Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 13/2012

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 22.03.2012 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 22.03.2012, – B 4 AS 102/11 R –

Hartz-IV für Studenten während des Urlaubssemesters

Während eines Urlaubssemesters können Studenten nur dann Hartz-IV-Leistungen bekommen, wenn sie sich komplett vom Studium zurückziehen. Wenn sie dagegen noch Vorlesungen besuchen oder sich Zuhause auf Prüfungen vorbereiten, steht ihnen dagegen kein Hartz IV zu, urteilte am Donnerstag, 22. März. 2012, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 4 AS 102/11 R).

Laut Gesetz müssen die Jobcenter kein Hartz IV an Antragsteller zahlen, die einer Ausbildung nachgehen, die mit Bafög oder Meisterbafög gefördert werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kommt es dabei allein auf die Förderfähigkeit des Ausbildungsgangs an, nicht dagegen darauf, ob in Einzelfall tatsächlich Ausbildungsförderung gezahlt wird. Hartz IV dürfe nicht zur „versteckten Ausbildungsförderung“ werden, betonten die Kasseler Richter nun auch in ihrem neuen Urteil.

Bei einem Urlaubssemester komme es daher darauf an, ob der Student noch Veranstaltungen seiner Universität besucht oder auch nur Zuhause weiter seinem Studium nachgeht, etwa indem er Arbeiten schreibt oder sich auf Prüfungen vorbereitet. Nur wenn ein Student sein Studium „gar nicht“ mehr betreibe, könne ein Antrag auf Hartz IV Erfolg haben.

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1.2 – BSG, Urteil vom 22.03.2012, – B 4 AS 26/10 R –

Kein Einbehalt von Tilgungsraten für Mietkaution

Die vorgenommene Einbehaltung war rechtswidrig, weil ein Rechtsgrund hierfür zumindest in dem hier streitigen Zeitraum nicht vorhanden war.

Der Beklagte kann sich nicht auf die Regelungen zur Aufrechnung in § 51 SGB I berufen, weil es unter Berücksichtigung der Höhe der laufenden SGB II-Leistungen an deren Pfändbarkeit fehlt. Auf § 23 Abs 1 Satz 3 SGB II, der als Ausnahmeregelung ein über § 51 SGB I hinausgehendes Aufrechnungsrecht des Grundsicherungsträgers enthält, kann die Einbehaltung gleichfalls nicht gestützt werden, weil sich diese Norm ausdrücklich nur auf Darlehen für unabweisbare Bedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht.

Eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 Satz 3 SGB II ist nicht möglich, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Auch aus der von dem Beklagten vorformulierten und erwirkten Erklärung des Klägers vom 25.2.2008 ergibt sich keine Berechtigung zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens aus der laufenden Regelleistung, weil ein Verzicht auf diese existenzsichernden Leistungen jedenfalls eine Umgehung von Rechtsvorschriften iS des § 46 Abs 2 SGB I darstellen würde.

Ob eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt, ist im Sozialrechtsverhältnis zwischen Leistungsberechtigtem und Sozialleistungsträger anhand von Sinn und Zweck der jeweiligen Rechtsvorschriften sowie deren Systematik zu beurteilen. Bei einem hier von dem SGB II-Träger erwirkten Verzicht handelt es sich um den nicht zulässigen Versuch, unter Absehen von den speziellen Voraussetzungen und Grenzen des § 51 SGB I die nicht zulässige Aufrechnung von laufenden, das Existenzminimum sichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu umgehen.

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2.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.12.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Urteil vom 20.12.2011, -B 4 AS 46/11-

Geldzuwendungen der Eltern sind kein zu berücksichtigendes Einkommen, denn durch die Zuwendungen der Eltern ist die rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituiert worden.

Aus dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II folgt zwar keine weitergehende Definition dessen, was Einkommen ist.

