Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 05.01.2012 – Az.: L 9 AS 1191/11B

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

xxx,
Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

xxx,
Beklagter und Beschwerdegegner,

hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 5. Januar 2012 in Celle durch seine Richter xxx – Vorsitzender -, xxx und xxx beschlossen:

Auf die Beschwerde wird der Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 02. November 2011 aufgehoben und der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung für das Klageverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam aus Göttingen bewilligt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch — Grundsicherung für Arbeitsuchende — (SGB II).

Mit Bescheid vom 11. Mai 2009 wurden der Mutter der am xxx geborenen Klägerin und Beschwerdeführerin Leistungen nach dem SGB II bewilligt (BI. 12 GA). Dagegen legte sie, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 14. Mai 2009 Widerspruch ein und beantragte zugleich die „Gewährung der Erstausstattung für Schwangere und sodann die Geburt.” (BI. 24 GA).

Mit Bescheid  vom 22. Mai 2009 gewährte der Beklagte und Beschwerdegegner der Mutter der Beschwerdeführerin eine einmalige Leistung für eine Säuglingserstausstattung in Höhe von 130,00 Euro (BI. 27 GA).

Dagegen legte die Mutter der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 26. Mai 2009 Widerspruch ein und führte zur Begründung unter anderem aus, dass die gewährte Pauschale von 130,00 Euro zu niedrig sei. Zudem fehle es an einer Begründung, warum eine Pauschale gewährt werde und welche Leistungen in der Pauschale enthalten seien (BI. 30 GA).

Mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2009 wies der Beschwerdeführer den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Mai 2009 als unbegründet zurück (BI. 33 GA). Die Höhe der festgesetzten Pauschale für die Erstausstattung eines Säuglings bemesse sich nach den aktuellen Preisen des Gebrauchtmarktes und sei aufgrund sorgfältiger Recherchen ermittelt und festgesetzt worden.

Hiergegen hat die Mutter der Beschwerdeführerin am 11. Juni 2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Das SG hat zwischenzeitlich das Aktivrubrum geändert und die Beschwerdeführerin, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, als Klägerin/Beschwerdeführerin aufgenommen.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass der Begriff der Erstausstattung für Neugeborene nicht nur auf Kleidung beschränkt sei, sondern zum Beispiel auch Leistungen für ein Kinderbett nebst Lattenrost, Matratze und Bettzeug, einen Kinderwagen, eine Wickelkommode, eine Babybadewanne und einen Laufstall umfasse.

Darauf hat der Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 31. Juli 2009 erwidert, dass über den Antrag auf Babyerstausstattung bisher noch nicht vollständig entschieden worden sei. Es sei bislang nur eine Pauschale für Bekleidung gewährt worden. Aus dem anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2009 sei ein „vollumfänglicher Antrag einer Babyerstausstattung” nicht ersichtlich. Des Weiteren komme die Gewährung einer Winterausstattung für die am 05. Juni 2009 geborene Beschwerdeführerin nicht in Betracht, sondern sei vielmehr aus dem Bekleidungsanteil des Regelbedarfs zu decken.

Auf den Hinweis des SG mit gerichtlichem Schreiben vom 01. Juni 2010, welche konkreten Ausstattungsgegenstände bereits angeschafft worden seien, hat die Beschwerdeführerin eine Liste mit bereits angeschafften Gegenständen zu einem Preis von insgesamt 207,11 Euro vorgelegt (BI. 84 GA).

Mit weiterem Schreiben vom 01. Juni 2010 hat das SG den Beschwerdegegner aufgefordert zu erläutern, welche Erstausstattungsgegenstände in der Pauschale von 130,00 Euro enthalten seien und aus welchen Gründen der Betrag für eine Säuglingserstausstattung für ausreichend gehalten werde. Daraufhin hat der Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 19. August 2010 die Pauschale in Höhe von 130,00 Euro aufgeschlüsselt und angegeben, welche Gegenstände unter Angabe der Bezugsquellen berücksichtigt worden seien (Bi. 74 GA).

Ein von Seiten des SG vorgeschlagener Vergleich (Bi. 89 GA), wonach der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin unter Abänderung des Bescheids vom 22. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2009 einen weiteren einmaligen Betrag in Höhe von 40,00 Euro für Säuglingserstausstattung gewährt, weil bei den mit Schriftsatz vom 19. August 2010 aufgeführten Säuglingserstausstattungsgegenständen zum Beispiel Babysocken, Babyhandschuhe und so genannte Spucktücher nicht berücksichtigt worden seien, hat der Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 10. Juni 2009 (Bl. 91 GA) abgelehnt.

