Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 20/2011

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 10.05.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG Urteil vom 10.05.2011, – B 4 AS 139/10 R-

Seit dem 1.8.2009 kann nach § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V auch von dem Einkommen Minderjähriger, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für Beiträge zu privaten Versicherungen in Abzug gebracht werden, bevor dieses Einkommen bei der Berechnung des Sozialgeldes berücksichtigt wird.

Es muss sich jedoch um nach Grund und Höhe angemessene Beiträge handeln und für den Minderjährigen muss eine entsprechende Versicherung abgeschlossen sein. Mit dem 8. Senat des BSG und dem BVerwG geht der erkennende Senat davon aus, dass es im Hinblick auf die Angemessenheit einerseits darauf ankommt, für welche Lebensrisiken und in welchem Umfang Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze üblicherweise Vorsorgeaufwendungen zu tätigen pflegen und andererseits, welche individuellen Lebensverhältnisse die Situation des Hilfebedürftigen prägen.

BSG hat Zweifel, dass eine private Unfallversicherung für Kinder und Jugendliche eine in diesem Sinne übliche Vorsorgeaufwendung ist.

Darauf, dass die Versicherung nicht von dem HB persönlich abgeschlossen worden ist, kommt es nicht an.

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1.2 – BSG Urteil vom 10.05.2011, -B 4 AS 100/10 R-

Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung kann nach dem Wortlaut der Regelung nur beansprucht werden, wenn Leistungsberechtigte aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen.

Hierbei sind mit medizinischen Gründen ausschließlich krankheitsbedingte Gründe gemeint. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte und systematischen Gründen.

Der bei der HB bestehende Diabetes mellitus Typ I bedingt nach der medizinischen Sachaufklärung durch das LSG im konkreten Einzelfall keinen besonderen Ernährungsbedarf.

Bei der Erfassung des Stromverbrauchs für einen Heizlüfter im Bad mit nur einem Zähler kann zur Differenzierung zwischen vom Regelsatz umfassten Stromkosten (Haushaltsstrom) und Stromkosten als Kosten der Unterkunft (Heizkosten) geschätzt werden.

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1.3 – BSG Urteil vom 10.05.2011, – B 4 AS 11/10 R-

Kein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für Schulbedarfe für das Schuljahr 2006/2007 als Zuschussleistung nach dem SGB II(vgl. BSG Urteil vom 19.08.2010, -B 14 AS 47/09 R, SozR 4-3500 § 73 Nr 2).

Auch über die in der Entscheidung abgehandelten Anspruchsgrundlagen der § § 21, 23 Abs 3 und 24a SGB II, § 73 SGB XII und einen Anspruch direkt aus der Verfassung auf Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, BVerfGE 125, 175) hinaus ist keine Rechtsgrundlage vorhanden.

Der Schulbedarf ist nicht vom Kindergeld als zur Bedarfsdeckung bei den HB dienendes Einkommen vorab in Abzug zu bringen.

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2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12.05.2011 zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

2.1 – BSG Urteil vom 12.05.2011, – B 11 AL 25/10 R –

Die Bewilligung von Reisekosten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die jeweiligen Vorstellungsgespräche die Begründung eines Beamtenverhältnisses zum Ziel hatten.

Denn jedenfalls für den Personenkreis der Ausbildungssuchenden (vgl § 15 SGB III), umfasst die Vermittlung in ein Ausbildungsverhältnis (vgl § 35 Abs 1 Satz 2 SGB II) auch öffentlich-rechtlich ausgestaltete Ausbildungsverhältnisse.

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2.2 – BSG Urteil vom 12.05.2011, – B 11 AL 24/10 R-

Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II handelt es sich um eine Sozialleistung, die nachrangig zu gewähren war, dh bei rechtzeitiger Zahlung des Insg nicht zu gewähren gewesen wäre (§ 104 SGB X).

Voraussetzung der Erfüllungsfiktion ist aber nicht nur Identität des Leistungszeitraums, sondern auch Personenidentität zwischen dem Leistungsberechtigten der nachrangigen mit der vorrangigen Sozialleistung. Letztere bestand aber nur zum Teil; denn das Alg II wurde zwar an den Kläger (als vermuteten Vertreter, § 38 SGB II) ausgezahlt, jedoch der aus ihm und seiner Ehefrau bestehenden Bedarfsgemeinschaft gewährt.

