1. BVerfG, Urteil vom 08.11.2011, – 1 BvR 2007/11 –
Einkommensteuererstattung auf ALG II anrechenbar
Das BVerfG hat entschieden, dass eine Einkommenssteuererstattung auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden darf.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Anrechnung einer Einkommensteuererstattung auf das Arbeitslosengeld II. Ihre hiergegen erhobene Klage blieb vor den Sozialgerichten ohne Erfolg, weil eine nach Antragstellung auf Grundsicherung zugeflossene Einkommensteuererstattung nicht Vermögen, sondern Einkommen darstelle und daher bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die angefochtenen Entscheidungen des Grundsicherungsträgers und der Fachgerichte in ihrem Grundrecht auf Eigentum verletzt, da diese nach ihrer Ansicht zu einer Rückzahlung der Einkommensteuererstattung führten.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Nach Auffassung des BVerfG liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor. Insbesondere werde die Beschwerdeführerin durch die Anrechnung der Einkommensteuererstattung auf eine steuerfinanzierte Sozialleistung nicht in ihrem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Eigentums liege nicht vor. Die Anrechnung vermindere nicht den als Eigentum geschützten Steuererstattungsanspruch der Beschwerdeführerin, sondern führe zu einer Verringerung ihres Sozialleistungsanspruchs. Sozialrechtliche Ansprüche genießen jedoch nur dann grundrechtlichen Eigentumsschutz, wenn es sich um Vermögenswerte Rechtspositionen handele, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet seien, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und der Existenzsicherung dienen. Deshalb seien steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen wie die Grundsicherung nicht als Eigentum geschützt.
www.bundesverfassungsgericht.de
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Hartz IV kennt kein fiktives Einkommen – Denn dies widerspricht dem Grundsatz, dass fiktives, tatsächlich jedoch überhaupt nicht erzieltes Einkommen bei der Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt werden darf – Rechtsprechung.
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2. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.11.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – BSG, Urteil vom 24.11.2011, – B 14 AS 151/10 R –
Leitsatz vom Sozialrechtsexperten :
Bei einer Pauschal- bzw Inklusivmiete, die laut Mietvertrag mangels Feststellbarkeit des tatsächlichen Verbrauchs auch die Stromkosten in unbezifferter Höhe umfasst, ist ein Abschlag in Höhe des in der Regelleistung gem § 20 SGB 2 enthaltenen Haushaltsenergieanteils von den Unterkunfts-und Heizkosten nach § 22 SGB 2 nicht vorzunehmen.
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3. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 22.11.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – BSG, Urteil vom 22.11.2011, -B 4 AS 138/10 R –
Bei den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe(DV) handelt es sich nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten.
Weiterhin führt das BSG an, dass das LSG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen hat, weil es Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt hat, die sich vernünftigerweise aufdrängten.
Das LSG hat insbesondere keine sachverständigen Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt, so dass keine belastbaren Feststellungen dazu getroffen worden sind, welche Krankheiten beim Kläger vorliegen und welche Anforderungen an sein Ernährungsverhalten hieraus folgen.
Zur Klärung dieser medizinischen Fragen genügt die vom LSG im Wege des Urkundenbeweises eingeführte amtsärztliche Stellungnahme nicht, weil sie weder relevante Tatsachen noch nachvollziehbare Schlussfolgerungen enthält.
Unabhängig von diesen Anforderungen weist der Senat darauf hin, dass allein mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe Verfahren der vorliegenden Art nicht erledigt werden können. Es handelt sich insoweit insbesondere nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, das auf der Grundlage der Angaben der Antragsteller normähnlich angewandt werden könnte.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Sind die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (DV) zum ernährungsbedingten Mehrbedarf als antizipiertes Sachverständigengutachten zu verstehen?
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3.2 – BSG, Urteil vom 22.11.201, – B 4 AS 204/10 R –
Hartz IV-Empfänger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für Schüler-Austausch mit den USA nach § § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II a.F. bzw. § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat soeben in Kassel AZ. B 4 AS 204/10 R – entschieden, dass es sich entgegen der Auffassung des LSG bei dem hier streitigen Schüleraustausch um eine mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II handelt.
