1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 16.10.2012 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil vom 16.10.2012, – B 14 AS 11/12 R –
Ein privat krankenversicherter Bezieher von Alg II-Leistungen kann die Übernahme seiner unterhalb des hälftigen Höchstbetrags zur gesetzlichen Krankenversicherung liegenden Beiträge zur privaten Krankenversicherung im Wege einer analogen Anwendung der für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen geltenden Regelung von dem SGB II-Träger beanspruchen (ebenso BSG, Urt. v. 18.01.2011, – B 4 AS 108/10 R).
Darüber hinausgehenden Kosten der privaten Krankenversicherung können nicht als angemessene Versicherung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II a.F. von Einkommen abgesetzt werden.
Die Prämie zur privaten Pflegeversicherung ist in voller Höhe zu übernehmen.
§ 110 Abs. 2 Satz 4, 2. Halbsatz SGB XI, der eine Begrenzung der Zahlungspflicht des Grundsicherungsträgers auf den Betrag vorsieht, der für Bezieher von Alg II in der sozialen Pflegeversicherung zu tragen ist, bleibt bei verfassungskonformer Auslegung unbeachtlich.
1.2 – BSG, Urteil vom 16.10.2012, – B 14 AS 188/11 R –
Rückzahlungen aus Heiz- und Betriebskostenabrechnungen eines Vermieters mindern gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F.(jetzt § 22 Abs. 3 SGB II) auch die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung eines Leistungsempfängers, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Einkommen des Insolvenzschuldners, das bei der Deckung seines Bedarfs nach dem SGB II zu berücksichtigen ist, unterliegt nicht der Pfändung und Zwangsvollstreckung und wird daher auch nicht Teil der Insolvenzmasse.
2. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.06.2012 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – BSG, Urteil vom 19.06.2012,- B 4 AS 162/11 R –
Behinderte Kinder in niedersächsischen Tagesbildungsstätten haben Anspruch auf Leistungen für Schulbedarfe nach dem SGB II (sog „Schulstarterpaket“).
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 06.07.2012, – L 7 AS 214/12 NZB –
Ob ein kurzfristig gestellter Verlegungsantrag wegen fehlenden Fahrtkosten zum Gericht einen erheblichen Verlegungsgrund darstellen kann, ist generell zweifelhaft.
Ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung liegt grundsätzlich nur bei einer plötzlichen Verhinderung vor. Der laufende Bezug von Arbeitslosengeld II ist keine plötzliche Verhinderung.
3.2 – Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.09.2012,- L 7 AS 103/12 –
Die Fahrtkosten zum LSG für 2 Fahrten sind mit dem Regelsatz abgedeckt.
Es handelt sich auch nicht um einen Härtefall nach § 21 Abs. 6 SGB II, weil es sich schon nicht um einen laufenden Bedarf handelt.
Um die Arbeitsweise eines Behördenmitarbeiters negativ zu bewerten, kommt als Klage lediglich eine Feststellungklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG in Betracht. Eine derartige Feststellungsklage ist aber unzulässig, weil es an einem konkreten feststellungsfähigen Rechtsverhältnis fehlt und an einem berechtigten Feststellungsinteresse.
3.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.06.2012, – L 18 AS 1341/12 B PKH –
Keine Gewährung von PKH für pauschalen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X
Keine Gewährung von PKH, wenn der Leistungsbezieher die Überprüfung des gesamten Verwaltungshandelns des Jobcenters ihm gegenüber seit dem 1. Januar 2006 begehrt, ohne die betreffenden Bescheide, wie dies bereits die einschlägige Regelung in § 44 Abs. 1 SGB X unter ausdrücklicher Bezugnahme auf einen Verwaltungsakt voraussetzt, zu benennen.
Er stellt auch nicht klar, welche ohne weiteres bestimmbaren Verfügungssätze von Verwaltungsakten er zur Überprüfung des Beklagten stellt.
Anmerkung:
Ebenso Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.12.2011, – L 34 AS 2050/11 B PKH
3.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2012,- L 14 AS 2105/12 B ER –
Keine Übernahme von wiederholten Stromschulden, wenn der Hilfebedürftige seinen unangemessenen Stromverbrauch nicht im Auge hatte.
