1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 20.112011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil vom 20.11.2011, – B 4 AS 200/10 R –
Wenn Verwandte Hartz-IV-Empfängern zur Tilgung ihrer Girokontoschulden Geld schenken, führt dies zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II.
Hartz IV – Schenkungen des Vaters sind anrechenbares Einkommen im SGB II.
Unabhängig davon handelt es sich bei der Motivation des Vaters, der Klägerin im Ergebnis einen über dem Existenzminimum liegenden Lebensstandard zu verschaffen, auch nicht um einen gegenüber dem mit der Gewährung von SGB II-Leistungen verfolgten Zielen qualitativ abweichenden Zweck.
Nach der ständigen Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate ist Einkommen alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält. Verbindlichkeiten sind grundsätzlich nicht in Abzug zu bringen.
Eine Nichtberücksichtigung kann nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass die Zuwendungen als Darlehen zu qualifizieren wären.
Schließlich kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zweckbestimmung der Leistungen verneint werden.
Vorausgesetzt wird insoweit nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II, dass die Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Zwar können nach der Rechtsprechung des BSG zweckbestimmte Zuwendungen auch auf privatrechtlicher Grundlage begründet werden. Es fehlt vorliegend allerdings bereits an der Vereinbarung eines derartigen Verwendungszwecks, denn eine hierauf gerichtete Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Vater ist nicht getroffen worden.
Anmerkung: Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Zu diesem Vermögen gehört auch der Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 528 BGB.
sozialrechtsexperte.blogspot.com
1.2 – BSG, Urteil vom 20.11.2011, -B 4 AS 46/11 R –
Geldzuwendungen der Eltern kein zu berücksichtigendes Einkommen, denn nur der „wertmäßige Zuwachs“ stellt Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II dar.
Es handelt sich hier nicht um Geldzahlungen, die dem Kläger zum endgültigen Verbleib zugewendet worden sind.
Die Eltern des Klägers haben ihm das Geld nicht iS des § 516 BGB geschenkt.
Dahinstehen kann, ob dem Kläger eine Rückzahlungsverpflichtung gegenüber den Eltern als Darlehensgebern unabhängig von dem Fall der nachträglichen Leistung durch den Beklagten oblag.
Denn durch die Zuwendungen der Eltern ist die rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituiert worden.
Bereits zum BSHG war anerkannt, dass die Hilfe eines Dritten den Sozialhilfeanspruch dann nicht ausschließt, wenn der Dritte vorläufig – gleichsam anstelle des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens – nur deshalb einspringt, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat.
Dem sind 14. und 4. Senat des BSG bereits in mehreren Entscheidungen gefolgt.
Die Zuwendungen der Eltern des Klägers erfüllen diese Voraussetzungen, weil sie – nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts – in der Erwartung der Rückzahlung und im Vertrauen auf einen bestehenden, lediglich noch nicht erfüllten SGB II-Leistungsanspruch des Klägers erfolgt sind.
Nach den bindenden Feststellungen des LSG lagen weder Umstände vor, die die Annahme einer gesetzlichen Verpflichtung hierzu rechtfertigen, noch waren die Zuwendungen nach dem Darlehensvertrags zum endgültigen Verbleib beim Kläger vorgesehen.
Welche Vereinbarungen zwischen dem Hilfebedürftigen und einem Dritten für den Fall getroffen werden, dass ein (Kosten)Erstattungsanspruch gegenüber dem Träger der Grundsicherung im Ergebnis eines Verfahrens nicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Beklagte wäre zudem ohne die Zuwendungen der Eltern in vollem Umfang zur Leistung verpflichtet gewesen. Die Zuwendungen stellen damit kein Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II dar und entbinden den Grundsicherungsträger nicht von seiner Leistungsverpflichtung.
Von einem Darlehen mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung ist auszugehen, welches nicht als Einkommen iS von § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen ist, wenn die Rückzahlungsverpflichtung davon abhängig gemacht wird, dass ein Sozialleistungsträger seiner bestehenden Leistungsverpflichtung nachkommt.
Anmerkung: Zu den Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft gehört die Darlehensrückzahlungsverpflichtung der Hilfeempfängerin gegenüber ihren Eltern in Höhe der Schuldzinstilgung für die Eigentumswohnung.
sozialrechtsexperte.blogspot.com
1.3 – BSG, Urteil vom 20.11.2011, – B 4 AS 203/10 R –
Hartz IV-Empfänger dürfen auf einer gerichtlichen Entscheidung bestehen.
Die Klage ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht auf Vergleichsgespräche eingelassen und erklärt hat, er werde keinen Vergleich mit dem Beklagten schließen.
Niemand ist verpflichtet, einen gerichtlichen Vergleich zu schließen und es gibt keinen Rechtssatz, wonach ein Beteiligter verpflichtet ist, in Vergleichsgespräche einzutreten, andernfalls das Rechtsschutzinteresse entfiele.