Mit Beschluss vom 02. November 2011 hat das SG den Antrag der Beschwerdeführerin, ihr für die Durchführung des Klageverfahrens erster Instanz Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam aus Göttingen zu bewilligen, abgelehnt.

Dagegen hat die Beschwerdeführerin am 10. November 2011 Beschwerde eingelegt und unter Vertiefung ihres bisherigen Vortrages geltend gemacht, dass die von dem Beschwerdegegner gewährte Pauschale zu gering bemessen sei.

II.
Die nach den §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Beschwerdeführer ist begründet.

Das SG hat zu Unrecht den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Für dieses Verfahren bestehen hinreichenden Erfolgsaussichten (§ 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung — ZPO —).

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hinreichend in diesem Sinne sind die Erfolgsaussichten einer Klage nicht erst dann, wenn bei der notwendigerweise prognostischen Beurteilung der Möglichkeiten eines Klageerfolges ein späteres Obsiegen bereits wahrscheinlicher erscheint als ein Unterliegen. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten insoweit eine nicht zu strenge Prüfung geboten; denn Artikel 3 Abs. 1, Artikel 20 Abs. 3 und Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebieten eine weitgehende Gleichstellung von bemittelten und unbemittelten Personen hinsichtlich ihrer jeweiligen Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können (Bundesverfassungsgericht – BVerfG Beschluss vom 26. April 1988 – Az.: 1 BvL 84/86 -, BVerfGE 78, 104). Dabei gehört insbesondere die Rechtsweggarantie des Artikels 14 Abs. 4 GG gegenüber hoheitlichem Handeln von Sozialversicherungsträgern verfehlt, wenn die erst als Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens zu erwartende Klärung rechtlich und tatsächlich entscheidungserhebliche Zweifel im Sinne einer allzu vergröbernden Entscheidungsprognose in das PKH-Bewilligungsverfahren vorverlagert würde. PKH darf deshalb unter dem Gesichtspunkt der nicht hinreichenden Erfolgsaussichten nur dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache, wenn schon nicht auszuschließen, so doch wenigstens gänzlich fernliegend ist (BVerfG, Beschluss vom 07. April 2000 – 1 BvR 81/00 -, NJW 2000, 1936 ff. zur PKH-Bewilligung bei offenen Rechtsfragen). Vielmehr genügt es für die Bewilligung von PKH, wenn die Klage auf der Grundlage eines vorläufig vertretbaren, diskussionswürdigen Rechtsstandpunkts schlüssig begründbar ist und in tatsächlicher Hinsicht die gute Möglichkeit der Beweisführung besteht oder wenn es im Rahmen der dem Gericht obliegenden Pflicht zur Sachaufklärung noch weitere entscheidungserhebliche Ermittlungen oder Beweiserhebungen bedarf (vgl. zu alledem ausführlich Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rn. 7a sowie die Senatsentscheidungen vom 2. Februar 2011 – L 9 AS 1209/10 B – und B. Dezember 2008 – L 9 B 299/08 AS -).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben bietet die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.) sind Leistungen für Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt nicht von der Regelleistung umfasst. Diese Leistungen können gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 SGB II a.F. als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind nach Satz 5 der Vorschrift geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen. Pauschale Geldbeträge für Erstausstattungen an Bekleidung sind dabei so zu bemessen, dass der Hilfebedürftige mit dem gewährten Betrag sich in menschenwürdiger Weise kleiden kann. Die Höhe der Pauschalen muss im Übrigen auf der Grundlage von Bezugsquellen, Preislisten etc. nachvollziehbar sein (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 13. April 2011 – B 14 AS 53/10 R -). Die Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt umfasst neben der Ausstattung mit der notwendigen Kleidung auch eine komplette Babyausstattung (vgl. Münder in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 24, Rn. 34). Die Erst- oder Grundausstattung an Kleidung muss so bemessen sein, dass er dem Leistungsberechtigten grundsätzlich ein mehrfaches Wechseln der Kleidung innerhalb einer Woche ermöglicht und umfasst neben Sommerkleidung auch Winterkleidung (vgl. Münder, in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 24, Rn. 33). Der notwendige Erstausstattungsbedarf für Säuglinge umfasst zudem den notwendigen Hausrat, wie z.B. einen Laufstall, Kinderhochstuhl, Kinderwagen mit Zubehör, Matratze, Badewanne (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03. März 2006 — L 10 B 106/06 AS ER; SG Braunschweig, Beschluss vom 07. März 2005 — S 18 AS 65/05 ER; SG Hamburg, Beschluss vom 23. März 2005—S 57 AS 125/05 ER; SG Speyer, Beschluss vom 25. Mai 2005 — S 5 AS 53/05; SG Lüneburg, Beschluss vom 20. Juni 2005 — S 25 AS 231/05 ER), eine Babytragetasche (vgl. SG Lüneburg, Beschluss vom 22. April 2005—S 30 AS 107/05 ER). Ist ein sachgerechtes und gefahrloses Baden und Wickeln eines Kleinkindes anderweitig nicht möglich, so umfasst der notwendige Bedarf für ein Wickelkind auch eine Bade-Wickel-Kombination (vgl. SG Lüneburg, Beschluss vom 22. April 2005-3 30 AS 107/05 ER). Der nach der Geburt bei Aufwachsen des Kindes entsprechend der Körpergröße notwendig werdende Bedarf an Betten, Stühlen u.a. ist (beim ersten Kind) im Rahmen der Erstausstattung für die Wohnung abzudecken. Unter Umstände kann auf bereits vorhandene Gegenstände älterer Geschwisterkinder zurückgegriffen werden (vgl. SG Bremen, Beschluss vom 27. Februar 2009 — S 23 AS 255/09 ER).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist ein Erfolg im Klageverfahren nicht gänzlich fernliegend. Denn der Beschwerdegegner hat mit Schriftsatz vom 31. Juli 2009 selbst eingeräumt, dass er mit dem Bescheid vom 22. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2009 über den Antrag auf eine Babyerstausstattung bislang noch nicht vollständig entschieden habe und bislang nur eine Pauschale für Bekleidung gewährt habe. Damit ist nach dem oben Gesagten der Anspruch der Beschwerdeführerin nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II a.F. gerade noch nicht erfüllt. Ein entsprechender, noch zu erlassender Bescheid würde gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdegegner bislang keinen Erstausstattungsbedarf an Winterbekleidung in seiner Pauschale berücksichtigt hat und – so das SG im gerichtlichen Schreiben vom 25. Mai 2011 — zum Beispiel auch Babysocken, -handschuhe und Spucktücher ggf. zu berücksichtigen sind.

Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin sowohl mit ihrem Antrag mit Schriftsatz vom 14. Mai 2009 bei dem Beschwerdegegner als auch in der Klageschrift ausdrücklich nicht nur Erstausstattungsleistungen bei Geburt, sondern auch bei Schwangerschaft beantragt. Auch hierüber hat der Beschwerdegegner offensichtlich noch nicht entschieden. Soweit der Beschwerdegegner vorträgt, dem anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2009 sei ein vollumfänglicher Antrag hinsichtlich einer Babyerstausstattung nicht zu entnehmen, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar, da der Antrag nicht auslegungsbedürftig ist. Denn bereits aus dem Wortlaut des Antrags ergibt sich, dass ausdrücklich die „Gewährung der Erstausstattung für Schwangere und sodann die Geburt” beantragt wurde. Mit seinem Antrag hat sich der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin offensichtlich an den Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II a.F. angelehnt, wonach Leistungen für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt nicht von der Regelleistung umfasst sind.

Soweit das SG im angefochtenen Beschluss vom 02. November 2011 ausgeführt hat, dass die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Aufstellung über Erstausstattungsbedarf mit Schriftsatz vom 14. Januar 2011 nicht ausreichend sei, ist nach § 103 SGG, ggf. nach Erteilung eines Hinweises, von Amts wegen weiter zu ermitteln. Auch das SG hat im Klageverfahren die Durchführung weiterer Ermittlungen für erforderlich gehalten, als es mit gerichtlichem Schreiben vom 01. Juni 2010 den Beschwerdegegner zur Aufschlüsselung der Pauschale aufgefordert und zudem ausgeführt hat, dass bestimmte Gegenstände (z.B. Babysocken, Babyhandschuhe und sog. Spucktücher) nicht berücksichtigt worden seien, so dass ein Erfolg der Klage nicht gänzlich fernliegend erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.