Nur soweit das Alg II – einschließlich des gewährten befristeten Zuschlags nach Bezug von Alg und einschließlich der KdU – auf seine Person entfällt, tritt aber die fiktive Erfüllungswirkung ein.

Inzwischen gilt § 34a SGB II, wonach – im Gegensatz zu der geschilderten Auffassung – Ersatzansprüche anderer Träger auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten betreffen. Diese Vorschrift ist erst am 1.8.2006 in Kraft getreten. Die Gesetzesmaterialien bestätigen, dass der Gesetzgeber damit eine Lücke im bisherigen Recht schließen wollte, vorher mithin keine rechtliche Handhabe bestand, an den Ehegatten erbrachte Alg II-Leistungen bei der Frage der Erfüllungswirkung als solche zu behandeln, die dem Berechtigten (selbst) erbracht worden sind.

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3.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 05.05.2011, – L 2 AS 803/09 –

Tilgungsraten für ein Haus sind als Kosten der Unterkunft zu übernehmen, wenn sie unvermeidlich und angemessen sind.

Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Ziel der Vorschrift ist es, die existenziell notwendigen Bedarfe der Unterkunft und Heizung sicherzustellen. Dabei setzt sich der Unterkunftsbedarf aus mehreren Bausteinen zusammen. In erster Linie kommen insoweit die Kosten im Zusammenhang mit der Unterkunft selbst in Betracht, im Regelfall also der Mietzins.

Übernahmefähig sind dabei die tatsächlichen Mietkosten; ihre Höhe ergibt sich meist aus dem schriftlichen Mietvertrag. Zu den Kosten der Unterkunft zählen bei Mietverhältnissen weiter die (tatsächlichen) Nebenkosten. Hierunter fallen alle Mietnebenkosten, insbesondere diejenigen, die sich aus dem Mietvertrag ergeben oder vom Vermieter auf den Mieter umgelegt werden.

Bewohnen Hilfebedürftige eigengenutzte Eigenheime, so sind als Unterkunftskosten alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind, zu berücksichtigen.

 Die zu Mietwohnungen entwickelten Grundsätze (Aufwendungen für eine Wohnung sind als angemessen anzusehen, sofern sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist – BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 3, Rdnr. 19, 20) gelten auch, soweit Hilfebedürftige Kosten für eine selbst genutzte Eigentumswohnung von angemessener Größe im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II geltend machen (vgl. BSG, Urteil vom 15.04.2008, B 14/7b AS 34/06 R).

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten richtet sich für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheitlichen Kriterien (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 67/06 R, Rdnr. 24). Im Hinblick auf die durch die Unterkunft verursachten Kosten gibt es im Regelfall keinen sachlichen Grund, Haus- oder Wohnungseigentümer unterschiedlich zu behandeln (vgl. BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 3 Rdnr. 24).

Ausgehend vom Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, so lange dies zu Lasten der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemessene Kosten der Unterkunft) verbunden ist, spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen. Eine Ausformung dieses Gebots lässt sich auch dem Wohngeldrecht entnehmen. Der Bezugnahme auf das Wohngeldrecht kann in diesem Zusammenhang nicht entgegen gehalten werden, dass dessen Grundsätze für die Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht maßgebend seien (vgl. BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 18). Entscheidend ist hier, dass sowohl die Leistungen für KdU nach § 22 SGB II als auch das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) der Sicherung des Wohnens dienen. Alg II- und Sozialgeldempfänger nach dem SGB II sind nur deshalb aus dem Kreis der Wohngeldberechtigten (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 WoGG) ausgeschlossen, weil Leistungen für die KdU nach § 22 SGB II den angemessenen Wohnbedarf umfassend sicherstellen. Nach § 6 Abs 1 WoGG wird aber bei Eigentumswohnungen als "Belastung" diejenige "aus dem Kapitaldienst und aus der Bewirtschaftung" zugrunde gelegt. Zum Kapitaldienst zählt dort neben den Darlehenszinsen ua auch die Tilgungsverpflichtung (Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, Wohngeldgesetz, Stand: April 2008, § 6 RdNr 37 ff). Hieraus wird zudem deutlich, dass die Übernahme von Tilgungsleistungen in einem steuerfinanzierten Sicherungssystem nicht notwendig ausgeschlossen ist.

