Landessozialgericht-Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 07.12.2011 – Az.: L7 AS 906/11 B

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
xxx
Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

xxx
Beklagter,

hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 7. Dezember 2011 in Celle durch den Richter xxx, die Richterin xxx, den Richter xxx beschlossen:

  1. Auf Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. September 2011 aufgehoben.
     
  2. Der Klägerin wird zwecks Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam, Göttingen, bewilligt. Raten sind nicht zu zahlen.
     
  3. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Mit Bescheid vom 05. Mai 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01. Juni bis zum 30. November 2010 in Höhe von 677,53 € monatlich. Hiergegen legte die Klägerin durch Anwaltsschreiben vom 11. Mai 2010 und Vollmachtsurkunde vom 16. Juli 2010 Widerspruch ein. Die Vollmacht trägt die Überschrift: “Vollmacht im sozialrechtlichen Verfahren” und hat zum Inhalt die Vertretung der Klägerin durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt in ihrer Sozialrechtssache gegen Sozialagentur im Landkreis xxx wegen Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte half mit Abhilfebescheid vom 09. August 2010 dem Widerspruch im vollen Umfang ab, rechnete mit gesondertem Bescheid die Leistungen der Klägerin für den Bewilligungszeitraum neu und zahlte den geforderten Differenzbetrag nach. Der Abhilfebescheid vom 09. August 2010 war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.

Mit Schreiben vom 16. August 2010 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Nebenkostenabrechnung der Vermieterin für das Jahr 2009 vom 11. August 2010 die Übernahme des Nachzahlungsbetrages in Höhe von 173,57€. Mit einem an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 13. September 2010 erklärte sich der Beklagte zur Übernahme der Nachforderung in Höhe von 123,78 € bereit. Hiergegen legte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 16. September 2010 Widerspruch ein mit der Begründung, der Abzug von Warmwasserkosten dürfe beim Fehlen technischer Zähleinrichtungen nur in Höhe der durch Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) anerkannten Pauschalen erfolgen, und nicht anhand einer Formel der Heizkostenverordnung.
Der Beklagte bestätigte den Eingang des Widerspruchs und verlangte von der Klägerin die Vorlage einer Vollmacht. Daraufhin übersandte der Prozessbevollmächtigte eine beglaubigte Abschrift der im ersten Widerspruchsverfahren eingereichten Vollmacht vom 16. Juli 2010 nach. Mit weiterem Schreiben vom 13. Oktober 2010 forderte der Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung auf, eine aktuelle Vollmachtsurkunde für das laufende Widerspruchsverfahren einzureichen. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. November 2010 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Zur Begründung führte er aus, dass nach einer Entscheidung des BSG vom 02. November 2005 – B 6 KA 43/05 B – eine erteilte Vollmacht nur für das laufende Verwaltungsverfahren gelte. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe jedoch keine neue Vollmacht vorgelegt, sodass eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung nicht nachgewiesen sei. Durch den Bescheid vom 13. September 2010 sei er (gemeint ist wohl die Klägerin) nicht beschwert. Nach Angaben der Klägerin erstattete der Beklagte später durch einen gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erlassenen Bescheid die noch offene Forderung aus der Nebenkostenjahresabrechnung 2009.

Die Klägerin hat am 25. November 2010 beim Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 13. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2010 erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Auf Hinweis des Beklagten hat das SG die Prozessakte von einer anderen Kammer betreffend eines anderen Klägers und anderen Prozessbevollmächtigten gegen den Beklagten (Aktenzeichen: S 37 AS 1181/08) beigezogen, in der die Klage wegen nicht nachgewiesener Bevollmächtigung im Vorverfahren abgewiesen worden war und deren Begründung vom SG offenbar auch für dieses Klageverfahren übernommen werden sollte. Soweit ersichtlich sind die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter darüber nicht informiert worden. Das SG hat dann mit Beschluss vom 01. September 2011 das Prozesskostenhilfe-Gesuch der Klägerin abgelehnt, weil eine wirksame Vertretung nach § 13 SGB X nicht vorliege, sodass der Beklagte zu Recht den Widerspruch als unzulässig verworfen habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Klägerin vom 14. September 2011. Die Klägerin trägt vor, sie werde seit Jahren in den Fragen der Leistungen nach dem SGB II gegenüber dem Beklagten vertreten, so auch für den Bewilligungszeitraum vom 01. Juni bis 30. November 2010, der die hier streitige Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung 2009 betreffe. Die Bevollmächtigung sei durch entsprechende Vollmachtsurkunden nachgewiesen; ein Widerruf dieser Vollmacht sei nicht erfolgt. Das Verlangen einer weiteren Vollmacht gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X stehe im Ermessen der Behörde. Es habe aber keinerlei Grund für den Beklagten gegeben, an der Bevollmächtigung zu zweifeln. Jedenfalls hätte der Beklagte diese Zweifel durch eine Nachfrage bei der Klägerin persönlich ausräumen können.

