1. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 27.08.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil vom 27.08.2011, – B 4 AS 1/10 R –
Wertersatz bei rechtswidrigem Ein-Euro – Job- Hartz – IV Empfängerin hat keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt, weil ihrer Beschäftigung kein Arbeitsverhältnis zugrunde lag.
Sie hat in diesem Zeitraum vielmehr eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung wahrgenommen; derartige Arbeiten begründen nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung kein Arbeitsverhältnis. Das Vorliegen einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung ergibt sich aus den näheren Umständen des Zustandekommens sowie der Durchführung der Tätigkeit.
Die auf Veranlassung des Jobcenters verrichtete Tätigkeit stellte eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung dar. Es liegt keine Fallgestaltung vor, in der wegen eines gelösten Zusammenhangs zwischen der Vermittlung in eine Arbeitsgelegenheit und gänzlich abweichenden Tätigkeitsinhalten ein Arbeitsentgeltanspruch möglich sein könnte.
Die für einen Erstattungsanspruch erforderliche Vermögensmehrung kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn es an einer „Zusätzlichkeit“ der Arbeitsgelegenheit fehlt. Da die Arbeit dann in Erfüllung einer Aufgabe erbracht worden ist, die in jedem Fall hätte durchgeführt werden müssen, ist beim begünstigten Jobcenter durch die ersparten, aber notwendig gewesenen Aufwendungen zur Erfüllung dieser Aufgabe ein Vermögensvorteil entstanden.
Soweit es zu einer Vermögensmehrung insoweit gekommen sein sollte, muss sich das Jobcenter die von der Klägerin erbrachte Leistung ungeachtet des Umstandes zurechnen lassen, dass die Arbeitsgelegenheit bei der Arbeiterwohlfahrt durchgeführt worden ist.
Kommt das Landessozialgericht zu dem Ergebnis, dass eine Zusätzlichkeit der Reinigungsarbeiten zu verneinen ist, wird es weiter zu prüfen haben, ob diese Vermögensverschiebung ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Als Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung kommen grundsätzlich ein bestandskräftiger Zuweisungsbescheid bzw eine Eingliederungsvereinbarung in Betracht. In dem an die Klägerin gerichteten Zuweisungsschreiben kann mangels abschließender Regelung kein Verwaltungsakt gesehen werden. Die hier fehlende Benennung der von dem Hilfebedürftigen konkret auszuübenden Tätigkeit ist unverzichtbar, weil allein das Jobcenter für die Eignung der Maßnahme im Sinne einer Eingliederung des Leistungsberechtigten verantwortlich bleibt.
juris.bundessozialgericht.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Termintipp des BSG Nr. 15/11 vom 16. August 2011 – Hartz IV – Erstattungsanspruch bei Ein-Euro-Job – B 4 AS 1/10 R –
BSG, Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 98/10 R – (noch nicht veröffentlicht)
Nach der Rechtsprechung des 14. Senats des Bundessozialgerichts kommt unter bestimmten Voraussetzungen ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Leistungsbezieherin nach dem SGB 2 gegen das Jobcenter in Betracht. Werden Hartz-IV-Empfängern rechtswidrige Ein-Euro-Jobs zugewiesen, steht ihnen die Nachzahlung des Tariflohns zu.
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2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 23.08.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – BSG, Urteil vom 23.08.2011, – B 14 AS 74/10 R –
Wie viel Geld darf Großmutter ihren „Hartz-IV-Enkeln“ denn geben?
Das Jobcenter hat nach einem Hinweis des Bundessozialgerichtes den Klageanspruch anerkannt.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
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2.2 – BSG, Urteile vom 23.08.2011, – B 14 AS 185/10 R- und – B 14 AS 186/10 R –
Hartz-IV Empfänger dürfen Stromkostenerstattung behalten.
Grundsätzlich sind zwar auch Rückerstattungen von Vorauszahlungen aus Energielieferverträgen im Bedarfszeitraum als Einkommen und nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Nach Sinn und Zweck des § 11 Abs 1 SGB II kann aber eine Rückzahlung von Kosten für Haushaltsenergie, die auf Vorauszahlungen aus Zeiträumen beruht, in denen Hilfebedürftigkeit bestand, nicht als Einkommen berücksichtigt werden, weil es sich bei den Zahlungen für Haushaltsenergie um die Befriedigung eines der Regelleistung zuzuordnenden Grundbedarfs handelt. Einnahmen aus Einsparungen hinsichtlich der Regelbedarfe sind grundsätzlich über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen.
juris.bundessozialgericht.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Was es mit den ersparten Stromkosten auf sich hat. Bundessozialgericht verhindert Spartrick der Jobcenter.
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2.3 – BSG, Urteil vom 23.08.2011, – B 14 AS 91/10 R –
Bundessozialgericht kritisiert Berechnung angemessener Unterkunftskosten bei Hartz IV.
Denn Jobcenter dürfen nicht einfach die von Hartz-IV-Beziehern gezahlten durchschnittlichen Mieten als Grundlage für angemessene Unterkunftskosten heranziehen, denn dies entspricht nicht den Vorgaben des BSG zur Ermittlung eines schlüssigen Konzepts.
juris.bundessozialgericht.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Welt-online berichtet: „Bundessozialgericht: Hartz IV Empfänger darf Haus an der Nordsee behalten.“
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3. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 21.06.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – BSG, Urteil vom 21.06.2011, – B 4 AS 21/10 R –
Mangelnde Amtsermittlung kann – niemals Grund – für eine nur vorläufige Leistungsbewilligung von ALG II sein – Aufhebung Verwaltungsakt wegen Einkommenserzielung
Der endgültige Bescheid ist umgekehrt kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen – nicht wegen fehlerhafter Ausübung der Amtsermittlungspflicht, sondern – objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht.
Eine endgültige Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis hierzu ist rechtswidrig (BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1).
Entscheidet der Träger jedoch endgültig und bewilligt nicht nur vorläufige Leistungen, sind Maßstab der Überprüfung der Aufhebungsentscheidung § 45 oder § 48 SGB X.
Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf.
§ 45 SGB X findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden soll, ab (vgl BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4 RdNr 13; BSGE 59, 206 = SozR 1300 § 45 Nr 20 S 68 und BSGE 65, 221 = SozR 1300 § 45 Nr 45 S 141; vgl auch Urteil des Senats vom 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R – und zuletzt BSG vom 24.2.2011 – B 14 AS 45/09 R,).
Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären (BSG Urteil vom 28.6.1990 – 4 RA 57/89 – BSGE 67, 104, 113 ff = SozR 3-1300 § 32 Nr 2; BSGE 82, 183 = SozR 3-4100 § 71 Nr 2 mwN; BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1), um die objektiven Verhältnisse festzustellen.
