Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 51/2011 – Teil 1

1.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23.08.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 23.08.2011, – B 14 AS 185/10 R-

Hartz IV – Hartz-IV-Empfänger dürfen Stromkostenerstattung behalten, denn es ist Vermögen.

10 1. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden.

Dabei ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen, was er vor Antragstellung bereits hatte. Es ist vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (modifizierte Zuflusstheorie: BSG Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSG Urteil vom 30.9.2008 – B 4 AS 29/07 R – BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15 RdNr 18; BSG Urteil vom 17.6.2010 – B 14 AS 46/09 R – BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30 RdNr 15; BSG Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 45/09 R; anknüpfend an die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe: Urteil vom 11.2.1976 – 7 RAr 159/74 – BSGE 41, 187 = SozR 4100 § 137 Nr 1; Urteil vom 20.6.1978 – 7 RAr 47/77 – BSGE 46, 271 = SozR 4100 § 138 Nr 3; Urteil vom 12.12.1996 – 11 RAr 57/96 – BSGE 79, 297 = SozR 3-4100 § 138 Nr 9; und die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Sozialhilfe: Urteile vom 18.2.1999 – 5 C 35/97 – BVerwGE 108, 296 = NJW 1999, 3649, juris RdNr 13 ff; 5 C 14/98 – NJW 1999, 3137; 5 C 16/98 – NJW 1999, 3210 ff).

11 Auch wenn Einnahmen aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (zB Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung) und eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört die Forderung, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (zB noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate), zu seinem Vermögen.

Das führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Vielmehr ist nach § 11 SGB II im Falle der Erfüllung einer (Geld-) Forderung grundsätzlich nicht das Schicksal der Forderung von Bedeutung, sondern das Gesetz stellt insofern allein auf die Erzielung von Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen ab.

Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, zB bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen.

Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen.

Dementsprechend bleibt ein Sparguthaben bei seiner Auszahlung Vermögen (BSG Urteil vom 30.9.2008 – B 4 AS 57/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 17 zu einer Zinsgutschrift unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG zu § 76 BSHG und dessen Urteile vom 18.2.1999 aaO; Gegenbeispiel Einkommensteuererstattung: BSG Urteil vom 30.9.2008 – B 4 AS 29/07 R – BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15 RdNr 18).

12 Bei der Rückerstattung von Vorauszahlungen auf der Grundlage von Energielieferverträgen ist von der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen nicht abzuweichen, wovon das SG und die Beteiligten zutreffend ausgehen.

Solche Rückzahlungen erfolgen nicht aus bereits erlangten Einkünften, mit denen ein gezielter “Vermögensaufbau” betrieben wurde.

Im Ergebnis kommt damit nur die Berücksichtigung der Rückzahlung als Einkommen im Bedarfszeitraum, nicht dagegen als Vermögen in Betracht (ebenso zur Stromkostenerstattung im Anwendungsbereich des SGB XII: BSG Urteil vom 19.5.2009 – B 8 SO 35/07 R – SozR 4-3500 § 82 Nr 5 RdNr 16 und – insoweit ohne weitergehende Begründung – zur Betriebskostenerstattung: BSG Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 58/06 R – SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 37).

13 2. Die Stromkostenerstattung war zwar eine Einnahme der Klägerin und ihrer Tochter im Februar 2007, ist jedoch nicht als Einkommen nach § 11 Abs 1 SGB II zu berücksichtigen.

Für die Definition des Begriffs “Einkommen” ist – über die obige Abgrenzung “alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält,” hinaus – dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II lediglich zu entnehmen, dass ua “Leistungen nach diesem Buch” von vornherein von der Berücksichtigung ausgenommen sind.

14 a) Ein unmittelbarer Anwendungsbereich dieser Alternative des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ist vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, ob die Vorauszahlungen für die Stromkosten von der Klägerin aus ihrer Hinterbliebenenrente oder ihren SGB II-Leistungen erbracht wurden, erfolgte die Rückzahlung jedenfalls nicht auf Grundlage der Vorschriften des SGB II durch den Träger der Grundsicherung, sondern aufgrund der Regelungen in dem Energieliefervertrag.

15 b) Eine Rückzahlung von Stromkosten, die auf Vorauszahlungen in Zeiträumen beruht, in denen Hilfebedürftigkeit nach §§ 7, 9 SGB II bestand, kann aber nach Sinn und Zweck des § 11 Abs 1 und § 20 SGB II nicht als Einkommen berücksichtigt werden.

16 Dies folgt zum einen aus der Wertung, die dem Ausschluss von “Leistungen nach diesem Buch” von der Berücksichtigung als Einkommen in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II zu entnehmen ist (in diesem Sinne Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 RdNr 273; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 11 RdNr 33; Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit für die Anwendung des SGB II zu § 11 Nr 11.61). Zum anderen handelt es sich bei den Zahlungen für Haushaltsenergie um die Befriedigung eines dem § 20 SGB II zuzuordnenden Grundbedarfs.

Der Bemessung dieses Grundbedarfs nach dem Statistikmodell liegt der verfassungsrechtlich zulässige Gedanke zugrunde, dass die regelbedarfsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert sind und den Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen ermöglichen.

