1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.05.2012 – L 13 AS 3213/11
Sind die zur Finanzierung des Eigenheims abgeschlossenen Darlehensverträge durch den Darlehensgeber gekündigt worden, stellt der vom Darlehensgeber geltend gemachte Verzugsschadensersatz keine tatsächliche Aufwendung für die Unterkunft i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar.
1.2 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.06.2012 – L 3 AS 210/12 B ER
1. Bei der Frage, ob die zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem getrennt lebenden Kind aufzuwendenden Kosten außergewöhnlich hoch sind, ist jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auf einen Durchschnittsverdiener abzustellen.
2. Die Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem getrennt lebenden Kind sind nicht vom Träger der Grundsicherung zu übernehmen, wenn sie in dieser Höhe von einem Durchschnittsverdiener nicht aufgebracht werden könnten.
1.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 21.06.2012 – L 19 AS 1045/12 B ER und L 19 AS 1046/12 B ER
Art, Umfang und Intensität der zumutbar abzuverlangenden Eigenbemühungen einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bestimmen sich nach dem Einzelfall (vgl. zum Umfang der Arbeitsuche Obliegenheit als Teil der Selbsthilfeobliegenheit: Berlit in LPK-SGB II., 4 Aufl. § 2 Rn 22f).
Leistungsempfängern sind, unabhängig von ihrer schulischen und beruflichen Bildung grundsätzlich alle Arbeiten zur Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit und der der Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft zumutbar (BSG Urteil vom 15.12.2010 – B 14 AS 92/09 R,Rn 22).
1.4 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.06.2012 – L 7 AS 361/12 B ER
Sofern im sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen existenzsichernder Leistungen eine Folgenabwägung erforderlich ist, können Umstände aus der Vergangenheit nur in eingeschränktem Umfang herangezogen werden (BVerfG, 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 28).
Auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren können existenzsichernde Leistungen aufgrund der objektiven Beweislast abgelehnt werden, wenn der Antragsteller die vom Gericht aufgegebenen notwendigen Mitwirkungshandlungen unterlässt (BVerfG, 01.02.2010, 1 BvR 20/10).
Entscheidungserhebliche Umstände aus der Vergangenheit (hier ein Zufluss von 101.000,- Euro vor 2 Jahren) können im Rahmen der Folgenabwägung zulasten des Antragstellers, der Arbeitslosengeld II begehrt, berücksichtigt werden, wenn er trotz konkreter Aufforderung zur Mitwirkung durch das Gericht den Verbleib dieses Geldes nicht nachvollziehbar darstellt.
1.5 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 24.05.2012 – L 7 AS 503/11
1. Wer als Selbstständiger im Ausland tätig ist und Prozesskostenhilfe im Inland beantragt, muss belastbare Unterlagen bezüglich des Auslandsverdienstes vorlegen.
2. Sind die Angaben zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht nachvollziehbar, ist Prozesskostenhilfe abzulehnen.
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 31.05.2012 S 150 AS 25169/09
1. Eine Übernahme der Miete der bisherigen Wohnung neben der Miete für die neue Wohnung kommt nur ausnahmsweise und nur dann in Betracht, wenn die „Überschneidungskosten“ unvermeidlich waren.
2. Eine von einem Mitarbeiter des JobCenters erteilte mündliche Aufforderung, schnellstmöglich umzuziehen, befreit den Leistungsempfänger nicht von der Obliegenheit zu wirtschaftlichem Verhalten. Auch in diesem Fall ist er gehalten, unnötige Kosten und insbesondere die Entstehung sog. „Doppelmieten“ möglichst zu vermeiden.
2.2 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 11.06.2012 – S 205 AS 11266/12 ER
1. Die Vorbehaltserklärung der Bundesregierung Deutschland vom 19. Dezember 2011 gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB 2) ist wirksam.
2. Art 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung (EG) Nr 883/2004) ist nicht auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Artt 3 Abs. 3, 70, Anhang 10 Verordnung (EG) Nr 883/2004 wie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende anzuwenden.
3. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist europarechtskonform dahin gehend teleologisch zu reduzieren, dass die Norm nur auf Ausländer anzuwenden ist, die weder in Deutschland integriert sind noch Verbindungen zum nationalen Arbeitsmarkt aufweisen.
2.3 – Sozialgericht Nürnberg, Beschluss vom 20.06.2012 – S 6 AS 547/12 ER
Keine Übernahme von Stromschulden, wenn ein missbräuchliches Verhalten der Hilfebedürftigen zugrunde liegt.
Grundsätzlich sind bei der Betätigung des Ermessens nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II in einer umfassenden Gesamtschau die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dazu gehören vor allem die Höhe der ausstehenden Forderung, ihr Zustandekommen, festzustellendes missbräuchliches Verhalten des Hilfebedürftigen, die Zusammensetzung der von der Entscheidung des Leistungsträgers betroffenen Personen, das von dem Hilfesuchenden in der Vergangenheit gezeigte Verhalten, der erkennbare Wille zur Selbsthilfe sowie eine Prognose hinsichtlich der Entstehung künftiger neuer Schulden (LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 29.09.2011 – L 8 B 509/09 ER; LSG Rheinland-Pfalz v. 27.12.2010 – L 3 AS 557/10 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen v. 09.06.2010 – L 13 AS 147/10 B ER).
2.4 – Sozialgericht Darmstadt, Urteil vom 27.03.2012 – S 1 AS 1217/11
Jobcenter muss Teilhabeleistungen zur Teilnahme an einem Babyschwimmkurs zahlen.
2.5 – Sozialgericht Dessau-Roßlau, Beschluss vom 30.03.2012 – S 14 AS 512/12 ER
Gepfändete Beträge sind als bereite Mittel bei der Einkommensberechnung dann nicht zu berücksichtigen, wenn der im laufenden SGB II-Bezug stehende Berechtigte die Rückgängigmachung der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisieren kann, weil ihm dann bereite Mittel zur Bedarfsdeckung nicht zur Verfügung stehen (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 KG 1/10 R, Rn. 19).
2.6 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 01.06.2012 – S 37 AS 1126/12
Zur Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Regelbedarfsanteile für den Schülerbeförderungsbedarf eingesetzt werden müssen.
3. Empirische Aspekte bei der Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
Eine Abhandlung von Christian v. Malottki, abgedruckt in der info also Heft3/2012.
4. Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 153/10 R – Haftungsbeschränkung zugunsten des minderjährigen Kindes auch im SGB II
1. Das Schriftformerfordernis für die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision ist gewahrt, wenn ein Beteiligter die ihm als Telefax zugesandte Zustimmungserklärung eines anderen Beteiligten einscannt, in eine PDF-Datei umwandelt und als Anhang zu einer den Anforderungen an den elektronischen Rechtsverkehr genügenden Revisionsschrift übersendet.
2. Für die finanziellen Folgen, die Minderjährigen über die Vertretungsregelung für Bedarfsgemeinschaften im SGB II aufgebürdet werden, gilt die Vorschrift im BGB über die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entsprechend.
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de
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Redaktionelle Mitteilung: Der Rechtsprechungsticker Autor ist krank und muss für zwei, drei Wochen in die Klinik, das heißt, es wird im Juli ganz oder teilweise keinen Ticker geben.
Wir bitten um Verständnis
Harald Thomé