Lediglich die im zweiten Satzteil genannten Leistungen sind von vornherein von der Berücksichtigung ausgenommen. Mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe (BSGE 58, 160 = SozR 4100 § 138 Nr 11; SozR 4100 § 138 Nr 25) und des BVerwG zum Einkommensbegriff im Wohngeldrecht (stRspr seit BVerwGE 54, 358; BVerwGE 69, 247) kann auch im Anwendungsbereich des § 11 Abs 1 SGB II nach Sinn und Zweck der Norm eine von einem Dritten lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung jedoch nicht als Einkommen qualifiziert werden.

Nur der “wertmäßige Zuwachs” stellt Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II dar; als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einkünfte hat. Dieser Zuwachs muss dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine Hilfebedürftigkeit in Höhe der Zuwendungen dauerhaft entfallen.

Insoweit ist nach der bisherigen Rechtsprechung der beiden Grundsicherungssenate des BSG im Hinblick auf die Qualifizierung von Zuwendungen Dritter als Einkommen zu unterscheiden zwischen a) Geldzahlungen oder Sachleistungen, die einem SGB II-Leistungsberechtigten zum endgültigen Verbleib zugewendet werden, b) einem Darlehen, das mit einer Rückzahlungsverpflichtung im Sinne des BGB gegenüber dem Darlehensgeber belasteten ist und c) Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung eben wegen der Ablehnung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituieren sollen.

Letztere stellen kein Einkommen im Sinne der eingangs dargelegten Definition des Einkommensbegriffs dar und entbinden den Grundsicherungsträger nicht von seiner Leistungsverpflichtung.

Bereits zum BSHG war anerkannt, dass die Hilfe eines Dritten den Sozialhilfeanspruch dann nicht ausschließt, wenn der Dritte vorläufig – gleichsam anstelle des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens – nur deshalb einspringt, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (vgl BVerwG vom 23.6.1994 – 5 C 26/92 – BVerwGE 96, 152; BVerwGE 94, 127; 90, 154; 26, 217). Dem sind der 14. und 4. Senat des BSG gefolgt (BSG vom 6.10.2011 – B 14 AS 66/11 R – und 27.9.2011 – B 4 AS 202/10 R sowie 22.11.2011 – B 4 AS 204/10 R-).

Die Zuwendungen der Eltern sind auch nicht erst im Monat nach dem Zufluss mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet worden. Anderenfalls bestünde nach der Rechtsprechung des BSG die Verpflichtung des Leistungsberechtigten, die Leistung als “bereite Mittel” in dem Monat des Zuflusses zu verbrauchen. Die erst danach entstehende Rückzahlungsverpflichtung wird alsdann zu einer nicht aus der Grundsicherungsleistung – von gesetzlich normierten Ausnahmefällen abgesehen – zu erbringende Schuldentilgung (vgl für den Fall der Rückforderung zu Unrecht gewährten Alg im Monat nach dem Zufluss, BSG vom 23.8.2011 – B 14 AS 165/10 R -).

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Anmerkung von Willi 2: BSG, Urteil vom 20.12.2011, – B 4 AS 200/10 R –

Wenn Verwandte Hartz-IV-Empfängern zur Tilgung ihrer Girokontoschulden Geld schenken, führt dies zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II
Tacheles KW 52/2011

3.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 15.03.2012,- L 4 AS 40/09 –

Wegen des Antragserfordernisses nach § 37 SGB II kann ein Anspruch auf Wohnungserstausstattung nur in Bezug auf diejenigen Gegenstände bestehen, die nach der Antragstellung angeschafft worden sind

Denn ein Bedarf an Erstausstattung war insoweit – nämlich hinsichtlich der vor dem 19. Februar 2008 angeschafften Erstausstattung – bereits deshalb entfallen, weil die Eltern des Klägers insoweit die Anschaffungen bereits getätigt hatten, bevor der Beklagte überhaupt Gelegenheit zur Kostenübernahme bekam.

Mit der Sachzuwendung war der Bedarf gedeckt, und es war den Eltern des Klägers angesichts der zeitlichen Reihenfolge von Anschaffung und Antragstellung auch nicht darum gegangen, eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung eben wegen der Ablehnung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes zu substituieren (vgl. BSG, Urt. v. 20.12.2011 – B 4 AS 46/11 R).

