten genau zu unterscheiden zwischen verschleierter Schenkung, Unterhaltszahlung oder Darlehen. Es ist zu prüfen, ob ein Darlehensvertrag tatsächlich abgeschlossen wurde und ernst gemeint ist. Mindestvoraussetzung für ein Darlehen ist, dass spätestens zum Zeitpunkt des Geldflusses eine konkrete Verabredung über die Rückzahlungsverpflichtung getroffen worden ist. Zumindest über die Höhe des geschuldeten Betrags oder die Frage, wie dieser Betrag ermittelt werden soll, müsse Klarheit bestehen.

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8.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

8.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 29.03.2011, – L 8 SO 6/11 B ER –

Aus dem Charakter der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes ergibt sich, dass die weiteren Zulassungsgründe für eine Berufung im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG im Rahmen des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht zu prüfen sind (vgl. z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2010 – L 20 AS 1702/10 B – ; Beschluss des Senats vom 4. Februar 2011 – L 8 SO 22/10 B ER – nicht veröffentlicht).

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9.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

9.1 – Sozialgericht Berlin Beschluss vom 02.03.2011, – S 49 SO 109/11 ER –

Gemäß § 2 Abs 1 SGB 12 besteht dann kein Anspruch auf Sozialhilfe, wenn die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Trägern anderer Sozialleistungen, bereits geleistet wird. Dies gilt sinngemäß auch für die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, da die pädagogische Förderung schulpflichtiger Kinder in erster Linie Aufgabe der Schule und nicht des Sozialhilfeträgers ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2010 -L 7 SO 6090/08-).

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10.   Landgericht Kiel Anerkenntnisurteil vom 08.12.2010, – 17 0 160/10-

Jobcenter ist bei verspäteter Zahlung von ALG II zum Schadenersatz verpflichtet, wenn der Leistungsbezieher den Fortzahlungsantrag rechtzeitig gestellt hat.

ALG II Leistungsberechtigte haben einen Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens(Rücklastkosten der Bank- hier 29,65 Euro), der ihnen durch die zu späte Zahlung entsteht.

Es bestand ein Amtshaftungsanspruch nach Artikel 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB, welcher vor dem LG Kiel geltend zu machen war und auf den Schaden zu richten ist, welcher ein Behördenmitarbeiter durch vorsätzliche oder fahrlässige Pflichtverletzung einem Anderem zugefügt hatte.

Nach Auffassung der örtlichen Sozialgerichtsbarkeit besteht daneben kein sog. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, der vor dem SG geltend gemacht werden könnte.

Quelle: RA Helge Hildebrandt, Artikel im Hempels-Straßenmagazin (Armutszeitung) Nr. 180, April 2011, S. 26.

11.   Sozialrecht aktuell Heft 2/2011, ein Beitrag von Dr. Björn Harich, Richter am SG Bremen und zur Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am BSG.

Prozesskostenhilfe und Existenzminimum

www.sozialrecht-aktuell.nomos.de (pdf)

12.   Folien zum SGB II, erarbeitet von Harald Thome, Stand: 12.04.2011

www.harald-thome.de

13.   Neue Justiz Heft 04/2011, ein Aufsatz vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann

Leistungsberechtigte nach dem SGB II

www.neue-justiz.nomos.de

13.   Fachliche Hinweise zum SGB II / Neue Weisungen:

FH zu § 11, 11a, 11b SGB II    / Stand: 11.04.2011
FH zu § 20 SGB II                  / Stand: 11.04.2011
FH zu § 23 SGB II                  / Stand: 11.04.2011
FH zu § 24 SGB II                  / Stand: 11.04.2011
FH zu § 27 SGB II                  / Stand: 11.04.2011
FH zu § 44a SGB II                / Stand: 11.04.2011

www.harald-thome.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de