3.2 – BSG, Urteil vom 21.06.2011, – B 4 AS 128/10 R –
Bei Aufnahme in den geschlossenen Vollzug zur Ableistung einer Ersatzfreiheitsstrafe ist der Antragsteller gem. § 7 Abs 4 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Dieser Leistungsausschluss greift auch ein, wenn der Hilfebedürftige in einer JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt.
Entsprechend der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hat der 14. Senat des BSG zu § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II in der hier maßgebenden Fassung entschieden, dass der Leistungsausschluss vom ersten Tag der Aufnahme in die Einrichtung (BSG Urteil vom 6.9.2007 – B 14/7b AS 16/07 R, BSGE 99, 88 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 7, RdNr 16) auch greife, wenn der Hilfebedürftige in der JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB) verbüße, weil er sich auch dann in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalte (BSG Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 81/09 R, RdNr 20).
Hintergrund des fehlenden Ausspruchs der Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Nichtzahlung der Geldstrafe im Strafurteil sei, dass der Maßstab der Umrechnung zwischen Geldstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe im Gesetz bereits bestimmt sei und dem Strafrichter insoweit kein Raum für eine eigene Entscheidung verbleibe (§ 43 Abs 2 StGB). Bei jeder Verurteilung zu einer Geldstrafe werde die Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung der Geldstrafe mitgedacht und mitverhängt und trete als echte Strafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der Geldstrafe (BSG Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 81/09 R, RdNr 21).
Im Übrigen könne dahingestellt bleiben, ob der vom 14. Senat in seiner Entscheidung vom 6.9.2007 (B 14/7b AS 16/07 R, BSGE 99, 88 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 7) entwickelte funktionale Einrichtungsbegriff in Bezug auf die Rechtslage nach dem FortentwicklungsG weiterer Modifizierungen bedürfe. Jedenfalls lasse die ausdrückliche und spezielle Regelung zu den Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II erkennen, dass diese eine Sonderstellung einnähmen. Es komme insofern nicht mehr darauf an, ob sie nach ihrer Art die Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbsarbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschlössen; vielmehr seien Leistungen generell ausgeschlossen. Die gesetzgeberische Entscheidung, den Aufenthalt in einer JVA dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung – ohne weitere Prüfung des Vorliegens einer solchen – gleichzustellen, werde auch durch die Gesetzbegründung belegt, wonach es Ziel sei, Personen in diesen Einrichtungen vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen (BSG Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 81/09 R, RdNr 25, mit Hinweis auf BT-Drucks 16/1410, S 20)
Auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids lagen vor. Der Kläger hat es unterlassen, dem Beklagten mit dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe seinen Aufenthalt in der JVA mitzuteilen.
Seine Pflicht zur Mitteilung ergibt sich aus § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, ua Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat.
Diese Pflicht hat der Kläger grob fahrlässig verletzt. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG ist bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit einen subjektiven Maßstab anzulegen. (BSG Urteil vom 29.10.2008 – B 11 AL 52/07 R – SozR 4-4300 § 118 Nr 2, RdNr 20; BSG Urteil vom 13.7.2006 – B 7a AL 16/05 R – SozR 4-4300 § 122 Nr 5, RdNr 14).
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Kein Arbeitslosengeld II während Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA.
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4. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 13.04.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – BSG, Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 106/10 R –
BSG kippt Freiburger Mietobergrenzen für Hartz IV-Empfänger- Prüfung der Angemessenheit der Leistung für die Heizung.
Das BSG hat das Konzept der Stadt Freiburg nun verworfen, weil es den Anforderungen an die Plausibilität eines Konzeptes zur Bemessung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 SGB II, die das BSG entwickelt hat, entgegen den Auffassungen der Instanzgerichte nicht entspricht.
Die Prüfung der Angemessenheit der Leistung für die Heizung hat nicht nur getrennt von der für die Unterkunft zu erfolgen, sondern auch nach eigenen Regeln: Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung ist – mangels anderer Zahlen – so lange zu bejahen, wie die Kosten unter dem Grenzbetrag eines bundesweiten oder kommunalen Heizspiegels liegen (BSG vom 2.7.2009 – B 14 AS 36/08 R – BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; BSG vom 2.7.2009 – B 14 AS 33/08 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 25; BSG vom 20.8.2009 – B 14 AS 65/08 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 26 <Zweibrücken> RdNr 23 ff).
Anmerkung: Vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Wann muss ein Hartz – IV Empfänger nach der neusten Rechtsprechung des BSG – nicht umziehen? Welche Gründe stehen einem Umzug nicht entgegen?
BSG, Urteil vom 13.04.2011, – B 14 AS 106/10 R -, RdNr. 37,38
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5. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.08.2011 zur Sozialhilfe(SGB XII)
5.1 – BSG, Urteil vom 25.08.2011, – B 8 SO 20/10 R –
Arbeitslose müssen sich nicht mit einer Standard-Beerdigung zufrieden geben
Fehlinformationen des Sozialhilfeträgers bzw eine Weigerung, sich zur Höhe der angemessenen Kosten der Bestattung gem. § 74 SGB XII zu äußern, kann im Einzelfall dazu führen, dass auch objektiv unangemessene Kosten subjektiv erforderlich sind.
Übernahme angemessener Bestattungskosten durch den Sozialhilfeträger nicht nach pauschal ermittelten Vergütungssätzen
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. August 2011 entschieden, dass erforderliche Bestattungskosten durch den Sozialhilfeträger nicht nach Maßgabe pauschal ermittelter Vergütungssätze zu übernehmen sind, sondern dass die Angemessenheit der einzelnen geltend gemachten Kosten sowie des Gesamtpakets zu ermitteln sind.
Die Klägerin, die Arbeitslosengeld II bezog, machte vom Sozialhilfeträger Bestattungskosten geltend, die ihr anlässlich des Todes ihres Ehemannes entstanden sind; dabei hat der Sozialhilfeträger die Rechnung des Bestattungsunternehmens um über 950 Euro insgesamt gekürzt. Das Landessozialgericht hat die Klage auf Zahlung dieses Betrages abgelehnt, weil mit den vom Beklagten gewährten Mitteln eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende, würdige, aber einfache Bestattung durchführbar sei und die vom Beklagten hierzu entwickelten Vergütungssätze nachvollziehbar und plausibel seien. Die über die Vergütungssätze des Beklagten hinausgehenden Kosten seien nicht erforderlich im Sinne des Gesetzes (§ 74 SGB XII).
