1. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26.05.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil vom 26.05.2011, – B 14 AS 93/10 R –
Kein Hartz IV für Stadträtin
Eine Stadträtin und ehrenamtliche Ortsvorsteherin muss sie sich ihre erhaltenen Bezüge als Einkommen bei der Beantragung von ALG II anrechnen lassen.
Es handelt sich bei der für die Mandatstätigkeit gezahlte Entschädigung (auch nicht teilweise) um eine zweckbestimmte Einnahme, die bei der Hartz-IV-Berechnung unberücksichtigt bleibt.
Bei den wegen der Entschädigung als Ortsbürgermeisterin und Stadträtin gezahlten Entschädigungen handelt es sich dem Grunde nach um Einkommen aus Erwerbstätigkeit.
Bei den Mandatsträgerbeiträgen handelt es sich nicht um mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben, da es keine gesetzliche oder parlamentsordnungsgeschäftliche Verpflichtung zur Zahlung dieser Beiträge gibt. Die Verpflichtung zur Zahlung folgt vielmehr – wie die Zahlung der Mitgliedsbeiträge an die Partei selbst – aus der Satzung der jeweiligen Partei.
Ähnliches gilt für die Beiträge an die Bürger- und Schützengesellschaft des Ortes.
Entsprechende Ausgaben mögen von einer Ortsbürgermeisterin allgemein erwartet werden, sie fallen aber nicht unter den Begriff der Werbungskosten und sind damit weder im Rahmen des § 3 Nr 12 EStG steuerfrei gestellt noch als Werbungskosten nach § 11 Abs 2 Nr 5 SGB II iVm § 3 Nr 3 Alg II-V anzuerkennen.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Vorinstanz: Sächsisches LSG – L 7 AS 25/07 – , Urteil vom 17.05.2010
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2. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 09.06.2011 zur Sozialhilfe (SGB XII)
2.1 – BSG, Urteil vom 9.6.2011 – B 8 SO 11/10 R –
Woher hat das Landessozialgericht ausreichende Sachkunde über Therapiemöglichkeiten von Allergien – Kuhmilch- sowie Hühnereiweißallergie – Sind Richter Ärzte – Mehrbedarf für Ernährung – BSG zeigt den richtigen Weg auf und rügt LSG.
Das BSG hat mit Urteil vom 9.6.2011 – B 8 SO 11/10 R – entschieden, dass das LSG wird auch prüfen müssen, ob dem Kläger (höhere) Leistungen wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zustehen. Dabei wird es – ohne dass es wegen der ohnehin erforderlichen Zurückverweisung der Sache darauf ankommt, ob ein Verfahrensmangel ordnungsgemäß gerügt wurde – weitere Ermittlungen anzustellen haben.
Denn nach § 42 Nr 3 iVm § 30 Abs 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Liegen bei einem Leistungsempfänger mehrere Erkrankungen vor, für die jeweils ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen geltend gemacht wird, so ist der Ernährungsaufwand aufgrund des gesamten Krankheitsbildes konkret zu ermitteln (BSGE 100, 83 ff RdNr 39 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 6).
Maßgeblich ist stets der Betrag, mit dem der medizinisch begründete, tatsächliche Kostenaufwand für eine Ernährung ausgeglichen werden kann, der von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Er ist im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung durch Einholung medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten zu klären (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 28).
Das LSG hat zu der behaupteten Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie lediglich ausgeführt, diese seien im Alter des Klägers unwahrscheinlich, Letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden.
Abgesehen davon, dass nicht deutlich wird, woher das LSG ausreichende Sachkunde über Therapiemöglichkeiten von Allergien besitzt, ist es für einen ernährungsbedingten Mehraufwand nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann; dies ist bei einer Allergie gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel selbstverständlich.
Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen.
Wenn – wovon das LSG zu Recht ausgeht – insoweit eine pauschale Bescheinigung des Hausarztes zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet ist, hätte es sich aufgedrängt, weitere Ermittlungen zu einem etwaigen Mehrbedarf anzustellen und dabei nicht die einzelne Allergie isoliert betrachten.