Das hätte den Grundsicherungsträger nicht von seiner Leistungsverpflichtung entbunden; so liegt der Fall hier aber gerade nicht.

Die Eltern des Klägers haben auch nicht lediglich darlehnsweise geholfen; eine Rückgewährverpflichtung des Klägers ist zu keinem Zeitpunkt vorgetragen worden und auch nicht sonst wie ersichtlich. Vielmehr hat der Kläger in der Klagschrift vorgetragen, dass seine Eltern die Anschaffungskosten bevorschusst hatten und den Erstattungsbetrag des Beklagten erhalten wollten. Darin ist keine Darlehnsabrede zu sehen.

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Anmerkung von Willi 2. BSG, Urteil vom 20.12.2011, -B 4 AS 46/11 R –

Geldzuwendungen der Eltern sind kein zu berücksichtigendes Einkommen, denn durch die Zuwendungen der Eltern ist die rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituiert worden.
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3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.02.2012, – L 19 AS 91/12 B ER

Es existiert kein subjektives öffentliches Recht einer Leistungsberechtigten, den Sachbearbeiter ihrer Leistungsangelegenheit (mit)zu bestimmen.

Bei der Aufgabenzuweisung an einen Sachbearbeiter handelt es sich um eine verwaltungsinterne Entscheidung, die von einem Leistungsberechtigten gerichtlich nicht überprüft werden kann (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.04.2010 – L 6 B 93/09 AS – mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Aus der Vorschrift des § 14 Satz 2 SGB II, wonach für eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person eine persönliche Ansprechpartnerin oder ein persönlicher Ansprechpartner benannt werden soll, lässt kein subjektiv-öffentliches Recht des Leistungsberechtigten auf die Ablehnung eines bestimmten Sachbearbeiters und die Zuweisung eines anderen Sachbearbeiter ableiten. § 14 Satz 2 SGB II beinhaltet nur eine objektiv-rechtliche Aufgabenzuweisung an den Leistungsträger, nicht aber einen Rechtsanspruch des Leistungsberechtigten auf bestimmte Personalstrukturen in der Fallbearbeitung (BSG Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R = BSGE 104, 185, juris Rn 26 m.w.N.; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.04.2010 – L 6 B 93/09 AS -),

Auch wenn die Antragstellerin die zuständige Sachbearbeiterin des Antragsgegners als gegen sich eingenommen, also für befangen betrachtet, billigt § 17 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dem Beteiligten kein förmliches Ablehnungsrecht zu (BSG Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R = juris Rn 27 m.w.N.).

Die verwaltungsintern zu treffende Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit einer Bediensteten hat keine Rechtswirkung nach außen, sie ist nicht selbstständig anfechtbar (BSG Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R = BSGE 104, 185, juris Rn 26 m.w.N.; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.04.2010 – L 6 B 93/09 AS – m.w.N. ; OVG NRW Beschluss vom 10.01.2000 – 18 A 4228/95 = DVBl. 2000, 572; BFH Beschluss vom 07.05.1981 – IV B 60/80 = BFHE 133,340).

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3.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.03.2012, – L 19 AS 2025/11 B –

Die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist nur für Fälle relevant, in denen der Umzug noch nicht vollzogen worden ist.

Die Regelung des § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II ist eine Sollvorschrift und hat keinen zwingenden Charakter, sondern erfüllt lediglich eine Aufklärungs- und Warnfunktion (vgl. dazu Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 119).

Mit dem Einzug der Klägerin in die neue Wohnung kommt eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht mehr in Betracht, da der Sinn und Zweck der Norm ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zum Tragen kommen kann (vgl LSG Berlin-Brandenburg L 26 AS 421/07 = juris Rn. 15; vgl. zur Vorschrift des § 22 Abs. 4 SGB II auch BSG Urteil v. 22.11.2011 – B 4 AS 219/10 R = juris Rn. 14 ff.).

Damit besteht auch insoweit für die erhobene Klage kein Rechtsschutzbedürfnis.