Die bundesrechtliche Regelung des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II gibt den abstrakten Rahmen dafür vor, wann Leistungen für eine mehrtägige Klassenfahrt zu erbringen sind.
Aus dem Wortlaut der Norm, der Gesetzesbegründung hierzu, ihrer systematischen Stellung innerhalb des SGB II sowie dem Sinn und Zweck der Regelung folgt jedoch, dass der bundesrechtliche Rahmen jeweils durch die landesrechtlichen Vorschriften auszufüllen ist.
Die Verbindung der Begriffe mehrtägige Klassenfahrt und schulrechtliche Bestimmungen bestimmt einerseits bundesrechtlich, dass nur Leistungen für Aufwendungen zu erbringen sind, die durch eine schulische Veranstaltung entstehen, die mit mehr als nur einem Schüler durchgeführt wird, mit mindestens einer Übernachtung und einer “Fahrt”, also einer Veranstaltung, die außerhalb der Schule stattfindet. Andererseits folgt aus der Wortlautverbindung zu dem “schulrechtlichen Rahmen”, dass nach den Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes zu bestimmen ist, ob die konkret durchgeführte Veranstaltung im Rahmen des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II regional “üblich” ist.
Nur durch die Zugrundelegung der schulrechtlichen Regelungen als Maßstab für die Legitimation des Bedarfs für die mehrtägige Klassenfahrt kann auch dem Sinn und Zweck des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II Rechnung getragen werden, die Teilhabe von Schülerinnen und Schülern bei schulischen Veranstaltungen insoweit zu gewährleisten. Welche schulischen Veranstaltungen es sind, deren Besuch zu gewährleisten ist, bestimmt sich nach dem jeweiligen Landesschulrecht. Allein die durch die schulrechtlichen Bestimmungen geprägte Realität des Schulalltags rechtfertigt daher die Übernahme der tatsächlichen Kosten durch staatliche Transferleistungen, also derjenigen, die nach den einschlägigen Bestimmungen in dem jeweiligen Bundesland “üblich” sind.
Der hier durchgeführte Schüleraustausch überschreitet nicht den bundesrechtlichen Rahmen des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II.
Ebenso ist die Veranstaltung nach der Systematik der schulrechtlichen Normen Baden-Württembergs zu außerunterrichtlichen Veranstaltungen, den dazu ergangenen schulrechtlichen Kompetenzzuweisungen und dem ausdrücklich formulierten Ziel der schulrechtlichen Regelungen, einer mehrtägigen Klassenfahrt nach den landesschulrechtlichen Bestimmungen gleichzustellen.
Da das LSG das baden-württembergische Landesrecht unberücksichtigt gelassen hat, war der Senat auch nicht an eigener Auslegung der landesrechtlichen Regelungen gehindert.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Der Sozialrechtsexperte hatte am 16.11.2011 den Tipp abgegeben, dass der Kläger vor dem BSG obsiegen wird.
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4. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 08.07.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – BSG, Urteil vom 08.07.2011, – B 14 AS 79/10 R-
Monatliche Tilgungsraten zur Zahlung eines zinslos gestundeten Kaufpreises für ein – während des Bezugs von steuerfinanzierten Sozialleistungen ohne Eigenkapital erworbenes – selbst genutztes Einfamilienhaus sind nicht als Unterkunftskosten gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen.
Denn die Angemessenheit der KdU für Mieter und Hauseigentümer ist nach einheitlichen Kriterien zu beantworten, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Montag , 21. November 2011, veröffentlichten Urteil (Az.: B 14 AS 79/10 R).
Tilgungsleistungen für ein selbst genutztes Wohnobjekt sind danach nicht von vornherein von der Berücksichtigung als KdU ausgeschlossen; sie können allerdings nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden.
Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht schon dann vor, wenn die Finanzierungskosten des Eigentümers insgesamt die Höhe der Gesamtkosten einer angemessenen Mietwohnung nicht übersteigen.
Die Umstände des vorliegenden Falles, die eine private Vermögensbildung durch öffentliche Gelder in den Vordergrund treten lassen, stehen der Annahme eines Ausnahmefalles, wie er in der bisherigen Rechtsprechung des Senats beschrieben worden ist, jedenfalls entgegen.
Zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in dem genannten Sinne, für die Leistungen zu erbringen sind, gehören grundsätzlich nicht die von den Klägern verlangten Tilgungsraten (Urteil des erkennenden Senats vom 7.11.2006 – B 7b AS 2/05 R – BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3, RdNr 24).
Die Leistungen nach dem SGB II sind auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollen nicht der Vermögensbildung dienen (vgl BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3, RdNr 24 unter Bezugnahme auf BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Oktober 2009, § 22 RdNr 74; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 27 ff). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Hinblick auf den im SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses “Wohnen” nur in besonderen Ausnahmefällen angezeigt, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitgehend abgeschlossen ist (Urteil des erkennenden Senats vom 18.6.2008 – B 14/11b AS 67/06 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 13).
Im Übrigen ist der Eigentümer grundsätzlich ebenso wenig wie der Mieter davor geschützt, dass sich die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels ergeben kann (vgl Urteile des erkennenden Senats vom 27.2.2008 – B 14/7b AS 70/06 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 8 zur Kostensenkungsaufforderung und Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 34/06 R – BSGE 100, 86 = SozR, aaO, zum Wohnungswechsel wegen unangemessen hoher Unterkunftskosten).
Jedenfalls fehlen aber in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Schuldzinsen von vornherein nicht anfallen, weil der Kaufpreis zinslos gestundet wird, und bei Beginn des Bezugs von Grundsicherungsleistungen erst ein geringer Teil des Kaufpreises getilgt worden ist, Anhaltspunkte für die Annahme eines Ausnahmefalls, der die Berücksichtigung von Tilgungsleistungen als Leistungen für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 SGB II rechtfertigen könnte. In einem derartigen Fall stünde die Vermögensbildung durch öffentliche Mittel ganz im Vordergrund und wäre nicht lediglich Nebenfolge der mit der Kostenübernahme bezweckten Vermeidung eines Verlustes der Unterkunft als räumlichem Lebensmittelpunkt.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Gegenteiliger Auffassung zur Übernahme von Tilgungsraten als KdU ist das Sächsische Landessozialgericht Urteil vom 05.05.2011, – L 2 AS 803/09 –
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5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
5.1 – LSG Sachsen- Anhalt, Beschluss vom 18.11.2011, Az. L 4 P 18/09
Hartz IV-Empfänger erhalten volle Zeitaufwandsentschädigung
Wie am Mittwoch bekannt wurde, entschied das LSG Sachsen-Anhalt, dass Hartz IV-Empfängern eine Zeitaufwandsentschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung in voller Höhe zusteht, wenn sie als Zeugen vor Gericht erscheinen. Für die Entschädigung komme es nur darauf an, dass man den Haushalt führt und nicht erwerbstätig ist.
Das LSG Halle (Saale) hat sich mit der Höhe der Entschädigung eines arbeitslosen Hartz IV-Beziehers für einen zweistündigen Gerichtstermin befasst.
Der arbeitslose Hartz IV-Bezieher (Kläger) musste zu einem zweistündigen Gerichtstermin kommen. Sein persönliches Erscheinen war angeordnet worden. Der Kläger führte den Haushalt für Lebensgefährten und Mutter. Zunächst wurde eine Zeitaufwandsentschädigung von drei Euro/Stunde festgelegt, weil der Kläger keine Einkünfte habe. Das war ihm zu wenig.
Das LSG Halle (Saale) hat daraufhin den Stundensatz auf 12 Euro erhöht.
Nach Auffassung des Landessozialgerichts kommt es nach dem Gesetz nur darauf an, dass man den Haushalt führt und nicht erwerbstätig ist. Daran ändere der Bezug von Erwerbsersatzeinkommen nichts. Berufstätige Kläger mit geringem Einkommen könnten allerdings benachteiligt sein, wenn sie einen geringeren Bruttolohn erhielten.