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3.2 – Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 24.03.2011, – L 1 AS 15/10 -, Revision zugelassen

Beginn des Mehrbedarfsanspruchs gem. § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II (Merkzeichen G) für Nichterwerbsfähige ist das Gültigkeitsdatum des Schwerbehindertenausweises(zustimmend Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 28 Rn. 33; Nebe SGb 2011, 193 (194 ff.) m.w.N. in Anm. 27 f.)und nicht erst der Besitz des entsprechenden Schwerbehindertenausweises.

Nicht geteilt wird die Auffassung der Landessozialgerichte Baden-Württemberg (Urteil vom 20.11.2008 – L 7 SO 3246/08) und Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 25.02.2010 – L 8 SO 219/07). In der Literatur schließen sich dieser Auffassung an Linhart/Adolph, Sozialgesetzbuch II/Sozialgesetzbuch XII, Stand: Juli 2009, § 30 Rn. 4 a. E).

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3.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil vom 03.03.2011, – L 5 AS 74/08 – Revision zugelassen

Die Wohnungsgröße wird nur bestimmt nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft(BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 73/08 R (23)).

Es ist obergerichtlich die Höhe des zu den Werten von § 8 WoGG aufzuschlagenden Sicherheitszuschlags nicht geklärt.

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4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Berlin Beschluss vom 25.01.2011, – S 201 AS 328/11 ER-

Bei den Pauschbeträgen für unentgeltliche Wertabgaben gemäß der Tabelle des Bundesministeriums für Finanzen handelt es sich um eine steuerliche Vereinfachung für Restaurantbetriebe, welche kein anrechenbares Einkommen sind.

Der Ansatz derartiger Pauschalen als zu berücksichtigende Betriebseinnahmen im Sinne von § 11 SGB 2 ist jedenfalls dann nicht rechtmäßig, wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass er sich und seine Familie nicht aus den Lebensmitteln ernährt, die er für seinen Asia-Imbiss kauft.

Die Anrechnung würde dazu führen, dass den Antragstellern ein höherer Betrag als Einnahme angerechnet wird als in der Regelleistung für Lebensmittel enthalten ist. § 3 Abs. 3 Alg II-V regelt nur die Behandlung von tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben. Nicht geregelt ist, inwieweit Pauschalen für den Eigenverbrauch angesetzt werden dürfen.

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++ Anmerkung: LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 4.4.2008, L 7 AS 5626/07 ER-B

Die Warenentnahmen des Betreibers eins Imbiss-Standes sind den Betriebseinnahmen hinzuzurechnen.

Zwar hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Beschluss vom 04.04.2008, Az. L 7 AS 5626/07) die Pauschbeträge aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums für Finanzen verwendet und als Betriebseinnahme des selbständigen Hilfebedürftigen berücksichtigt.

Jedoch ergab sich in dem Fall der Ansatz der Pauschbeträge bereits aus der vorläufigen Ergebnisberechnung des Steuerberaters. Dieser hatte die Pauschbeträge als "betriebliche Erlöse" angesetzt. Der Antragsteller hatte in dem Verfahren auf die gerichtliche Aufforderung seine tatsächlichen Warenentnahmen nicht glaubhaft gemacht, weswegen auf die Pauschbeträge zurückgegriffen worden ist.

4.2 – Sozialgericht Dresden Urteil vom 15.04.2011, – S 40 AS 471/08 -, Berufung zugelassen

Spesenzahlungen des Arbeitgebers sind anrechenbares Einkommen.

Zusätzlich zu der Zweckbestimmung ist weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen auch bei fehlender Zweckidentität nur dann nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II als Einkommen unberücksichtigt bleiben, wenn sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Eine solche Besserstellung kann gegeben sein, wenn zweckbestimmte, aber frei verfügbare Lohnzuschüsse, ggf. in Höhe der steuerfreien Sätze, den tatsächlich entstehenden Mehraufwand vor allem für Auswärtsverpflegung übersteigen, deshalb nur zum Teil bestimmungsgemäß verwendet werden müssen und mit dem überschießenden Betrag für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen (vgl. SächsLSG, Beschl. v. 21.9.2010, L 7 AS 395/10 B ER).

Steuerfreie Zuwendungen des Arbeitsgebers nach § 3 Nr. 16 EStG bereiten in vielen anhängigen Rechtsstreitigkeiten Probleme. In der sächsischen Sozialgerichtsbarkeit wird die Frage, ob eine hinreichende Zweckbestimmung bereits darin gesehen werden kann, dass im Arbeitsvertrag auf die steuerrechtlichen Regelungen Bezug genommen wird, unterschiedlich beantwortet. Schon deswegen bedürfen diese Rechtsfragen der Klärung durch das Landessozialgericht.

