Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 27.03.2012 – Az.: L 7 AS 42/11 B

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

1. xxx,
2. xxx,
Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

xxx,
Beklagter,

hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 27. März 2012 in Celle durch den Richter xxx, die Richterin xxx und den Richter xxx beschlossen:

Auf Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 10. Dezember 2010 aufgehoben.

Den Klägern wird zwecks Durchführung des Klageverfahrens (Aktenzeichen: S 25 AS 1985/10) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam, Göttingen, bewilligt. Raten sind nicht zu zahlen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe
I.
Die Beteiligten streiten sich im Hauptsacheverfahren über die Zulässigkeit eines isolierten Widerspruchsverfahrens gegen die Kostenentscheidung in einem Widerspruchsbescheid.

Die Kläger legten gegen einen Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 26. Januar 2010 Widerspruch ein und begehrten höhere Grundsicherungsleistungen. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2010 als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid stellte der Beklagte fest, dass entstandene notwendige Aufwendungen der Kläger nicht zu erstatten seien. Dieser Widerspruchsbescheid wurde nicht mit Klage angegriffen.

Die Kläger legten mit Schreiben vom 19. Juli 2010 Widerspruch gegen die im Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2010 enthaltene Kostenentscheidung ein. Diesen Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2010 als unzulässig, weil gegen den Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2010 lediglich eine Klage zulässig gewesen sei, jedoch kein neuer Widerspruch. Hiergegen richtete sich das Klageverfahren, für deren Durchführung die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrten. Die Kläger nahmen Bezug auf eine Entscheidung einer anderen Kammer des Sozialgerichts (SG) Hildesheim (Beschluss vom 29. Juli 2010 – S 45 AS 692/10 -), mit der eine Klage gegen die Kostenentscheidung der Behörde in einem Widerspruchsbescheid deshalb als unzulässig verworfen worden sei, weil diesbezüglich noch kein Vorverfahren stattgefunden hätte und die Kostenentscheidung isoliert mit einem Widerspruch hätte angefochten werden müssen.

Das SG hat das Prozesskostenhilfegesuch der Kläger mit Beschluss vom 10. Dezember 2010 abgelehnt. In den Gründen hat es ausgeführt, dass eine im Widerspruchsbescheid enthaltene Kostenentscheidung nur mit der Klage ohne gesondertes Widerspruchsverfahren anzufechten sei. Dies entspräche der herrschenden Meinung in der Kornmentarliteratur. Allein die abweichende Auffassung einer einzelnen Kammer des SG Hildesheim ändere nichts an den nicht ersichtlichen Erfolgsaussichten.

Die Kläger haben gegen diesen Beschluss am 22. Dezember 2010 Beschwerde eingelegt. Sie tragen vor, die Kostengrundentscheidung in einem Widerspruchsbescheid stelle einen selbstständigen Verwaltungsakt dar. Da eine Ausnahme vom Erfordernis des Vorverfahrens gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gegeben sei, verbleibe es bei der zwingenden Durchführung des Widerspruchsverfahrens vor Klageerhebung. Dies sei auch sachgerecht, um der Verwaltung die Möglichkeit der Selbstkontrolle zu ermöglichen, was zu einer Entlastung der Sozialgerichte führen könne. Entgegen der Auffassung des SG werde diese Frage in der Kommentarliteratur nicht einheitlich beantwortet. Vielmehr sei für die Erforderlichkeit des Widerspruchsverfahrens danach zu unterscheiden, ob die Kostengrundentscheidung im Abhilfebescheid oder im Widerspruchsbescheid getroffen werde. Dass diese Rechtsfrage nicht abschließend geklärt sei, finde eine Bestätigung darin, dass dieselbe Kammer des SG Hildesheim im Urteil vom 07. Juli 2010 (Aktenzeichen: S 25 AS 1067/10) hinsichtlich einer identischen Streitfrage die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen habe. Dieses Verfahren sei beim Landessozialgericht (LSG) Nieder-sachsen-Bremen unter dem Aktenzeichen L 9 AS 834/10 anhängig.