Weitere Informationen:
§ 191 SGG
Ist das persönliche Erscheinen eines Beteiligten angeordnet worden, so werden ihm auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet;…
§ 21 JVEG, Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung
Zeugen, die einen eigenen Haushalt für mehrere Personen führen, erhalten eine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung von 12 Euro je Stunde, wenn sie nicht erwerbstätig sind oder wenn sie teilzeitbeschäftigt sind und außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit herangezogen werden. …
§ 22 JVEG, Entschädigung für Verdienstausfall
Zeugen, denen ein Verdienstausfall entsteht, erhalten eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge richtet und für jede Stunde höchstens 17 Euro beträgt. …
5.2 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil vom 11.04.2011, – L 11 AS 123/09 –
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht bestätigt Kieler Mietobergrenzen – Zum Nachweis fehlender konkreter Unterkunftsalternativen
sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung. Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
sozialberatung-kiel.de
5.3 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil vom 29.04.2011, – L 3 AS 39/10 –
Der erfolgte Umzug von einer bereits gemeinsam genutzten Wohnung in die jetzige Wohnung ist besonderes Gewicht beizumessen bei der Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Adressat des Auskunftsverlangens nach § 60 Abs. 4 Satz 1 SGB II ist ausschließlich der Partner des Hilfebedürftigen. Die Frage, ob eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt, hat die Behörde vor der Geltendmachung des Auskunftsersuchens von Amts wegen zu prüfen. Ein mit einem feststellenden Verwaltungsakt abschließendes gesondertes Verwaltungsverfahren ist dabei weder geboten noch überhaupt zulässig; es genügt die inzidente Feststellung in der Aufforderung zur Auskunft (Voelzke in Hauck/ Noftz, SGB II, K § 60 Rz 40). Die Zustimmung des Hilfebedürftigen zur Auskunft ist nicht erforderlich.
Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin Partnerin des S. im Sinne der genannten Bestimmungen ist.
Nach § 7 Abs. 3a SGB II in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner 1. länger als ein Jahr zusammenleben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Im Falle der Klägerin greift die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II, weil sie mit S. bereits seit dem Jahr 2000 zusammenlebt.
Das Zusammenleben erfolgt in einem gemeinsamen Haushalt im Sinne einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. zu diesem Erfordernis Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 7. Januar 2011, L 7 AS 115/09), in der die Klägerin und S. “aus einem Topf wirtschaften” (vgl. dazu allg. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 68/07 R).
Dass die Klägerin und S. diesen “Topf” – um im Bild zu bleiben – gemeinsam durch anteilige Einzahlungen füllen, steht der Annahme einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht entgegen. Die Klägerin und S. nutzen sämtliche Räume der Wohnung gemeinsam, kaufen für ihre Haushaltsgemeinschaft ein, essen zusammen, waschen die anfallende Wäsche gemeinschaftlich und praktizieren auch sonst in jeder Hinsicht ein Zusammenleben, das über eine bloße Wohngemeinschaft deutlich hinausgeht.
Die aus § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II folgende Vermutungsregel ist nach dem Gesamtergebnis der Verfahren (§ 128 SGG) nicht widerlegt worden. Zwar haben die Klägerin und S. in der Berufungsverhandlung – wie bisher – übereinstimmend bekundet, nicht füreinander einstehen zu wollen.
Diese Einlassung ist jedoch nicht geeignet, dem Gericht die Überzeugung vom Nichtvorliegen der gesetzlich vermuteten Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft zu vermitteln. Ein schlichtes Bestreiten des Einstandswillens genügt nicht zur Widerlegung der Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II. Vielmehr müssen objektive Hinweistatsachen dafür vorliegen. Allein eine diesbezügliche Verlautbarung führt insbesondere dann nicht zur Verneinung einer Einstandsgemeinschaft, wenn entgegenstehende Indizien offenkundig sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Februar 2011, L 7 AS 1770/10 B).
In diesem Zusammenhang ist der Dauer des Zusammenlebens der Klägerin mit S. und dem Umstand des 2002 erfolgten Umzugs von einer bereits gemeinsam genutzten Wohnung in die jetzige Wohnung besonderes Gewicht beizumessen. Zwar kommt es wesentlich auf die Umstände im Zeitpunkt des Erlasses des ersten Auskunftsersuchens vom 4. April 2008 an; die Klägerin und S. haben allerdings in der Berufungsverhandlung deutlich gemacht, dass sich die Verhältnisse seither nicht wesentlich geändert hätten, so dass inzwischen sogar von einem mehr als zehnjährigen Zusammenleben auszugehen ist.