Dieser Argumentation ist das Bundessozialgericht nicht gefolgt; vielmehr sind die Erforderlichkeit der Einzelleistungen des Bestattungsunternehmers und die Höhe der dafür im Einzelnen angesetzten Kosten sowie eine Gesamtbetrachtung der Summe auf den örtlichen Verhältnissen entsprechende Angemessenheit zu überprüfen. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass erstattungspflichtige Privatpersonen in der Regel vertragsmäßig ungünstigeren Konditionen unterliegen als die Sozialhilfeträger und dem Bestattungspflichtigen, der sich ohnedies in einer besondern Belastungssituation befindet, bis zur Beerdigung regelmäßig nicht die Zeit bleiben dürfte, unterschiedliche Angebote bei Bestattungsunternehmern einzuholen, um das billigste auszuwählen.
Gerade deshalb sind sie in besonderer Weise auf Beratung durch den Sozialhilfeträger angewiesen, soweit sie bei diesem wegen der Höhe der angemessenen Kosten nachfragen.
Fehlinformationen des Sozialhilfeträgers bzw eine Weigerung, sich zur Höhe der angemessenen Kosten zu äußern, kann deshalb im Einzelfall dazu führen, dass auch objektiv unangemessene Kosten subjektiv erforderlich sind, wenn die tatsächlichen Kosten zu den angemessenen Kosten nicht in einem derart auffälligen Missverhältnis stehen, dass dies dem Bestattungspflichtigen ohne weiteres hätte auffallen müssen.
5.2 – BSG, Urteil vom 25.08.2011, – B 8 SO 19/10 R –
Muss Altersvorsorge verwertet werden?
Ein Härtefall nach § 90 Abs 3 SGB XII ist zu verneinen, wenn der Rückkaufswert der Kapitallebensversicherung nur um knapp 11 % hinter der Summe der eingezahlten Beiträge zurückbleibt.
Bevor Grundsicherungsleistungen gewährt werden, muss eigenes Vermögen verwertet werden. Der Sozialhilfeträger muss prüfen, ob und in welcher Form die Kapitallebensversicherung rechtlich und tatsächlich verwertbar war.
Bei Annahme einer rechtlichen und tatsächlichen Verwertbarkeit (etwa durch Beleihung auch nach Vereinbarung des Verwertungsausschlusses) hätte es immer noch der Prüfung bedurft, ob besondere Umstände für eine notwendige zusätzliche Alterssicherung vorlagen.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Liegt ein Härtefall im Sinne des § 90 Abs 3 SGB XII vor, wenn ein Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen muss, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbstständiger Tätigkeit aufweist. Er habe angesichts seiner Erwerbsminderungsrente bis zum Eintritt in das Rentenalter keine Altersvorsorge mehr betreiben können.
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5.3 – BSG, Urteil vom 25.08.2011, – B 8 SO 29/10 R –
Nach der Rechtsprechung des BSG sind Unterkunftskosten nicht nominal aufzuteilen, wenn eine volljährige Person nur in einer Haushaltsgemeinschaft mit einem Nichtbedürftigen zusammenlebt und weder die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II noch einer Einsatzgemeinschaft nach dem SGB XII vorliegt.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
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6. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
6.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 07.06.2011, – L 5 AS 158/10 B ER –
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG), Urteil vom 22. März 2010, Az.: B 4 AS 68/09 R, RN 13) erfordert eine Absenkung nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchstabe b SGB II wegen eines Sperrzeitereignisses keine vorherige Rechtsfolgenbelehrung.
Nach dem BSG (a.a.O., RN 14) ist die Vorschrift nicht nur auf pflichtwidrige Handlungen anwendbar, die zeitlich vor einer Antragstellung oder dem Beginn des Leistungsbezugs nach dem SGB II liegen. Zwar habe sich der Gesetzgeber in vielen Fallgestaltungen in den Absätzen 1, 2 und 4 des § 31 SGB II bei der Ausdifferenzierung der Absenkungs- und Wegfallgründe konkret auf die für SGB II-Bezieher im Grundsicherungsrecht neugeschaffenen Obliegenheiten bezogen. Daher sei bei § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchstabe b SGB II in Bezug auf die Sperrzeitregelungen des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 7 SGB III grundsätzlich unabhängig von einem Leistungsbezug nach dem SGB II im Einzelfall zu prüfen, ob die Pflichtverletzung von dem Sanktionstatbestand erfasst werde. Die Anwendung dieses Sanktionstatbestands setze jedoch voraus, dass das von dem Hilfebedürftigen abverlangte Verhalten nicht bereits von § 31 Abs. 1 SGB II erfasst werde und das sperrzeitrelevante Ereignis zu einem Zeitpunkt eintrete, in dem eine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III bestehe.
6.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 07.07.2011, – L 5 AS 177/11 B ER –
Unter die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II können auch Nebenkostennachforderungen aus abgelaufenen Abrechnungszeiträumen fallen.
Nach der Rechtsprechung des BSG besteht ein Anspruch auf Leistungen für die Nachforderung auch dann, wenn diese darauf zurückzuführen ist, dass Abschläge nicht in der gesetzlichen Höhe bewilligt worden sind. Sind bedarfsdeckende Leistungen gewährt, aber nicht in der bewilligten Höhe abgeführt worden, handelt es sich um Schulden, für die nur eine darlehensweise Übernahme in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 22. März 2010, B 4 AS 62/09 R).
Eine drohende Wohnungslosigkeit i.S.v. Satz 2 der Vorschrift liegt nicht vor. Es handelt sich jedoch um eine “vergleichbare Notlage” i.S.v. Satz 1 der Vorschrift (Eicher/Spellbrink, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2. Aufl. § 22, Rn. 105). Die Übernahme von Energieschulden steht somit im Ermessen des Beschwerdegegners, sofern sie zur Behebung einer Notlage gerechtfertigt ist.
Die Besonderheit einer Ermessensleistung ist, dass das Gesetz der Verwaltung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall keine bestimmte Rechtsfolge vorgibt. Der Beschwerdeführer hat in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I), nicht jedoch auf eine bestimmte Leistung. Die gerichtliche Kontrolle ist beim Vorliegen eines Beurteilungsspielraums auf die Frage beschränkt, ob der Beschwerdegegner von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, und ob er die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs abstrakt ermittelten Grenzen eingehalten und beachtet hat.
Es sind hier keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Entscheidung des Beschwerdegegners, kein Darlehen zu gewähren, ermessensfehlerhaft ist. Nur wenn das Ermessen ausschließlich in einem bestimmten Sinne rechtmäßig ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre, besteht ein Anspruch auf diese einzig mögliche rechtmäßige Entscheidung. Eine „Ermessensreduzierung auf Null“ ist jedoch nur dann gegeben, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt eine anderweitige Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen ist.