Der Beklagte erwidert, nach Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15.08.1991 – 12 RK 39/90 -) gelte die Vertretungsvollmacht nur für das konkrete Verwaltungsverfahren bis zur Bestandskraft des angefochtenen Bescheides. Allein die Behörde und nicht der Rechtsanwalt bestimme, ob und wie eine Bevollmächtigung nachzuweisen sei. Die Klägerin sei aufgefordert worden, eine aktuelle Vollmacht für das neue Widerspruchsverfahren vorzulegen, was jedoch nicht geschehen sei. Der Antragsgegner verlange im Interesse der Rechtsklarheit für jedes Widerspruchsverfahren eine gesonderte Vollmacht. Dem “Herrn Rechtsanwalt” gehe aber offensichtlich darum, hier eine “lex adam” zu schaffen. Hätte der “Herr Rechtsanwalt” seine Bevollmächtigung seinerzeit nachgewiesen, wäre es überhaupt nicht zur Klage gekommen, weil die streitige Rechtsfrage hinsichtlich der Berechnung des Warmwasserabzugs bereits im Jahr 2010 geklärt beziehungsweise anhängig gewesen sei. Das gesamte Verhalten des “Herrn Rechtsanwalt” sei deshalb unter dem Motto “Belästigung von Gerichten” einzuordnen.

II.
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet und führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Beschlusses. Ihr ist zwecks Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne des § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen. Die Klägerin ist nicht in der Lage, aus eigenen Mitteln für die Kosten der Prozessführung aufzukommen. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.

Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Der Beklagte durfte den Widerspruch der Klägerin nicht als unzulässig verwerfen. Es liegt eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vor, die durch die Klägerin gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X gegenüber dem Beklagten nachgewiesen wurde.

Der vom Beklagten reklamierte, allgemeine Rechtsgrundsatz, eine Vollmacht sei immer auf ein individuelles und aktuelles Verwaltungsverfahren beschränkt, ist in dieser Allgemeinheit nicht feststellbar. Insbesondere ist ein derartiger Rechtssatz nicht dem § 13 Abs. 1 SGB X zu entnehmen. Die Vertretungsvollmacht wird auch im Sozialverwaltungsverfahren durch Rechtsgeschäft begründet, auf das die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Vollmacht entsprechend anzuwenden sind (vgl. §§ 164 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -), soweit § 13 SGB X keine speziellen Regelungen enthält (Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB X Stand: 2007, § 13 Rdnr. 4). Es steht folglich jedem Bürger frei, durch eine entsprechende ausdrückliche Vollmacht gegenüber der Sozialbehörde einen Bevollmächtigten zu beauftragen, der dann – bis diese Vollmacht widerrufen wird – eine generelle Vertretung übernimmt mit der Folge, dass der Vertreter jederzeit verbindliche Erklärungen für den Vertretenen abgeben darf und die Behörde verpflichtet ist, die Korrespondenz – soweit es nicht um Erklärungen höchstpersönlicher Natur geht – ausschließlich über den Bevollmächtigten zu führen. Dem steht § 13 Abs. 1 SGB X nicht entgegen. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann sich ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Daraus kann allenfalls abgeleitet werden, dass – im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten – im Sozialverwaltungsverfahren nur ein Bevollmächtigter und nicht mehrere gleichzeitig beauftragt werden dürfen. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X ermächtigt die Vollmacht zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. Gerade § 13 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz SGB X widerlegt den vom Beklagten aufgestellten Grundsatz, die Reichweite der Vollmacht sei normativ auf ein Verwaltungsverfahren beschränkt. Vielmehr stellt der Gesetzeswortlaut in § 13 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz SGB X fest, dass Einschränkungen der Vertretungsvollmacht aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann gelten, wenn sie sich aus dem Erklärungsinhalt der Vollmacht selbst ergeben, wobei die Behörde grundsätzlich davon auszugehen hat, dass die Vollmacht nicht eingeschränkt wird (Fichte u. a., Sozialverwaltungsverfahrensrecht-Handbuch, § 2 Rdz. 263). Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X hat der Bevollmächtigte schließlich auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, ob sie im Einzelfall die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verlangt, weil begründete Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen. Von einem schriftlichen Nachweis ist in der Regel abzusehen, wenn sich ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter meldet, weil hier eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung durch den Beteiligten vermutet werden kann (Vogelgesang, a. a. 0. Rdz. 18). Die erteilte Vollmacht bleibt gegenüber der Behörde wirksam, bis ihr ein Widerruf der Vollmacht zugeht (§ 13 Abs. 1 Satz 4 SGB X).

Entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG kann eine generelle Beschränkung der Vollmacht nicht auf Rechtsprechung des BSG gestützt werden. Das Urteil des BSG vom 15.08.1991 – 12 RK 39/90 – in SozR 3-1500 § 73 Nr. 2 ist überhaupt nicht einschlägig. Dort ging es um die Frage, ob eine für das Verwaltungsverfahren und sich in der Verwaltungsakte befindlichen Vollmacht auch zur Führung eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens berechtigte, weil die damalige und bis zum 30.06.2008 gültige Fassung des § 73 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Erteilung der Vollmacht “zu den Akten” verlangte, sodass über die Frage zu entscheiden war, ob mit dem Begriff “Akten” die Verwaltungsakten oder die Gerichtsakten gemeint waren. Kein Wort verliert das BSG darüber, ob diese Vollmacht zu weiteren Erklärungen oder Handlungen in einem (anderen) Verwaltungsverfahren gegenüber derselben Behörde berechtigt. Noch weniger zielführender ist die zweite vom Beklagten zitierte Entscheidung des BSG (Beschluss vom 02.11.2005 – B 6 KA 340/05 B -), denn in dem dort entschiedenen Fall ging es um den Umfang einer nicht mehr auffindbaren Vollmachtsurkunde, die aber, würde sie denselben Inhalt wie in einer früheren Vollmacht haben, ausdrücklich auf das Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren eines Arztes gegen die Kassenärztliche Vereinigung beschränkt war. Wie sich aus den näheren Ausführungen des Beschlusses ergibt – was der Beklagte jedoch verkennt -, beruhen die Ausführungen des BSG auf Besonderheiten des Kassenarztrechts, das in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren unterschiedliche Zuständigkeiten zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung, dem Prüfungsausschuss und dem Beschwerdeausschuss kennt (missverständlich deshalb: von Wulffen, SGB X-Kommentar, 7. Auflage § 13 Rdnr. 7).

Der Umfang einer Vollmacht bestimmt sich wie bei anderen privaten Willenserklärungen nach dem tatsächlichen Inhalt der Erklärung. Es bleibt also festzustellen, was der Erklärende im Einzelfall sprachlich erklärt und was er mit seiner Erklärung wirklich gewollt hat, Es ist sicherlich für alle Beteiligten sinnvoll, wenn eine Vollmacht durch die genaue Bezeichnung des jeweiligen Gegenstandes an den Ablauf eines konkreten Verfahrens gebunden wird, was aber rechtlich nicht notwendig ist. Ist die Vollmacht allein durch die Befugnis zur Vertretung in einem bestimmten Verwaltungsverfahren geprägt, bleibt diese nur so lange wirksam, wie das Verwaltungsverfahren durch eine bestandskräftige Regelung beendet wird. Ob eine derartige Beschränkung auf ein einziges Verwaltungsverfahren erfolgt ist, ist gegebenenfalls durch Auslegung festzustellen. Den Inhalt einer Vollmacht bestimmt aber weder der Beklagte noch der Verfahrensbevollmächtigte, sondern ausschließlich die Klägerin selbst mit ihrer Erklärung. Bei Anwendung dieser Grundsätze gelangt der Senat zum Ergebnis, dass die vorliegende Klage nicht mit der Begründung abgewiesen werden kann, die Klägerin habe im Widerspruchsverfahren eine wirksame Vollmacht nicht nachgewiesen.