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Anmerkung von Willi 2: BSG, Urteil vom 22.11.2011, – B 4 AS 219/10 R –

Hilfebedürftige haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung der Angemessenheit der Kaltmiete für die bereits von ihnen bewohnte Unterkunft nach § 22 Abs. 2 SGB II.
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3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.01.2012, – L 19 AS 17/11 –

Bei der Forderung aus einer Kapitallebensversicherung im Fall der vorzeitigen Vertragsauflösung handelt es sich um einen Vermögensgegenstand.

Vermögen i.S.v. § 12 SGB II sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände. Hierzu gehören neben beweglichen Sachen und Immobilien auch verbriefte oder nicht verbriefte Forderungen und Geldleistungen in Form von Rückkaufswerten aus Versicherungen.

Der Berücksichtigung von Forderungen als Vermögen i.S.v. § 12 SGB II steht nicht entgegen, dass weitere Verwertungshandlungen “zwischengeschaltet” werden müssen, um einen tatsächlichen Zufluss der Forderung als Einnahme in Geld oder Geldeswert und damit als Einkommen i.S.v. § 11 SGB II zu erreichen.

Daher können auch (künftig fällig werdende) Forderungen und Rechte, die als Vollrecht begründet sind (vgl. hierzu BSG Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 70/09 R = juris Rn 14f m.w.N.)Vermögensgegenstände i.S.v. § 12 SGB II sein, die als nicht bereite Mittel im Falle ihrer Verwertbarkeit zur Existenzsicherung einzusetzen sind (vgl. BSG Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 70/09 R = juris Rn 14, 15).

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Anmerkung von Willi 2: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2012, – L 13 AS 2954/11 –

1. Teilauszahlungen aus Lebensversicherungen senken nicht nur den Verkehrswert der Versicherung in Form des Rückkaufswerts, sondern auch den wirklichen Wert des zu bewertenden Vermögensgegenstandes (Substanzwert).

2. Bei der Prüfung, ob die Verwertung einer Lebensversicherung offensichtlich unwirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 3 Nr. 6 Alt. 1 SGB II), sind Teilauszahlungen zu berücksichtigen und im Rahmen der vorzunehmenden Gegenüberstellung von eingezahlten Beiträgen und Rückkaufswert von den eingezahlten Beiträgen in Abzug zu bringen.
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3.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.02.2012, – L 7 AS 1716/11 B –

Ein Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende darf bei drohender Stromsperre nicht ausnahmslos vorrangig auf die Inanspruchnahme zivilrechtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden.

Es bedarf unter Berücksichtigung der Dauer und der nicht einzuschätzenden Erfolgsaussicht eines zivilrechtlichen Rechtsstreites der Prüfung, ob die Antragstellerin zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und inwieweit der Antragsgegner zu einer Beratung und Hilfestellung verpflichtet war (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2008 – L 7 B 251/07 AS ER; Hammel, info also 6/2011, 251 ff.;Berlit in LPK-SGB II, Kommentar zum SGB II, 4. Auflage 2011, § 22 Rn. 194).

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.

Daraus folgt jedoch nicht, dass dieser hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf.

Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.).

Zudem entbindet eine Mitwirkungsobliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den Grundsicherungsträger nicht von seiner in § 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) begründeten Förderungspflicht.

Der Verweis auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz bei Unverhältnismäßigkeit drohender Stromsperren (§ 19 Abs. 2 S. 2 StromGVV) erfordert regelmäßig konsequente Beratung und Unterstützung durch den Leistungsträger (Berlit in LPK-SGB II, Kommentar zum SGB II, 4. Auflage 2011, § 22 Rn. 194).

Denn der Grundsicherungsträger muss dafür Sorge tragen, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur ein solches Maß an Mitwirkung abverlangt wird, das objektiv und subjektiv zumutbar ist.

Dem entspricht es nicht, einen Leistungsberechtigten, dem es regelmäßig an Erfahrung auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzes fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen.