Grundsätzlich ist auch im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes, außer in den Fällen einer Ermessensreduzierung auf Null, der Behörde ein Spielraum zur Ausführung des ihr auferlegten Ermessens zu belassen.
Die Schuldenübernahme mittels Darlehen ist nicht gerechtfertigt i.S.v. § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II, weshalb schon die Voraussetzungen für eine Ermessensausübung des Beschwerdegegners nicht vorliegen.
6.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 06.07.2011, – L 5 AS 226/11 B ER –
Ein Antrag nach § 44 SGB X ändert die Bestandskraft (§ 77 SGG) des Ursprungsbescheids so lange nicht, wie ihm nicht ganz oder teilweise entsprochen worden ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. März 2011, Az.: L 13 AS 82/11 B ER, RN 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2011, Az.: L 14 AL 373/10 B ER, RN 3).
Daraus folgert das Bayerische LSG (Beschluss vom 23. September 2010, Az.: L 7 AS 651/10 B ER, juris RN 19), dass erst, wenn der Überprüfungsantrag bei der Behörde gestellt und dieser unter Darlegung und ggf. Glaubhaftmachung der Dringlichkeit der Überprüfung eine ausreichende Bearbeitungsfrist eingeräumt wurde, ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (wieder) zulässig werden kann.
Es weist zudem darauf hin, dass bei dem Gericht ein solcher Überprüfungsantrag nicht gestellt werden könne, weil dieses Gericht kein Leistungsträger iSv § 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) ist.
6.4 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss vom 11.08.2011, – L 12 AS 3144/11 ER-B –
Zur Frage der Erforderlichkeit des Umzugs i.S.v. § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II in eine größere Wohnung.
Die Unterbringung von zwei Schulkindern verschiedenen Geschlechts in einem Zimmer mit einer Größe von 9 m² macht einen Umzug in eine größere Wohnung erforderlich.
Nach § 22 Abs. 4 SGB II soll vor Abschluss eines Vertrags über eine neue Unterkunft die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Entsprechend ist in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II geregelt, dass nur der bisherige Bedarf anerkannt wird, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen. Nach dem Willen des Gesetzgebers (BT- Drucks. 16/1410 S. 23) sollen die Kosten der Unterkunft auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, wenn Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten umziehen. Mit dieser Regelung sollte dem Leistungsmissbrauch eine Grenze gesetzt und Kostensteigerungen für Leistungen der Kosten der Unterkunft innerhalb der kommunalen Grenzen vorgebeugt werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 22 Nr. 35 = BSGE 106, 147).
Mit der nur ausnahmsweisen Übernahme von höheren Unterkunftskosten gegenüber den bisher als angemessen anerkannten – auch innerhalb der Angemessenheitsgrenzen – wird es dem Hilfebedürftigen verwehrt, den maximalen Leistungsanspruch auszuschöpfen, wenn sein Existenz sichernder Bedarf bereits angemessen gedeckt ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 4. März 2011 – L 7 AS 753/10 B ER – (juris); Lang/Link, in Eicher/Spellbrink SGB II, 2. Auflage, § 22 Rdnr. 47a).
Der begehrten Zusicherung steht auch nicht entgegen, dass der Umzug nicht erforderlich wäre. Für die Annahme der Erforderlichkeit eines Umzugs muss zunächst ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegen, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger leiten lassen würde (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 3. Auflage, § 22 Rdnr. 84). Dies allein reicht indes nicht aus, denn im Rahmen des SGB II kann lediglich eine einfache, grundlegenden Bedürfnissen genügende Wohnraumversorgung gefordert werden (vgl. BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 3 = BSGE 97, 254), während der Nichthilfeempfänger derartigen Einschränkungen nicht unterliegt. Allein ein beabsichtigter Gewinn an Fläche oder Wohnkomfort, etwa durch bessere Ausstattung oder ruhigere Lage, kann daher die Erforderlichkeit eines Umzugs bei ansonsten unveränderten Umständen in der Regel nicht begründen (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern – Urteil vom 7. Mai 2009, a.a.O.).
Die mit dieser Entscheidung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache ist ausnahmsweise zulässig, da ansonsten eine Vereitelung des beanspruchten Rechts droht (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 306 ff, 310). Die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II bezweckt es, dem Hilfeempfänger vor Eingehen einer zivilrechtlichen Verpflichtung gegenüber dem neuen Vermieter, Rechtssicherheit hinsichtlich der Kostentragung zu verschaffen. Eine nur vorläufige Regelung erscheint insoweit nicht praktikabel, so dass vorliegend im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung zur Erteilung der Zusicherung auszusprechen ist (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28. Oktober 2008, a.a.O.).
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
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6.5 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss vom 10.08.2011,- L 13 AS 2220/11 B –
Zur materiellen Bestandskraft (Bindung) einer durch -bestandskräftigen- Verwaltungsakt erklärten Aufrechnung.
Die Rechtsfrage, ob im Sozialrecht eine Aufrechnung durch Verwaltungsakt oder durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung zu erfolgen hat, ist umstritten(vgl. BSG Urteil vom 16. Dezember 2009, B 7 AL 43/07 R; zur Verrechnung s. den auch vom SG zitierten Vorlagebeschluss des BSG vom 25. 2. 2010, B 13 R 76/09 R).
Für das SGB II hat der Gesetzgeber mit § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II mit Wirkung ab 1. April 2011 allerdings nunmehr normiert, dass die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären ist.
Sollte die Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 17. Juli 2006 durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) eine „Regelung über die Aufrechnung“ vorgenommen haben, wird zu prüfen sein, welche Rechtsfolgen (materielle Bestandskraft; Bindung in der Sache) aus dem bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt resultieren; sollte sie zu Unrecht in Form eines Verwaltungsaktes eine „Regelung über die Aufrechnung“ vorgenommen haben, ist die Bindungswirkung zweifelhaft.
Der 13. Senat des BSG (a.a.O., Rdnr. 49) geht davon aus, dass wenn die Verrechnung -Entsprechendes gilt auch für die Aufrechnung- durch Verwaltungsakt ergehen darf, eine materielle Bestandskraft Raum greift, die nur über § 44 SGB X korrigiert werden könne. Zweifel bestehen dann aber, wie weit die Bindungswirkung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 77 SGG Rdnr. 5 ff.) greift. Fraglich ist, ob mit Bindungswirkung eine tatsächlich nicht bestehende Gegenforderung begründet oder festgestellt und eine tatsächlich bestehende Hauptforderung zum Erlöschen gebracht wird (s. hierzu Antwortbeschluss des BSG vom 22. September 2009, B 4 SF 1/09 S, veröffentlicht in juris, Rdnr. 11 und Vorlagebeschluss, a.a.O., Rdnr. 49).