Vielmehr ist bei der Beurteilung des Ernährungsaufwands das gesamte Krankheitsbild unter Berücksichtigung wechselseitiger Auswirkungen der Erkrankungen (Allergien) auf die Ernährung einzubeziehen. Im Hinblick auf die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) durfte das LSG die erforderlichen Ermittlungen auch nicht ohne weiteres mit der Begründung unterlassen, der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien. Hier hätte es nahegelegen, ggf ein ernährungswissenschaftliches Sachverständigengutachten einzuholen.
Weiter vom BSG entschieden wurde:
Volljährige Sozialhilfeempfängerin, welche mit der Mutter im gemeinsamen Haushalt lebt, hat Anspruch auf Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von 100%, denn sie bildet mit der Mutter weder eine Bedarfsgemeinschaft noch eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des §19 SGB XII.
Ob für die Zeit ab 1.1.2011 im Hinblick auf die Regelungen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes vom 24.3.2011 (BGBl I 453) eine andere Wertung vorzunehmen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
BSG, Urteil vom 24.02.2011, – B 14 AS 49/10 R-
Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs 5 SGB II wegen Allergie gegen Paraben kann bestehen, denn die Annahme, auch bei strikter Vermeidung von Lebensmitteln, die das Allergen enthielten, würden keine weitergehenden Kosten im Hinblick auf eine ausgewogene Ernährung entstehen, kann nicht als allgemeines Erfahrungswissen des Gerichts unterstellt werden.
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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
BSG ,Urteil vom 09.06.2011, – B 8 SO 1/10 R –
Volljährige Sozialhilfeempfängerin hat Anspruch auf Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von 100%, denn sie bildet mit der Mutter und ihrem Bruder weder eine Bedarfsgemeinschaft noch eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des §19 SGB XII.
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3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 30.09.2011, – L 7 AS 614/10 B ER –
Der Leistungsträger darf über die Absenkung nach § 31 SGB II idF des Änderungsgesetzes vom 10.10.2007 (BGBl I 2326) – SGB II F. 2007 – nur entscheiden, ohne zugleich ergänzende Sach- oder geldwerte Leistungen nach § 31 Abs. 6 S. 3 und 4 SGB II F. 2007 zu gewähren, wenn
a) hinsichtlich der ergänzenden Leistungen Entscheidungsreife noch nicht eingetreten ist,
b) im Absenkungsbescheid ein Hinweis enthalten ist, der den Hilfebedürftigen hinreichend darüber informiert, dass auf seinen Antrag ergänzende Leistungen ggf. zu erbringen sind,
c) auf den rechtzeitigen Antrag des Hilfebedürftigen ergänzende Leistungen noch zu Beginn des Absenkungszeitraumes erbracht werden können.
Unschädlich ist es hingegen nach Auffassung des Senats, dass der Antragsgegner im Absenkungsbescheid selber noch nicht nach § 31 Abs. 6 S. S. 3 und 4 SGB II F. 2007 ergänzende Sach- oder geldwerte Leistungen erbracht hat (zwingend einheitliche Entscheidung fordern: LSG Sachsen-Anhalt, 5.1.2011 – L 2 AS 428/10 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen 21.4.2010 – L 13 AS 100/10 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen 9.9.2009 – L 7 B 211/09 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, 16.12.2008 – L 10 B 2154/08 AS ER; Berlit in LPK-SGB II, § 31 Rn. 146; a.A. LSG Sachsen-Anhalt, 31.8.2009 – L 5 AS 287/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg 8.10.10 – L 29 AS 1420/10 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, 10.12.2009 – L 9 B 51/09 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, 16.11.2009 – L 5 AS 365/09 B ER). Zwar hat der Leistungsträger von atypischen Fällen abgesehen bei einer Absenkung der Regelleistung um mehr als 30 % solche Leistungen zu erbringen, wenn der Hilfebedürftige in Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Kindern lebt. Ansonsten ist hierüber nach Satz 3 der Norm nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dienen die ergänzenden Leistungen der Deckung des notwendigen Existenzminimums des Hilfebedürftigen ggf. einschließlich minderjähriger Kinder, hat der Leistungsträger ebenso sicherzustellen, dass bereits zu Beginn des Absenkungszeitraumes diese Leistungen zur Verfügung stehen können. Es ist aber zu beachten, dass zur ergänzenden Leistungsgewährung weitere Ermittlungen erforderlich sein können, die eine abschließende Entscheidung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Absenkung noch nicht erlauben. Besteht für die Verfügung der Absenkung und der Erbringung von Sach- bzw. geldwerten Leistungen nicht im selben Zeitpunkt Entscheidungsreife, darf der Leistungsträger eine Entscheidung im gestuften Verfahren treffen, wenn die ergänzenden Leistungen noch rechtzeitig zu Beginn des Senkungszeitraumes erbracht werden können und der Leistungsträger auf die ergänzenden Leistungen im Absenkungsbescheid ausdrücklich in einer Form hinweist, die den Hilfebedürftigen in für ihn hinreichend verständlicher Weise über seine Leistungsansprüche informiert.