Die hier streitige Vollmacht der Klägerin vom 16. Juli 2010 (BI. 154 Verwaltungsakte – VA -) ist nach ihrer Überschrift im Rahmen eines sozialrechtlichen Verfahrens erteilt worden und zwar zur Vertretung der Klägerin durch den beauftragten Rechtsanwalt in ihrer Sozialrechtssache gegen Sozialagentur im Landkreis xxx wegen Leistungen nach dem SGB II. Entgegen der Auffassung ihres Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin ihn nicht bevollmächtigt, auch für Folgezeiträume in ihrem Namen gegenüber dem Beklagte abzugeben, beziehungsweise den Beklagten verpflichtet, auch für Folgezeiträume sämtliche Änderungen und Leistungsbescheide an ihn zuzustellen. Eine so umfassende Generalvollmacht hat die Klägerin mit ihrer Erklärung, die nur eine Sozialrechtssache gegen die Sozialagentur im Landkreis xxx umfasst, nicht mit der erforderlichen Klarheit zum Ausdruck gebracht. Es ist auch nicht anzunehmen, dass sie für diese rechtliche Vollbetreuung Rechtsanwaltsgebühren für die ansonsten nicht erstattungsfähigen Aufwendungen im Verwaltungsverfahren übernehmen will und kann. Nach dem Erklärungsinhalt der Vollmacht ist andererseits aber auch nicht festzustellen, dass die Vollmacht vom 16. Juli 2010 nur zur Führung eines bestimmten Widerspruchsverfahrens legitimiert. Ausgangspunkt der Vollmacht vom 16. Juli 2010 ist der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 05. Mai 2010, mit dem Arbeitslosengeld (Alg) II für die Zeit vom 01. Juni bis zum 30. November 2010 bewilligt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin mit dieser Vollmacht nur nachträglich den eingelegten Widerspruch vom 11. Mai 2010 bewilligen, andere Erklärungen ihres Bevollmächtigten für denselben Bewilligungszeitraum ausschließen oder die Vertretung nur auf bestimmte rechtliche Einwände (z. B. Aufrundung der Leistungssätze) beschränken wollte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist nach dem wohlverstandenen Interesse der Klägerin davon auszugehen, dass der Rechtsanwalt bevollmächtigt worden ist, sämtliche Erklärungen abzugeben und sämtliche Handlungen vorzunehmen, die geeignet sind, im Bewilligungszeitraum Juni – November 2010 für sie das Höchstmögliche an SGB II-Leistungen zu erstreiten, notfalls nach Einschaltung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wie der später hinzugefügte Zusatz in dem Vollmachtsformular zeigt.

Bei diesem Erklärungsinhalt erfasst die Vollmacht auch das Begehren der Klägerin im Schreiben vom 16. August 2010 auf Übernahme des Nachzahlungsbetrages aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2009. Kommt es nämlich nach regelmäßiger Übernahme der laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II zu Nachforderungen nach erfolgter Jahresabrechnung, stellen die geschuldeten Zahlungen mit ihrer Fälligkeit den grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarf dar (BSG vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R -, SozR 4- 4200 § 22 Nr. 23). Da die Nebenkostennachzahlung im August 2010 fällig geworden ist, betrifft die Regelung im Bescheid vom 13. September 2010 die im Bescheid vom 05. Mai 2010 in der Fassung des im August 2010 ergangenen (hier unbekannten) Bescheides geregelten Kosten für Unterkunft und Heizung für den Bewilligungszeitraum Juni – November 2010. Verfahrenstechnisch hat der Beklagte insoweit für denselben Bewilligungszeitraum nur eine Leistungskorrektur nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorgenommen. Es unterliegt aber der alleinigen Entscheidungs- und Erklärungskompetenz der Klägerin, ihren Bevollmächtigten mit der Durchsetzung ihrer Forderung im Schreiben vom 16. August 2010 mündlich zu beauftragen und diesen Auftrag als mit der auf den Bewilligungszeitraum Juni – November 2010 erteilten Vollmacht vom 16. Juli 2010 als erfasst anzusehen. Rechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht, nachdem der Beklagte auf Nachfrage des Senates keine belastbaren Umstände für eine vollmachtslose Vertretung benennen konnte.