Dann müsste auch -spiegelbildlich- bestandskräftig eine tatsächlich bestehende Gegenforderung der Behörde erlöschen, wenn die Verwaltung mit einer tatsächlich nicht bestehenden Hauptforderung des Sozialleistungsempfängers aufgerechnet hat. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die Rechtsfolgen einer durch Verwaltungsakt erfolgten Aufrechnung nicht über die in § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelten Gestaltungswirkungen der bürgerlich-rechtlichen Willenserklärung (§ 388 BGB) hinausgehen, da nicht verbindlich feststehe, dass die Aufrechnungswirkung eingetreten ist, weil diese von den materiellen Voraussetzungen des § 387 BGB (Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Fälligkeit) abhängig sei (BFHE 149, 482).
Schließlich ist fraglich, ob eine -umfassende- materielle Bestandskraft auch eintritt, wenn materiell gar kein Verwaltungsakt vorliegt (zum Begriff vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG], 11. Auflage, § 35 VwVfG Rdnr. 3). Von spezialgesetzlich abweichenden Regelungen abgesehen (s. jetzt z.B. § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II) liegt ein Verwaltungsakt nur vor, wenn er die gesetzlichen Merkmale erfüllt und es liegt kein Verwaltungsakt vor, der zwar als solcher bezeichnet wird, aber die Merkmale nicht erfüllt (Kopp/Ramsauer, a.a.O.). Die Form des Verwaltungsaktes darf nur gewählt werden, wenn es sich um eine Einzelfallregelung mit Außenwirkung handelt (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage, § 10 Anm. 2c m.w.N.).
Das könnte bedeuten, dass einer als “Regelung” ergangenen Willenserklärung nicht die Wirksamkeit (§ 39 SGB X) einer Regelung zukommt. Falls die Aufrechnung von der Natur der Maßnahme gar keine Regelung im Sinne eines rechtlichen Ergebnisses (gesetzliche Rechtsfolge; s. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 2, 6. Auflage, § 45 VII 1a) beinhaltet, sondern nur eine Willenserklärung ist -worauf das Gesetz die Rechtsfolge automatisch herbeiführt- könnte dies dazu führen, dass ihr nicht die materielle Bestandskraft einer Regelung zukommt. Der BFH, der wie der 4. Senat des BSG (s. Antwortbeschluss vom 22. September, B 4 SF 1/09 S, veröffentlicht in juris) der Auffassung ist, die Aufrechnungserklärung sei die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und für sich kein Verwaltungsakt, hat auch im Falle einer durch Verwaltungsakt bestandskräftig gewordenen Aufrechnung umfassend geprüft, ob die Aufrechnungserklärung als rechtsgeschäftliche Willenserklärung wirksam ist (BFH, Urteil vom 18. Juli 1989, VII R 46/86, veröffentlicht in juris).
Ist -entgegen der Auffassung des Sozialgerichts- die Wirksamkeit der Aufrechnung zu prüfen, ist zwar festzustellen, dass die Gegenforderung der Beklagten durch bestandskräftigen Erstattungsbescheid vom 17. Juli 2006 wirksam entstanden ist. Doch wären auch die übrigen Voraussetzungen einer Aufrechnung zu prüfen. Soweit sich die Beklagte auf § 43 SGB II beruft, sind dessen Voraussetzungen, wie grob fahrlässig gemachte falsche Angaben, keineswegs geklärt, da der Beklagten Unterhaltsvorschusszahlungen bekannt waren und Änderungen verneint wurden; zudem hat die Beklagte den 3-Jahreszeitraum des § 43 SGB II überschritten. Nach alledem ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben.
6.6 – Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 20.06.2011,- L 7 AS 255/10 –
Bei einer Meldeaufforderung handelte es sich um einen Verwaltungsakt- Sanktionierung bei wiederholter oder fortgesetzter Obliegenheitsverletzung
Bei einer Meldeaufforderung handelte es sich um einen Verwaltungsakt (vgl. in diesem Sinne auch Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II Kommentar, § 59 Rdnr. 16; Meyerhoff in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 59 Rdnr. 20; anders etwa Estelmann in ders., SGB II – Kommentar, § 59 Rdnr. 17).
Bis zum 31. Dezember 2008 kam einem Widerspruch gegen eine Meldeaufforderung – vorbehaltlich der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs – aufschiebende Wirkung zu.
Vor Bekanntgabe des ersten Minderungsbescheids ist eine weitere Sanktionierung, jedenfalls wenn es sich um eine wiederholte oder fortgesetzte Obliegenheitsverletzung handelt, aus systematischen Gründen und im Hinblick auf den Zweck der stufenweisen Sanktionierung nicht möglich, und zwar weder als wiederholte Pflichtverletzung, noch als zweite erste Pflichtverletzung (vgl. ebs. BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rdnr. 86; wohl auch Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 31 Rdnr. 99 und 103).
Nach der Systematik des § 31 Abs. 3 SGB II in der ab 1. Januar 2007 und auch im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung von § 31 Abs. 3 SGB II (im Folgenden: a.F.; ebs. heute § 31 a SGB II) differenzierte dieser hinsichtlich des Umfangs der Sanktionierung strikt danach, ob es sich um eine erstmalige, eine erste wiederholte Obliegenheitsverletzung oder eine weitere wiederholte Obliegenheitsverletzung handelt (vgl. hierzu und zum Folgenden auch BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; außerdem Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rdnr. 86; ders., Das Sanktionensystem des SGB II, ZFSH/SGB 2008, 3, 14).
Daher bedarf es bei wiederholten Meldeversäumnissen der vorangegangenen Feststellung eines anderen (ggf. bereits wiederholten) Meldeversäumnisses mit einem Absenkungsbetrag der niedrigeren Stufe. Aus dieser Systematik wird auch die Funktion der Regelung, nämlich den Betroffenen vor einer wiederholten Pflichtverletzung zu warnen, deutlich (vgl. auch Sächs. LSG, 01.11.2007 L 3 B 292/07 AS-ER, das von einem appellativen und edukatorischen Zweck der Vorschrift spricht).