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5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

5.1 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 18.1.2011,- L 13 AL 3853/10 –

Eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen wegen des drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes ist nach § 2 Abs. 3 SGB IX nur dann vorzunehmen, wenn dem behinderten Menschen infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung der konkrete Verlust des Arbeitsplatzes droht; eine bloß abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes genügt nicht.

Missverständnisse, nicht geklärte Zuständigkeiten, ein unfreundlicher Umgang miteinander, unklare Arbeitsanweisungen, fachliche Defizite und fehlendes Verständnis für die jeweilige Situation des anderen oder auch persönliche Schwierigkeiten im Verhältnis von behindertem Menschen und Vorgesetzten, die nicht auf einer Behinderung beruhen, rechtfertigen eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht.

sozialgerichtsbarkeit.de

++ Anmerkung: Dazu ein Beitrag vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann im Nomos- Fachforum für Existenzsicherung

Nach dem abstrakten Leitsatz ist eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes aufgrund behinderungsbedingter Defizite erforderlich. Letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 SGB IX (…wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).) Ließt man die Entscheidung allerdings im Volltext, fällt auf, dass der Arbeitgeber wegen häufiger Erkrankungen (behinderungsbedingt = Rückenleiden)die Arbeitnehmerin gefragt hatte, wie es denn mit ihr weitergehen solle? Hierin könnte eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes liegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG, 02.03.2000 – B 7 AL 46/99 R) ist hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes nicht erforderlich, dass ein Arbeitsplatz konkret angeboten wird, es reicht vielmehr aus, wenn die Erlangung des Arbeitsplatzes durch die Gleichstellung verbessert wird. Hierbei ist zwar zu berücksichtigen, dass die Gefährdung des Arbeitsplatzes in der Behinderung ihren Grund hat, mithin die Gefährdung auf der Behinderung beruhen muss. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt größere Probleme haben als Menschen, die nicht behindert sind und das die Gleichstellung dazu dient die starren Grenzen des Gdb von 50 abzumildern(vgl. BSG 19.12.2001 B 11 AL 57/01 R Rn 22). Die Entscheidung verdient also durchaus eine kritische Anmerkung.

www.existenzsicherung.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

6.1 – Sozialgericht Karlsruhe Urteil vom 11.05.2011, – S 15 AL 5580/09 –

Keine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Verfallsfrist für Arbeitslosengeld wegen Arbeitsunfähigkeit

Ist ein Arbeitsloser wegen Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage, seinen Arbeitslosengeldanspruch bis zum Ablauf der vierjährigen, mit Entstehung des Anspruchs beginnenden Verfallsfrist des § 147 Abs. 2 SGB III geltend zu machen, kann er nicht im Wege der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 27 SGB X oder im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als hätte er die Frist nicht versäumt.

www.sozialgericht-karlsruhe.de

7.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

7.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 04.04.2011, – L 15 SO 41/11 NZB –

Für Menschen mit Über- oder Sondergrößen ist gemäß § 28 Abs.1 Satz 2 SGB XII ein erhöhter Regelsatz zu gewähren.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird grundsätzlich der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhaltes außerhalb von Einrichtungen mit den dort angegebenen Ausnahmen nach Regelsätzen erbracht. Diesen Regelsätzen liegen auf der Grundlage statistischer Erhebungen typisierte Bedarfe u.a. für Bekleidung und Schuhe zugrunde. Bei dem mit 10% des Regelsatzes veranschlagten Anteil für Bekleidung und Schuhe wird von durchschnittlichen Ausgaben der statischen Referenzgruppe ausgegangen und auch ein zumindest teilweiser Rückgriff auf Gebrauchtwaren als zumutbar angesehen (vgl. Gesetzesmaterialien BT-Drucks 15/1514 S.59, dort noch zu § 29 des Gesetzentwurfes). Nach Satz 2 der Vorschrift werden die Bedarfe abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. In der amtlichen Begründung für diese Regelung (BT-Drucks. a.a.O.) heißt es hierzu: "Ein nachweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweichender Bedarf liegt beispielsweise vor, wenn der Leistungsberechtigte teuere Unter- oder Übergrößen tragen muss."

