Sozialgericht Hildesheim – Beschluss vom 06.09.2011 – Az.: S 25 AS 414/11

Beschluss

In dem Rechtsstreit
1. xxx
2. xxx
Kläger,

Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

xxx
Beklagter,

hat das Sozialgericht Hildesheim – 25. Kammer – am 6. September 2011 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, beschlossen:

1. Die Anhörungsrüge des Beklagten gegen den Kostenbeschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. August 2011 irre Verfahren zum Aktenzeichen S 25 AS 414/11 wird zurückgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:
I.
Der Beklagte wendet sich mit seiner am 12. August 2011 eingegangenen Anhörungsrüge nach § 178a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. August 2011, mit dem die Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Kläger im beendeten Verfahren zum Aktenzeichen S 25 AS 414/11 festgesetzt worden ist. Der Beklagte rügt, vor dem Kostenbeschluss keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Kostenerstattungsverpflichtung gehabt zu haben. Bei einer solchen Gelegenheit wäre darauf hingewiesen worden, dass die Kläger hinsichtlich der streitigen Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2011 vier Klagen erhoben hätten. Tatsächlich sei nur eine Klage erforderlich gewesen. Es sei davon auszugehen, dass die so bezeichnete Fragmentierung des Verfahrensgegenstands lediglich zur Generierung weiter Rechtsanwaltsgebühren erfolgt sei. Die sei rechtsmissbräuchlich und dürfe keine kostenrechtlichen Vorteile nach sich ziehen. Tatsächlich seien daher nur 1/4 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Bei Berücksichtigung dieser Ausführungen habe eine entsprechende Kostenentscheidung ergehen müssen.

Der Beklagte beantragt,
das Verfahren fortzuführen und den Beschluss vom 8. August 2011 wie folgt zu ändern: “Der Beklagte hat den Klägern deren notwendige außergerichtliche Kosten zu 1/4 zu erstatten”.

Die Kläger beantragen,
die Anhörungsrüge zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung sei zutreffend. Eine Rechtsgrundlage für eine Reduzierung der Erstattung auf 1/4 sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, die vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

II.
1.   Die Anhörungsrüge ist aufgrund des aus dem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Eingangs des Beschlusses vom 8. August 2011 am 11. August 2011 innerhalb der Zweiwochenfrist des § 178 a Abs. 2 Satz 1 SGG fristgerecht erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.

2.   Die Anhörungsrüge ist jedoch unbegründet.

Nach § 178 a Abs. 1 SGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 178 a Abs. 1 Satz 2 SGG genannten Voraussetzungen darlegen. Hierzu gehört insbesondere das Aufzeigen der Umstände, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt, gegen dessen Entscheidung sich der Betroffene wendet (vgl. BSG, Beschluss vom 7. April 2005, Aktenzeichen B 7 a AL 38/05). Vor dem Hintergrund dieser Voraussetzungen ist eine Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör nicht ersichtlich.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergibt sich zunächst nicht daraus, dass der Beklagte nach der Erledigungserklärung der Kläger mit Schriftsatz vom 3. August 2011 und vor dem Kostenbeschluss vom 8. August 2011 nicht mehr gesondert zu einer Stellungnahme zur Kostentragung aufgefordert worden ist. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 193 SGG nämlich nur dann anzunehmen, wenn der Entscheidung Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen sich ein Beteiligter nicht äußern konnte (vgl.: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 193 Rn 15). Dies war vorliegend nicht der Fall, weil die Kostenerstattungsverpflichtung des Beklagten im Kostenbeschluss vom 8. August 2011 allein mit der Tatsache begründet wird, dass der Beklagte dem auf eine vollständige Kostenerstattung für das mit Widerspruch vom 3. November 2010 eingeleitete Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid von 2. November 2010 gerichtete Klagebegehren vollständig entsprochen hat durch die mit Schriftsatz vom 19. Juli 2011 erfolgte Änderung der Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2011. Der Beklagte hatte daher auch die Gelegenheit zu den aus dieser antragsgemäßen Abhilfe resultierenden prozessualen und kostenrechtlichen Fragen Stellung zu nehmen, da diese entscheidungserhebliche Tatsache von ihm selbst geschaffen und mitgeteilt wurde. Tatsächlich erfolgte auch eine Stellungnahme, indem der Beklagte im Schriftsatz vom 19. Juli 2011 trotz der erfolgten inhaltlichen Abhilfe eine Klagabweisung beantragte. Durch diesen Antrag gab der Beklagte unmissverständlich zu erkennen, dass ein eigenes prozessuales Unterliegen nicht gesehen wurde. Entsprechend ist dem Klagabweisungsantrag auch die fehlende Bereitschaft zur Kostentragung zu entnehmen, da anderenfalls bei einer erfolgten Abhilfe eine Erklärung zur Kostenfolge zu erwarten gewesen wäre. Eine überraschende Kostenentscheidung ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Es kann daher im Ergebnis auch dahinstehen, dass im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage existiert (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 62 Rn. 8a; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Dezember 2007 – L 8 SO 199/07 ER RG) noch eine Pflicht, auf die in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Betroffenen zu erörtern (Bundessozialgericht in NJW 2000, 3590).