Der Kläger durfte folglich auf einer gerichtlichen Entscheidung bestehen.
Das LSG ist schließlich unzutreffend davon ausgegangen, dass die nach Antragstellung zugeflossene Einkommenssteuererstattung Einkommen ist und auf das Alg II anzurechnen ist.
Denn die Zahlung ist nicht während des Alg II-Bezugs zugeflossen.
Zwar bleibt der Bewilligungsbescheid des Beklagten trotz der nachträglichen Bewilligung von Alg als Versicherungsleistung gültig, jedoch wurde mit den auf der Grundlage dieses Bescheides bewirkten Zahlungen nach der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X der Alg-Anspruch des Klägers erfüllt.
Die Zahlungen sind als rechtmäßige Zahlungen vom Alg als Versicherungsleistung anzusehen.
Hieraus folgt, dass es sich bei der Einkommenserstattung im Zeitraum ab 13.6.2006 um Vermögen handelte.
Etwas anderes kann insoweit nur gelten, wenn sich für den vorhergehenden Zeitraum ein Anspruch auf aufstockendes Alg II ergeben sollte.
1.4 – BSG, Urteil vom 20.11.2011, – B 4 AS 9/11 R –
Eine Heiz- und Betriebskostennachforderung ist für eine zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung vom Arbeitsuchenden nicht mehr bewohnte Wohnung gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 als Unterkunftskostenbedarf im Fälligkeitsmonat vom Jobcenter zu übernehmen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist vorliegend die Betriebskostennachforderung auch für die im Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr bewohnte Wohnung ein einmaliger Bedarf für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II.
Durch die Betriebskostennachforderung ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB X eingetreten.
Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist nicht bereits deswegen zu verneinen, weil die Kosten für die Wohnung unangemessen gewesen sein könnten.
Die hier nachgeforderten Betriebskosten sind in einem Zeitraum entstanden, in dem die Klägerin sich noch innerhalb der vom Landkreis gesetzten „Schonfrist“ des § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II a. F. zur Durchführung von Kostensenkungsmaßnahmen befand.
In diesem Zeitraum waren die ggf unangemessenen Kosten weiterhin vom Landkreis zu tragen.
Ebenso wenig steht der Annahme einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse entgegen, dass der Bedarf durch die Betriebskostennachforderung materiell nicht dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zuzuordnen ist.
Zwar beurteilt sich die Rechtslage nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums der Entstehung der fraglichen Forderung.
Wird die Forderung jedoch erst später geltend gemacht und besteht ein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, ist der Bedarf im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung zu decken. So liegt der Fall hier.
Bei der Betriebskostennachforderung handelt es sich um einen bisher vom Grundsicherungsträger – trotz des Leistungsbezugs im Zeitraum der tatsächlichen Zuordnung der Entstehung der Forderung – bisher nicht gedeckten Bedarf für Unterkunft und Heizung.
Die Klägerin stand auch bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung ununterbrochen im Leistungsbezug. Zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Leistungsberechtigte die Wohnung, für die die Betriebskostennachforderung geltend gemacht wird, aktuell nicht mehr bewohnt, weil sie die Wohnung in Wahrnehmung einer ihr auferlegten Obliegenheit zur Kostensenkung aufgegeben hat, ist der Leistungsträger verpflichtet, Leistungen für die Nachforderung auch der aktuell nicht mehr bewohnten Wohnung zu erbringen.
Der Bedarf wandelt nicht allein durch den Wohnungswechsel von einem solchen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in einen zur Schuldentilgung.
Anmerkung: Nachforderungen, die nach zuvor erfolgten monatlichen Vorauszahlungen für die Betriebs- und Heizkosten entstehen, gehören als einmal geschuldete Zahlung zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat. Denn zu den tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in Mietwohnungen gehören bei entsprechender vertraglicher Vereinbarung die dem Vermieter geschuldeten Vorauszahlungen für die Betriebs- und die Heizkosten.
sozialrechtsexperte.blogspot.com
1.5 – BSG, Urteil vom 20.11.2011, – B 4 AS 19/11 R-
Duisburger Hartz IV- Empfänger bekommen kein Weihnachtsgeschenk vom Bundessozialgericht hinsichtlich der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft und Heizung.
Es ist Aufgabe des Grundsicherungsträgers ist, bereits im Verwaltungsverfahren ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu entwickeln.
Dies dient der Umsetzung des für den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Unterkunftskosten entwickelten Kriterien. Das Gericht hat anhand der von ihm gelieferten Daten bzw der zusätzlich im Rahmen der Amtsermittlungspflicht von ihm angeforderten und zur Verfügung zu stellenden Daten und Unterlagen zu verifizieren, ob die angenommene Mietobergrenze angemessen ist.