Die vom SG ins Auge gefasste Klageabweisung verbietet sich auch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt. Der Beklagte hat durch mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 09. August 2010 (BI. 134 VA) der Klägerin mitgeteilt, dass dem Widerspruch zum Bescheid vom 05. Mai 2010 in vollem Umfang abgeholfen werde und die weiteren Einzelheiten aus einem nicht aktenkundigen Bescheid zu entnehmen seien. Mit diesem weiteren Bescheid sind die SGB II-Leistungen für den Zeitraum Juni – November 2010 neu berechnet und festgestellt worden, vermutlich ebenfalls mit Rechtsbehelfsbelehrung. Mit ihrem Begehren im Schreiben vom 16. August 2010 über die Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung für 2009 hat die Klägerin also innerhalb der neu eröffneten Rechtsbehelfsfrist zum Ausdruck gebracht, mit der neuen Entscheidung über den Bewilligungszeitraum Juni – November 2010 nicht einverstanden zu sein. Darin ist entweder ein neuer oder das Aufrechterhalten des ursprünglichen Widerspruchs vom 11. Mai 2010 zu sehen. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass unter diesen Umständen die erteilte Vollmacht erst recht das Begehren der Klägerin bezüglich der Nebenkostenabrechnung erfasst hat und dass der Beklagte den weiteren (Teil-Abhilfe-)Bescheid vom 13. September 2010 gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X an den Bevollmächtigten hätte zustellen und anschließend – soweit nicht abgeholfen – durch Widerspruchsbescheid entscheiden müssen. Diese Vorgehensweise lag vor allem im wirtschaftlichen Interesse des Beklagten, weil er so die Klägerin in ein zweites Widerspruchsverfahren getrieben hat und nunmehr zweimal Rechtsanwaltsgebühren nach § 63 SGB X erstatten muss.

Das Klagebegehren der Klägerin ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erfolgversprechend, weil der Nachzahlungsbetrag aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2009 aus den von der Klägerin zutreffend vorgebrachten rechtlichen Erwägungen in voller Höhe zu übernehmen ist. Das hat der Beklagte zwischenzeitlich mit dem fälschlicherweise in einen Bescheid nach § 44 SGB X verkleideten Klageanerkenntnis, welches die Klägerin gemäß § 101 Abs. 2 SGG angenommen hat, eingeräumt. Aus welchen Gründen der Beklagte diese Nachzahlung der Klägerin über ein Jahr lang vorenthalten hat, obwohl nach eigenen Angaben keine Klage erforderlich gewesen wäre, wenn die Klägerin die Bevollmächtigung ordnungsgemäß nachgewiesen hätte, ist allerdings nicht nachvollziehbar.

Die Rechtsverfolgung der Klägerin ist schließlich nicht mutwillig, was gemäß § 114 Satz 1 ZPO sonst zur Versagung von Prozesskostenhilfe führen müsste. Anders als der Beklagte es meint, ist das prozessuale Verhalten der Klägerin nicht unter dem Motto “Belästigung von Gerichten” einzuordnen. Vielmehr blieb der Klägerin nichts anderes übrig, als den Rechtsweg zu bestreiten, nachdem die ihr zustehenden SGB II-Leistungen offenbar nur deshalb verweigert wurden, weil der betreffende Sachbearbeiter persönliche Vorbehalte gegen ihren Prozessbevollmächtigten hat, wie die vom Beklagten gewählte Diktion in den Schriftsätzen des Beschwerdeverfahrens zeigt. Es würde nunmehr dem Beklagten gut anstehen, wenn für die in erster Instanz noch anhängigen Verfahren bezüglich des hier streitigen Bewilligungszeitraums die gebotenen Prozess- und Kostenfolgenerklärungen abgegeben werden.

Kosten dieses Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar(§ 177 SGG).