Das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ohne Trennung der Wohnbereiche bedingt eine besondere Nähe, die wesentliche Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung und Intimität mit sich bringt. Wer sich einer solchen Situation für einen längeren Zeitraum aussetzt, zeigt objektiv nach außen ein starkes Maß an Vertrautheit und gegenseitiger Rücksichtnahme, was ein gegenseitiges Einstehen in Notsituationen nahe legt.
Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
Spricht das Schlafen in einem gemeinsamem Bett des Hartz IV- Empfängers mit seiner Bekannten mehr oder gegen eine eheähnliche BG gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II ?
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5.4 – Landessozialgericht Hamburg Urteil vom 20.10.2011, – L 5 AS 80/08 –
Minderjähriges Kind kann nicht den ihrem Vater zustehenden, nicht ausgeschöpften Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II im Hinblick auf ihr eigenes Vermögen geltend machen.
Hinsichtlich der Übertragung von nicht ausgeschöpften Vermögensfreibeträgen unter den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft findet sich eine breite Diskussion in der Rechtsprechung, die allerdings allein die Frage einer Übertragung des Freibetrags nach § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II für minderjährige Kinder auf die Eltern betraf (gegen eine Übertragbarkeit LSG NW, Urt. v. 4.9.2008 – L 9 AS 20/07; Urt. v. 21.4.2008 – L 20 AS 7/07, SG Reutlingen, Beschl. v. 19.2.2007 – S 2 AS 565/07 ER; SG Berlin, Urt. v. 29.3.2006 – S 55 AS 7521/05; LSG Thüringen, Beschl. v. 6.6.2006 – L 7 AS 235/06 ER; so auch Geiger, in: LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 12 Rn. 18; Hasske, in: Estelmann, SGB II, § 12 Rn. 28, Stand Juni 2010; Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 42; Radüge, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 12 Rn. 59; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 12 Rn. 139h, Stand Sept. 2008; Klaus, jurisPR-SozR 6/2010 Anm. 1
für eine Übertragbarkeit LSG BW, Urt. v. 26.6.2008 – L 12 AS 5863/07; SG Aurich, Urt. v. 15.2.2006 – S 15 AS 107/05; differenzierend Frank, in: Hohm, SGB II, § 12 Rn. 33, Stand Juli 2011: Übertragbarkeit nur, soweit das Kind nicht nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II aus der Bedarfsgemeinschaft herausfällt).
Das Bundessozialgericht (Urt. v. 13.5.2009 – B 4 AS 58/08 R) hat schließlich mit einleuchtenden Gründen gegen eine Übertragbarkeit des Freibetrages nach § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II entschieden; der Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II könne nicht als sog. “Kinderfreibetrag” angesehen werden, der der Bedarfsgemeinschaft unabhängig vom tatsächlichen Vorhandensein von Vermögen auf der Seite des zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kindes zu Gute komme. Vielmehr beziehe sich der Freibetrag ausschließlich auf tatsächlich beim Kind vorhandenes Vermögen. Das sei zwar aus dem Wortlaut des § 12 SGB II nicht unmittelbar herzuleiten, jedoch zeige bereits die Gesetzgebungsgeschichte, dass es um den Schutz allein des Kindesvermögens gegangen sei. Da das Kind erst eigenes Vermögen einsetzen müsse, bevor es nach dessen Verbrauch zur Bedarfsgemeinschaft zähle – so § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II –, könne sich die Schutzvorschrift auch nur auf dessen eigenes Vermögen beziehen. Diese Regelung spreche im Übrigen gegen die Annahme eines gemeinsamen Vermögens der Bedarfsgemeinschaft, weil bereits für die Frage der Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft entscheidend sei, ob das Kind seinen Bedarf (auch) durch eigenes Vermögen decken könne. Auch könne aus der Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II, wonach die Freibeträge dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seinem Partner wechselseitig zu Gute kommen sollten, nichts anderes gefolgert werden.
Das habe seinen wesentlichen Grund nämlich in der vollen Heranziehung des Partnervermögens im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II; dies sei aber bei einem minderjährigen Kind wegen § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II gerade nicht der Fall. Schließlich sei die Nichtübertragbarkeit des Freibetrages auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, da der Schutz allein des Kindesvermögens bezweckt werde und dies gewährleistet werden könne.