Der Hilfebedürftige soll über den Einsatz seiner Mittel (sei es aus der Regelleistung, sei es aus zu berücksichtigendem Einkommen) hinsichtlich des Regelbedarfs im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen können (dazu BVerfG vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – BVerfGE 125, 175, RdNr 205).

Dementsprechend schließt der Regelbedarf ausdrücklich einen Ansparbetrag ein, der seine Entsprechung in dem Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs 1 Nr 4 SGB II findet (vgl BT-Drucks 15/1516 S 53). Damit ist es aber auch geboten, Einnahmen, die aus Einsparungen bei den Regelbedarfen resultieren, über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen.

17 Von daher ist es unerheblich, ob die Klägerin die Vorauszahlungen für die Stromkosten aus ihrer Hinterbliebenenrente oder ihren SGB II-Leistungen erbracht hat. Entscheidend ist alleine, dass sie während dieser Zeit hilfebedürftig nach dem SGB II war und sich durch die Berücksichtigung ihres Einkommens aus der Hinterbliebenenrente nichts an der Zusammensetzung ihres verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums nach §§ 20 ff SGB II änderte.

18 c) Soweit der Beklagte dagegen einwendet, das SGB II enthalte kein Belohnungssystem, um Hilfebedürftige durch die Nichtberücksichtigung der Rückzahlung zu privilegieren, vielmehr sei sparsames Haushalten von einem Hilfebedürftigen zu erwarten, um den Bedarf möglichst aus eigener Kraft zu decken, führt diese Argumentation im Kern zu einer Anwendung des “Bedarfsdeckungsgrundsatzes”, wie er zum Recht der Sozialhilfe nach dem BSHG entwickelt worden ist.

Diesen Bedarfsdeckungsgrundsatz des BSHG hat der Gesetzgeber in das SGB II jedoch nicht übernommen.

19 Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass es konstitutiver Bestandteil des Systems des SGB II ist, eine abweichende Festsetzung der Regelbedarfe gerade nicht vorzusehen (vgl BSG Urteil vom 18.6.2008 – B 14 AS 22/07 R – BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 22 zur Verköstigung während eines Krankenhausaufenthalts; BSG Urteil vom 18.6.2008 – B 14 AS 46/07 R – zur kostenlosen Verpflegung durch Familienangehörige; BSG Urteil vom 18.2.2010 – B 14 AS 32/08 R – SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 20 zu nicht bezifferbaren Unterstützungsleistungen von Verwandten oder Verschwägerten).

Im Rahmen der durch § 20 Abs 1 SGB II genannten Grundbedürfnisse ist es mit dem Sinn und Zweck der Pauschalierung nicht vereinbar, eine individuelle Bedarfsprüfung vorzunehmen.

20 Damit ist es nach dem SGB II nicht zulässig, zusätzliche Bedarfe, wie etwa erhöhte Stromkosten (so ausdrücklich: BSG Urteil vom 19.2.2009 – B 4 AS 48/08 R – BSGE 102, 274 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18 RdNr 27), im Rahmen des Regelbedarfs bedarfserhöhend geltend zu machen.

Abweichende laufende Bedarfe können lediglich im Anwendungsbereich des § 21 SGB II Berücksichtigung finden. Für die Kürzung der Regelleistung besteht aber ebenso wenig eine Rechtsgrundlage.

Hätten die Klägerin und ihre Tochter die Herabsetzung der Abschlagszahlungen gegenüber dem Stromversorger zu einem früheren Zeitpunkt erreicht, wären solche Einsparungen ihnen (und nicht dem Träger der Grundsicherung) zugute gekommen.

Ebenso wie dem Hilfebedürftigen zB zu berücksichtigendes Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit bei einer anderen steuerrechtlichen Gestaltung im Bedarfszeitraum bedarfsmindernd zur Verfügung gestanden hätte und es deshalb auch bei Zufluss erst mit der Steuererstattung zu berücksichtigendes Einkommen bleibt (vgl BSG Urteil vom 30.9.2008 – B 4 AS 29/07 R – BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18 am Ende), kann ein anderer Mitteleinsatz für die Regelbedarfe nicht zur Gewährung einer nur verminderten Regelleistung (bzw dem Ansatz eines niedrigeren Bedarfs) führen.

21 Da § 20 SGB II – anders als § 28 SGB XII – die Berücksichtigung abweichender Bedarfe beim Regelbedarf von vornherein ausschließt, lässt sich aus dem sogenannten Nachranggrundsatz nicht der Schluss ziehen, dass die Berücksichtigung von ersparten Aufwendungen als Einkommen geboten ist (zur abweichenden Rechtslage nach dem SGB XII: BSG Urteil vom 19.5.2009 – B 8 SO 35/07 R – SozR 4-3500 § 82 Nr 5, RdNr 19 und nunmehr die Neuregelung in § 82 Abs 1 Satz 2 SGB XII durch das RBEG).

22 d) Diesem Ergebnis stehen schließlich die Entscheidung des Senats vom 15.4.2008 (B 14/7b AS 58/06 R – SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 37), wonach Rückzahlungen von Betriebskosten, die den Kosten der Unterkunft zuzurechnen sind, als Einkommen zu berücksichtigen sind, und die durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) zum 1.8.2006 getroffene Regelung in § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II aF (jetzt § 22 Abs 3 SGB II idF des RBEG) nicht entgegen.