Liegt ein wiederholtes Meldeversäumnis nicht vor, scheidet auch eine Erhöhung des Minderungsbetrags durch eine zeitgleiche Absenkung mittels zweier (oder mehrerer) gesonderter Minderungsbescheide mit gleichem Absenkungsbetrag aus, die im Ergebnis zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II im gleichen oder ggf. sogar höheren Umfang führen können; andernfalls würde das gesetzgeberische Konzept der gestuften Absenkung umgangen. Ein Bescheid, der ein weiteres Meldeversäumnis vor Erlass eines Bescheides wegen des vorangegangenen zum Gegenstand hat, kann daher auch nicht teilweise, also mit einer Minderung in gleicher Höhe wie bei dem vorangegangenen Bescheid, als rechtmäßig angesehen werden (vgl. nochmals BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R).
Das gilt jedenfalls, wenn – wie im hier zu entscheidenden Fall – die beiden sanktionierten Meldeversäumnisse in engem Zusammenhang stehen. So erscheint bereits fraglich, ob überhaupt von einer wiederholten Pflichtverletzung gesprochen werden kann, wenn der Leistungsempfänger bloß eine bereits dokumentierte Haltung bekräftigt, also z.B. das gleiche Arbeitsangebot wiederholt ablehnt oder – wie hier – zu einem Meldetermin mit identischem Meldezweck und in engem zeitlichem Zusammenhang wiederholt nicht erscheint (ablehnend etwa LPK-Berlit, a.a.O., § 31 Rdnr. 85; ders., ZFSH/SGB 2008, 3, 14; Valgolio, a.a.O., § 31 Rdnr. 103; Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II – Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 31 Rdnr. 50c). Jedenfalls ist eine erneute Sanktionierung vor Erlass des ersten Bescheides nicht möglich. Die Behörde hätte es sonst in der Hand, die einheitliche Entscheidung des Leistungsbeziehers zu einem identischen Lebenssachverhalt durch schnelles Handeln – also ein in rascher Folge wiederholtes Vermittlungsangebot oder eine mit kurzer Frist wiederholte Einladung – in nahezu beliebiger Höhe zu sanktionieren.
In einer derartigen Fallkonstellation sind zudem die Warnfunktion des ersten Sanktionsbescheides und damit der Zweck der stufenweisen Absenkung von augenfälliger Bedeutung. Gerade im Falle der Sanktionierung (nahezu) identischer bzw. fortgeführter Obliegenheitsverletzungen – und ein solcher wird hier aus dem Vorbringen des Antragstellers erkennbar – ist die mit dem System der gestuften Absenkung offenbar verbundene Erwartung des Gesetzgebers, die erste Sanktion möge den Leistungsbezieher warnen und zu einer Änderung seines Verhaltens veranlassen, plausibel. Diese kann sich aber nur erfüllen, wenn die Beklagte das Verhalten zunächst sanktioniert, dem Betroffenen dadurch in einem Bescheid und also nach abschließender Prüfung zu erkennen gibt, dass sein Verhalten sich aus ihrer Sicht als obliegenheitswidrig darstellt und mit Konsequenzen verbunden ist, und ihm auf diese Weise einen Anlass und Möglichkeit dafür gibt, eine weitere Obliegenheitsverletzung zu vermeiden.
Für ein entsprechendes Verständnis der Vorschrift spricht schließlich, dass bei deren Auslegung wegen des mit der Absenkung verbundenen Eingriffs in das sozio-kulturelle Existenzminimum Verschuldens- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte von erheblicher Bedeutung sind (vgl. pointiert in diesem Sinne Schmidt-De Caluwe in Estelmann, SGB II – Kommentar, § 31 Rdnr. 10).
Eine „vervielfachte“ Sanktionierung für eine jedenfalls im Wesentlichen einheitliche bzw. fortgesetzte Obliegenheitsverletzung ist danach nur zu rechtfertigen, wenn zuvor durch den Absenkungsbescheid und die mit ihm verbundene Warnung eine Zäsur eingetreten ist.
6.7 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil vom 25.05.2011, – L 13 AS 90/09 –
Der Gesetzgeber hat in § 10 Abs. 1 BEEG die Anrechnungsfreiheit bis zu einer Höhe von 300,00 EUR im Monat und nicht „pro Elterngeldberechtigten“ bestimmt.
Im Ausgangspunkt ist zu berücksichtigen, dass es sich sowohl beim Anspruch auf Elterngeld nach den Bestimmungen des BEEG als auch beim Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II um Individualansprüche handelt; so ist auch nach den Bestimmungen des SGB II das Elterngeld als Einkommen dem jeweils bezugsberechtigten Elternteil zuzurechnen (Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn. 44).
Soweit eine Einzelnorm eine Ausnahme von diesem Grundsatz konstituieren soll, bedarf es dafür hinreichend klarer Anhaltspunkte im Gesetz. Diese ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass nach § 10 Abs. 1 BEEG das Elterngeld bis zu einer Höhe von “insgesamt” 300,00 EUR im Monat als Einkommen unberücksichtigt bleibt. Denn das Wort “insgesamt” bezieht sich nicht die Menge “zwei Elternteile”, sondern auf die im Gesetz genannte Menge “Elterngeld und vergleichbare Leistungen der Länder sowie die nach § 3 auf das Elterngeld angerechneten Leistungen”, also auf den Gesamtbetrag aus diesen Leistungen (so auch Lenz, in: Rancke (Hrsg.), Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, Handkommentar, § 10 BEEG, Rn. 2).
Aus dem Zusammenwirken von § 2 Abs. 5 BEEG, § 10 BEEG und § 11 Abs. 3a SGB II ergibt sich, dass der Gesetzgeber den Mindestbetrag des Elterngeldes i. H. von 300,00 EUR bis zum Jahresende 2010 als reine Förderungsleistung ausgestaltet hat, nur der darüber hinausgehende Betrag hat Entgeltersatzfunktion (vgl. Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 8. Aufl. 2008, § 10 BEEG, Rn. 5). Zweck des Elterngeldes ist insoweit ein Ausgleich für finanzielle Einschränkungen in den ersten 12 oder 14 Lebensmonaten eines Kindes sowie die Anerkennung für die Betreuungsleistung; das Elterngeld soll den Eltern bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage ohne größere finanzielle Nöte helfen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucksache 16/1889, S. 26, vgl. dort auch S. 15, 16, sowie Jung, SGb 2007, 449 (453)). Daraus ergibt sich, dass die Elterngeldzahlung in dieser Höhe für jeden der 12 bzw. 14 Anspruchsmonate keine Zweckidentität mit den Leistungen nach dem SGB II aufweist (vgl. insoweit die – im Rahmen des § 11 Abs. 3a SGB II freilich nicht unmittelbar anwendbare – Vorschrift des § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II, jeweils in der zur Zeit des Leistungsfalles geltenden Fassung). So ist in der Gesetzesbegründung auch ausdrücklich ausgeführt worden, das Elterngeld zähle i. H. von 300,00 EUR nicht als Einkommen für andere Sozialleistungen bei allen Familien auch tatsächlich zu einer Erhöhung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens führe, (Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucksache 16/1889, S. 17).