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Anmerkung von Willi 2: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.08.2011, – L 5 AS 1097/11 B ER –

Hartz IV – Empfängerin sitzt seit dem 12. Mai 2011 im Dunkeln – Stromsperre – Keine Übernahme der Stromschulden.
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3.6 – Bayer. Landessozialgericht Urteil vom 2. Februar 2012 – L 11 AS 675/10 –

Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II trotz Immobiliarvermögen

Hilfebedürftig und damit anspruchsberechtigt auf Leistungen nach dem SGB II – Hartz -IV – sind nur bedürftige Personen. Wer Vermögen hat, muss das für seinen Lebensunterhalt einsetzen.

Ausnahmen bestehen wie zB für das durch Freibeträge geschützte Schonvermögen. Nicht zum Vermögen zählt, was nicht verwertet werden kann, auch weil es nicht marktfähig ist. Bei Immobilien zählt zur Marktfähigkeit u.a., dass sie ohne Zustimmung Anderer übertragen werden können.

Hierzu hat das Bayerische Landessozialgericht einen einprägsamen Fall entschieden.

Ausgangspunkt
Der Kläger hatte von seinen Eltern ein Wohnhaus und verpachtete landwirtschaftliche Flächen übertragen bekommen. Im Grundbuch hatten sich die Eltern einen Rückübertragungsanspruch vorbehalten, falls ohne ihre Zustimmung das Grundeigentum weiter veräußert werden sollte. Zudem war einem Enkelkind das Grundstück bis 2017 notariell gesichert. Aus ihrer Sicht wollten die Eltern wegen des Umganges des Klägers mit Geld in der Vergangenheit ein Verschleudern der Immobilien verhindern zugunsten Ihres Enkels. Als der Kläger Hartz IV- Leistungen beantragte, lehnte das Jobcenter ab, weil der Kläger nicht bedürftig sei. Das Mehrfamilienhaus sowie die landwirtschaftlichen Nutzflächen von mehr als 12.000 qm seien als Vermögen einzusetzen. Das Sozialgericht hatte die Entscheidung bestätigt und Leistungen der Grundsicherung ebenfalls versagt.

Die Entscheidung
Das Bayerische Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und das Jobcenter zu Leistungen nach dem SGB II verurteilt. Haus und landwirtschaftliche Fluren des Klägers seien kein Vermögen, das verwertbar und marktfähig sei.

Das hindere der grundbuchgesicherte Rückübertragungsanspruch. Dieser diene nicht allein dem Zweck, den Nachrang der Hartz-IV-Leistungen zu unterlaufen, sondern auch dem legitimen Ziel, das Vermögen dem Enkelkind zu erhalten. Ein sittenwidriges Zusammenwirken des Klägers und seiner Eltern zulasten der Grundsicherung liege somit nicht vor.

Auswirkungen der Entscheidung
Das Bayerische Landessozialgericht hat eine weitere Fallkonstellation zur Verwertbarkeit von Grundstücksvermögen entschieden und damit Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II trotz eines Mehrfamilienhauses sowie die landwirtschaftlichen Nutzflächen von mehr als 12.000 qm festgestellt. Den Ausnahmefall des sittenwidrigen Zusammenwirkens der handelnden Personen hat das Landessozialgericht verneint.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung von Willi 2: Nach § 9 Abs 4 SGB II ist hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.
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3.7 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 7. März 2012, – L 11 AS 29/12 B ER – und L 11 AS 29/12 B ER PKH –

Mittellosen Studierenden, die sich in der Examensphase befinden, ist es nicht zuzumuten, weiterhin eine Arbeit aufzunehmen, um ihr Studium finanzieren zu können, wenn sie gehalten sind, um den Erfolg der Abschlussarbeit nicht zu gefährden, ihre gesamte Energie für ein erfolgreiches Examen einzusetzen.

In dieser Situation stellt der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II eine besondere Härte im Sinne des § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II dar, wenn bei einem erfolgreichen Abschluss des Studiums erstmalig eine abgeschlossene Berufsausbildung vorgewiesen werden kann.