23 Denn ebenso wie heute bestand nach der alten Rechtslage zwischen Betriebs- und Heizkosten einerseits und Stromkosten andererseits insofern ein gravierender Unterschied, als die Betriebs- und Heizkosten – vorbehaltlich ihrer Angemessenheit – in tatsächlicher Höhe zu übernehmen waren (§ 22 Abs 1 SGB II), während die Stromkosten, soweit sie nicht ausnahmsweise für die Heizung benötigt wurden, nicht gesondert übernommen wurden, sondern, wie ausgeführt, als Haushaltsenergie pauschaliert in der Regelleistung enthalten waren.

Auch die Einfügung des § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II aF (jetzt § 22 Abs 3 SGB II idF des RBEG) spricht für diese Differenzierung, weil er auf Rückzahlungen und Guthaben beschränkt ist, die den Kosten für Unterkunft zuzuordnen sind, und auch nach der Gesetzesbegründung für die Regelung (Bericht des Bundestagsausschusses, BT-Drucks 16/1696 S 7, 26 f) Kosten für Haushaltsenergie ausdrücklich ausgenommen sind.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Stromkosten dürfen nicht vom Hartz-IV-Satz abgezogen werden – Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts stärkt Rechte von Hartz – IV – Empfängern
sozialrechtsexperte.blogspot.com

2.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25.08.2011 zur Sozialhilfe (SGB XII)

2.1 – BSG, Urteil vom 25.08.2011, – B 8 SO 20/10 R –

Hartz – IV – Empfänger müssen sich nicht mit einer Standard-Beerdigung zufriedengeben

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. August 2011 entschieden, dass erforderliche Bestattungskosten durch den Sozialhilfeträger nicht nach Maßgabe pauschal ermittelter Vergütungssätze zu übernehmen sind, sondern dass die Angemessenheit der einzelnen geltend gemachten Kosten sowie des Gesamtpakets zu ermitteln sind.

Es ist mithin eine den Individualitätsgrundsatz berücksichtigende Entscheidung zu treffen (§ 9 Abs 1 SGB XII); grundsätzlich ist dabei auch angemessenen Wünschen des Bestattungspflichtigen (§ 9 Abs 2 SGB XII) und ggf des Verstorbenen (§ 9 Abs 1 SGB XII) sowie religiösen Bekenntnissen (Art 4 Grundgesetz) mit Rücksicht auf die auch nach dem Tod zu beachtende Menschenwürde (vgl dazu nur: BVerwG Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr 41; BSGE 100, 131 ff RdNr 22 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3) Rechnung zu tragen.

Fehlinformationen des Sozialhilfeträgers bzw eine Weigerung, sich zur Höhe der angemessenen Kosten der Bestattung gem. § 74 SGB XII zu äußern, kann im Einzelfall dazu führen, dass auch objektiv unangemessene Kosten subjektiv erforderlich sind.

Die Klägerin, die Arbeitslosengeld II bezog, machte vom Sozialhilfeträger Bestattungskosten geltend, die ihr anlässlich des Todes ihres Ehemannes entstanden sind; dabei hat der Sozialhilfeträger die Rechnung des Bestattungsunternehmens um über 950 Euro insgesamt gekürzt.

Das Landessozialgericht hat die Klage auf Zahlung dieses Betrages abgelehnt, weil mit den vom Beklagten gewährten Mitteln eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende, würdige, aber einfache Bestattung durchführbar sei und die vom Beklagten hierzu entwickelten Vergütungssätze nachvollziehbar und plausibel seien. Die über die Vergütungssätze des Beklagten hinausgehenden Kosten seien nicht erforderlich im Sinne des Gesetzes (§ 74 SGB XII).

Dieser Argumentation ist das Bundessozialgericht nicht gefolgt; vielmehr sind die Erforderlichkeit der Einzelleistungen des Bestattungsunternehmers und die Höhe der dafür im Einzelnen angesetzten Kosten sowie eine Gesamtbetrachtung der Summe auf den örtlichen Verhältnissen entsprechende Angemessenheit zu überprüfen.

Dabei ist insbesondere zu beachten, dass erstattungspflichtige Privatpersonen in der Regel vertragsmäßig ungünstigeren Konditionen unterliegen als die Sozialhilfeträger und dem Bestattungspflichtigen, der sich ohnedies in einer besonderen Belastungssituation befindet, bis zur Beerdigung regelmäßig nicht die Zeit bleiben dürfte, unterschiedliche Angebote bei Bestattungsunternehmern einzuholen, um das billigste auszuwählen.

Gerade deshalb sind sie in besonderer Weise auf Beratung durch den Sozialhilfeträger angewiesen, soweit sie bei diesem wegen der Höhe der angemessenen Kosten nachfragen.

Fehlinformationen des Sozialhilfeträgers bzw eine Weigerung, sich zur Höhe der angemessenen Kosten zu äußern, kann deshalb im Einzelfall dazu führen, dass auch objektiv unangemessene Kosten subjektiv erforderlich sind, wenn die tatsächlichen Kosten zu den angemessenen Kosten nicht in einem derart auffälligen Missverhältnis stehen, dass dies dem Bestattungspflichtigen ohne weiteres hätte auffallen müssen.