Das ist vorliegend der Fall, weil der Antragsgegner die Antragstellerin im Absenkungsbescheid darauf hingewiesen hat, auf Antrag ergänzende Leistungen zu gewähren, keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass die Antragstellerin den Hinweis nicht zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln kann sowie gerade noch genügend Zeit bestanden hat, um zu Beginn des Absenkungszeitraumes auf Antrag der Antragstellerin die ergänzenden Leistungen zu erbringen – wie der erste Lebensmittelgutschein vom 2. August 2010 verdeutlicht -.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Wird der Antrag auf Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 S. 1 SGB II bereits im Rahmen der Anhörung gestellt, ist zumindest im Fall des Wegfalls des Arbeitslosengeldes II aus verfassungsrechtlichen Erwägungen auch zeitgleich mit der Sanktion hierüber zu entscheiden.
So urteilte das SG Würzburg mit Beschluss vom 29.08.2011, – S 15 AS 560/11 ER -.
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3.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 05.09.2011, – L 5 AS 332/11 B ER –
Das Rechtsschutzinteresse für die begehrte vorläufige Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist spätestens mit dem Umzug der Antragsteller in die neue Wohnung entfallen.
Unzulässig ist ein Rechtsmittel dann, wenn ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelführers nicht mehr besteht, weil ihm die weitere Rechtsverfolgung in diesem Verfahren keine rechtlichen oder tatsächlichen Vorteile mehr bringen und das Rechtsschutzziel nicht mehr erreicht werden kann (so auch: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 6. April 2011, B 4 AS 5/10 R (14) bei einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Zusicherung gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.d.F. bis zum 31. Dezember 2010 nach erfolgtem Umzug).
Gemäß § 22 Abs. 4 SGB II n.F., der inhaltlich § 22 Abs. 2 SGB II a.F. entspricht, soll vor Abschluss eines Vertrags über eine neue Unterkunft die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen.
Nach dem erfolgten Umzug ist über die Höhe der von dem Antragsgegner zu leistenden KdU im Rahmen eines gesonderten Verfahrens über die Bewilligung höherer Leistungen bzw. im Rahmen des Antrags auf Weiterbewilligung von Leistungen zu befinden. Dort ist als Vorfrage eines Anspruchs auf höhere angemessener KdU notwendigerweise auch die Erforderlichkeit des Umzugs und die Angemessenheit der neuen Unterkunftskosten zu klären (BSG, a.a.O, (15)).
Die hier begehrte Zusicherung ist keine Voraussetzung für einen Anspruch auf höhere KdU.
Wird eine neue Unterkunft ohne Zusicherung des Grundsicherungsträgers bezogen, hat dies keine nachteiligen Folgen, sofern der Umzug erforderlich und die neuen KdU angemessen sind. Zweck der Zusicherung ist es nicht, den Umzug überhaupt zu ermöglichen.
Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, in einem Vorabverfahren sicherzustellen, dass die KdU der neuen Unterkunft künftig übernommen werden (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Januar 2011, L 6 AS 1914/10 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2008, L 26 B 807/08 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. Juni 2008, L 9 AS 541/06; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 22. Juli 2008, L 10 B 203/08,).
Nach erfolgtem Umzug besteht für eine gesonderte Zusicherung als vorgreiflicher Teilregelung kein Rechtsschutzinteresse mehr (BSG, a.a.O., (14)). Die Angemessenheit der neuen KdU ist Gegenstand der Prüfung bei der nun erforderlichen Anpassung der Bewilligungsbescheide nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) bzw. der Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II.
