1.1 – BSG, Urteil vom 09.06.2011, – B 8 SO 3/10 R-
Der Rechtsprechung des 14. Senats des Bundessozialgerichts (zum SGB II) ist zu folgen, wonach ein Fernsehgerät weder ein Einrichtungsgegenstand noch ein Haushaltsgerät ist, das eine Beihilfe zur Erstausstattung einer Wohnung (hier § 31 Abs 1 Nr 1 SGB XII) rechtfertigt.
1.2 – BSG, Urteil vom 09.06.2011, – B 8 SO 1/10 R –
Volljährige Sozialhilfeempfängerin hat Anspruch auf Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von 100%, denn sie bildet mit der Mutter und ihrem Bruder weder eine Bedarfsgemeinschaft noch eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des §19 SGB XII.
Liege eine Einsatzgemeinschaft iS des § 19 SGB XII – wie hier – nicht vor und erfülle die Personenkonstellation auch nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II, so rechtfertige dies nicht die typisierende Annahme einer Haushaltsersparnis.
++ Anmerkung: Unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R-) und vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R-) ist die Abgrenzung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen im SGB XII aus Gründen der gebotenen Gleichbehandlung in Anlehnung an die Regelung des SGB II vorzunehmen, da beide Sozialgesetzbücher eine identische sozialrechtliche Funktion – nämlich die Sicherstellung des Existenzminimums – haben. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Ersparnis und Kürzung der Regelleistung aber nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern geht in § 20 SGB II typisierend von prozentualen Abschlägen von der Regelleistung wegen Ersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft aus. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII davon auszugehen, dass bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des §19 SGB XII bilden.
1.3 – BSG, Urteil vom 09.06.2011, – B 8 SO 20/09 R-
Arbeitslosengeld II der Ehefrau ist nicht leistungsmindernd bei einem Leistungsbezieher der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu berücksichtigen, denn Arbeitslosengeld II ist kein Einkommen iS der Regelungen des SGB XII zur Anrechnung von Einkommen.
Der Ehefrau ist der nach § 30 SGB II zustehende höhere Einkommensfreibetrag über die Härtefallregelung des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII auch im Rahmen der Berechnung der Leistung nach dem SGB XII zuzugestehen.
Es gilt der Grundsatz, dass die Berechnung der Sozialhilfeleistung nach Maßgabe des SGB XII weder dazu führen darf, dass der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II zur Bedarfsdeckung der dem SGB XII unterworfenen Personen entzogen werden, noch dazu, dass Einkommen, das nach der Zielsetzung des SGB II geschont werden soll, gleichwohl zu Gunsten der dem SGB XII unterworfenen Personen verwertet werden muss.
2. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14.04.2011 zur Sozialhilfe (SGB XII)
2.1 – BSG, Urteil vom 14.04.2011, – B 8 SO 23/09 R –
Die Übergangsregelung des § 147 BSHG bzw. § 115 SGB XII erfasst nicht nur Erstattungsansprüche, die bereits vor 1994 angefallene Kosten betreffen. Vielmehr sind diese Vorschriften auch für Kosten, die erst nach 1993 entstanden sind, aber auf laufende Erstattungsfälle vor 1994 zurückgehen, anwendbar. Sie stellen wie auch § § 108 BSHG, 108 SGB XII nicht auf den einzelnen Erstattungsanspruch, sondern den gesamten Erstattungsfall ab.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 15.03.2011, – L 3 AS 133/10 –
Stehen einer Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld erstmalig für einen Teilmonat zu, ist der Vergleich der Höhe der gewährten Leistungen nach § 24 Abs. 2 SGB II bezogen auf den Kalendertag vorzunehmen.
3.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.05.2011, – L 5 AS 92/07 -, Revision zugelassen
Die Rechtsnatur von § 36 SGB II ist obergerichtlich nicht geklärt.