Bei ihrem Vorgehen, den vom Beklagten festgelegten Wert für die Nettokaltmiete – vor einem Rückgriff auf die Tabellenwerte zu § 8 WoGG bzw nunmehr § 12 WoGG – anhand eines qualifizierten Mietspiegels zu überprüfen und abweichend festzulegen, sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass für die Bestimmung der angemessenen Referenzmiete nach einem schlüssigen Konzept die Daten des qualifizierten Mietspiegels für die Stadt Duisburg herangezogen werden können.
Allerdings erfordert dies, dass die Datenerhebung über den gesamten Vergleichsraum erfolgt, die einbezogenen Daten repräsentativ sind und bei der Datenauswertung mathematisch-statistische Grundsätze eingehalten werden.
Wegen der abweichenden Zielsetzung und der Erstellungsmethode von Mietspiegeln muss sichergestellt sein, dass der hinter den berücksichtigten Mietspiegelwerten stehende tatsächliche Wohnungsbestand im Vergleichsraum die Anmietung einer angemessenen Wohnung im gesamten Vergleichsraum ermöglicht, ohne die Leistungsberechtigen auf bestimmte Stadteile zu beschränken.
Insofern lässt die Besetzung einzelner Tabellenfelder eines Mietspiegels zunächst nur die Vermutung zu, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung ein bestimmter Wohnungsmietwert auf dem Gesamtwohnungsmarkt überhaupt vorhanden ist. Sie enthält keine Aussage zu dem dahinter stehenden Wohnungsbestand im Vergleichsraum.
Dies berücksichtigend kann der Senat nicht sicher beurteilen, ob der von den Vorinstanzen anhand des Mietspiegels festgestellte Wert von 4,12 Euro je qm eine angemessene Nettokaltmiete widerspiegelt. Es kann nicht ohne weiteres Datenmaterial davon ausgegangen werden, dass unter Berücksichtigung gerade nur der unteren Spannenwerte der Wohnungen in normaler Wohnlage der Baualtersklassen I bis IV im gesamten Vergleichsraum angemessener Wohnraum im gesamten Vergleichsraum tatsächlich angemietet werden kann. Dies gilt auch für die Berechnungen des LSG, weil es Wohnungen in einfacher Wohnlage einbezieht, die in Duisburg nach den Feststellungen des LSG nur in eingeschränktem Umfang zur Verfügung stehen und mangels Häufigkeit schon bei der Mietspiegelerstellung als nicht repräsentativ unberücksichtigt gelassen wurden. Auch wegen der Ausklammerung bestimmter Baualtersklassen sind weitere Feststellungen erforderlich. Trotz des hohen Anteils von Wohnungen in diesen Baualtersklassen birgt dies das Risiko, dass die Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten doch nicht – wie erforderlich – über den gesamten Vergleichsraum, sondern – de facto – nur beschränkt auf bestimmte Stadtteile erfolgt. Unter qualitativen Gesichtspunkten können bestimmte Baualtersklassen weiter nur ausgeschlossen werden, wenn festgestellt ist, dass Gebäude dieser Baualtersklassen den Mietmarkt des unteren Marktsegments nicht maßgeblich prägen (BSG Urteil vom 19.2.2009 – B 4 AS 30/08 R, RdNr 25).
Der Umfang der – vorrangig vom Grundsicherungsträger – nachzuholenden Ermittlungen zu dem hinter den Tabellenfeldern liegenden Wohnungsbestand hängt grundsätzlich von dem – je nach Mietspiegel – unterschiedlichem Datenmaterial, dem ggf „ausgeklammerten“ Anteil von Wohnungen sowie dem gesamten Wohnungsbestand im Vergleichsraum ab. Hier kann ua der von dem Beklagten mit der Dokumentation des Mietspiegels übersandte Erläuterungsbogen zur tatsächlichen Anzahl von Wohnungen nach Mietspiegelfeldern einbezogen werden. Bei einer Gesamtbetrachtung kann sich ergeben, dass die Berücksichtigung von gewichteten Mittelwerten der herangezogenen Tabellenfelder sicherstellt, dass – bezogen auf die berücksichtigten Wohnungen – ein ausreichender Bestand vorhanden und damit angemessener Wohnraum für den Leistungsberechtigten tatsächlich erreichbar ist (vgl zum Berliner Mietspiegel BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R, RdNr 32). Der Senat hat bereits entschieden, dass als Angemessenheitsgrenze der obere Spannenwert zu berücksichtigen ist, wenn – bei entsprechend vorhandenem Datenmaterial – nur die Wohnungen einfachen Standards zugrunde gelegt werden (BSG Urteil vom 22.9.2009 – B 4 AS 18/09 R, RdNr 21).
Zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten sind neben der Nettokaltmiete die „kalten Betriebskosten“, allerdings unter Rückgriff auf lokale Übersichten, einzubeziehen. Weitere Feststellungen sind auch zur Höhe der zu übernehmenden Heizkosten und zur Höhe des Einkommens des Klägers zu 2) erforderlich.
Anmerkung: Wenn die Richtwerte der angemessenen Unterkunftskosten für die Bereiche des SGB II und SGB XII des Antragsgegners einer – ggf. höchstrichterlichen – Überprüfung nicht standhalten, kann im Eilverfahren die Angemessenheit der Unterkunftskosten hilfs- bzw. vergleichsweise anhand der Werte der rechten Spalte der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz unter Berücksichtigung eines Zuschlags von 10 % vom ermittelten Tabellenwert ermittelt werden.
sozialrechtsexperte.blogspot.com
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 21.10.2011, – L 12 AS 3169/10 –
Die Klage auf Erstattung nach § 36a SGB II ist als echte Leistungsklage statthaft. Es ist weder ein Vorverfahren durchzuführen, noch eine Klagefrist einzuhalten (vgl. BSGE 86, 166 und 92, 223).
Zu den nach § 36a SGB II zu erstattenden Kosten bei Aufenthalt im Frauenhaus gehören auch Kosten für tatsächlich erbrachte Betreuungsleistungen, soweit diese für die Eingliederung der Hilfebedürftigen in das Arbeitsleben erforderlich sind. Der Begriff der psychosozialen Betreuung i.S.v. § 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB II ist dabei weit auszulegen (Anschluss an LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.02.2010 – L 1 AS 36/09).
2.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 06.12.2011, – L 5 AS 2040/11 B –
Dienstaufsichtsbeschwerde; Rechtsweg; Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Art; Sonderzuweisung; Verweisung; Beschwerdeverfahren; Kostenentscheidung
Für eine Klage, die den Anspruch auf Bescheidung einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Mitarbeiter eines Jobcenters zum Gegenstand hat, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Die Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Rechtswegverweisung bedarf eines Ausspruchs zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens, denn diese werden, anders als die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht, nicht Teil der Kosten, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde.
2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 10.06.2011, – L 10 AS 886/11 B PKH –
Weihnachtssschock für alle Berliner Hartz IV – Empfänger – Schon kein Weihnachtsbaum und jetzt hält das LSG Berlin- Brandenburg eine Nettokaltmiete von 4,76 EUR pro qm für Wohnungen von 40 qm bis 60 qm für abstrakt angemessenen für eine 2 – er Bedarfsgemeinschaft.
Soeben hat der 10. Senat des LSG Berlin – Brandenburg seinen Beschluss vom 10.06.2011 veröffentlicht, wonach für eine Hartz IV – Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus 2 Personen 60 Quadratmeter angemessen sind und eine abstrakt angemessene Bruttokaltmiete von monatlich 370,20 EUR für angemessen hält.
Unter Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Heizkostenvorauszahlungen von monatlich 65,00 EUR, die den Grenzwert (ausgehend von einer abstrakt angemessenen Quadratmeterzahl von 60,00 qm) des in Ermangelung eines regionalen Heizkostenspiegels maßgeblichen bundesweiten Heizkostenspiegels nicht überschreiten dürften und deshalb als angemessen zu erachten sein dürften (BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, jeweils RdNr 20ff), ergeben sich iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aF abstrakt angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 435,20 EUR.
Anmerkung: Für einen 2- Personen – Haushalt sieht die rechtswidrige AV-Wohnen Berlin eine Bruttowarmmiete von 444,00 EUR vor- laut diesem Beschluss müssten die KdU für Berliner Leistungsbezieher nicht – angehoben – werden, sondern – gesenkt werden!
Die ermittelte Nettokaltmiete von 4,76 EUR pro qm halten wir nicht für tragbar, doch dazu später.
Im Einzelnen hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.06.2011, – L 10 AS 886/11 B PKH – folgendes aufgeführt:
Die angemessene Referenzmiete muss auf einem „schlüssigen Konzept“ beruhen.
Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass hierfür der in der in den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 II der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin (AV-Wohnen) vom 10. Februar 2009 genannte Referenzwert von monatlich 444,00 EUR, auf den sich der Beklagte im Sinne einer regelhaften Anwendung der AV-Wohnen beruft, nicht maßgeblich sein kann, weil (derzeit jedenfalls) nicht erkennbar ist und vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden ist, auf welcher Datengrundlage und welchem Auswertungskonzept dieser Wert beruht, der zudem das Problem in sich trägt, zwei separat zu beurteilende Bedarfe (Bruttokaltmiete und Heizkosten) zu repräsentieren.
Das heißt jedoch nicht, dass damit „automatisch“ die tatsächlichen Unterkunftskosten als angemessen zu erachten wären bzw auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetz (rechte Spalte zzgl eines Sicherheitszuschlages) zurückzugreifen wäre (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 50/09 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 29, jeweils RdNr 27).