Der Umzug ist hier bereits vor der Beschwerdeeinlegung durchgeführt worden. Daher fehlt aus den genannten Gründen das Rechtsschutzbedürfnis für das eingelegte Rechtsmittel.
Keine andere Bewertung ergibt sich aus dem Einwand, ohne eine Zusicherung käme eine Kostenerstattung für den Umzug gemäß § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II nicht in Betracht. Nach der Durchführung des Umzugs sind die entstandenen Kosten bezifferbar und können beim Antragsgegner geltend gemacht und ggf. nach Ablehnung und Durchführung des Widerspruchsverfahrens eingeklagt werden.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Bei erforderlichem Umzug besteht Anspruch auf Zustimmung zur Kostenübernahme vor Umzug im Eilverfahren.
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3.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 31.08.2011, – L 5 AS 328/11 B ER –
Gewöhnlich wird von Mai bis September nicht geheizt, so dass eine Schuldenübernahme für Gasschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II ausscheidet
Übernahme in Höhe von 9.573,57 EUR abgelehnt.
Keine Übernahme von Gasschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II, wenn ich der Leistungsberechtigte missbräuchlich verhalten hat.
Eine drohende Wohnungslosigkeit im Sinne von Satz 2 dieser Vorschrift liegt nicht vor. Es kommt hier aber die Anwendbarkeit von Satz 1 der Vorschrift in Betracht. Als vergleichbare Notlage ist beispielsweise eine (drohende) Stromsperre anzusehen, da die Nutzung von Haushaltsenergie sich unmittelbar auf die Wohnsituation einer Bedarfsgemeinschaft auswirkt (vgl. entspr. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2009, L 7 AS 546/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Dezember 2008, L 7 B 384/08 AS, jeweils zit. nach Juris). Es ist nicht für alle Fallkonstellationen zweifelsfrei, ob dies auch für eine Sperre der Gasversorgung gilt (bejahend Eicher/Spellbrink, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2. Aufl. § 22, Rn. 105; so auch Beschluss des Senats vom 7. Juli 2011, L 5 AS 177/11 B ER,).
Denn sowohl das Wasser zum Waschen als auch die Räume selbst können mit Strom erwärmt werden. Dies kann aber offen bleiben.
Bei der Ermessensentscheidung sind in einer umfassenden Gesamtschau die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, nämlich die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, das Alter sowie evtl. Behinderungen der jeweiligen Mitglieder der von der Energiesperre bedrohten Bedarfsgemeinschaft, ferner das in der Vergangenheit vom Hilfesuchenden gezeigte Verhalten (erstmaliger oder wiederholter Rückstand, eigene Bemühungen, die Notsituation abzuwenden und die Rückstände auszugleichen) und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe. Dabei kann es insbesondere darauf ankommen, ob sich der Leistungsberechtigte missbräuchlich verhalten hat. Dies ist im Regelfall zu bejahen, wenn er seine Energiekostenvorauszahlungen bewusst nicht leistet und sein Verhalten darauf schließen lässt, dass er auf eine darlehensweise Übernahme entstehender Schulden durch den Leistungsträger vertraut oder gar spekuliert hat. In einem solchen Fall wird die Notlage gezielt zu Lasten des Leistungsträgers herbeigeführt. Dies kann jedoch nicht hingenommen werden (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2010, L 13 AS 147/10 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER, jeweils Juris).
Die Träger der Grundsicherung dürfen nicht zum „Ausfallbürgen von Energieversorgungsunternehmen“ werden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. September 2007, L 2 B 242/07 AS ER).
Darüber hinaus besteht auch kein Anordnungsgrund. Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung in dem grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003 S. 1236 und vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass ein Anordnungsgrund fehlt, wenn die vermutliche Zeitdauer des Hauptsacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und Durchsetzung bietet, wenn also dem Antragsteller auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts geholfen ist. Zwar sollen grundsätzlich Leistungen nach dem SGB II das Existenzminimum der Antragsteller sichern. Wird durch die seitens des Leistungsträgers erbrachte Leistung der Bedarf nicht gedeckt, ist die Existenz des Hilfebedürftigen zeitweise nicht sichergestellt. Allerdings führt nicht jede Unterdeckung des Bedarfs grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Erforderlich ist eine existenzielle Notlage.