36 SGB II regelt umfassend die örtliche Zuständigkeit der Leistungsträger. Für den Hilfebedürftigen ist diese Regelung verbindlich und kann nicht abbedungen werden (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 36 RN 1). Der Vorschrift kommt nach Auffassung des Senats über die formelle Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus noch eine anspruchsvoraussetzungsregelnde Funktion zu. Sie enthält gegenüber der Grundvorschrift des § 7 Abs. 1 SGB II, die nur auf den gA in der Bundesrepublik Deutschland abstellt, eine ergänzende Bestimmung.
Es ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob § 36 SGB II über die formelle Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus auch eine Leistungsvoraussetzung enthält und einen Leistungsträger beispielsweise zur Leistungsablehnung wegen örtlicher Unzuständigkeit berechtigt. Während die überwiegende Meinung in den Kommentaren wohl zur Annahme einer bloßen Zuständigkeitsregel tendiert (vgl. Groth in Hohm: GK-SGB II, Losebl. Stand 03/11, § 36 RN 14; Link in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Aufl. 2008, § 36 RN 3, 31 ff.; Schoch in LPK–SGB II, 3. Auflage 2009, § 36 RN 19), scheint sich – insbesondere in der neueren Rechtsprechung – die Auffassung, die jedoch zumeist nicht weiter begründet wird, durchzusetzen, dass bei örtlicher Unzuständigkeit iSv § 36 SGB II keine (endgültige) Leistungsverpflichtung des angegangenen Grundsicherungsträgers besteht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen (NW), Urteil vom 1. Dezember 2009, Az. L 6 AS 21/09, juris RN 9; LSG NW, Beschluss vom 22. Juni 2010, Az.: L 6 AS 872/10 B ER, RN 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2009, Az.: L 28 AS 653/09 B, RN 2 Bay. LSG, Beschluss vom 16. Dezember 2010, Az.: L 7 AS 841/10 B ER, RN 16; Bay. LSG, Urteil vom 17. Februar 2011, Az.: L 7 AS 49/08, juris RN 31; a.A: 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Juli 2009, Az.: L 2 AS 194/09 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 1. November 2007, Az.: L 3 AS 60/07, RN 42).
Der Gesetzgeber hat sich zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Grundsicherungsträger für das Aufenthaltsprinzip – in dem hier streitigen Zeitraum ausschließlich in Form des gA nach § 30 Abs. 3 SGB I – als Anknüpfungsmerkmal entschieden und eine Alleinzuständigkeit der Träger am gA für alle Leistungen nach dem SGB II begründet, die ausnahmslos gilt. Nur ein – allerdings auch jeder – Wechsel des gA bewirkt zugleich einen Wechsel der Zuständigkeit der Leistungsträger. Dadurch ist gewährleistet, dass Träger über die Leistungen entscheiden, die mit den lokalen Verhältnissen am Arbeits- und am Wohnungsmarkt vertraut sind. Zugleich vermittelt die einmal begründete örtliche Zuständigkeit eine gewisse Beständigkeit, die Voraussetzung für ein stringentes Fallmanagement iS des Förderns und Forderns (§§ 1, 2 SGB II) ist. Denn kurzfristige Veränderungen des tatsächlichen Aufenthaltsorts führt nicht zu einem Trägerwechsel; dazu bedarf es schon der Verlagerung des Lebensmittelpunkts, idR durch einen Umzug. Sonstige abweichende Zuständigkeitsbestimmungen oder Zuständigkeitswechsel sind nicht vorgesehen.
Der Gesetzgeber hat damit hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit weder an die für die Arbeitslosenhilfe geltende Regelung in § 327 SGB III a.F., die prinzipiell an den Wohnsitz bei Eintritt der leistungsbegründenden Tatsachen anknüpfte, aber etliche Ausnahmen zuließ, noch an die für die Sozialhilfe geltende Regelung des § 97 BSHG, die im Grundsatz (für Leistungen außerhalb von Einrichtungen) vom tatsächlichen Aufenthaltsort ausging, orientiert.