Die Argumentation des Bundessozialgerichts ist auf die hier relevante Frage der Übertragbarkeit des Freibetrages nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II auf das minderjährige Kind zu übertragen (so ausdrücklich Geiger, in: LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 12 Rn. 18).
Das Vermögen eines minderjährigen Kindes war nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf nicht geschützt (BT-Drs. 15/1516 S. 12); erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a SGB II eingeführt (BT-Drs. 15/3674 S. 11), “um das Vermögen für das Kind zu schützen”. Es ging dem Gesetzgeber also gerade nicht um den Schutz der Bedarfsgemeinschaft insgesamt, sondern allein um den vermögensbezogenen Schutz des Kindes.
Insoweit zieht der Gesetzgeber aber eine Betragsgrenze in der Vorschrift der Nr. 1a. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Schutz des Kindes durch eine zusätzliche Übertragung nicht ausgeschöpfter Freibeträge der Nr. 1 erweitert werden müsste, wo doch das Kind sein Vermögen gerade nicht für die weiteren Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft einsetzen muss (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II) und damit unabhängig vom Bestehen bzw. der Größe einer Bedarfsgemeinschaft keines weiteren Vermögensschutzes bedarf.
Zudem ist hinsichtlich der Übertragung von nicht ausgeschöpften Vermögensfreibeträgen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II auf ein minderjähriges Kind die Vorschrift des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zu beachten. Danach gehört ein Kind nur zur Bedarfsgemeinschaft, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen kann. Das bedeutet, dass jedenfalls in Fällen – wie hier – eines über den Freibeträgen nach § 12 Abs. 2 Nrn. 1a und 4 SGB II liegenden Kindesvermögens insoweit allein auf das Vermögen des Kindes abzustellen ist und demgemäß auch allein auf seinen Freibetrag. Eine Verbindung zu den Verhältnissen der Eltern über die Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft besteht gerade nicht und damit auch keine Anknüpfungsmöglichkeit an § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II.
Schließlich ist eine Diskriminierung minderjähriger Kinder nicht erkennbar.
Der Schutz des Kindesvermögens soll mit § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II erreicht werden, die dort gezogene Grenze erscheint angesichts der vielfältigen zukünftigen Erwerbsmöglichkeiten junger Menschen nicht unangemessen. Dass ein volljähriger Partner – anders als minderjährige Kinder – in einer Bedarfsgemeinschaft von den Freibeträgen des anderen volljährigen Partners profitieren kann, ist aufgrund des gegenseitigen Einkommens- und Vermögenseinsatzes gerechtfertigt und unterscheidet sich dadurch von der Situation der minderjährigen Kinder.
Auch bestehen hier keine Unstimmigkeiten im Verhältnis zum Unterhaltsrecht. Denn § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II betrifft allein leistungsrechtliche Fragen und hat von vornherein keine Berührung mit dem Unterhaltsrecht.
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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann
BSG, Urteil vom 13.05.2009, – B 4 AS 58/08 R –
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6. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
6.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 15.09.2011, – L 9 SO 40/09 -, anhängig beim BSG unter dem AZ- B 8 SO 24/11 R –
Kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau des PKW durch Eingliederungshilfe.
Denn die Klägerin ist nicht auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen, insbesondere nicht zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Die Klägerin bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und nimmt damit nicht mehr am Erwerbsleben teil. Mit der Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbar gewichtige Gründe sind nicht gegeben.
Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Klägerin mit der Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten eine gesellschaftlich bedeutsame und ehrenhafte Aufgabe erfüllt.
Es ist jedoch an keiner Stelle im SGB XII der Wille der Gesetzgebung erkennbar, ehrenamtliche Tätigkeiten behinderter Menschen durch Übernahme der Kosten eines behindertengerechten PKW (bzw. seines entsprechenden Umbaus) – mittelbar – zu fördern.
Wäre dem so, müssten alle Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen, an dieser Förderung teilhaben. Eine solche Zielsetzung ist dem SGB XII nicht zu entnehmen. Die Regelung des § 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht, dass es (primäres) Ziel des SGB XII ist, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung im Zusammenhang mit der Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. Zu der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs “angewiesen sein” i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 11 der Eingliederungshilfe-Verordnung ist bereits ein Revisionsverfahren anhängig (BSG, B 8 SO 9/10 R).
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles
Quelle Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de