Der Bezugspunkt des genannten Betrages i. H. von 300,00 EUR ist der Anspruchsmonat. Was unter einem Anspruchsmonat zu verstehen ist, ergibt sich aus der Vorschrift des § 4 Abs. 2 BEEG, die wie folgt lautet: „Elterngeld wird in Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes gezahlt. Die Eltern haben insgesamt Anspruch auf zwölf Monatsbeträge. Sie haben Anspruch auf zwei weitere Monatsbeträge, wenn für zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit erfolgt. Die Eltern können die jeweiligen Monatsbeträge abwechselnd oder gleichzeitig beziehen.“ Hieraus wird deutlich, dass für die 12 bzw. 14 Anspruchsmonate grundsätzlich auch ein Doppelbezug im gleichen Monat möglich ist, wie dies durch den Gesetzgeber auch ausdrücklich gewollt war (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/1889, S. 23). § 4 Abs. 2 Satz 4 BEEG stellt klar, dass die Eltern die 12 oder 14 Monatsbeträge, auf die sie Anspruch haben, auch gleichzeitig in Anspruch nehmen können. Zeiten gleichzeitiger Inanspruchnahme von Elterngeld führen dabei zu einem doppelten Verbrauch von Monatsbeträgen und zu einer entsprechenden Verkürzung des Bezugszeitraums (Gesetzesbegründung, a. a. O., S. 23, vgl. auch S. 16). Die konsequente Durchhaltung eines strikten Grundsatzes in dem Sinne, dass ein Anspruchsmonat (und sein Verbrauch) jeweils einem (einzelnen) Elternteil zuzurechnen ist, zeigt sich auch in der Ablehnung eines Änderungsantrages, mit welchem eine gleichzeitige Teilzeitarbeit beider Elternteile in Abwandlung dieses Grundsatzes nur zum Verbrauch eines Anspruchsmonats führen sollte (BT-Drucks. 16/2785 vom 27. September 2006, S. 33).
Vor diesem Hintergrund bestimmt § 11 Abs. 3 a SGB II die Anrechnungsfreiheit des Betrages nach § 10 BEEG. Dies ist auf den Betrag i. H. von 300,00 EUR und auf den Anspruchsmonat zu beziehen, wie dies (allein) dem System des BEEG entspricht. Wenn es an einer konkreten Zielsetzung des Gesetzgebers fehlt, welche die Auslegung einer Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut gebietet, so ist für richterliche Rechtsfortbildung kein Raum. Somit obliegt die Beurteilung der Frage, in welcher Höhe Empfängern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ein Betrag vom Elterngeld anrechnungsfrei verbleiben muss, nicht den Gerichten. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine sozialpolitische Entscheidung allein des Gesetzgebers, der sich eindeutig für die Möglichkeit des Doppelbezuges von Elterngeld durch beide Elternteile mit der Konsequenz des doppelten Verbrauchs von Anspruchsmonaten entschieden hat. Dieses System des BEEG ist auch für den Anwendungsbereich des SGB II hinzunehmen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. November 2010 – L 6 AS 1118/10 B – Rn. 12).
6.8 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 30.06.2011, – L 13 AS 176/11 B ER
Übernahme der Kosten für den Betrieb und die Reparatur eines Kraftfahrzeugs eines schwerbehinderten Menschen sind nicht nach § 21 Abs. 6 SGB II (Härtefall)übernehmbar.
6.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 22.08.2011, – L 6 AS 525/11 B –
Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010 – L 6 B 141/09 AS). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte, darf der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt werden (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 juris Rn 26 – BVerfGE 81, 347). Eine Beweisantizipation ist in engen Grenzen möglich. Kommt eine Beweisaufnahme jedoch ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde, ist PKH in der Regel zu gewähren (BVerfG Beschluss vom 29.09.2004 – 1 BvR 1281/04 juris Rn 14 – NJW-RR 2005, 140).
6.10 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 28.06.2011, – L 6 AS 24/09 –
Rückforderung von ALG II, wenn es die Hilfebedürftige mindestens grob fahrlässig im Sinn von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X unterlassen hat, Angaben zur Mitnutzung der Wohnung durch den Enkel des Lebensgefährten zu machen.
Teilen sich mehrere Personen eine Wohnung, so sind die tatsächlichen Unterkunftskosten des Einzelnen im Regelfall zu ermitteln, indem die tatsächlichen Wohnkosten nach Kopfzahlen aufgeteilt werden (BSG Urteil vom 18.02.2010 – B 14 AS 73/08 R Rn 24 – SGb 2010, 226).
Da die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und dessen
Enkel in einer Wohnung lebte, stand ihr ein Drittel der Unterkunftskosten zu. Gründe, die einen Ausnahmefall mit anderer Aufteilung rechtfertigen könnten (vgl zB BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R Rn 19: zeitweilige alleinige Nutzung der Wohnung) sind nicht ersichtlich.
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat. In einem solchen Maße hat die erforderliche Sorgfalt verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet, wobei das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen ist (BSG Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R Rn 23 m.w.N. – SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Dem Bestimmtheitserfordernis gem. § 33 SGB X ist Genüge getan, wenn der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts – wie hier – in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers (ggf unter Rückgriff auf die Begründung des Verwaltungsakts, die ihm beigefügten Unterlagen, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen, vgl. LSG NRW Urteil vom 25.01.2011 – L 6 AS 37/10 m.w.N., insb. BSG Urteil vom 06.02.2007 – B 8 KN 3/06 R Rn 38 – Breith 2008, 240; auch BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R Rn 16) in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R Rn 16 – SozR 4-4200 § 31 Nr. 3).
Dass der Berechnungsbogen dem Bescheid nicht nachweislich beigefügt war, ist ohne Relevanz.