Diese ist zurzeit nicht erkennbar. Die derzeitige Witterung lässt Häuser ohne Heizung nicht unbewohnbar werden. Jedenfalls zu Beginn der Heizperiode ist es angesichts der Gesamtumstände des Falles den Antragstellern vorübergehend zumutbar, sich mittels Kochtopf oder Wasserkocher bereitetem Warmwasser zum Waschen zu behelfen (vgl. Beschluss des Senats vom 7. Juli 2011,L 5 AS 177/11 B ER).
Eine kostspielige Anschaffung besonderer für die Warmwasserbereitung geeigneter Geräte bedarf es daher nicht.
sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Hartz IV – Empfängerin sitzt seit dem 12. Mai 2011 im Dunkeln – Stromsperre – Keine Übernahme der Stromschulden.
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4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – Sozialgericht Berlin Urteil vom 15.07.2011, – S 91 AS 38168/09 –
§ 40 Abs 2 S 1 SGB 2 (in der bis zum 1. April 2011 gültigen Fassung) ist auf eine Leistungsaufhebung gemäß § 328 Abs 3 S 2 SGB 3 (i.V.m. § 40 Abs 1 SGB 2) nicht analog anzuwenden.
sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Bei Erstattungsansprüchen nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III findet § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II aF (jetzt § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II) keine Anwendung.
So urteilte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 28.09.2011, – L 18 AS 2132/10 –
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4.2 – Sozialgericht Stuttgart Beschluss vom 07.10.2011, – S 25 AS 5506/11 ER –
Auszubildende hat Anspruch auf darlehensweise Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 27 Abs. 4 Satz 2 SGB II.
§ 27 Abs. 4 Satz 2 SGB II ist auch anwendbar, wenn Bafög – Leistungen für den Monat der Ausbildungsmaßnahme voraussichtlich noch bewilligt werden, jedoch weder bereits bewilligt noch ausgezahlt wurden.
Zwar dient die Vorschrift, wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, insbesondere der Überbrückung in solchen Fällen, in denen sich aus den gesetzlichen Regelungen unterschiedliche Auszahlungszeitpunkte und hierdurch bedingt eine unvermeidbare Deckungslücke ergeben.
Die Bafög- Leistungen werden dagegen nach § 51 Abs. 1, Satz 1 wie die SGB II Leistungen monatlich im Voraus geleistet.
Aus dem gesetzlichen geregelten Auszahlungszeitpunkt ergibt sich damit keine Deckungslücke.
§ 27 Abs. 4 Satz 2 SGB II ist dahin auszulegen, dass auch in Fällen , in denen vor Bafög Bezug eine Deckungslücke besteht , Anspruch auf darlehensweise Leistungen nach dem SGB II zur Überbrückung im Monat der Aufnahme der Ausbildung besteht, wenn auch nach Bafög ein Vorschuss nicht gewährt wird.
Da im Regelfall kein Ermessensspielraum besteht, ob Leistungen darlehensweise zu gewähren sind, wenn der Auszubildende weiterhin hilfebedürftig ist(Thiel in LPK-SGBII, § 27 SGB II,Rn. 15),besteht vorliegend nicht nur ein Anspruch auf Ermessensausübung, sondern auf die darlehensweisen Leistungen selbst.
Quelle: Tacheles
4.3 – Sozialgericht Stade Urteil vom 26.08.2011, – S 28 AS 894/10 –
Hartz IV Empfängerin hat Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Fahrtkosten für die Hin- und Rückfahrt zur Bildungsstätte mit ihrem Pkw in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG).
Übt ein Leistungsträger sein Ermessen dergestalt aus, dass er eine der Leistungen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II erbringt, ist er nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II daher hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich an die Regelungen des SGB III gebunden.
Ein Ermessen im Hinblick auf die Leistungshöhe steht dem Leistungsträger mithin nur dann zu, wenn auch das SGB III ein solches vorsieht.
Letzteres ist hier nicht der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 117/10 R -).
Nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 SGB III umfassen die Weiterbildungskosten u.a. unmittelbar durch die Weiterbildung entstehende Fahrkosten. Ist einmal eine Ermessensentscheidung nach § 77 SGB III getroffen worden, sind nach § 81 Abs. 1 SGB III Leistungen zu erbringen und der Träger ist hinsichtlich der Höhe der zu erbringenden Leistung durch die Regelung in § 81 Abs. 2 SGB III gebunden (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 117/10 R -).