Vielmehr muss das Gericht, sofern – wie hier – vom Grundsicherungsträger ein schlüssiges Konzept nicht vorgelegt wird, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht auf ein ihm bekanntes schlüssiges Konzept zurückgreifen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 27/09 R, juris =SozR 4-4200 § 22 Nr 27, jeweils RdNr 23).
Nach den nunmehr vorliegenden Entscheidungen des BSG zu den angemessenen Unterkunftskosten im Land Berlin (BSG, Urteile vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R, B 14 AS 50/10 R und B 14 AS 65/09 R, jeweils juris) ist festzustellen, dass die vom SG für die Bestimmung derselben herangezogenen Grundlagen mit hoher Wahrscheinlichkeit die an ein schlüssiges Konzept zu stellenden Anforderungen erfüllen, mit anderen Worten, es ist fern liegend (iS der PKH-Voraussetzungen), dass mit Erfolg eine höhere als die nach diesem Konzept berechnete Bruttokaltmiete erstritten werden kann.
In Bezug genommen hat das SG das von Richterinnen und Richtern des SG Berlin erarbeitete Konzept für die Beurteilung angemessener Mietkosten (vollständig und im Einzelnen dargestellt: Schifferdecker, Irgang, Silbermann, Einheitliche Kosten der Unterkunft in B. Ein Projekt von Richterinnen und Richtern des Sozialgerichts Berlin, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 1/2010, S 28 ff).
Defizite dieses Bestimmungsmodels zu den an ein schlüssiges Konzept zu stellenden Anforderungen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R, juris RdNr 21 – 27) sind nicht erkennbar; dazu ist insbesondere festzuhalten, dass das bezeichnete Konzept, gestützt auf die Datengrundlage des qualifizierten Mietspiegels, den Kreis der zu betrachtenden Wohnungen so wie vom BSG vorgegeben zieht und insbesondere die geforderte realistische Abbildung des Mietmarktes durch die Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete als gewichtetes arithmetisches Mittel nach Verteilung der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen in den jeweiligen Bauklassen vornimmt.
Die Angemessenheit der vom SG danach ermittelten Nettokaltmiete von 4,76 EUR pro qm für Wohnungen von 40 qm bis 60 qm unterliegt damit bei derzeitiger Sachlage keinen aufzeigbaren Bedenken.
Als kalte Betriebskosten iS von § 556 BGB die in den iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aF abstrakt angemessen Quadratmeterpreis der Unterkunft im Rahmen der Produkttheorie einzubeziehen sind, sind sodann auf der Grundlage der Betriebskostenangaben zum Mietspiegel 2009 durchschnittliche gewichtete kalte Betriebskosten (vgl BSG, aaO, RdNr 28) von 1,41 EUR ermittelt worden, so dass sich im vorliegenden Fall eine abstrakt angemessene Bruttokaltmiete von monatlich 370,20 EUR (60 qm x 6,17 EUR (4,76 EUR + 1,41 EUR)) ergibt.
Unter Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Heizkostenvorauszahlungen von monatlich 65,00 EUR, die den Grenzwert (ausgehend von einer abstrakt angemessenen Quadratmeterzahl von 60,00 qm) des in Ermangelung eines regionalen Heizkostenspiegels maßgeblichen bundesweiten Heizkostenspiegels (www.heizkostenspiegel) nicht überschreiten dürften und deshalb als angemessen zu erachten sein dürften (BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, jeweils RdNr 20ff), ergeben sich iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aF abstrakt angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 435,20 EUR.
Anmerkung: Anderer Auffassung Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2011, – L 25 AS 438/09 B PKH –
sozialrechtsexperte.blogspot.com
2.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 20.10.2011, – L 5 AS 224/11 B ER –
Nach § 45 Abs. 1 SGB X kann ein begünstigender Verwaltungsakt nur zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. Den Beweis für die Rechtswidrigkeit des Bescheids hat grundsätzlich der Leistungsträger zu führen.
Soweit mit dem angefochtenen Bescheid auch die Erstattung der gezahlten Leistungen gemäß § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialdatenschutz und Sozialverwaltungsverfahren (SGB X) gefordert wird, greift indes § 39 SGB II nicht (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 39 RN 12; Beschluss des Senats vom 10. März 2011, L 5 AS 19/11 B ER, juris RN 30). Insoweit hatten ursprünglich nach der gesetzlichen Regelung die eingelegten Rechtsbehelfe (Widerspruch und Klage) aufschiebende Wirkung. Diese ist jedoch durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Erstattungsforderung im Änderungsbescheid vom 9. September 2011 entfallen. Ab dessen Zugang ist auch das Erstattungsbegehren sofort vollziehbar.