Artikel: sozialberatung-kiel.de

Beschluss des LSG als Scan: sozialberatungkiel.files.wordpress.com (pdf)

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Schleswig, Beschluss vom 6. Oktober 2011,- S 1 AS 137/11 ER –

Ein Fehlen einer Untervermietungserlaubnis (§ 540 Abs. 1 Satz 1 BGB) berührt die Wirksamkeit eines mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten geschlossenen Untermietvertrags nicht.

Die Untervermietungserlaubnis wirkt einzig im Verhältnis zwischen dem Wohnungsgeber und dem Hauptmieter.

Der Beschluss im Volltext findet sich hier:

Artikel: sozialberatung-kiel.de

Beschluss: sozialberatungkiel.files.wordpress.com (pdf)

4.2 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 18.01.2012, – S 55 AS 30011/10 -, Berufung zugelassen

Bei einem Zufluss von zwei Monatsentgelten aus demselben Arbeitsverhältnis innerhalb eines Kalendermonats sind die Freibeträge nach §§ 11 Abs 2 S 2, 30 S 1 SGB 2 aF (nunmehr: § 11b Abs 2 und 3 SGB 2) jeweils für jedes Monatsentgelt einzuräumen, sofern nicht Vergütungen aus mehreren Arbeitsverhältnissen oder Tätigkeiten bezogen werden und die Freibeträge erschöpfen.

sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.02.2012,- L 7 SO 1246/10 –

1. Die Übernahme der Kosten für die systemische Bewegungstherapie bei einem schwer behinderten Kind kann als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung iS von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII iVm § 12 Nr. 1 EinglHV zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören.

2. Die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die systemische Bewegungstherapie ist nicht bereits deshalb durch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe im Hinblick auf eine Zuständigkeit der Schule ausgeschlossen, weil diese Therapieform auch (heil-)pädagogische Elemente enthält. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Maßnahme dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer iS des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule zuzuordnen ist; auch unter Berücksichtigung der Änderung der schulrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit einer zunehmenden integrativen Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher kann daneben ein ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen.

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5.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.02.2012, – L 20 SO 527/11 B –

Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn die zum 01.01.2011 in Kraft getretene Änderung der Regelsätze nach der Anlage zu § 28 SGB XII ist wo möglich verfassungswidrig.

Gemäß § 27a Abs. 2 SGB XII (in der Fassung des Artikel 3 Nr. 8 RBEG) ergibt der gesamte notwendige Lebensunterhalt nach Absatz 1 der Vorschrift – mit Ausnahme der Bedarfe nach dem Zweiten bis Vierten Abschnitt – den Regelbedarf (Satz 1). Dieser ist in Regelbedarfsstufen unterteilt, die bei Kindern und Jugendlichen altersbedingte Unterschiede und bei erwachsenen Personen deren Anzahl im Haushalt sowie die Führung eines Haushalts berücksichtigen (Satz 2). Zur Deckung der Regelbedarfe, die sich nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII ergeben, sind nach § 27a Abs. 3 SGB XII monatliche Regelsätze zu gewähren, die gemäß § 42 Nr. 1 SGB XII auch von den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfasst sind. Dabei sieht die Anlage zu § 28 SGB XII gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG ab dem 01.01.2011 eine Regelbedarfsstufe 3 i.H.v. 291,00 EUR für erwachsene leistungsberechtigte Personen vor, die – wie der Kläger – weder einen eigenen Haushalt noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher bzw. lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen.

Hat die Beklagte der Leistungsbewilligung somit zwar ab dem 01.04.2011 die Regelbedarfsstufe entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zugrunde gelegt, so ist es allerdings – dem Vorbringen des Klägers folgend – durchaus möglich und jedenfalls nicht fernliegend im Sinne der eingangs dargestellten Grundsätze, dass § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG verfassungswidrig ist.