Der durch die Anknüpfung an den gA vermittelte Effekt einer ortsnahen und damit bürgernahen, zugleich aber beständigen Leistungsverwaltung ist jedoch nur dann erreichbar, wenn die Regelung des § 36 SGB II nicht nur eine formelle Ordnungsvorschrift ist, sondern auch eine Leistungsvoraussetzung. Bliebe eine Antragstellung beim örtlich unzuständigen Träger ohne Konsequenz für die Leistungsgewährung, entfiele der dargestellte Vorteil der normativen Anknüpfung an den gA, denn nur der Träger vor Ort kann ohne größeren Aufwand in Kenntnis und unter Einbeziehung der lokalen Gegebenheiten sachgerecht über den geltend gemachten Leistungsanspruch entscheiden. Sowohl die Sachverhaltsaufklärung (z.B. Vorsprachen, Hausbesuche) als auch die Bestimmung der angemessenen KdU-Leistungen würden ungleich erschwert, wenn eine örtliche Unzuständigkeit folgenlos bliebe und beispielsweise ein örtlich unzuständige Träger (endgültig) über KdU aus einem fremden Zuständigkeitsbereich entscheiden müsste.
Die Interessen der Leistungsberechtigten sind hierdurch nicht in erheblichem Maße berührt, da im Konfliktfall die Berechtigung und Verpflichtung zur Erbringung von vorläufigen Leistungen nach § 43 SGB I und die nachwirkende Leistungsverpflichtung nach § 2 Abs. 3 SGB X unberührt bleiben (vgl. Seegmüller in Estelmann [Hrsg.]: SGB II, Loseblatt Stand 03/11, § 36 RN 4).
Ordnet man die Zuständigkeitsregelung des § 36 SGB II den Kategorien von Erbringungslast und Budgetlast zu, führt dies zum selben Ergebnis. Die Budgetverantwortung kann – insbesondere mangels eigenständiger Erstattungsvorschriften im SGB II – nur eingehalten werden, wenn allein der örtlich zuständige Träger verpflichtet ist, die Kosten der Leistungsgewährung aus seinem eigenen Haushalt bzw. Budget zu finanzieren (vgl. hierzu: Seegmüller, a.a.O., § 36 RN 5). Dies leuchtet für die den kommunalen Trägern obliegenden Leistungen für KdU sofort ein: Ein kommunaler Träger hat die Budgetlast für die KdU nur für die Leistungsberechtigten, die ihren gA in seinem Bereich haben. Besondere Erstattungsvorschriften gibt es nur für den Fall der vorläufigen oder der nachwirkenden Leistungserbringung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB I iVm § 102 SGB X, § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X) bei örtlicher Unzuständigkeit.
3.3 – LSG Sachsen- Anhalt Urteil vom 03.03.2011, – L 5 AS 160/09 –
Hat ein Hartz-IV Empfänger vom Amt doppelt so viel Geld für die Miete erhalten, als er im Antrag angegeben hatte, kann das Jobcenter das Geld zurück verlangen.
Denn beim Lesen des Bescheids hätte der Hilfebedürftige erkennen können, dass ihm das Amt doppelt so viel Geld für die Miete zahlte wie er angegeben hatte, so das grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, daran ändert auch nichts, dass eine behauptete Rechenschwäche und die Einnahme von starken Schmerzmitteln vom Hilfebedürftigen vorgetragen wurden.
3.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.05.2011, – L 5 AS 129/08 –
Für die Zeit vor einer gesetzlichen Regelung ab dem 1. August 2006 in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II fehlte eine Sonderregelung zur Behandlung von Betriebskostenerstattungen. Daher minderte eine entsprechende Rückzahlung nicht den Bedarf für die KdU, sondern war gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 15. April 2008, B 14/7b AS 58/06 R (37)).
3.5 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 19.05.2011, – L 2 AS 175/11 B ER –
Keine Übernahme von Mietschulden gem. § 22 Abs. 8 SGB II, wenn der Vermieter mehrfach ausdrücklich erklärt hat, die Zahlung der Mietschulden könne hier nicht zum Wohnungserhalt führen.