Auch hiergegen richtet sich der vom Antragsteller begehrte einstweilige Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG (vgl. LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2006, Az.: L 15 B 234/06 SO ER, juris RN 2). Zwar ist in der Vorschrift die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht ausdrücklich aufgeführt, sie wird aber in § 86b Abs. 1 Satz 3 SGG im Rahmen der Vollzugsfolgenbeseitigung erwähnt und vorausgesetzt. Der Gesetzgeber hat auch bei behördlichen Vollzugsanordnungen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (gedanklich) vorgesehen.
Der Antragsgegner hat bei Erlass des auf § 45 SGB X gestützten Rücknahmebescheids offensichtlich die ihm obliegende Beweislast für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung verkannt. Nach § 45 Abs. 1 SGB X kann ein begünstigender Verwaltungsakt nur zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. Den Beweis für die Rechtswidrigkeit des Bescheids hat grundsätzlich der Leistungsträger zu führen, der sich auf die ursprüngliche Rechtswidrigkeit beruft; damit geht regelmäßig die Unerweislichkeit von Tatsachen zu Lasten desjenigen, der daraus eine günstige Rechtsfolge für sich ableitet (vgl. Schütze in von Wulffen: SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 RN 29).
Für den vorliegenden Fall bedeutet diese gesetzliche Wertung, dass der Antragsgegner grundsätzlich nur dann zur Aufhebung der Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X berechtigt ist, wenn feststeht, dass der Antragsteller im gesamten streitigen Leistungszeitraum (1. April 2007 bis 31. März 2010) über Einkommen oder Vermögen in einer Höhe verfügte, das einen Leistungsanspruch nach dem SGB II vollständig ausschloss.
Der Antragsgegner verfügt nicht über gesicherte Erkenntnisse über Einkommen oder Vermögen des Antragstellers. Er vermutet lediglich, dass der Antragsteller im streitigen Zeitraum nicht hilfebedürftig iSv § 9 SGB II gewesen ist.
Dies dürfte voraussichtlich für eine auf § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X gestützte Rücknahme der zugrunde liegenden Bewilligungsbescheide nicht ausreichen. Mängel in der Sachverhaltsfeststellung begründen die Rechtswidrigkeit der Begünstigung nur, soweit der Entscheidung ein dem Adressaten des Bescheids günstiger Sachverhalt zu Grunde gelegt worden ist, der sich als unzutreffend erweist (vgl. Schütze, a.a.O., § 45 RN 29).
Das Verschweigen von (regelmäßigen) Einnahmen, von Vermögensgegenständen oder von vorhandenen Konten führt nur dann zur Rechtswidrigkeit von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II, wenn dem Antragsteller in jedem Monat des gesamten streitigen Zeitraums ein Einkommen in einer Höhe zufloss, das nach Bereinigung dessen Hilfebedarf überstieg, oder wenn der Wert des verwertbaren Vermögens, ggf. in Form von Bankguthaben, nach Abzug der Vermögensfreibeträge im streitigen Zeitraum zum Bestreiten des Lebensunterhalts ausreichte. Dazu hat der Antragsgegner jedoch keine Feststellungen getroffen, sodass die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nicht belegt ist.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die o.g. Beweislastverteilung sich im Ausnahmefall verschieben kann, wenn es sich um Vorgänge handelt, die in der Sphäre des Leistungsempfängers liegen, sodass im Ausnahmefall das Risiko der Unaufklärbarkeit ihm zuzurechnen ist (vgl. Schütze, a.a.O.). Ob und in welchem Umfang der Antragsgegner Beweiserleichterungen für sich in Anspruch nimmt, ist dem angegriffenen Bescheid nicht zu entnehmen. Insoweit fehlen der Begründung des Bescheids maßgebliche Angaben zu den rechtlichen und tatsächlichen Gründen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Daher dürfte der angefochtene Bescheid auch wegen eines Begründungsmangels rechtswidrig sein.
Soweit der Antragsgegner im Bescheid ausführt, es sei das Vorhandensein eines erheblichen Vermögens bzw. erheblicher Einnahmen zu unterstellen und Gegenteiliges habe der Antragsteller nicht bewiesen und es lägen keine Indizien für dessen Hilfebedürftigkeit iSv § 9 SGB II vor, dürften die Ausführungen auf einer Verkennung der dargelegten Beweismaßstäbe beruhen.
Nach summarischer Prüfung lässt sich daher der angegriffene Bescheid voraussichtlich nicht auf die herangezogene Ermächtigungsgrundlage des § 45 SGB X stützen.
Erweist sich jedoch die im Bescheid enthaltene Rücknahmeentscheidung voraussichtlich als rechtswidrig, geht auch das Erstattungsverlangen nach § 50 Abs. 1 SGB X ins Leere, denn dieses setzt die (rechtmäßige) Aufhebung des Bescheides voraus. Voraussichtlich ist daher das Erstattungsverlangen unbegründet.
