Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 31.05.2012 – Az.: L 7 AS 1013/11 NZB

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit
1. xxx,
2. xxx,
Kläger und Beschwerdegegner,
Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: Rechtsanwalt Sven Adam,
     Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

xxx,
Beklagter und Beschwerdeführer,

hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 31. Mai 2012 in Celle durch die Richter xxx, xxx und die Richterin xxx beschlossen:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. September 2011 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in dem Beschwerdeverfahren.

GRÜNDE
I.

Die Kläger stehen im ständigen Bezug von Leistungen nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2008 bewilligte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum 1. September 2008 bis 28. Februar 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich insgesamt 418,92 €. Im weiteren Verlauf erließ der Beklagte am 13. August 2008, 3. September 2008 und 2. Oktober 2008 Änderungsbescheide, mit denen er die monatlichen SGB II-Leistungen jeweils in unterschiedlicher Höhe bewilligte, zuletzt in Höhe von monatlich 787,08 €. Am 13. Oktober 2008 versandte der Beklagte an die Klägerin ein weiteres Schreiben, das als „Änderungsbescheid” überschrieben war und in Aufbau und Form den vorangegangenen Bescheiden entsprach. In diesem „Änderungsbescheid” wurden den Klägern für den Zeitraum 1. November 2008 bis 28. Februar 2009 erneut monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 787,08 € bewilligt. Unter dem Punkt „Folgende Änderungen sind eingetreten” stand: „Ab dem Monat 11/08 werden Ihre Stromabschläge in Höhe von monatlich 25,00 € an die Stadtwerke xxx GmbH überwiesen.”

Gegen diesen „Änderungsbescheid” vom 13. Oktober 2008 legten die Kläger Widerspruch ein. Sie begründeten den Widerspruch damit, dass die Warmwasserpauschale falsch berechnet worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2008 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Das Schreiben vom 13. Oktober 2008 stelle keinen Verwaltungsakt dar, so dass der erhobene Widerspruch unstatthaft sei. Das Schreiben vom 13. Oktober 2008 begründe weder Rechte der Kläger noch entziehe es welche oder stelle sie fest. Das Schreiben habe vielmehr lediglich der Information gedient in einer Leistungsangelegenheit.

Hiergegen haben die Kläger am 28. November 2008 beim Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben. Mit Urteil vom 9. September 2011 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2008 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 13. August 2008, 3. September 2008, 2. Oktober 2008 und 13. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2008 abgeändert und den Beklagten verurteilt, als Warmwasserpauschale für die Klägerin zu 1.) monatlich nur einen Betrag von 6,33 €, für den Kläger zu 2.) einen Betrag von 3,80 € zu berücksichtigen. Es qualifizierte in seinem Urteil den „Änderungsbescheid” des Beklagten vom 13. Oktober 2008 als Verwaltungsakt, weil der „Änderungsbescheid” aus der Sicht der Kläger eine Regelung auch hinsichtlich der Kosten der Unterkunft (KdU) enthalten habe. Eine Regelungswirkung wäre dem „Änderungsbescheid” nur dann abzusprechen gewesen, wenn der beschränkte Regelungsgehalt hinreichend erkennbar gewesen wäre. Das sei jedoch nicht der Fall. Der Änderungsbescheid sei wie ein üblicher Leistungsbescheid des Beklagten aufgebaut gewesen. Dementsprechend sei auch die Leistungsaufstellung enthalten gewesen. In dem „Änderungsbescheid” sei darauf hingewiesen worden, dass eine Änderung dahingehend eingetreten sei, dass die Stromabschläge ab dem Monat November 2008 an die Stadtwerke xxx GmbH überwiesen würden. Dieser Hinweis auf die eingetretene Änderung allein führe jedoch nicht dazu, dem Bescheid eine Regelungswirkung abzusprechen, da sich der Bescheid für die Kläger nichtdestotrotz als eine Entscheidung mit Regelungsgehalt darstelle. Die Berufung wurde vom SG nicht zugelassen.