3.6 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 07.04.2011, – L 2 AS 10/11 B ER –
Keine Übernahme von Mietschulden, denn derzeit ist nicht glaubhaft, dass die Antragstellerinnen tatsächlich alsbald ernsthaft mit einem Vollzug der Kündigung in Form der Erhebung einer Klage auf Räumung des Wohnraums zu rechnen haben.
Dabei kann offenbleiben, ob der Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte zu folgen ist, dass eine Eilbedürftigkeit bei der Übernahme von Mietschulden nur dann glaubhaft gemacht ist, eine Räumungsklage bereits erhoben ist und der nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eröffnete Zeitraum zur Herbeiführung der Unwirksamkeit der Kündigung von zwei Monaten noch nicht verstrichen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 13.10.2010 – L 7 AS 989/10 B ER – ; LSG Nordrhein-Westfalen v. 31.08.2010 – L 19 AS 1106/10 B ER – Rn 17) bzw. wenn der Vermieter auch nach Ablauf der Frist noch bereit ist, die Kündigung zurückzunehmen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt v. 16.09.2010 – L 5 AS 288/10 B ER – Rn. 37) oder auch später, aber erst dann besteht, wenn die Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung angekündigt ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 14.10.2010 – L 5 AS 1325/10 B ER – Rn. 6).
3.7 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 01.06.2011, – L 19 AS 48/11 B –
Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn es ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob die Vorschrift des § 20 Abs. 3 SGB II nur dann Anwendung findet, wenn beide volljährigen Partner leistungsberechtigt nach dem SGB II sind (bejahend LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 24.11.2010 – L 15 AS 364/09 -; LSG Hamburg Urteil vom 02.09.2010 – L 5 AS 19/08 -, Revisionsverfahren anhängig unter B 14 AS 171/10 R).
Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt bei einem einheitlichen Streitgegenstand – wie vorliegend – die teilweise Erfolgsaussicht des Begehrens (siehe LSG NRW Beschluss vom 14.04.2008 – L 19 B 27/08 AS).
3.8 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 30.05.2011, – L 19 AS 431/11 B ER –
In der Literatur wird mit überzeugenden Argumenten die Auffassung vertreten, dass selbst hilfebedürftigen Ausländern, bei denen ein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. eine Erwerbsunfähigkeit i.S.v. § 8 Abs. 2 SGB II vorliegt, zumindest Leistungen analog § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vom Leistungsträger nach dem SGB XII zur Verfügung gestellt werden müssen, wenn sie nicht Mittel zur Ausreise erhalten. Darüber hinausgehende Leistungen stehen im Ermessen der Sozialhilfeträger (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII K § 23 Rn 50; Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 8 Rn 35; Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 23 Rn 27).
3.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 24.02.2011, – L 7 AS 49/09, BSG – B 14 AS 88/11 B –
Dass beide über ein eigenes Schlafzimmer verfügten, stehe der Annahme einer Einstehensgemeinschaft nicht entgegen.
Fehlende geschlechtliche Beziehungen seien nach der Rechtsprechung kein Kriterium für den Ausschluss einer Einstehensgemeinschaft. Ebenso wenig sei das Führen getrennter Kassen im Hinblick auf Lebensmitteleinkäufe und die hälftige Tragung der Miete geeignet, eine Einstehensgemeinschaft zu verneinen. Denn getrennte Kassen seien auch bei Eheleuten nicht unüblich.
Zwar kann alleine aufgrund des gemeinsam genutzten Kontos nicht darauf geschlossen werden, dass eine gegenseitige Verfügungsbefugnis bestand. Allein der Umstand, dass Frau dem Kläger ihr Konto zwecks Überweisungen der Regelleistung zu Verfügung gestellt hat, genügt für die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales nicht, solange daraus nicht auch die gegenseitige Verfügungsgewalt über das Einkommen und Vermögen des anderen folgt (LSG NRW, Beschluss vom 04.07.2007, Az.: L 19 B 56/07 AS ER, Rdn. 11).