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Sozialgericht Düsseldorf Urteil vom 05.12.2011, – S 10 (45) AS 30/07, Berufung zugelassen
Für einen Ein-Personen-Haushalt in Nordrhein- Westfalen (hier für das Stadtgebiet der Gemeinde Viersen/Grefrath) ist eine Wohnfläche von 50 m² angemessen.
Für einen Ein-Personen-Haushalt ist bis zum 31.12.2009 nach Auffassung der Kammer eine Wohnfläche von 45 m² als angemessen zu bewerten (vgl. u.a. LSG NRW, Beschluss vom 17.04.2009 – Az: L 19 B 76/09 AS).
Ab dem 01.01.2010 ist eine Wohnfläche von 50 m² angemessen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist nach Ansicht der Kammer die Angemessenheit der Wohnfläche im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II ab dem 01.01.2010 nicht mehr an Ziff. 5.71 der inzwischen außer Kraft getretenen Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (VV WoBindG) zu messen, sondern an Ziff. 8.2 der mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 erlassenen Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB).
Denn diese sind nach den Auslegungsgrundsätzen, die das BSG in ständiger Rechtsprechung für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Wohnfläche im Sinne des § 22 SGB II aufgestellt hat, die maßgeblichen landesrechtlichen Bestimmungen. Das BSG stellt bei der Auslegung auf die Wohnungsgrößen, die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau gelten, ab. Es setzt damit die Auslegung der Angemessenheit durch die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 19 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 01.10.2992 – 5 C 28/89 Rdnr. 14) fort.
Dabei sollen diejenigen Vorschriften aus dem sozialen Mietwohnungsbau zur Anwendung kommen, die einen Zusammenhang herstellen zwischen der Wohnfläche und der Anzahl der in dieser Wohnung lebenden Personen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R, Rn. 16 zur Ablehnung der Auslegung anhand der WFB, Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 26.01.2006). Diese waren bis zum 31.12.2009 in § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.09.2001 (WoFG, BGBl I 2376) in Verbindung mit den landesrechtlichen Durchführungsbestimmungen zu finden (so schon BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 19). Bis zum 31.12.2009 war dies in Nordrhein-Westfalen Ziff. 5.71 VV WoBindG, auf die die Beklagte ihre Berechnung gestützt hat. Darin war für einen Ein-Personen-Haushalt eine Fläche von 45 m² vorgesehen.
Das BSG bestärkte diese Auslegungspraxis nochmals – allerdings nur aus Gründen der Praktikabilität – in seinem Urteil vom 19.02.2009 (B 4 AS 30/08 R). Darin kritisiert der entscheidende Senat, dass die vorangegangenen Entscheidungen des BSG nicht näher begründet hätten, warum sie zur Bestimmung der in § 22 Abs. 1 SGB II geforderten Angemessenheit bezüglich der Wohnungsgröße gerade auf § 10 WoFG zurückgegriffen hätten. Es sei nämlich nicht klar, nach welchen Aspekten die Länder Wohnungsgrößen gemäß § 10 WoFG festlegen und welche Zwecke sie damit verfolgten.
Damit stünde auch nicht fest, ob der mit der Angemessenheitsprüfung verbundene Zweck im Rahmen des § 22 SGB II mit den Zwecken des WoFG nebst Ausführungsbestimmungen der Länder weitgehend übereinstimmt. Überdies sei es problematisch, dass eine bundesrechtlich einheitlich zu handhabende Regelung des SGB II unterschiedliche landesrechtliche Angemessenheitsgrenzen vorlägen. Trotz dieser Kritik und dieser Bedenken hält das BSG auch weiterhin aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit an der bisherigen Auslegung fest (BSG, aaO, Rdnr. 15 – 18). Zum 01.01.2010 ist im Zuge der Föderalismusreform mit dem Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG-NRW, Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Föderalismusreform im Wohnungswesen vom 08.12.2009) das WoFG in Nordrhein-Westfalen abgelöst worden.
Zum Vollzug dieses Gesetzes sind zum gleichen Tag mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) in Kraft getreten, die die bisherigen VV WoBindG ersetzen (Nr. 19 Satz 2 WNB). Die WNB legen als Grenze für die Angemessenheit in Ziff. 8.2 WNB für eine alleinstehende Person 50 m², für einen Zwei-Personen Haushalt 65 m² und für jede weitere haushaltsangehörige Person weitere 15 m² fest.