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Anmerkung:
Landessozialgericht Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER –
Gründe für einen unangemessenen Stromverbrauch sind in einem einstweiligen Anordnungsverfahren glaubhaft zu machen.
3.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.10.2012,- L 19 AS 1232/12 B –
Bezüglich der Kosten der Unterkunft ist ein Anordnungsgrund in der Regel frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage anzunehmen (vgl. LSG NRW Beschlüsse vom 29.06.2012 – L 19 AS 973/12 B ER – und vom 29.02.2012 – L 19 AS 22541 B ER).
Die Vorlage eines Mahnschreibens der Vermieterin hinsichtlich des Mietrückstandes für einen Monat verbunden mit dem Vortrag, dass der Antragsteller über kein Einkommen verfügt, genügt nicht zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II.
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Anmerkung:
Ebenso Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, 25.07.2012,- Beschluss vom L 12 AS 1137/12 B ER
3.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.10.2012,- L 7 AS 1491/12 B –
Gewährung von Prozesskostenhilfe für Regelsatzklage.
Die gute Möglichkeit des Obsiegens, das die zu berücksichtigten Regelbedarfe der Höhe nach verfassungswidrig festgesetzt worden sind, ist zu bejahen.
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Anmerkung:
Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 25. April 2012, – S 55 AS 9238/12
Hartz IV verfassungswidrig – Regelsatz um 36 Euro zu niedrig
3.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.09.2012,- L 6 AS 1895/11 B –
Gewährung von PKH und Beiordnung eines RA für Regelsatzklage
Die der Berechnung der Regelleistungen zugrunden liegenden Normen (§§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB II) sind nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sowie den Vorgaben des BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – in Einklang zu bringen.
Letztlich wird das BVerfG zu entscheiden haben, ob der Gesetzgeber den von ihm postulierten hohen Anforderungen an die Ermittlung und Begründung der Regelbedarfe unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums gerecht geworden ist.
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3.7 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.10.2012,- L 19 AS 1393/12 B ER – und – L 19 AS 1394/12 –
Griechischer Staatsbürger hat Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII im Rahmen der Folgenabwägung.
Anmerkung:
Falls der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zu Lasten des Antragstellers eingreift, ist dieser weder nach § 21 SGB XII noch nach § 23 Abs. 3 SGB XII vom Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen (vgl. LSG NRW Beschluss vom 29.06.2012 – L 19 AS 973/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28.06.2012 – L 14 AS 933/12 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.07.2012 – L 19 AS 563/12 B ER).
3.8 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.08.2012,- L 19 AS 191/12 –
Kein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsbedarf bei, denn es liegen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die eine von der Vollkost abweichende, besondere Ernährung erfordern.
Es bestehen folgende Gesundheitsstörungen: – eine atopische Diathese, Typ IV Sensibilisierung, Hautekzem, Nahrungsmittelsensibilisierung, Reizdarmsyndrom, Somatisierungsstörung, Verschleißleiden der Wirbelsäule bei Fehlhaltung mit wiederkehrenden muskulären Reizerscheinungen, Thrombozytopenie, Bluthochdruck, Kniegelenksbeschwerden, Reizdarmsyndrom.
3.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.10.2012,- L 12 AS 172/12 –
Die Anrechenbarkeit der im Regelbedarf angesetzten Verbrauchsausgaben für Verkehr auf einen etwaigen Anspruch gem. § 28 Abs. 4 SGB II ist rechtmäßig.
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Anmerkung:
Anderer Auffassung – Sozialgericht Kassel, Urteil vom 03.08.2012, – S 10 AS 958/11
Eine Reduzierung der erstattungsfähigen Kosten der Schülerbeförderung, um einen im Regelsatz enthaltenen Teilbetrag scheidet so lange aus, bis der Gesetzgeber einen solchen konkreten Absatzbetrag festgelegt hat.
3.10 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2012,- L 7 AS 758/12 B ER –
Gewährung von Regelbedarfen nach §§ 27, 27a SGB XII im Rahmen der Folgenabwägung für bulgarische Staatsangehörige.
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Anmerkung:
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.5.2012, – L 3 AS 1477/11, beim BSG unter dem Aktenzeichen B 4 AS 54/12 R anhängig.