Allerdings erfasst die Norm nur die Bestattungskosten selbst. Zu übernehmen sind im Sinne eines Zurechnungszusammenhangs, aber auch nach dem Wortlaut, deshalb nur die Kosten, die unmittelbar der Bestattung (unter Einschluss der ersten Grabherrichtung) dienen bzw mit der Durchführung der Bestattung untrennbar verbunden sind, nicht jedoch solche für Maßnahmen, die nur anlässlich des Todes entstehen, also nicht final auf die Bestattung selbst ausgerichtet sind (etwa Todesanzeigen, Danksagungen, Leichenschmaus, Anreisekosten, Bekleidung).

Bestattungskosten sind mithin von vornherein all die Kosten, die aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften resultierend notwendigerweise entstehen, damit die Bestattung überhaupt durchgeführt werden kann oder darf, sowie die, die aus religiösen Gründen unerlässlicher Bestandteil der Bestattung sind.

Zumutbar ist die Tragung der Kosten, wenn die Klägerin über Einkommen oder Vermögen verfügte (Sterbegeld, Bestattungsvorsorge, Erbschaft), das für die Bestattung vorgesehen (Berlit in LPK-SGB XII, § 74 SGB XII RdNr 8 mwN) oder nach Sinn und Zweck des § 74 SGB XII dafür zu verwenden ist (s für den Fall der Erbschaft § 1968 BGB).

Dies entspricht nicht zuletzt den Kriterien der §§ 85 bis 91 SGB XII; denn auch § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII ermöglicht die Berücksichtigung von Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze (Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 88 SGB XII RdNr 42), und eine Erbschaft fällt nach der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr 2) jedenfalls nicht unter § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII, ist somit als solche nicht unter diesem Gesichtspunkt privilegiertes Vermögen.

Etwas anderes kann für einzelne Gegenstände der Erbschaft gelten (etwa ein nach § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII privilegiertes Hausgrundstück). Ist Einkommen oder Vermögen im bezeichneten Sinne vorhanden, steht es in Höhe des Bestattungsbedarfs nicht für den Lebensunterhalt zur Verfügung; es handelt sich insoweit nicht um bereite Mittel.

juris.bundessozialgericht.de

Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Bestattungskosten haben vorrangig die Angehörigen zu zahlen, dies ist auch bei geringem familiären Kontakt zumutbar.
sozialrechtsexperte.blogspot.com

3.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 29.11.2011, – L 11 AS 888/11 B PKH –

Nach § 21 Abs 6 SGB II besteht kein Anspruch auf eine Übernahme der Kosten für die Brille als Mehrbedarf.

Zu ergänzen ist lediglich, dass ein Anspruch auf § 21 Abs 6 SGB II nicht gestützt werden kann, denn bei einer Brille handelt es sich um einen aus dem Regelbedarf durch Ansparung zu deckenden Bedarf, wobei eine Brille keinen laufenden, sondern einen einmaligen Bedarf darstellt, der in dem Zeitpunkt auftritt, zu dem die Rechnung zu bezahlen ist bzw. bezahlt wird.

Auf einen dauerhaften Ausgleich der Sehverschlechterung ist zur Unterscheidung zwischen einmaligen und laufenden Bedarfen nicht abzustellen.

Es handelt sich beim Erfordernis einer Brille auch nicht um einen besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs 6 SGB II, der sich quantitativ oder qualitativ von dem mit dem durchschnittlichen Regelbedarf erfassten Situationen unterscheidet (vgl. Münder in LPK-SGB II, 4.Aufl. § 21 Rn 36).

Ausdrücklich ergibt sich aus der BT-Drucks. 17/1465 S. 8, dass die Anschaffung einer Brille nicht unter die Regelung des § 21 Abs 6 SGB II fallen sollte.

sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 21.10.2011, – L 12 AS 2597/11 –

Es besteht keine Anspruchsgrundlage im SGB II für die Übernahme der Gebühren für die Ausstellung eines neuen Personalausweises und Reisepasses sowie der Kosten für das Anfertigen der dazu erforderlichen biometrischen Fotos als Zuschuss.

Eine abweichende Festsetzung des pauschalierten Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II durch die Gerichte ist grundsätzlich nicht möglich (vgl. beispielsweise BSG, Urteile vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 11/10 R -; vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 44/08 R -; vom 19. August 2010 – B 14 AS 47/09 R -; vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 44/08 R -)

Für die von der Klägerin begehrte Übernahme der Kosten für Personalausweis und Reisepass fehlt es im System der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auch sonst an einer Anspruchsgrundlage.

Personalausweis und Reisepass sowie die damit zusammenhängenden Aufwendungen für biometrische Fotos sind weder als Mehrbedarfe in § 21 SGB II gesondert normiert, noch als Sonderbedarfe nach § 24 Abs. 3 SGB II vorgesehen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II nicht vor.

Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Hintergrund für die mit Wirkung zum 03. Juni 2010 gesetzlich normierte Härtefallregelung ist das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 -), in dem es monierte, dass im SGB II eine Regelung fehlte, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines zur Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf vorsieht. Voraussetzung für die Annahme eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ist mithin das Bestehen eines laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs. Mit dem Verweis auf einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf wird der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II von dem Darlehen für unabweisbare Bedarfe nach § 24 Abs. 1 SGB II abgegrenzt.