Dieses Regelbeispiel für einen zu berücksichtigen höheren Bedarf wird auch in der Literatur angeführt (vgl. u.a. Schneider in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII 18. Aufl. 2010 RNr. 14 zu § 28 sowie Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII 3. Aufl. 2010, Rn. 27 zu § 28), so dass die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in Fällen wie dem vorliegenden außer Zweifel steht.

sozialgerichtsbarkeit.de

++ Anmerkung: Dazu ein Beitrag von Willi 2 im Nomos- Fachforum für Existenzsicherung

Vgl. dazu zum SGB II

Der Begriff Erstausstattung an Bekleidung ist insbesondere bedarfsbezogen zu verstehen. Auch hier kann die Formel „neuer Bedarf auf Grund außergewöhnlicher Umstände“ der Eingrenzung dienen (vgl auch Münder in Münder, Sozialgesetzbuch II, 3. Auflage 2009 Rn 32).
Danach kommen als „außergewöhnliche Umstände“ für die Entstehung eines neuen Bekleidungsbedarfs nicht nur Totalverlust, sondern auch Krankheit, Behinderung, Unfälle und erhebliche Gewichtszu- oder Gewichtsabnahme in kurzem Zeitraum usw in Betracht (s auch Schmidt in:
Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 23 SGB II Rz 52, Bender in Gagel, SGB III und SGB II, § 23 SGB II RdNr 71/72, Stand 36. Ergänzungslieferung
2009, Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 23 Rz. 343, 363, (BT-Dr. 15/1514, 60). Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 34 AS 24/09, Urteil vom 25.02.2010 (Bedarfsdeckungsprinzip gilt auch im SGB II).

Anspruch auf Leistungen für Bekleidungserstausstattungen

Ein Anspruch nach § 23 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 Alt. 1 SGB II kommt nach Vorstellung des Gesetzgebers in durch außergewöhnliche Umstände gekennzeichneten, gleichsam schicksalhaften Bedarfslagen wie nach längerdauernder Haft, Wohnungslosigkeit oder einem Wohnungsbrand in Betracht (vgl. BT-Drs. 15/1749 S. 33 mit Verweis auf BT-Drs. 15/1514 S. 60). Ebenso ist die Gewährung entsprechender Leistungen bei außergewöhnlichem, durch Wachstumsschübe verursachtem Größenwachstum Kommentar zum Sozialrecht, § 23 SGB II Rz. 15) oder starken Gewichtsschwankungen zu erbringen, SGB II § 23 Rz. 82).

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8.   Sozial- und arbeitsrechtliche Fragen der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit von Bürgern aus den EU-8-Staaten seit 01.05.2011. Autor Prof. Dr. Rainer Schlegel, Ministerialdirektor, Fundstelle: jurisPR-SozR 9/2011 Anm. 1.

Zitat:

1.Arbeitskräftezuwanderung aus EU-8-Staaten ab 01.05.2011

Zum 01.05.2004 sind u.a. Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen (sogenannte EU-8-Staaten) der Europäischen Union beigetreten. Mit dem Beitritt wurden den Staatsangehörigen dieser EU-8-Staaten im Grundsatz die von der EU gewährleisteten Grundfreiheiten eingeräumt, u.a. das Recht auf Dienstleistungsfreiheit sowie auf Arbeitnehmerfreizügigkeit. Den alten Mitgliedstaaten war allerdings die Möglichkeit eingeräumt worden, die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) und damit den Zugang der Bürger aus EU-8-Staaten zum Arbeitsmarkt während einer dreiphasigen, insgesamt siebenjährigen Übergangszeit zu beschränken. Deutschland hat von dieser Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Diese lief nunmehr aus, so dass seit dem 01.05.2011 Bürger aus den EU-8-Staaten von ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit in vollem Umfang Gebrauch machen können und bei einer Beschäftigung in Deutschland keiner Arbeitserlaubnis (§ 283 SGB III) mehr bedürfen. Bereits in der Vergangenheit hatte Deutschland in abgestufter Form den Zugang der EU-8-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer mit Hochschulberufen ohne Vorrangprüfung und für Arbeitnehmer mit sonstigen Ausbildungsberufen mit Vorrangprüfung eröffnet. Für die 2004 der EU ebenfalls beigetretenen Staaten Malta und Zypern trat die Arbeitnehmerfreizügigkeit sofort und ohne Übergangsbestimmungen ein. Für die der EU 2007 beigetretenen Staaten Rumänien und Bulgarien kann Deutschland das Inkrafttreten der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit noch bis Ende 2013 hinausschieben; ob und bis wann die Übergangsfrist für Bulgarien und Rumänien Ende 2011 verlängert wird, ist von der Bundesregierung noch im Laufe des Jahres 2011 zu entscheiden.