Es mangelt bereits an einer planwidrigen Lücke im Hinblick auf die Fahrkostenerstattung im SGB II. Nach dem ausdrücklichen Gesetzesbefehl des § 16 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist auf die gesetzlichen Regelungen des SGB III zurückzugreifen (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 117/10 R -).
Aus denselben Gründen muss daher auch eine (analoge) Anwendung des § 6 Abs. 2 Alg II-V ausscheiden, wonach, sofern die Berücksichtigung des Pauschbetrages nach Absatz 1 Nr. 3b im Vergleich zu den bei Benutzung eines zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittels anfallenden Fahrkosten unangemessen hoch ist, nur diese als Pauschbetrag abzusetzen sind.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Das dem Grundsicherungsträger im Hinblick auf die Gewährung einer Eingliederungsmaßnahme nach dem SGB III eingeräumte Ermessen ist auf das Entschließungsermessen begrenzt, es sei denn, nach den Vorschriften des SGB III besteht auch ein Auswahlermessen.
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5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – Landessozialgericht Hessen Urteil vom 06.10.2011, – L 9 SO 226/10 –
Bestattungskosten haben vorrangig die Angehörigen zu zahlen, dies ist auch bei geringem familiärem Kontakt zumutbar.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
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6. Ein Wahlhelfer bekommt 40 € Entschädigung für seine Tätigkeit im Wahllokal. Wird diese Entschädigung auf das Arbeitslosengeld II angerechnet?
Die Entschädigung für Wahlhelfer ist auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen.
Nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II bleiben Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, anrechnungsfrei, soweit sie einem anderen Zweck dienen als die Leistungen nach dem SGB II.
Die Zahlung der Entschädigung für Wahlhelfer erfolgt mit keiner ausdrücklichen Zweckbestimmung. Eine leistungsberechtigte Person kann diese Leistung somit zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verwenden.
Von der Entschädigung für Wahlhelfer ist jedoch nach § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II ein erhöhter Grundfreibetrag von bis zu 175 Euro abzusetzen, da sie den steuerfreien Aufwandsentschädigungen nach § 3 Nummer 12 EStG zuzuordnen ist.
Quelle: Wissensdatenbank der BA § 11 SGB II , geändert am 06.10.2011
7. Bedarfsdeckung in Ferienzeiten und Anwendbarkeit von § 7 Abs. 4 SGB II
Gutachten vom 1. September 2011, Nr. 04/10, erarbeitet von Gutachter/in: Matthias Köpp , Dr. Edna Rasch
Leitsätze – entwickelt vom Deutschen Verein
1. Ist ein junger Mensch in einer Einrichtung der Jugendhilfe untergebracht und hält sich zudem zeitweise bei den Eltern oder einem Elternteil auf, so bildet er mit diesen eine temporäre Bedarfsgemeinschaft, wenn die Aufenthalte eine gewisse Regelmäßigkeit aufweisen und länger als einen Tag andauern. Das gilt insbesondere für regelmäßige Aufenthalte an Wochenenden oder während der Ferien.
2. Ein Anspruch auf Sozialgeld nach § 19 SGB II kann nicht unter Hinweis auf § 7 Abs. 4 SGB II versagt werden, da von vornherein nicht erwerbsfähige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, für die nur ein Anspruch auf Sozialgeld in Betracht kommt, nicht in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 4 SGB II fallen.
3. Eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II, die Leistungen nach dem SGB II ausschließt, liegt nur dann vor, wenn die Einrichtung so strukturiert und gestaltet ist, dass es dem dort Untergebrachten unmöglich ist, aus ihr heraus eine Erwerbstätigkeit von mindestens drei Stunden täglich auszuüben. Diese Kriterien sind grundsätzlich auch auf Einrichtungen der Jugendhilfe anzuwenden.
Quelle: www.deutscher-verein.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Ein sehr gelungener Aufsatz – ein Muss für Betroffene – die Kommentierungen und die entsprechende Rechtsprechung ist mir bekannt und wird von uns auch als sehr gut betrachtet.
Folgenden Hinweis möchten wir noch geben: SG Karlsruhe Urteil vom 27.7.2009, – S 16 AS 1115/08 –
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Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de