Insofern ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass nur einmalig auftretende Bedarfsspitzen über die Darlehensregelung erfasst werden können. Ein laufender Bedarf wird dann angenommen, wenn der besondere Bedarf im Bewilligungsabschnitt nicht nur einmal, sondern bei prognostischer Betrachtung mehrfach auftritt (so bspw. Behrend in jurisPK – SGB II, § 21 RdNr. 81), wenn der Bedarf absehbar wiederholt in einem zeitlich vom Zeitpunkt der Beurteilung her abschätzbaren Zeitraum von ca. 1 – 2 Jahren auftritt (so z.B. Münder in LPK – SGB II, 4. Aufl. 2011, § 21 RdNr. 42).

Auf einmalige Bedarfe ist die Härtefallregelung nicht anwendbar (Sauer in derselbe, SGB II, 1. Aufl. 2011, § 21 RdNr. 84). Vorliegend macht die Klägerin keinen laufenden, in einem überschaubaren Zeitraum wiederkehrenden Bedarf geltend, sondern einen einmaligen Bedarf anlässlich der Ausstellung eines Personalausweises und eines Reisepasses. Erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Dokumente, die 10 Jahre beträgt, ist mit einem neuen Bedarf zu rechnen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines rückzahlungsfreien Darlehens.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann. Das Darlehen wird ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnungen in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt (§ 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II). Weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen (§ 24 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Für die Gewährung einer von vornherein rückzahlungsfreien Darlehensleistung fehlt es im SGB II an einer Rechtsgrundlage (vgl. beispielsweise BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 11/10 R -).

Das von der Beklagten angebotene Darlehen hat die Klägerin abgelehnt.

Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gebühren für die Ausstellung eines Personalausweises und eines Reisepasses sowie die Kosten für die Anfertigung biometrischer Fotos nicht nach den Vorschriften des SGB II gesondert übernommen werden können, so dass kein Anlass für eine Vorlage gemäß Art. 100 Grundgesetz an das Bundesverfassungsgericht besteht.

sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 21.10.2011, – L 12 AS 3445/11 -, Revision wird zugelassen

Hartz IV – Baden – Württembergische Hartz – IV – Empfängerin scheitert – erneut – mit ihrer Regelsatzklage vor dem LSG Baden- Württemberg

Der Senat ist weiterhin der Auffassung, dass die aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) durch den Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2011 vorgenommene Neuregelung der existenzsichernden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. bereits Senatsurteil vom 10. Juni 2011 – L 12 AS 1077/11 -).

Der Senat hat bei Anwendung dieser Grundsätze keine Bedenken, dass die maßgebliche Vorschrift des § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II den Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entspricht (so bspw. auch Groth/Siebel-Huffmann, NJW 2011, 1105/1110; Mogwitz, ZFSH/SGB 2011, 323 ff.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 10. August 2011 – L 16 AS 305/11 NZB -; SG Aachen, Urteil vom 20. Juli 2011 – S 5 AS 177/11 -; SG Oldenburg, Urteil vom 27. Juni 2011 – S 48 AS 664/11 -; Kritik u.a. bei Kötter, info also 2011, 99 ff.; Lenze, NVwZ 2011, 1104 ff., Münder in: Spellbrink, Verfassungsrechtliche Probleme im SGB II, 2011, S. 15 ff.; Rothkegel, ZfSH/SGB 2011, 69 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil anerkannt (Rdnr. 147 ff.), dass der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, zutreffend definiert hat. Mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat der Gesetzgeber ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen, das nach seiner Zielrichtung sämtlichen Bedarfslagen, die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins gedeckt werden müssen, Rechnung tragen soll (vgl. § 1 Abs. 1 SGB II n.F.).

Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts dient nach der Definition in § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II n.F. sowohl dazu, die physische Seite des Existenzminimums sicherzustellen, als auch dazu, dessen soziale Seite abzudecken, denn die Regelleistung umfasst in vertretbarem Umfang auch eine Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Anderen von der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums umfassten Bedarfslagen wird im SBG II durch weitere Ansprüche und Leistungen neben dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts Rechnung getragen.

Die Absicherung gegen die Risiken von Krankheit und Pflegebedürftigkeit wird durch die Einbeziehung von ALG II- und Sozialgeldempfängern in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a und § 10 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a und § 25 SGB XI und die Leistungen zur freiwilligen bzw. privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II n.F. gewährleistet.

Besondere Mehrbedarfe werden zum Teil nach § 21 SGB II n.F. gedeckt. § 22 Abs. 1 SGB II n.F. stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung einschließlich der Kosten für die Erzeugung von Warmwasser (vgl. auch § 21 Abs. 7 SGB II) nach dem individuellen Bedarf sicher. § 24 SGB II n.F. ermöglicht in bestimmten Fällen die abweichende Erbringung von Leistungen.

Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet, dass der Gesetzgeber unregelmäßig anfallende Bedarfe durch den monatlichen Regelbedarf decken will und der Leistungsberechtigte den entsprechenden Anteil für den unregelmäßig auftretenden Bedarf zurückhalten soll (a.a.O. Rdnr. 150; § 20 Abs. 1 S. 3 und 4 SGB II n.F.).

Der im Berufungsverfahren geltende Regelbedarf von monatlich 364,- EUR für – wie die Klägerin – alleinstehende Personen kann zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht als evident unzureichend angesehen werden.