Gegen das am 15. September 2011 zugestellte Urteil richtet sich die von dem Beklagten am 14. Oktober 2011 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde. Er beruft sich zur Begründung auf den Zulassungsgrund der sogenannten Divergenz nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Sozialgericht weiche von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, weil es die Einstufung des Schreibens vom 13. Oktober 2008 als Verwaltungsakt allein auf die äußere Form des Schreibens gestützt habe. Es habe dagegen nicht auf den Regelungsinhalt des Schreibens abgestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme es auf die Bezeichnung als „Bescheid” bzw. auf die äußere Form jedoch nicht an. Er verweist hierzu auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 16. November 1995 (4 RLw 3/94), 23. Januar 2008 (B 10 LW 1/07 R), 20. November 1996 (3 RK 7/96) und 23. Januar 2008 (B 10 LW 1/07 R). Das Schreiben vom 13. Oktober 2008 weise keinen eigenen Regelungsgehalt auf, weil es gegenüber dem Bescheid vom 2. Oktober 2008 hinsichtlich der gewährten SGB II-Leistungen keine Änderungen gegeben habe. Insoweit stelle das Schreiben vom 13. Oktober 2008 lediglich eine sogenannte wiederholende Verfügung dar. Das Schreiben sei im Übrigen lediglich eine Mitteilung gewesen. Das Urteil des Sozialgerichts beruhe auch auf dieser Abweichung, weil ohne die Abweichung die Klage abzuweisen gewesen wäre.

Die Kläger sind der Auffassung, dass das Sozialgericht zu Recht das Schreiben vom 13. Oktober 2008 als Verwaltungsakt qualifiziert habe. Der Nichtzulassungsbeschwerde sei gleichwohl stattzugeben, weil das Sozialgericht zu Unrecht auch die Bescheide vom 29. Juli 2008, 13. August 2008, 3. September 2008 und 2. Oktober 2008 abgeändert habe. Streitbefangen sei lediglich der Bescheid vom 13. Oktober 2008 und damit der Zeitraum ab dem 1. November 2008 bis 28. Februar 2009 gewesen. Insofern sei das Urteil rechtswidrig zu Lasten des Beklagten. Die Kläger erklärten jedoch, aus dem Urteil des SG für die Monate September und Oktober 2008 keine Rechte herzuleiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen hat und Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.

Auf die Beschwerde des Beklagten ist die Berufung zuzulassen, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 SGG vorliegen. Davon kann der Senat allerdings nicht ausgehen. Der hier allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.

Gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift setzt ein qualifiziertes Vorbringen des Beschwerdeführers voraus, aus dem erkennbar ist, dass die angefochtene Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gericht zu entnehmenden abstrakten Rechtssatz abweicht (BSG, SozR 3-1500, § 160a Nr. 34). Diese Voraussetzungen sind hier nicht feststellbar.

Der Beklagte macht mit seiner Beschwerde geltend, dass das SG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abgewichen sei, weil es die Qualifikation des „Änderungsbescheids” vom 13. Oktober 2008 als Verwaltungsakt allein anhand der äußeren Form vorgenommen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme es aber auf die Bezeichnung als „Bescheid” bzw. auf die äußere Form nicht an, sondern es sei auf den Regelungsinhalt des Schreibens abzustellen. Einen Regelungsgehalt weise das Schreiben vom 13. Oktober 2008 jedoch nicht auf.

Dieser Vortrag des Beklagten ist nicht geeignet, eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zu begründen. Es ist bereits unzutreffend, dass das SG die Qualifikation des „Änderungsbescheids” vom 13. Oktober 2008 allein anhand der äußeren Form vorgenommen habe. Es hat vielmehr entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geprüft, ob dem „Änderungsbescheid” vom 13. Oktober 2008 aus Sicht eines objektiven Dritten ein Regelungsgehalt zu entnehmen ist. In diesem Kontext hat es ausgeführt, dass sich die Regelungswirkung daraus ergebe, dass der beschränkte Regelungsgehalt für einen Dritten gar nicht erkennbar gewesen sei. Das Schreiben sei wie ein normaler Leistungsbescheid aufgebaut gewesen.

Diese Prüfung weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab. Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992, Az. 10 RKg 4/92, – SozR 3-1300 § 50 Nr. 13 m.w.N.). Ob eine Regelung vorliegt, ist also nicht aus der Sicht der Behörde zu beurteilen, sondern aus der Sicht des Empfängers.

Bei verständiger Würdigung aus Sicht des Empfängers hat sich für das SG die Sachlage aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds des „Änderungsbescheids” vom 13. Oktober 2008 so dargestellt, dass der Beklagte nicht nur mitteilen wollte, dass er zukünftig die Stromabschläge an die Stadtwerke xxx direkt überwiesen werde, sondern dass er bei dieser Gelegenheit auch eine Überprüfung und Neuberechnung der bewilligten SGB II-Leistungen der Kläger vorgenommen hatte, die jedoch im Ergebnis nicht zu veränderten Leistungen geführt hatte (zur Berücksichtigung der äußeren Form bei der Einstufung eines behördlichen Handelns als Verwaltungsakt vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2003, Az. B 13 RJ 39/02 R — SozR 4-1300 § 31 Nr. 1). Der „Änderungsbescheid” vom 13. Oktober 2008 sich für das SG als insofern ein Zweitbescheid dar. Ein abstrakt abweichender Rechtssatz ist darin nicht zu sehen.