Nach Ansicht der Kammer ist mit dem Inkrafttreten der WNB die zuvor geltende Angemessenheitsgrenze aus den VV WoBindG durch die nunmehr geltenden höheren Flächenzahlen der WNB abgelöst worden (ebenso LSG NRW, Urteil vom 16.05.2011 – Az.: L 19 AS 2202/10; SG Aachen, Urteil vom 17.11.2010 – S 5 AS 910/10 und Urteil vom 11.08.2010 – S 4 AS 577/10, SG Duisburg, Urteil vom 05.11.2010 – S 31 AS 2269/10 und Urteil vom 22.02.2011 – S 17 AS 1907/10).
Daher ist der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 SGB II nunmehr anhand der Wohnflächen der WNB auszulegen. Denn Nr. 8.2 WNB konkretisiert ebenso wie vorher die Nr. 5.71 VV WoBindG die gesetzliche Vorschrift, die die im Wohnberechtigungsschein anzugebende Wohnungsgröße für den Wohnungssuchenden regelt (§ 18 Abs. 2 WFNG NRW bzw. vormals § 27 Abs. 4 WoFG).
Da die WNB in Nr. 8.2 die Wohnungsgrößen in Zusammenhang mit den darin lebenden Personen stellen, sind sie nunmehr der oben dargestellten Rechtsprechung des BSG folgend für die Auslegung des § 22 SGB II heranzuziehen (auf die jeweils aktuell gültige landesrechtliche Bestimmung abstellend auch BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 70/08 R Rdnr. 15 für das Land Sachsen, ebenso auch bereits BVerwG, Urteil vom 01.10.1992 – 5 C 28/89 Rdnr. 14,). Sofern das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 29.04.2010 (Az.: L 9 AS 58/08) die Auffassung vertreten hat, die bis zum 31.12.2009 geltenden Wohnflächengrößen der VV WoBindG seien auch weiterhin gültiger Auslegungsmaßstab, folgt die Kammer dem nicht.
Das LSG hatte über einen vor dem 01.01.2010 liegenden Zeitraum zu entscheiden, so dass seine Feststellungen zu den ab dem 01.01.2010 anzuwendenden Wohnflächen in Form eines obiter dictum ausgesprochen wurden. Das LSG argumentiert in der o.g. Entscheidung, dass der Gesetzgeber beim Erlass des SGB II im Hinblick auf die Angemessenheit der Wohnflächen die damalige Situation vor Augen gehabt und eine Dynamisierung nicht bezweckt habe. Auch aus den Regelungszielen des SGB II (u.a. Grundversorgung der Leistungsberechtigten mit Wohnraum) würden sich keine Anhaltspunkte für eine Dynamisierung ergeben (LSG, aaO, Rdnr. 27).
Zwar ist auch die Kammer der Auffassung, dass es sich bei der Angemessenheit der Wohnfläche nicht unbedingt um eine Größe handelt, die häufigen Schwankungen unterliegt und daher dynamisch gehalten werden müsste. Doch da auch für die Erteilung des Wohnberechtigungsscheines die als angemessen anzusetzende Fläche nicht statisch blieb, sieht die Kammer keinen Grund dafür, dass diese Entwicklung dann nicht auch im Rahmen des § 22 SGB II gelten soll.
Der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wohnt es inne, dass Veränderungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Wege der Auslegung Einzug in die jeweilige Norm halten. Es ist nicht ersichtlich, wieso im Rahmen des SGB II die Wohnfläche statisch sein soll, während sie dies im Rahmen des Wohnberechtigungsscheines nach dem Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers nicht ist. Überdies ist angesichts der ausgesprochen knappen Regelung zur Höhe der Unterkunftskosten in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und der ausdrücklichen Aufnahme einer Satzungsermächtigung zur näheren Ausgestaltung dieser Frage in § 27 SGB II nach Ansicht der Kammer davon auszugehen, dass der Gesetzgeber beim Erlass des SGB II gerade keinen statischen Wert festlegen wollte bzw. sich zumindest nicht näher mit dieser Frage auseinandergesetzt hat (so auch SG Aachen, Urteil vom 17.11.2010 – S 5 AS 910/10, SG Aachen, Urteil vom 11.08.2010 – S 4 AS 577/10, SG Duisburg, Urteil vom 05.11.2010 – S 31 AS 2269/10 und Urteil vom 22.02.2011 – S 17 AS 1907/10).
Zum anderen erscheint der Kammer die Anwendung einer gemäß Nr. 19 Satz 2 WNB ausdrücklich außer Kraft gesetzten Vorschrift statt der diese ersetzende Vorschrift bedenklich. Letztlich erscheint eine einheitliche Bestimmung der angemessenen Quadratmeterfläche unter Bezugnahme auf eine (gültige) gesetzliche Vorschrift im Sinne der Rechtssicherheit angebracht.
Anmerkung: Für einen Zwei- Personen- Haushalt sind in NRW (Duisburg) bis zu 65 qm angemessen. Ein ungünstiger Zuschnitt der Wohnung kann einen Umzug erforderlich machen.
sozialrechtsexperte.blogspot.com
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de