So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (Rdnr. 152) den dort zur Überprüfung gestellten Betrag der Regelleistung von monatlich 345,- EUR unter Berufung auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Aufl. 2008) und die Anlehnung an die Regelsätze des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden BSHG nicht als evident verfassungswidrig angesehen, so dass diese Überlegungen erst recht auf den auf monatlich 364,- EUR angehobenen Regelbedarf übertragbar sind.

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 21.10.2011, – L 12 AS 3445/11 -, im Hinblick auf das beim BSG anhängige Revisionsverfahren B 14 AS 153/11 R ist die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Beim Bundessozialgericht anhängende Verfahren:
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3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 12.12.2011, – L 12 AS 1600/11 B ER –

Eingliederungsverwaltungsakt ist rechtmäßig, denn ein Hartz – IV beziehender Rechtsanwalt muss an der mit Aktivierung und Eingliederung von Existenzgründern und Selbständigen bezeichneten Maßnahme regelmäßig teilzunehmen, wenn er kein erwirtschaftetes anrechenbares Einkommen hat.

Die gesetzgeberische Legitimation zum Erlass einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt ergebe sich aus § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II.

Das Verhalten des Antragstellers belege, dass eine einvernehmliche Regelung nicht möglich gewesen sei. Die Frage, ob die Verwaltung eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt erlasse, sei eine nicht justiziable Opportunitätsentscheidung darüber, welcher Verfahrensweg zur Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gewählt werde.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R -) stehe dem Grundsicherungsträger die Alternative zum Erlass einer Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt schon dann zu, wenn ihm dies als der bessere Weg erscheine.

Die Eingliederungsvereinbarung sei auch inhaltlich nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie entspreche den Vorgaben des § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 46 SGB III. Die seit November 2007 bestehende wirtschaftliche Erfolglosigkeit des Antragstellers indiziere die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme. Der selbständige Rechtsanwalt sei nicht nur Organ der Rechtspflege, sondern in einem erheblichen Umfang auch Unternehmer und Dienstleister auf einem hart erkämpften Markt mit unzähligen Wettbewerbern.

Da die selbständige Tätigkeit des Antragstellers trotz der vorgetragenen Vollzeitbeschäftigung keinerlei Gewinn abwerfe, liege die Annahme von Defiziten hinsichtlich der unternehmerischen Kenntnisse und Kompetenzen nahe.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei keine Verletzung der gegenüber Mandanten bestehenden anwaltlichen Schweigepflicht erforderlich, da eine Kenntnis der konkreten Mandate nicht erforderlich sei, relevant sei lediglich die allgemeine Auftragslage, Einahmen – und Ausgaben, sowie das unternehmerische Konzept.

Die ausgewählte Maßnahme greife auch nicht in das Grundrecht auf Berufsfreiheit ein, ebenso wenig stünden anwaltliche Berufspflichten oder der Status eines Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege der Teilnahme an der Maßnahme entgegen. Der Antragsteller werde durch die Teilnahme nicht zur Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt gezwungen und könne während der Teilnahme seinen Berufspflichten als Rechtsanwalt weiter nachkommen.

§ 27 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verpflichte den Anwalt lediglich zur Einrichtung und Unterhaltung einer Kanzlei im Bezirk der zuständigen Rechtsanwaltskammer, eine ständige persönliche Erreichbarkeit sei indes nicht zu gewährleisten. Es sei völlig ausreichend, wenn der Anwalt zur Entgegennahme mündlicher Mitteilungen einen Anrufbeantworter bereit halte und diesen regelmäßig abhöre. Im Übrigen könnten Anrufe auf ein Mobiltelefon umgeleitet werden.

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3.5 – Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 24.11.2011, – L 1 AS 93/10 –

Kosten für einen notariellen Wohnungskaufvertrag sind keine Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II a. F..

Bei Leistungen nach § 22 Abs. 3 SGB II handelt es sich um lediglich ergänzende Leistungen für den Grundbedarf des Wohnens, der im Blick auf das im Rahmen des SGB II bestehende Spannungsverhältnis zwischen akuter Existenzsicherung auf der einen Seite und der Vermögensbildung auf der anderen Seite gerade zu dieser hin abzugrenzen ist.

Kosten für einen notariellen Wohnungskaufvertrag hängen im Kern mit der Erzielung bzw. dem Erwerb von Eigentum zusammen und nur “bei Gelegenheit” mit der Beschaffung von Wohnraum.

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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Hartz IV – Empfänger müssen die Kosten für eine telefonische Kontaktaufnahme mit möglichen Vermietern aus ihrer Regelleistung bezahlen – Es sind keine Wohnungsbeschaffungskosten.
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3.6 – Landessozialgericht Hamburg Urteil vom 24.11.2011, – L 5 AS 205/10 –

Auch Eheleute, die sich übereinstimmend dazu entschlossen haben in getrennten Wohnungen zu leben, können eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wenn kein Trennungswille nach außen manifestiert wird.

Brand aktuell hat das LSG Hamburg heute ein Urteil veröffentlicht, wonach auch Eheleute, die sich übereinstimmend dazu entschlossen haben in getrennten Wohnungen zu leben, eine Bedarfsgemeinschaft bilden können, wenn kein Trennungswille nach außen manifestiert wird.

Gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe a SGB II gehört auch der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zur Bedarfsgemeinschaft.

Bei der Auslegung des Begriffs des “nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten” im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf diejenigen Grundsätze zurückzugreifen, die im Bereich des Familienrechts entwickelt worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.2.2010, B 4 AS 49/09 R).

Denn auch das SGB II geht davon aus, dass eine Bedarfsgemeinschaft bei Eheleuten (noch) bestehen kann, wenn diese, beispielsweise wegen des Aufenthalts eines pflegebedürftigen Ehegatten in einem Heim, räumlich voneinander getrennt leben.

Der Grundgedanke der Bedarfsgemeinschaft beruht auf der Annahme, dass in dieser Gemeinschaft alle Mitglieder füreinander Verantwortung auch im finanziellen Sinne übernehmen. Erst nachrangig, wenn die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf nicht gemeinsam decken können, sind Grundsicherungsleistungen zu gewähren (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I –; § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II).

Die Vermutung einer gegenseitigen Bedarfsdeckung hat der Gesetzgeber dabei nicht vorrangig mit dem Vorhandensein von Unterhaltsansprüchen verknüpft (vgl. BSG, Urteil vom 15.4.2008, B 14/7b AS 58/06 R).

Bei Eheleuten verlangt er – im Unterschied etwa zur Konstellation der eheähnlichen Lebensgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II) – gerade das gemeinsame Leben in einem Haushalt nicht. Hierauf hat das Sozialgericht zutreffend hingewiesen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 18.2.2010, a.a.O.) kommt es vor dem Hintergrund der familienrechtlichen Grundsätze für das Vorliegen einer dauerhaften Trennung darauf an, ob einer der Partner die bisherige Form der Lebensgemeinschaft ohne gemeinsamen Lebensmittelpunkt nicht mehr aufrecht erhalten, das Eheband also lösen will.

Anmerkung: Das Gericht hat hier festgestellt, dass eine Bedarfsgemeinschaft mit dem im fraglichen Zeitraum in einem Wohnstift lebenden Ehemann bestehe, da kein Getrenntleben im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – festgestellt werden könne. Es fehle an dem dafür erforderlichen Trennungswillen. Der Ehemann der Klägerin sei aus gesundheitlichen Gründen in das Wohnstift umgezogen.

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4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Karlsruhe Urteil vom 30.06.2011, – S 13 AS 1217/09 –

Inhaber von Sparvermögen ist nicht stets derjenige, auf dessen Namen das Geld angelegt ist (Anschluss an BGH, Urteile vom 18.01.2005, X ZR 264/02 sowie vom 12.12.1995, XI ZR 15/95).

Bei der Rückforderung von SGB-Leistungen wegen nicht angegebenen Vermögens ist – anders als bei einem erneuten Bewilligung – bei weiteren Bewilligungszeiträumen von dem jeweils im maßgeblichen Zeitpunkt festgestellten Vermögen der Vermögensteil abzusetzen, der bei ordnungsgemäßer Vermögensangabe im vorausgegangenen Bewilligungszeitraum und einer dieser Angabe entsprechenden Bewilligung hätte verbraucht werden müssen (“fiktiver Verbrauch”).

(Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986, 5 B 10/85 zur Auslegung von § 45 SGB X; Abweichung von LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2010, L 5 AS 2340/08 sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011, L 12 AS 4994/10).

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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Hartz IV – Auch Sperrkonto schützt nicht vor Vermögensverwertung.
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Einen Rechtsgrundsatz, der Hilfebedürftige müsse sich am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen, lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen.
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4.2 – Sozialgericht Karlsruhe Urteil vom 17.11.2011, – S 13 AS 120/10 -, Berufung zugelassen

Eine Kürzung der Regelleistung nach § 20 Abs. 3 SGB II auf 90 vom Hundert erfolgt nicht, wenn ein Partner der Bedarfsgemeinschaft als Unionsbürger von Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist.

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4.3 – Sozialgericht Marburg Beschluss vom 08.12.2011, – S 8 AS 349/11 ER –

Durch die Einbehaltung der Tilgungsrate für eine Mietkaution in Höhe von 10% der Regelleistung wird das soziokulturelle Existenzminimum von Hartz – IV- Empfängern in verfassungswidriger Weise – nicht – beschnitten.

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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Diese Rechtsauffassung wird von uns nicht geteilt, denn sie ist mit dem Ansparkonzept des SGB 2 nicht zu vereinbaren. Die seit 2011 geltenden Regelbedarfe sind auch nicht im Hinblick auf starre Darlehenstilgungen in Höhe von 10%(§ 42a SGB II) aufgestockt worden. Bedarfspositionen, die zu § 22 SGB II gehören, wie die Kaution, sind überhaupt nicht im Regelbedarf nach § 20 SGB II enthalten.

Hinweis: Hartz IV – Eine Leistungskürzung über 23 Monate wegen der Tilgung eines Mietkautionsdarlehens ist verfassungswidrig.
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4.4 – Sozialgericht Landshut Urteil vom 07.12.2011, – S 10 AS 484/11 –

Elterngeld ist anrechenbares Einkommen.

Der Rechtsstreit ist nicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, da die Kammer die Regelung des § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG nicht für verfassungswidrig hält.

Das Elterngeld stellt anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 SGB II dar.