Der Beklagte verteidigt die Versagung von Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene klageabweisende Urteil des SG Hildesheim vom 22. Dezember 2010.

II.
Die Beschwerde der Kläger ist statthaft, zulässig und begründet und führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Beschlusses. Den Klägern ist zwecks Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten sind zu bejahen, wenn es aufgrund des Beteiligtenvortrags nach einer summarischen Prüfung möglich erscheint, dass der Antragsteller mit seinem Begehren Erfolg haben könnte. Nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg sprechen, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – vom 05.02.2003 – 1 BvR 1526/02 -, NJVV 2003, 1857). Eine Gewissheit des Prozesserfolges muss nicht verlangt werden. Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt und deshalb klärungsbedürftig ist, muss Prozesskostenhilfe bewilligt werden (BVerfG 10.12.2011 – 1 BvR 1803/97 -). Bei Anwendung dieser Kriterien waren sowohl zum Eintritt der Entscheidungsreife als auch zum späteren Zeitpunkt des Beschlusses des SG Hildesheim (10. Dezember 2010) die hinreichenden Erfolgsaussichten zu bejahen.

Die Frage, ob eine Kostenentscheidung .in einem Widerspruchsbescheid isoliert mit einem Widerspruch angefochten werden kann, stellte zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des SG eine ungeklärte Rechtsfrage dar. Die Kläger haben mit diversen Fundstellen nachgewiesen, dass in der Fachliteratur für diese Streitfrage unterschiedliche Lösungsvorschläge vertreten werden. Insbesondere beim angerufenen SG Hildesheim haben Kammern unterschiedlich entschieden. Von den Klägern kann nicht erwartet werden, dass sie sachkundiger sind als jene Kammer, die in der Entscheidung vom 29. Juli 2010 (S 45 AS 692/10) ein isoliertes Widerspruchsverfahren als erforderlich angesehen hat. Erst durch den Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 07. Februar 2011 – L 9 AS 834/10 – kann die Frage als geklärt angesehen werden. Die frühere Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 31. März 2004 – L 3 KA 89/01 – hatte sich nur mit der Frage beschäftigt, ob eine Klage gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid statthaft ist, nicht aber, ob alternativ auch ein isoliertes Widerspruchsverfahren möglich ist.

Soweit das SG mit dem angefochtenen Beschluss sich bereits im Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe für eine bestimmte Lösung – selbst wenn das die richtige ist – entschieden hat, verkennt es Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe. Das Prozesskostenhilfeverfahren will nämlich nicht den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz selbst bieten, sondern nur zugänglich machen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf insbesondere nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. (BVerfG 20.06.2006 – 1 BvR 2673/05 -). Zwar rechtfertigt die Existenz von unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen nicht immer und automatisch, dass in einem gleichgelagerten Fall auf Kosten der Staatskasse durch alle Instanzen prozessiert werden darf. Es muss aber gewährleistet bleiben, dass auch unbemittelte Rechtssuchende die Chance erhalten, zumindest in einem Rechtszug ihre Ansichten überprüfen zu lassen. Dieser Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verbietet es, dass Verwaltungsentscheidungen bei einem unbemittelten Beteiligten vollumfänglich bereits im Prozesskostenhilfeverfahren geprüft werden, während bei einem finanzstarken Beteiligten diese Prüfung im Hauptsacheverfahren erfolgt (ständige Rechtsprechung des Senates, vgl. z. B. im Beschwerdeverfahren gegen das SG Hildesheim: Beschluss vom 05.11.2007 – L 7 B 232/07 AS -). Das SG hat aber vorliegend das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe überlastet und zweckentfremdet, wenn es vor der zu erwartenden Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen das Hauptsacheverfahren in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert hat.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ergibt sich aus § 121 Abs. 2 ZPO.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.