Neben dem genannten Zugang für „qualifizierte“ Arbeitskräfte auf Grund des Rechts auf Arbeitnehmerfreizügigkeit war es in den EU-8-Staaten ansässigen Selbstständigen schon in der Vergangenheit seit dem Beitritt der EU-8-Staaten 2004 möglich, dass sie von ihrem seit 01.05.2004 eingeräumten Recht auf Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machten, indem sie ihre Arbeitnehmer nach Deutschland entsandten. Die durch Art. 56 AEUV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit umfasst nicht nur das Recht eines Unternehmers/Selbstständigen, in einem anderen Mitgliedstaat selbst vorübergehend Dienstleistungen zu erbringen, sondern umfasst auch das Recht, diese Dienstleistungen durch eigene, grenzüberschreitend entsandte Arbeitnehmer ausführen zu lassen. – Die Dienstleistungsfreiheit war nach dem Beitritt der EU-8-Staaten bis zum Auslaufen der genannten Übergangsfrist nur sektoral, nämlich für die Baubranche, die Gebäudereiniger-Branche und Innendekoration eingeschränkt. Leiharbeitnehmer konnten ebenfalls nicht entsandt werden; ihnen war eine Arbeitserlaubnis zu versagen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 ArbeitserlaubnisVO).

Somit hat das Auslaufen der Übergangsregelung zum 01.05.2011 vor allem für weniger qualifizierte Beschäftigte, für Leiharbeitnehmer sowie für die in der Bau-, Innendekorations- und Gebäudereinigerbranche beschäftigten Arbeitnehmer Bedeutung, denen der Zugang bisher noch verwehrt war und nunmehr erlaubnisfrei eröffnet wurde. Bürger aus diesen Staaten benötigen seit 01.05.2011 keine Arbeitserlaubnis und keine Arbeitsgenehmigung mehr.

Über die Größenordnung desjenigen Personenkreises, die seit 01.05. 2011 von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch machen werden, gibt es nur vorsichtige Schätzungen. Das IAB (Baar/Brücker, EU-Osterweiterung: Beachtliche Gewinne für die deutsche Volkswirtschaft; IAB Kurzbericht Nr. 6/2007) schätzt eine Zunahme um 100.000 Personen pro Jahr.

In der politischen Diskussion wird die Zuwanderung begrüßt, soweit damit einem in Deutschland drohenden oder bereits eingetretenen Arbeitskräfte- und insbesondere Fachkräftemangel entgegengetreten werden kann. Teilweise wird befürchtet, dass insbesondere durch die Arbeitsaufnahme Geringqualifizierter das Lohnniveau für einfache Tätigkeiten insgesamt sinken könnte, so dass zur Vermeidung eines allgemeinen Lohndumpings – so eine politische Forderung – ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn erforderlich sei. Andere halten die Ausweitung branchenspezifischer Mindestlöhne und einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche (Leiharbeit) für ausreichend. Insgesamt herrscht aber die Meinung vor, dass seit 01.05.2011 „Europäische Normalität“ eingetreten ist und negative Auswirkungen auf das Niveau der Arbeitslosigkeit und das Lohnniveau ausbleiben oder sich in einem sehr engen Rahmen halten werden, jedenfalls für Panik kein Grund besteht.

II. Anwendbares Recht – Internationales Privatrecht und Rom I-Verordnung

Hier weiterlesen:
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9.   Kostenlose Rechtsberatung am Dienstag den 17. Mai für Hartz-IV-Empfänger von 14 bis 18 Uhr bietet der Sozialrechtsexperte Ludwig Zimmermann in der Wiclefstrasse 16/17 in 10551 Berlin c/o Rechtsanwalt Schuster.S-Bahnhaltestelle Beusselstrasse U-Bahn: Birkenstraße. Bitte den aktuellen Leistungsbescheid mitbringen.

Rezensionen :
www.elo-forum.org

www.tacheles-sozialhilfe.de

10.   Folienvertrag zum ALG II, Stand 12.05.2011, erarbeitet von Harald Thome

www.harald-thome.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de