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder in Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden am Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Da § 77 SGB II (2011) keine Übergangsregelung bezüglich des Inkrafttretens der neuen §§ 11, 11a, 11b SGB II (2011) enthält, sind diese mit Wirkung für die Zeit ab 01.04.2011 zu berücksichtigen.

Danach sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II (2011) als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträgen mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen.

Das gezahlte Elterngeld unterfällt keinen der in § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. bzw. in § 11a SGB II n. F. genannten Ausnahmen. Das Elterngeld stellt insbesondere keine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II a.F. bzw. § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II n.F. (vgl. hierzu Frerichs, SRa 2011, 167) dar, da das Elterngeld nicht allein für die Unkosten der Betreuung des Kindes geleistet wird.

Vielmehr hat das Elterngeld den Zweck, die Lebensgrundlage von Eltern und Kind zu decken. In der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes (BT-Drs. 16/1889, S. 1) wird zum Zweck des Elterngeldes ausgeführt: “Das Elterngeld unterstützt Eltern in der Frühphase der Elternschaft und trägt dazu bei, dass sie in diesem Zeitraum selbst für ihr Kind sorgen können. Es eröffnet einen Schonraum, damit Familien ohne finanzielle Nöte in ihr Familienleben hineinfinden und sich vorrangig der Betreuung ihrer Kinder widmen können. Jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, erhält einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für finanzielle Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes und eine Unterstützung bei der Sicherung der Lebensgrundlage der Familie”

Das Elterngeld weist danach keine besondere Zweckbestimmung auf, da es abstrakt-generell Elternteilen gewährt wird, die die Leistungsvoraussetzungen nach § 1 BEEG erfüllen, ohne dass der Gesetzgeber eine bestimmte Verwendung der Leistung fordert.

Soweit die Kläger mit Teilen der Literatur (vgl. nur Lenze, info also 2011, 3 ff.) die Ansicht vertreten, dass die Neuregelung in § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG, wonach nunmehr die Anrechnung des Elterngeldes in voller Höhe als Einkommen erfolge, verfassungswidrig sei, teilt die Kammer die von den Klägern vertretene Rechtsansicht nicht (ebenfalls gegen eine Verfassungswidrigkeit SG Detmold, Beschluss vom 19.01.2011 – S 8 AS 37/11 ER; SG Marburg – S 8 AS 169/11; Frerichs SRa 2011, 167 ff).

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Anmerkung: vgl. dazu auch den Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Die gesetzliche Regelung des § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG sieht grundsätzlich eine vollständige Anrechnung des Elterngeldes auf Ansprüche aus dem SGB II vor.
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4.5 – Sozialgericht Gießen, Urteil vom 25.11.2011, Az.: S 22 AS 869/09

Hartz IV – Keine Leistungskürzung, wenn Arbeitsangebot gegen arbeitsrechtliche Grundsätze verstößt

Unterbreitet das Jobcenter einem Bezieher von Hartz IV Leistungen ein Arbeitsangebot, darf dieses Angebot nicht gegen das Arbeitsrecht verstoßen. Weigert sich der Arbeitslose ein solches Arbeitsverhältnis einzugehen, darf die Behörde ihre Leistungen nicht um 30 % kürzen.

Dies hat das Sozialgericht Gießen jetzt entschieden.

Dem 45jährigen Kläger aus dem Wetteraukreis war vom Jobcenter eine Beschäftigung als Kraftfahrer bei einer Firma für Gütertransporte angeboten worden. Er weigerte sich, den ihm vorgelegten Arbeitsvertrag zu unterschreiben, weil er mit den Arbeitsbedingungen nicht einverstanden war. Das Jobcenter kürzte daraufhin die Hartz IV Leistungen um 30 % (= 112,00 € monatlich) und begründete dies damit, der Arbeitslose habe das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses durch sein Verhalten vereitelt.

Das Sozialgericht Gießen war nach Überprüfung des Arbeitsvertrages anderer Auffassung. Der Vertrag sah eine pauschale Vergütung von Überstunden vor, ohne dass erkennbar war, in welchem Umfang Überstunden überhaupt anfallen. Eine solche Regelung ist nicht klar und verständlich, ein Arbeitnehmer muss bei Vertragsschluss erkennen können, was ggf. auf ihn zukommt und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss, urteilte das Gericht und hielt das Arbeitsangebot schon deshalb für unzumutbar. Hinzu kam, dass auch die Regelung über eine mögliche Haftung des Arbeitnehmers im Schadensfalle nicht klar und verständlich war, weil die eine Schadenersatzpflicht auslösenden Pflichtverletzungen nicht näher bezeichnet wurden.

Auch diese Regelung hielt das Gericht für unwirksam, da sie eine unangemessene Benachteiligung des potentiellen Arbeitnehmers darstelle. Bei einem schuldhaften Verhalten eines Arbeitnehmers habe der Arbeitgeber in erster Linie die Möglichkeit der Kündigung, eine darüber hinausgehende Bestrafung des Arbeitnehmers auch für die geringste Form von Fahrlässigkeit lasse sich nur ausnahmsweise rechtfertigen.

Das Jobcenter muss jetzt den gekürzten Betrag wieder an den Kläger auszahlen.

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Teil 2 des Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 51/2011 ist hier zu finden.