3.10 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 26.05.2011, – L 25 AS 835/11 B PKH –
Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint.
Eine Verneinung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen liegt nicht nur vor, wenn eine Prüfung die fehlende Bedürftigkeit ergibt, sondern auch, wenn eine Prüfung "mangels geeigneter Prüfgrundlage" nicht möglich ist, weil nach Auffassung des Sozialgerichts der nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und 4 ZPO erforderliche Vordruck nicht vorgelegt oder fehlerhaft aufgefüllt worden ist (vgl. Beschluss des Senats vom 25. Februar 2010 – L 25 B 2170/08 AS PKH –).
Diese Rechtsprechung erstreckt sich auch auf den Fall, in dem der Kläger zwar den entsprechenden Vordruck vorgelegt, ihm aber nicht die vom Sozialgericht für erforderlich gehaltenen Belege – hier in Form von Kontoauszügen – beifügt.
Denn die Belege sind Bestandteil der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, deren Fehlen bei entsprechender Bewertung durch das Sozialgericht dem Fall gleichzustellen ist, in dem der Vordruck fehlerhaft ausgefüllt worden ist. Im Übrigen soll nach der Gesetzesbegründung zu § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nur mit der Beschwerde angefochten werden können, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache vom Gericht verneint wurden (vgl. BT-Dr. 16/7716 S. 22 zu Nr. 29).
3.11 – Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 26.05.2011, – L 7 AS 371/10 B –
Für einen Antrag, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts auf einen sogenannten Mehrvergleich zu erstrecken, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn ausschließlich Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG anfallen.
3.12 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 27.05.2011, – L 7 AS 342/11 B PKH –
Prozesskostenhilfe soll nicht finanziell losgelöstes wildes Prozessieren ermöglichen, sondern der Betroffene soll nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, Rn. 25).
Ein vernünftiger Bemittelter hätte nicht am 02.03.2011 eine Klage gegen die bisherigen Regelleistungen erhoben, wenn er angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, und des bereits vorliegenden Gesetzentwurfs sicher sein konnte, dass die Erhöhung der Regelleistung geringfügig ausfallen und in jedem Fall rückwirkend zum 01.01.2011 erfolgen wird (BVerfG a.a.O., Rn 218). Mit Gesetz vom 24.03.2011 wurden die neuen Regelbedarfe beschlossen (BGBl I, S. 453).
Die neuen Regelbedarfe wurden durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I, S. 453) festgelegt. Gerichte sind an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und der Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen – es kann das Gesetz nur gemäß Art 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des einfachen Gesetzes überzeugt ist (Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 100 Rn. 10). Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gibt es keine Anhaltspunkte.
Wie sich aus der Begründung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (Drucksache Bundestag 17/3404, S. 42 ff) ergibt, hat sich der Gesetzgeber sehr genau an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 gehalten. Auf Grundlage einer Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2008 wurden die Bedarfe von Erwachsenen und Kindern im Einzelnen ermittelt. Abschläge von einzelnen Verbrauchspositionen wurden entweder nicht mehr vorgenommen (z.B. bei Bekleidung) oder durch Sonderauswertungen berichtigt (z.B. Heizstromanteil, Personennahverkehr, Telefonkosten). Die Fortschreibung der Regelbedarfe wurde an die Preisentwicklung und die Nettolöhne angebunden (vgl. § 20 Abs. 5 SGB II), statt an die Rentenentwicklung. Zu den Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche wurden gesonderte Anspruchsgrundlagen geschaffen (§§ 28, 29 SGB II). Für den Mehrbedarf in atypischen Härtefällen wurde bereits mit Gesetz vom 27.05.2010 (BGBl I, S. 1706) in § 21 Abs. 6 SGB II eine Anspruchsgrundlage erstellt, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht.