Allein der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts obliegt dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit, nicht hingegen dessen Gründe (BSG Urteil vom 06.02.2007 – B 8 KN 3/06 R Rn 38 – Breith 2008, 240). Entsprechend ist die Berechnung des Gesamtbetrages der Rückforderung nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit des Verwaltungsaktes im Sinne von § 33 SGB X, sondern der hinreichenden Begründung im Sinne von § 35 SGB X (LSG NRW Urteil vom 25.01.2011 – L 6 AS 37/10). Diese Begründung kann gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
6.11 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 19.08.2011,- L 7 AS 657/11 B –
Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn klärungsbedürftig ist, ob eine Übernahme der Kosten für Mietschulden auch bei einer geringfügig zu teueren Wohnung ausgeschlossen ist, wenn wie hier über einen längeren auf die Schulden folgenden Zeitraum die Miete vollständig gezahlt wurde und somit zweifelhaft ist, ob in der Zukunft mit neuen Mietschulden und einer erneuten Kündigung zu rechnen ist.
Die Erfolgsaussichten im vorliegenden Verfahren sind auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil nach Auffassung des Beklagten die Kosten der Unterkunft nicht angemessen sind und die Übernahme der Mietschulden in diesen Fällen nicht in Betracht kommt (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 29.10.2009, Az.: L 7 B 363/09 AS ER, Rn. 4 m.w.N.)
Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Az.: B 4 AS 109/11 R die Frage anhängig ist, ob zur Bestimmung der Angemessenheit der Wohnungsgröße im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Nordrhein-Westfalen seit dem 01.01.2010 nicht mehr auf die „Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum WohnBindG“, sondern auf die zum “Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen” vom 08.12.2009 ergangenen „Wohnraumnutzungsbestimmungen“ abzustellen ist.
Anmerkung: Vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 25.05.2011, – L 12 AS 381/11 B ER – und – L 12 AS 422/11 B –
sozialrechtsexperte.blogspot.com
7. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
7.1 – Sozialgericht Berlin Beschluss vom 03.08.2011, – S 55 AS 1349/10 –
Kostenerstattungsanspruch bei erledigter Untätigkeitsklage; Überprüfungsantrag; fehlendes Sozialrechtsverhältnis; Anspruch auf Bescheiderteilung
1. Kann die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nicht nach § 18 SGB 10 verlangt werden, fehlt es auch am verfahrensrechtlichen Anspruch auf Bescheiderteilung, selbst wenn ein Antrag gestellt wurde.
2. Ist weder eine Pflicht zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens noch ein Anspruch auf Bescheiderteilung zumindest behauptet, fehlt der Untätigkeitsklage die Klagebefugnis im Sinne von §§ 88, 54 Abs 1, 2 SGG.
3. Verwirft die Behörde einen Antrag „als unzulässig“, weil kein Sozialrechtsverhältnis und deshalb auch kein Anspruch auf Bescheidung bestehe und lehnt damit die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens ab, handelt es sich um einen sogenannten formellen Verwaltungsakt, der im Rahmen der Kostenentscheidung einer erledigten Untätigkeitsklage nicht als Erfolg der Rechtsverfolgung gewertet werden kann.
7.2 – Aktuelle Rechtsprechung SG Stuttgart zu Hartz IV
1. SG Stuttgart Beschluss vom 23.05.2011, Az.: S 11 AS 2585/11 ER
Kosten für verschreibungspflichtige, aber außerhalb der Arzneimittelversorgung durch die Krankenkasse liegende Arzneimittel sind vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt.
2. SG Stuttgart Urteil vom 28.06.2011, Az.: S 3 AS 5232/08
Keine Sanktion bei rechtswidriger Abmahnung des Arbeitgebers
3. SG Stuttgart Beschluss vom 05.11.2010, Az.: S 15 AS 5833/10 ER
Mieteinnahmen aus einer Eigentumswohnung sind auch dann als Einkommen zu berücksichtigen, wenn der Leistungsempfänger alle Forderungen aus dem Mietverhältnis an die Bank zur Tilgung von Schulden abgetreten hat
4. SG Stuttgart Beschluss vom 06.06.2011, Az.: S 24 AS 2153/11 ER; bestätigt durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.07.2011, Az.: L 2 AS 2821/11 ER-B.
Unterlässt ein Hilfebedürftiger wiederholt Bewerbungsbemühungen und nimmt er ein Vorstellungsgespräch nicht wahr, ohne hierfür einen rechtfertigenden Grund zu haben, kann dies zum Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II für die Dauer von drei Monaten führen.
5. SG Stuttgart Gerichtsbescheid vom 17.01.2011, Az.: S 14 AS 5664/10
Die Verteilung der Anrechnung einer Einkommensteuererstattung als beim Arbeitslosengeld II zu berücksichtigendes Einkommen auf einen Zeitraum von sechs Monaten begegnet keinen Bedenken, soweit dadurch dem Zweck der Verteilung, es nicht zu einem Herausfallen des Hilfebedürftigen aus dem Leistungsbezug kommen zu lassen, Genüge getan wird.
6. SG Stuttgart Gerichtsbescheid vom 21.03.2011, Az.: S 14 AS 7628/10
Auszubildende in Fachschulklassen, die nicht bei ihren Eltern wohnen und Leistungen nach Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehen, haben keinen Anspruch auf einen Zuschuss zu ihren Unterkunftskosten nach dem SGB II (Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende). Die Aufzählung der Zuschussberechtigten im SGB II ist abschließend.
7. SG Stuttgart Urteil vom 02.09.2010, Az.: S 24 AS 8578/08
Die Übernahme der Kosten für Schönheitsreparaturen während eines laufenden Mietverhältnisses als Kosten der Unterkunft durch das Jobcenter setzt voraus, dass der Hilfebedürftige gegenüber seinem Vermieter zu solchen Schönheitsreparaturen verpflichtet ist. Ansonsten kommt ein Anspruch hierauf nur ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn die Wohnung unbewohnbar geworden ist und kein durchsetzbarer Anspruch gegen den Vermieter auf Renovierung der Wohnung besteht.
8.SG Stuttgart Urteil vom 28.03.2011, Az.: S 25 AS 8172/10
Eine Anspruchsgrundlage für die Kostenübernahme für den Kauf eines moderneren, ernergieeffizienten Kühlschranks als Ersatz für einen funktionstüchtigen älteren Kühlschrank findet sich im SGB II (Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende) nicht
9. SG Stuttgart Urteil vom 18.03.2011, Az.: S 6 AS 7808/09
Heizkostenforderungen, die nach regelmäßiger Übernahme der Heizkostenvorauszahlungen bzw. -abschläge der jeweiligen Monate entstehen, gehören als einmalig geschuldete Zahlungen zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat.
10. SG Stuttgart Beschluss vom 01.06.2011, S 6 AS 2715/11 ER)
Im Rahmen eines Eilverfahrens können Leistungen zur Grundsicherung grundsätzlich nicht für bereits abgelaufene Leistungszeiträume beansprucht werden. Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und sich ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistung in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.
Teil 2 des Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 35/2011 ist hier zu finden.