Eine Divergenz ist ferner entgegen der Auffassung des Beklagten nicht mit dem Argument zu begründen, dass es sich bei dem „Änderungsbescheid vom 13. Oktober 2008 nur um eine wiederholende Verfügung handelt, weil der „Änderungsbescheid” vom 13. Oktober 2008 gegenüber dem Bescheid vom 2. Oktober 2008 keine höheren Leistungen festgesetzt hat. Denn auch für einen Zweitbescheid ist es nicht erforderlich, dass dieser eine inhaltliche Änderung oder teilweise Ersetzung der bisherigen Entscheidung enthält (vgl. BSG, Urteil vom 23. Januar 2008, Az. B 10 LW 1/07 R — SozR 4-5868 § 3 Nr. 3; Urteil vom 27. April 2010, Az. B 5 R 62/08 R — SozR 4-2600 § 71 Nr. 5). Entscheidend ist vielmehr, ob die Behörde vor Erlass des Bescheids in eine erneute inhaltliche Sachprüfung eingetreten ist oder nicht (vgl. BSG, Urteil vom 20. November 2003, Az. B 13 RJ 43/02 R — SozR 4-2600 § 96a Nr. 3). Nur in den Fällen, in denen die erneute inhaltliche Sachprüfung nicht erfolgt ist, kann von einer wiederholenden Verfügung ausgegangen werden, wobei dies aus dem Bescheid für den Empfänger bei verständiger Würdigung ersichtlich sein muss. An dieser Erkennbarkeit der fehlenden inhaltlichen Sachprüfung fehlt es jedoch nach Würdigung des SG bei dem „Änderungsbescheid” vom 13. Oktober 2008. Zwar hat der Beklagte unter der Überschrift „Folgende Änderungen sind eingetreten” mitgeteilt, dass ab dem Monat 11/08 die Stromabschläge der Kläger in Höhe von monatlich 25,00 € an die Stadtwerke xxx GmbH überwiesen würden. Daraus geht jedoch nicht hervor, dass zusätzlich keine weitere inhaltliche Sachprüfung hinsichtlich der bewilligten SGB II-Leistungen erfolgt ist. Denn die Mitteilung unter der Überschrift „Folgende Änderungen sind eingetreten” kann aus Sicht des Empfängers bei verständiger Würdigung auch so verstanden werden, dass der Beklagte zwar eine umfassende inhaltliche Sachprüfung vorgenommen hat, es jedoch lediglich hinsichtlich der Überweisung der Stromabschläge zu einer Änderung im Ergebnis gekommen ist. Eine fehlende inhaltliche Sachprüfung wäre für den Empfänger ohne weiteres ersichtlich gewesen, wenn der Beklagte die Mitteilung über die Direktüberweisung an die Stadtwerke xxx lediglich in einem einfachen Schreiben mitgeteilt hätte. Wählt der Beklagten jedoch die Form eines „Bescheids”, ohne eindeutig kenntlich zu machen, dass er keine inhaltliche Sachprüfung vorgenommen hat, so erweckt er aus Sicht des Empfängers den Eindruck einer erneuten inhaltlichen Überprüfung und mit Blick auf das Ergebnis dieser inhaltlichen Prüfung das Setzen einer Regelung, auch wenn diese Regelung nicht von der vorangegangen Regelung abweicht. Das SG hat sich folglich mit seiner Subsumtion im Rahmen der BSG-Rechtsprechung bewegt und keinen abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt.

Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hätte (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG), oder dass die Entscheidung des Sozialgerichts auf einem Verfahrensfehler beruhen könnte (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG), sind weder ersichtlich, noch von dem Beklagten vorgetragen worden. Soweit die Kläger vortragen, das SG habe zu Unrecht auch die Bescheide vom 29. Juli 2008, 13. August 2008, 3. September 2008 und 2. Oktober 2008 abgeändert, rügen sie damit lediglich die inhaltliche Richtigkeit des Urteils des SG. Eine behauptete inhaltliche Unrichtigkeit des Urteils rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht, sondern wäre erst nach Zulassung der Berufung in dem sich anschließenden Rechtsmittelverfahren zu prüfen.

Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil des SG vom 9. September 2011 rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 145 Abs. 4 Satz 4, § 177 SGG.