Sozialgericht Hildesheim – Az.: S 43 AS 1174/09

Im Namen des Volkes

Verkündet am: 18. Mai 2011

Urteil

In dem Rechtsstreit

xxx,
Klägerin,

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

xxx,
Beklagter,

hat das Sozialgericht Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 18.Mai 2011 durch den Vorsitzenden, den Richter xxx, sowie die ehrenamtlichen xxx und xxx, für Recht erkannt:

1. Der Bescheid vom 30. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2009 wird abgeändert. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin weitere Leistungen in Höhe von 45,00 Euro zu gewähren.

2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe zu gewährender Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Klägerin bezog seit 2008 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Sie zog zum 01. April 2009 innerhalb Göttingens in eine neue Wohnung um und beantragte in diesem Zusammenhang am 03. April 2009 bei der Stadt Göttingen Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung – u. a. auch für den Kauf einer Waschmaschine. Mit Bescheid vom 30. April 2009 bewilligte die Stadt Göttingen der Klägerin einen Betrag für die Erstausstattung in Höhe von 342 EUR, ohne diesen näher aufzuschlüsseln. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Bescheides vom 30. April 2009 wird auf Blatt 103ff. der Verwaltungsakte verwiesen.

Hiergegen legte die Klägerin am 20. Mai 2009 Widerspruch ein. Der Bescheid sei entgegen § 35 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht hinreichend begründet worden. Die Klägerin könne nicht nachvollziehen, wie sich der bewilligte Betrag zusammensetze. Aus dem offensichtlich bewilligten Pauschalbetrag sei nicht ersichtlich, in welcher Höhe Leistungen für welche Positionen gewährt würden.

Die Stadt Göttingen übersandte der Klägerin daraufhin eine Aufstellung, in welcher der Gesamtbetrag aufgeschlüsselt wurde. Hiernach wurden für die Anschaffung einer Waschmaschine 230 EUR bewilligt. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten der Aufschlüsselung wird auf Blatt 105f. der Verwaltungsakte verwiesen.

Die Klägerin hielt den Widerspruch weiter aufrecht und führte an, dass die für den Kauf der Waschmaschine bewilligte Pauschale zu niedrig und nicht nachzuvollziehen sei. Eine Anfrage in Göttinger Elektronikmärkten habe ergeben, dass kein Gerät unter 299 EUR angeboten würde. Mit der gewährten Pauschale sei daher der bestehende Bedarf nicht zu decken. Bei Ansprüchen auf Erstausstattung sei aber vonseiten des Leistungsträgers eine bedarfsbezogene Prüfung vorzunehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2009 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die festgesetzte Pauschale bemesse sich nach den aktuellen Preisen des Gebrauchtmarktes und sei aufgrund sorgfältiger Recherchen festgesetzt worden. Ferner könne man für 230 EUR durchaus eine Waschmaschine erwerben, der Klägerin sei insoweit zuzumuten verschiedene Angebote zu vergleichen, ggf. wöchentliche Angebote örtlicher Geschäfte abzuwarten oder aber ein gebrauchtes Gerät zu erwerben.

Hiergegen hat die Klägerin am 02. Juli 2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Auch anhand der Angaben des Beklagten könne nicht nachvollzogen werden, wie die Pauschale ermittelt worden sei. Entsprechende Belege habe der Beklagte nicht vorgelegt. Die Klägerin habe zum damaligen Zeitpunkt keine Maschine zu den genannten Preisen erwerben können, ein Warten auf evtl. Sonderangebote sei nicht zumutbar gewesen. Die seitens des Beklagten im Verlauf des Verfahrens vorgelegten Belege zur Ermittlung der Pauschale bezögen sich nicht auf den Antragszeitraum und seien auch inhaltlich mangelbehaftet. Beispielsweise werde auf Internetauktionen verwiesen, bei denen der Zeitraum zur Abgabe eines Gebotes noch andauere. Ferner sei der Kauf eines gebrauchten Gerätes für Leistungsempfänger mangels bestehender Gewährleistungsansprüche nicht zumutbar.