Insoweit mag letztlich offen bleiben, ob diese Vorschrift das in Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt, weil der Gesetzgeber den vom BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 (BVerfGE 125, 175 ff.) aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen zur Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums für den von der Regelbedarfsstufe 3 erfassten Personenkreis nicht hinreichend Rechnung getragen hat (vgl. hierzu u.a. Münder, a.a.O., S. 82); denn unabhängig hiervon ist es zumindest denkbar, dass § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG jedenfalls insofern verfassungswidrig ist, als die unterschiedliche Behandlung erwachsener Personen (nach Vollendung des 25. Lebensjahres) im SGB II und SGB XII den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BVerfGE 100, 195, 205; 107, 205, 214; 109, 96, 123). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, dass hinsichtlich der Ungleichbehandlung an ein sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungsmerkmal angeknüpft wird. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitsgrundsätze reichen (vgl. BVerfGE 97, 271, 290; 99, 367. 388; 107, 27, 45). Dabei ist dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialrechts allerdings eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen (vgl. BVerfGE 17, 210, 216; 77, 84, 106, 81, 156, 205).

Ausgehend hiervon liegt insofern eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor, als dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen, die dem Leistungssystem des SGB XII unterfallen und mit einer anderen erwachsenen Person (z.B. Eltern) in einem Haushalt leben, ohne einen eigenen Haushalt zu führen, auch nach Erreichen des 25. Lebensjahres gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG i.V.m. § 28 SGB XII lediglich Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 (i.H.v. 291,00 EUR) erhalten, während für erwerbsfähige Personen im Regelkreis des SGB II, die sich in einer entsprechenden Lage befinden, nach Vollendung des 25. Lebensjahres Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 (i.H.v. 364,00 EUR) vorgesehen sind (vgl. § 20 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Abs. 3 SGB II, nach dem Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 nur volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft und Unter-25-Jährigen zu gewähren sind, die ohne Zustimmung des kommunalen Trägers ausgezogen sind). Es ist aber zumindest nicht ausgeschlossen, dass diese Ungleichbehandlung sachlich nicht gerechtfertigt ist.

Zwar bestehen zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe insofern Systemunterschiede, als Erwerbsfähige und damit auch über 25-Jährige im Haushalt der Eltern verpflichtet sind, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, was in erhöhtem Maße Eigenverantwortung und wirtschaftliche Beweglichkeit erfordert (so die Begründung in dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Dr. 17/4095, S. 27). Insbesondere werden an erwerbsfähige Personen hinsichtlich ihrer Bemühungen um die Eingliederung in den Arbeitsmarkt andere bzw. höhere Erwartungen gestellt, die sich z.B. in Bewerbungskosten, Fahrtkosten der Aufwand für Bekleidung niederschlagen können (vgl. Münder, a.a.O., S. 83). Im Hinblick auf die Frage, ob bzw. in welcher Höhe diese Aufwendungen, soweit sie nicht ohnehin im Rahmen der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit übernommen werden können und damit schon nicht regelbedarfsrelevant sind, die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG angesetzten niedrigeren Leistungen der Regelbedarfsstufe 3 rechtfertigen, fehlt es aber bezüglich des Personenkreises im SGB XII und der dort angesetzten niedrigeren Leistungen der Regelbedarfsstufe 3 offensichtlich an entsprechenden Ermittlungen seitens des Gesetzgebers (so im Ergebnis Münder, a.a.O., S. 83; vgl. auch Gutzler in juris-PK-SGB XII, § 27a Rn. 79).

Derartige Ermittlungen waren aber möglicherweise notwendig; denn eine typisierende Betrachtung hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – soweit ersichtlich – jedenfalls ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der Kürzung der Regelbedarfsstufe 2 für Partnerhaushalte (auf 180 % des entsprechenden Bedarfs eines Alleinstehenden) für zulässig erachtet, während der Kläger Mitglied eines Haushalts von (mindestens) zwei weiteren Personen ist. Dabei kommt hinzu, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 19.05.2009 – B 8 SO 8/08 R unter Bezugnahme auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG eine Minderung des Regelsatzes im SGB XII im Vergleich zur Höhe der Regelleistung im SGB II im Falle der Zuordnung als Haushaltsangehörige wegen der identischen sozialrechtlichen Funktion beider Leistungen, nämlich der Sicherung des Existenzminimums, für sachlich nicht gerechtfertigt erachtet hat.