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör scheidet vorliegend weiterhin auch deshalb aus, weil auch der weitere Schriftsatz vom 11. August 2011 keinen Vortrag enthält, der unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe im Kostenbeschluss vom 8. August 2011 zu einer abweichenden Entscheidung hätte führen können, der also entscheidungserheblich gewesen wäre. Der Vortrag des Beklagten zu einem angeblich rechtsmissbräuchlichen verfahrensrechtlichen Verhalten der Kläger ist in weiten Teilen bereits gedanklich weder nachvollziehbar noch verständlich. Der verständliche Anteil lässt zudem auf ein tiefgreifendes und bedenkliches Fehlverständnis hinsichtlich der Pflichten einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde sowie auf eine bedenkliche Unkenntnis hinsichtlich der relevanten verfahrensrechtlichen Vorschriften schließen. Soweit im Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2011 zulässigerweise die Entscheidungen über mehrere Widersprüche gegen verschiedene Bescheide vom 6. Oktober 2010, vom 2. November 2010 und vom 23. August 2010 zusammengefasst wurden, ändert sich nichts daran, dass nach § 63 SGB X grundsätzlich für jedes auf einen bestimmten Bescheid bezogene Widerspruchsverfahren eine individuelle Kostenquote zu ermitteln und eine entsprechende Kostenentscheidung zu treffen war. Die im Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2011 stattdessen getroffene einheitliche Kostenentscheidung für zusammengefasste unterschiedliche Widerspruchsverfahren mit unterschiedlichen Erfolgen war daher wegen Verstoßes gegen die gesetzlich vorgesehene Kostenentscheidung für jeden einzelne Widerspruchsverfahren rechtswidrig. Vor diesem Hintergrund kann eine gesonderte Klage, gerichtet auf die gesetzlich vorgesehene Kostenentscheidung nach § 63 SGB X für ein gesondertes Widerspruchsverfahren gegen einen gesonderten Bescheid unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Der Adressat einer rechtswidrigen einheitlichen Kostenentscheidung für mehrere gesonderte Widerspruchsverfahren mit unterschiedlichem Erfolg kann insbesondere allein durch das rechtswidrige Verhalten einer Behörde nicht dazu gezwungen werden, eine einheitliche Klage für alle Verfahren zu erheben. Vielmehr kann der Adressat einer solchen rechtswidrigen einheitlichen Kostenentscheidung die Klage z.B. auf ein Widerspruchsverfahren beschränken und die Entscheidung ggf. in einem anderen Widerspruchsverfahren bestandskräftig werden lassen. Durch einzelne Klagen für einzelne Widerspruchsverfahren werden insbesondere auch nicht missbräuchlich Kosten generiert, weil die gesonderte Kostenentscheidung und die dagegen jeweils eröffnete gesonderte Klagemöglichkeit gerade der gesetzlichen Vorgabe entspricht. Im Gegenteil kann eben nicht eine Behörde durch rechtswidrige einheitliche Entscheidungen die Anzahl möglicher Klageverfahren bindend beschränken und dadurch das eigene Kostenrisiko verkürzen.

Außergerichtliche Kosten sind in entsprechender Anwendung von § 193 SGG nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist gemäß § 178 a Abs. 4 Satz 3 SGG unanfechtbar.