Am 28. Juli 2009 erwarb die Klägerin eine Waschmaschine zu einem Preis von 275,00 Euro. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Kaufbelegs wird auf Blatt 34 der Gerichtsakte verwiesen. Der Klägerin sei es nicht zuzumuten gewesen, weiter ein Gerät zum Preis von 230 Euro zu suchen. Weder zum Zeitpunkt der Antragstellung noch zum Zeitpunkt des Kaufes am 28. Juli 2009 sei ein solches auf dem für die Klägerin zumutbaren Markt erhältlich gewesen. Der Beklagte sei daher verpflichtet, den noch offenen Differenzbetrag von 45 Euro zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2009 abzuändern und der Klägerin weitere Leistungen in Höhe von 45,00 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Betrag von 230 EUR angemessen und sachgerecht ermittelt sei. Auch der Kauf eines gebrauchten Gerätes sei zumutbar. Der Beklagte habe den Markt für Waschmaschinen im Umkreis von bis zu 75km längere Zeit beobachtet, entsprechende Angebote in Zeitungen und Internet ausgewertet und daraus die bewilligte Pauschale ermittelt. Deren Angemessenheit ergebe sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Unterlagen (vgl. Blatt 37ff, 43ff und 59ff. der Gerichtsakte).

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 30. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten.

Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des begehrten Differenzbetrages ergibt sich aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II. Hiernach sind Leistungen für die Erstausstattung von Wohnungen einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst und werden gesondert erbracht. Voraussetzung ist, dass der Hilfebedürftige einen entsprechenden Bedarf gegenüber dem Leistungsträger nachweist. Der Anspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist wie alle Leistungen des SGB II bedarfsbezogen zu verstehen (vgl. Bundessozialgericht: Urteil vom 20.08.2009, Az B 14 AS 45/08 R). Sofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 3 SGB II gegeben sind, hat der Leistungsträger den Bedarf zu decken. Es handelt sich insoweit um eine gebundene Entscheidung (siehe auch: Eicher/Spellbrink SGB II § 23 RN 113).

So verhält es sich hier. Zum Zeitpunkt des Antrages bestand unzweifelhaft ein entsprechender Bedarf der Klägerin. Dies wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt. Die Stadt Göttingen war daher verpflichtet, diesen Bedarf der Klägerin zu decken.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 5 und 6 SGB II können die in Satz 1 aufgeführten Leistungen als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen. Dem Grundsicherungsträger steht dabei bei der Festsetzung der Höhe der Pauschale nur ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum zu. Er ist angehalten, die in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II genannten "nachvollziehbaren Erfahrungswerte" über die Kosten der entsprechenden Einrichtungsgegenstände zur Stützung der Pauschalbeträge anzuwenden. Dabei kann er sich allerdings auf Werte aus dem unteren Segment des Einrichtungsniveaus stützen.

Diese Pauschalbeträge unterliegen aufgrund des eingeschränkten Beurteilungsspielraums des Leistungsträgers grundsätzlich der richterlichen Kontrolle (vgl. BSG a.a.O.). Die Gewährung von Pauschalbeträgen darf jedoch nicht dazu führen, dass der  Leistungsanspruch gegenüber der Gewährung durch Sachleistung oder individuell bestimmter Geldleistung verkürzt wird (vgl. BSG: Urteil vom 19.08.2010, Az B 14 AS 10/09 R).

Der Beklagte hat im Verlauf des Verfahrens umfangreiche Unterlagen vorgelegt, aus denen sich nach seiner Auffassung die Höhe der Pauschale ergeben soll. Er hat ferner vorgetragen, umfangreiche Preisermittlungen vorgenommen zu haben und den Markt für Neu- und Gebrauchtgeräte im näheren Umkreis regelmäßig zu beobachten. Dies ist nach Überzeugung der Kammer grundsätzlich ausreichend, um die in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II genannten nachvollziehbaren Erfahrungswerte zu begründen. Dem Leistungsträger ist durch die genannte gesetzliche Regelung die Möglichkeit gegeben, eine Vielzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte durch Zahlung eines Pauschalbetrages zu erfassen. Dies soll letztlich der Vereinfachung der Verwaltungspraxis dienen und dem Leistungsträger die Möglichkeit geben, auf eine jeweilige Einzelfallprüfung zu verzichten. Die Regelung des § 23 Abs. 3 SGB II erlaubt es, für diverse Gebrauchsgüter des täglichen Lebens Pauschalbeträge zu verwenden. Dies reicht von Haushaltsgroßgeräten bis zu Babybekleidung. Es wäre daher verfehlt, an den jeweiligen Leistungsträger bei der Ermittlung dieser Pauschalbeträge überhöhte Anforderungen zu stellen, die er aufgrund seiner organisatorischen Ausstattung nicht erbringen kann und ihm hierdurch die gerade durch § 23 Abs. 3 SGB II eingeräumte Möglichkeit der Pauschalierung faktisch wieder zu nehmen. Die hier in der Folgezeit durchgeführten Erhebungen zur Preisermittlung erscheinen daher als angemessen. Ausweislich der vorliegenden Dokumente hat der Beklagte in regelmäßigen Abständen den relevanten Markt für derartige Geräte beobachtet und die Angebote verschiedener Elektronikmärkte sowie Zeitungs- und Internetanzeigen ausgewertet. Dies ist als ausreichend anzusehen. Weitergehende Ermittlungen, wie beispielsweise eine wissenschaftlich fundierte statistische Auswertung, wären unpraktikabel und vom Beklagten letztlich nicht zu leisten.

Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte auch den Preis gebrauchter Geräte in die Ermittlung der Pauschalbeträge hat einfließen lassen. Es ist grundsätzlich zumutbar, Leistungsempfänger auch auf den möglichen Kauf eines gebrauchten Gerätes zu verweisen (vgl. auch Sozialgericht Karlsruhe: Beschluss vom 26.10.2007, Az 5 AS 5035/07 ER). Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist die Lebensdauer eines hochwertigen gebrauchten Gerätes (beispielsweise aus einer Haushaltsauflösung) nicht unbedingt geringer als diejenige eines preisgünstigen Neugerätes. Solange also der Leistungsträger nicht versucht, die Pauschalbeträge durch massive Einbeziehung von Preisen sog. Bastlergeräte oder ähnlichem auf unrealistische Werte zu reduzieren, ist ein Verweis auf Gebrauchtgeräte grundsätzlich zu akzeptieren.

Für den hier relevanten Antragszeitpunkt im April 2009 ist dem Beklagten der Nachweis jedoch nicht gelungen, dass die gewährte Pauschale von 230 Euro bedarfsdeckend gewesen ist. Die ältesten eingereichten Unterlagen datieren vom Juli 2009 und sind im Gegensatz zu den nachfolgend eingereichten Belegen wenig aussagekräftig. Trotz mehrfacher Aufforderung hat der Beklagte für den Zeitraum April 2009 nicht belegen können, auf welchen nachvollziehbaren Erfahrungswerten sich die zum damaligen Zeitpunkt ausgezahlte Pauschale von 230 Euro zusammengesetzt hat.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass in diesem Zeitraum nach ihren Recherchen lediglich ein Gerät für 299 Euro erhältlich gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Kaufes habe das niedrigste Angebot bei 275 Euro gelegen.

Dies hat der Beklagte nicht widerlegen können. Es ist nicht auszuschließen, dass zum damaligen Zeitpunkt keine billigeren Geräte zu erwerben waren. Somit ist davon auszugehen, dass ein Bedarf der Klägerin in Höhe von 299 Euro bestand, zu dessen Deckung der Beklagte verpflichtet gewesen wäre. Die Klägerin konnte nicht darauf verwiesen werden, längere Zeit auf ein preiswerteres Gerät zu warten, da der Bedarf nach § 23 Abs. 3 SGB II aufgrund seines existenznotwendigen Charakters zeitnah zu befriedigen ist (vgl. auch SG Karlsruhe a.a.O.).

Der Beklagte war daher zu verpflichten, über den gewährten Pauschalbetrag hinaus die tatsächlich entstandenen Kosten in Höhe von 275 Euro zu übernehmen.

§ 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II räumt dem Grundsicherungsträger ein Auswahlermessen dergestalt ein, dass er die Leistungen als Sachleistungen oder als Geldleistungen, letzteres auch in Form von Pauschalbeträgen erbringen kann. Daher hat der Leistungsempfänger grundsätzlich nur einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung dieses Ermessens, nicht aber einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Art der Leistung (vgl. auch BSG: Urteil vom 20.08.2009, Az B 14 AS 45/08 R). Vorliegend ist jedoch von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Der Beklagte hat nach eigenen Angaben bei derartigen Bedarfen ohnehin nur Pauschalbeträge erbracht, sodass ihm durch die Verpflichtung zur Kostenerstattung nicht die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung genommen wurde (vgl. auch BSG: Urteil vom 19.08.2010, Az B 14 AS 10/09 R).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung ist nach § 142 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Nach Auffassung der Kammer hat die Frage der an den Grundsicherungsträger zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Ermittlung von Pauschalbeträgen nach § 23 SGB II grundsätzliche Bedeutung.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.