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – Sozialgericht Dresden Urteil vom 30.05.2011, – S 3 AS 2611/09 -, Berufung zugelassen
Bei Eigenheimen bzw. Eigentumswohnungen gehören zu den zu übernehmenden Unterkunftskosten die Schuldzinsen eines Finanzierungskredites in angemessenem Umfang, Betriebskosten wie bei Mietwohnungen, Grundsteuern, öffentliche Abgaben, Versicherungsbeiträge, sonstige Ausgaben zur Bewirtschaftung des Haus- und Grundbesitzes sowie eine von der Wohnungseigentümerversammlung beschlossene Instandhaltungsrücklage (vgl. Piepenstock bei juris PK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22, Rn 40).
Dazu gehören die gesamten Schuldzinsen auch dann, wenn der Bewohner im Innenverhältnis eines Gesamtschuldverhältnis nur die Hälfte der Kreditzinsen schuldet, jedenfalls dann, wenn die Übernahme der vollen Kreditzinsen letztlich –ggf. auch nur faktisch – unvermeidbar ist.
Die Rechtsfrage, ob bzw. unter welchen Bedingungen im Falle getrennt lebender Miteigentümer die vollen Schuldzinsen selbstgenutzten Wohneigentums in die Berechnung der Unterkunftskosten des hilfebedürftigen Miteigentümers einzustellen sind, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.
4.2 – Sozialgericht Frankfurt Beschluss vom 05.05.2011, – S 26 AS 463/11 ER –
Kinder von Hartz-IV-Empfängern haben bei schlechten Noten nicht automatisch ein Anrecht auf staatlich finanzierte Nachhilfe.
Gemäß § 28 Abs. 5 SGB II in der seit 01.01.2011 geltenden Fassung wird eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung bei Schülerinnen und Schülern berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.
Das Jobcenter ist nur dann zur Übernahme der Kosten für Nachhilfe verpflichtet, wenn damit wesentliche Lernziele wie die Versetzung erreichen werden können. Die bereits seit 2010 in Anspruch genommene Nachhilfe des 16-Jährigen erfüllt diese Bedingung nicht.
4.3 – Sozialgericht Berlin Urteil vom 11.05.2011, – S 55 AS 13521/10 –
4 jähriges Kind, die in einer Migranten- und Einkommenslosen -Familie aufwächst, hat gegenüber dem Jobcenter ein um 15,00 EUR monatlich erhöhten Anspruch auf Grund der Betreuungskosten in einer Kindertageseinrichtung.
Der Anspruch ergibt sich aus Art 1 Abs 1, 20 Abs 1 GG. Dies folgt unmittelbar aus dem Tenor des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010, Aktenzeichen: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 mit folgender vorläufigen Anordnung: "Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs für die nach § 7 Sozialgesetzbuch Zweites Buch Leistungsberechtigten vorzusehen, der bisher nicht von den Leistungen nach §§ 20 folgende Sozialgesetzbuch Zweites Buch erfasst wird, zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber wird angeordnet, dass dieser Anspruch nach Maßgabe der Urteilsgründe unmittelbar aus Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz zu Lasten des Bundes geltend gemacht werden kann."
Zwar handelt es sich nicht um einen atypischen Fall. Vielmehr geht es bei den Betreuungskosten um eine häufiger vorkommende besondere Bedarfslage, die in der Regelleistung durch den Gesetzgeber bei typisierender und pauschalierender Normierung nicht im jeweiligen Umfang widergespiegelt werden kann. Als Bedarf ist er allerdings schon deshalb zu erfassen, weil es erklärtes Anliegen des Bundesgesetzgebers ist, im Vorschulalter eine entsprechende Förderung zu ermöglichen – ab drittem Lebensjahr besteht sogar ein Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen (§ 24 SGB VIII, ab August 2013 auch für jüngere Kinder). Auch aus Art 6 GG und § 1 Abs 1 Satz 4 Nr 4 SGB II (in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung) folgt, dass die Wahrnehmung der Förderung von Kindern im Vorschulalter durch pädagogisch geschultes Personal in einer kindgerechten Umgebung in der Gesellschaft mit anderen Kindern im Bereich der Grundsicherung zu fördern ist. Unzulässig ist es deshalb, die Betroffenen auf die Betreuung durch die nicht erwerbstätigen hilfebedürftigen Eltern zu verweisen. Entscheiden sich die Eltern, für ihr Kind Angebote in einer Kindertageseinrichtung zu nutzen, begründet dies einen bei rechtlicher Würdigung nicht vermeidbaren Bedarf.