Ob die unterschiedliche Behandlung Über-25-Jähriger im SGB II und SGB XII – abgesehen von möglicherweise anderen Erwartungen an die Bemühungen um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt – im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG mit Erfolg auf weitere Systemunterschiede, namentlich die unterschiedliche Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen bzw. -erwartungen des haushaltsangehörigen Leistungsberechtigten gegenüber seinen Eltern und/oder die differierende Behandlung des Einsatzes von Vermögen oder der Anrechnung von Erwerbseinkommen im SGB II bzw. SGB XII, gestützt werden kann (vgl. den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – BT-Drs 17/4095, S. 27), ist zweifelhaft; denn es erschließt sich aus der Gesetzesbegründung jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht, aufgrund welcher Umstände diese Unterschiede den Gesamtbedarf im SGB-II-Bereich erhöhen sollten (ähnlich Gutzler, a.a.O., § 27a Rn. 79).

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung von Willi 2: Sozialgericht Aachen, Urteil vom 20.01.2012,- S 19 SO 108/11 -, Berufung zugelassen

Neue Regelsätze verfassungskonform
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6.   Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. März 2012 – 5 AZR 61/11 –

Umfang des Forderungsübergangs bei „Hartz IV-Leistungen“

Erbringt ein Sozialleistungsträger an einen Arbeitnehmer Leistungen, weil der Arbeitgeber die Vergütung nicht zahlt, geht der Vergütungsanspruch gemäß § 115 Abs. 1 SGB X in Höhe der an den Arbeitnehmer selbst gewährten Leistungen auf den Leistungsträger über. Hingegen ist bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende an Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II der Grundsatz der Personenidentität durchbrochen. Erbringt eine ARGE (jetzt: Jobcenter) Leistungen an den nicht getrennt lebenden Ehegatten, den Lebenspartner des Hilfebedürftigen und an dessen unverheiratete Kinder unter 25 Jahren, weil der Arbeitgeber die Vergütung an den Arbeitnehmer nicht zahlt, geht dessen Vergütungsanspruch nach der in § 34b SGB II enthaltenen Sonderregelung auch in Höhe der an diese Personen erbrachten Leistungen auf den Träger der Grundsicherung über.

Der beklagte Insolvenzverwalter blieb dem Kläger für mehrere Monate das Arbeitsentgelt schuldig. Der Kläger und seine Ehefrau bezogen deshalb Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte kam der Aufforderung des Grundsicherungsträgers, die für beide Eheleute erbrachten Sozialleistungen zu erstatten, nach und zahlte nur den Restbetrag an den Kläger aus. Der Kläger fordert Nachzahlung seines Arbeitsentgelts in Höhe der seiner Ehefrau zugeflossenen Grundsicherung.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten ist die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden. Es ist noch festzustellen, in welcher Höhe die Grundsicherung erbracht wurde, weil der Beklagte die Vergütung nicht gezahlt hat.

juris.bundesarbeitsgericht.de

7.   Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 98/10 R –

Autor: Dr. Thomas Harks, RiSG, Fundstelle: jurisPR-SozR 6/2012 Anm. 1

Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch bei Ein-Euro-Jobs

Leitsätze
1. Fehlt es bei einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung (sog Ein-Euro-Job) am Merkmal der Zusätzlichkeit, kann der Teilnehmer für die rechtsgrundlos erbrachte Arbeitsleistung vom Träger der Grundsicherung Wertersatz auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen.

2. Der Wertersatz ist arbeitstäglich danach zu bestimmen, was sonst hätte aufgewendet werden müssen, um die Arbeitsleistung zu erhalten, und welche Aufwendungen des Trägers dem gegenüberstanden.

www.juris.de

Anmerkung von Willi 2: Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 101/10 R – Zuweisung eines Ein-Euro-Jobs als Verwaltungsakt
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Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de