Der Anspruchsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Unionsbürger (dort ebenfalls eine Staatsangehörige aus Bulgarien), die sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhält, verstößt nicht gegen Recht der Europäischen Union.
3.11 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.07.2012, – L 7 AS 1155/10, Revision zugelassen
Auch dem Verschwender ist gekürztes AlG II zu gewähren, belastet mit der Ersatzforderung nach § 34 SGB II
Eine fiktive Anrechnung einer Erbschaft zum Zeitpunkt der erneuten Antragstellung auf ALG II ist im Hinblick auf die Regelungen der §§ 31, 31 a Abs. 1, 34 SGB II nicht gerechtfertigt.
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Anmerkung:
Anderer Auffassung LSG NRW, Urteil vom 02.04.2009 – L 9 AS 58/07
Im Falle von einmaligen Einnahmen ist der nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Alg lI-V errechnete Teilbetrag selbst dann bis zum Ende des Verteilzeitraums anzurechnen, wenn das Einkommen vorzeitig verbraucht wurde.
3.12 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.2012,- L 6 AS 1735/11 B –
Es lässt sich weder abstrakt noch generell ein Rechtsatz des Inhalts aufstellen, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen von Untätigkeitsklagen grundsätzlich ausscheidet.
Vielmehr verlangt jeder Einzelfall die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts gegeben sind.
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3.13 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 01.10.2012,- L 7 AS 434/12 –
Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn nach Abzug des prozesskostenhilferechtlich relevanten Freibetrages das verbleibende Vermögen die voraussichtlichen Verfahrenskosten deckt.
Das Schonvermögen nach § 12 Zweites Buch Sozialgesetzbuch bleibt nur für die Bewilligung von Leistungen nach jenem Gesetz unberücksichtigt. Die im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu berücksichtigenden Freibeträge sind andere und ergeben sich aus § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ((SGB XII); vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 180/10 R, RdNr. 25).
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3.14 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.09.2012,- L 12 AS 639/12, Revision zugelassen
Der besondere Aufwand für die Anschaffung eines Jugendbettes (100 x 200 cm) im Austausch für ein Gitterbett für Kleinkinder (140 x 70 cm) ist als kindspezifischer, regelmäßiger Bedarf mit der Regelleistung zu decken und nicht von den Leistungen für Erstausstattung umfasst.
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Anmerkung:
BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 14 AS 81/08 R
Der besondere Aufwand für Bekleidung, der bei Kindern wachstums- und verschleißbedingt entsteht, ist als kindspezifischer, regelmäßiger Bedarf mit der Regelleistung zu decken.
Anmerkung:
SG Berlin, Urteil vom 15. Februar 2012 – S 174 AS 28285/11
Eine Schülerin, die Leistungen nach dem SGB II erhält, kann vom Jobcenter für die Erledigung ihrer Hausaufgaben einen eigenen Schreibtisch verlangen, wenn in der Wohnung kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Denn bei einem Schülerschreibtisch handelt es sich um einen von § 23 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 2 aF. umfassten Gegenstand(a. A. SG Aachen, Urteil vom 9. Januar 2007 – S 11 AS 96/06).
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 09.10.2012,- S 96 AS 41324/09 -, Berufung wird zugelassen
Im Rahmen einer Ausbildung mit Lernortkooperation gezahltes Qualifizierungsentgelt ist als zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2 aF nicht auf die SGB 2–Leistungen anzurechnen (siehe auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.03.2010 -OVG 6 B 14.08-).
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5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 20.08.2012,- L 20 SO 302/11, – Revision anhängig beim BSG unter dem Az.: B 8 SO 27/12 R.
Das Nachlassvermögen des Verstorbenen kann im Rahmen der Einsatzpflicht bei § 74 SGB XII nicht mit den auf dem Girokonto vorhandenen Nachlassschulden verrechnet werden.
Anmerkung:
Ebenso Sozialgericht Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 19.01.2010 – S 1 SO 5729/08.
6. Soziale Absicherung während der stufenweisen Wiedereingliederung (Hamburger Modell), ein Aufsatz von Udo Geiger, abgedruckt im Heft 5/2012 in der info also.
www.info-also.nomos.de (pdf)
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de