Soweit eine generelle landesrechtliche Befreiung von den Betreuungsgebühren nicht besteht und eine anderweitige grundsicherungsrechtliche Kompensation der Betreuungsgebühren nicht erfolgt, kann und muss – sofern ein entsprechender Mehrbedarf nicht gesetzlich vorgesehen ist – der Bedarf deshalb über die Härtefallregelung gedeckt werden. Dass eine Befreiungsmöglichkeit nach §§ 90 Abs 3 SGB VIII, 4 Abs 4 TKBG besteht, ändert nichts an der Begründung eines entsprechenden Bedarfs und dessen Unabweisbarkeit. Insofern sind die Instrumentarien des § 5 SGB II auszuschöpfen und ggf entsprechende Erstattungsforderungen gegenüber dem Jugendhilfeträger durch die Beklagte geltend zu machen. Solange eine Befreiung von den Betreuungskosten nicht erfolgt ist, besteht ein entsprechender Bedarf. Anderweitige, aktuell nicht realisierbare Ansprüche im Sinne von § 5 SGB II schließen Ansprüche aus der Härtefallregelung nicht aus
5. Nachträglicher Antrag auf Beratungshilfe, ein Beitrag vom Sozialrechtexperten RA Ludwig Zimmermann
sozialrechtsexperte.blogspot.com
6. Stellungnahme des DRB zu Sanktionen in sozialer Grundsicherung
Der Deutsche Richterbund (DRB) hat zu den Sanktionen in sozialer Grundsicherung Stellung genommen.
Am 06.06.2011 fand eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages zu den Anträgen der Abgeordneten Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE "Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Leistungseinschränkungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch abschaffen" (BT-Drs. 17/5174 – PDF, 72 KB) und der Abgeordneten Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Rechte der Arbeitsuchenden stärken – Sanktionen aussetzen" (BT-Drs. 17/3207 – PDF, 68 KB) statt.
Die folgende Stellungnahme beschränkt sich auf Aspekte der sozialgerichtlichen Praxis und die in der bisherigen Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und des BVerfG herausgearbeiteten Grundsätze. Eine sozialpolitische Bewertung gehört hingegen nicht zu den Aufgaben des DRB als Berufsverband der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Auch eine über die bisherige Rechtsprechung hinausgehende verfassungsrechtliche Bewertung der geltenden gesetzlichen Regelungen erfolgt mit der folgenden Stellungnahme nicht.
1. Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verfolgt das Prinzip des aktivierenden Sozialstaats, ausgehend vom Vorrang der Selbsthilfe und der Subsidiarität steuerfinanzierter Sozialleistungen. Die Überschrift des 1. Kapitels des SGB II bezeichnet dies als "Fördern und Fordern". Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden in § 1 SGB II u.a. mit der Stärkung der Eigenverantwortung und der Leistung eines Beitrags dazu umschrieben, dass die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ihre Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. In diesem Zusammenhang wird u.a. von einem "Eingliederungsprinzip" gesprochen (so Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., 2008, vor § 1 Rn. 6). Diese Konzeption entspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, das von einer in einer sozialen Gemeinschaft lebenden eigenverantwortlichen Persönlichkeit ausgeht (vgl. etwa BVerfGE 4, 7; BVerfGE 12, 45; BVerfGE 24, 119; BVerfGE 65, 1; BVerfGE 121, 69).
Weiter zum Text hier:
www.juris.de
7. Aktuelle Entwicklungen bei den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Bedarfsgemeinschaften, Familien, Paare
Aufsatz von Udo Geiger
Quelle Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de