Niederschrift über die öffentliche Sitzung des 7. Senates
Gegenwärtig:
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht xxx
Richter am Oberverwaltungsgericht xxx
Richter am Oberverwaltungsgericht xxx
ehrenamtliche Richterin xxx
ehrenamtlicher Richter xxx
Justizbeschäftigte xxx
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Beginn der Verhandlung: 13:34 Uhr
Ende der Verhandlung: 18:11 Uhr
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn xxx, Kassel,
– Kläger und Berufungskläger –
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,
gegen
xxx,
– Beklagte und Berufungsbeklagte –
wegen Polizeirechts
erscheinen bei Aufruf der Sache:
für den Kläger: der Kläger persönlich und Herr Rechtsanwalt Adam
für die Beklagte: Herr Oberregierungsrat xxx – mit Generalvollmacht -, Herr Regierungsdirektor xxx – mit Generalvollmacht – sowie Herr Polizeirat xxx (Leiter der Bundespolizeiinspektion Kassel)
Des Weiteren erscheinen die zum Termin geladenen Zeugen Herr xxx und Herr xxx.
Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal.
Der Berichterstatter trägt den wesentlichen Inhalt der Akten vor.
Dem Senat liegen die einschlägigen Verwaltungsakten sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Kassel 9622 Js 11344/11 vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 28. Februar 2012 festzustellen, dass die gegen den Kläger ergriffenen polizeilichen Maßnahmen bei seiner Kontrolle durch Beamte der Beklagten am 3. Dezember 2010 rechtswidrig gewesen sind.
v.u.g.
Der Vertreter der Beklagten, Herr Oberregierungsrat xxx beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Fragen des Senats, auf welchen Grundlagen die Schilderung der Beklagten über die Kontrolle im Zug am 3. Dezember 2010 (Schriftsatz vom 4. Oktober 2012, S. 3, 2. Hälfte) beruht, gibt zunächst Herr Oberregierungsrat xxx an:
„Diese Schilderung beruht einerseits auf der Auswertung der Strafakten der Staatsanwaltschaft Kassel, die wir auch zur Einsicht hatten. Zum anderen beruht die Sachverhaltsdarstellung auf Angaben des Herrn xxx, die Herr xxx erfragt hatte.“
Herr xxx gibt dazu ergänzend an:
„Der Sachverhalt, der in dem Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 geschildert wird, ist mir nach meiner Erinnerung so gegenwärtig gewesen, wie bei einem Gespräch des Herrn xxx mit mir unmittelbar nach dem Kontrollereignis. Ich habe Herrn xxx zusätzlich ganz aktuell noch einmal zum Geschehensablauf gefragt und von ihm diese Sachverhaltsschilderung erhalten. Ich gehe davon aus, dass Herrn xxx jedenfalls der Teil des Schriftsatzes bekannt ist.“
Auf Nachfrage erläutert Herr xxx weiter:
„Ich habe die Schilderung des Herrn xxx, die er mir gegenüber unmittelbar nach der Kontrolle im Dezember 2010 abgegeben hat, nicht in einem Vermerk festgehalten. Ich habe aber Herrn xxx gebeten, dies selbst zu tun. Er hatte ohnehin damals erforderliche Schreibarbeiten schon in Bezug auf die Strafanzeige zu erledigen.“
Auf Fragen des Gerichts führt der Kläger aus:
„Der Zug ist genau um 14:22 Uhr in Kassel abgefahren. Ich bin mit einer Gruppe gereist, von denen mir aber die Leute nur vom Sehen bekannt waren. Ich habe mir einen Tee geholt. Auf dem Rückweg zu meinem Sitzplatz standen zwischen zwei Waggons zwei Polizeibeamte. Kontakt hatte ich nur mit Herrn xxx, nicht mit dem zweiten. Herr xxx hat mich – für mich völlig überraschend – gefragt, wohin die Reise geht und ob er meinem Ausweis sehen kann. Die Ansprache erfolgte mit diesem Inhalt zur gleichen Zeit. Hätte er mich nur gefragt, wohin meine Reise geht, so wäre ich noch von einem Small-Talk-Gespräch ausgegangen. Mir war der Ernst der Lage überhaupt nicht bewusst.
Ich habe ihm geantwortet, dass ich jetzt zu meinem Platz gehe. Ich habe dann auch versucht, zu meinem Platz zu gehen. Als die Aufforderung von Herrn xxx kam, mich auszuweisen, war ich an ihm bereits vorbei in Richtung meines Sitzplatzes. Ich habe mich allerdings umgeschaut, ob noch eine Reaktion erfolgt.
Es begann dann eine Diskussion zwischen uns beiden, ob Herr xxx berechtigt war, meinen Ausweis zu fordern. Einen Grund für die Ausweiskontrolle nannte der Polizeibeamte nicht. Viele Leute haben den Vorfall gesehen. Während der Diskussion kam der Fahrkartenkontrolleuer hinzu und beobachtete zunächst die Situation und die Diskussion, dann fragte er mich nach meinem Fahrausweis.
Nach der Diskussion und der Aufforderung des Fahrkartenkontrolleurs, den Fahrschein vorzuzeigen, begaben wir uns durch den Zug zu meinem Sitzplatz. Bei meinen Sitzplatz angekommen, habe ich erstmals geäußert, dass mich die Vorgehensweise an die ‚damalige Zeit‘ erinnert hat. Soweit ich mich erinnere, habe ich geäußert, es erinnere mich an die Methoden der ‚NS-Zeit‘. Ich glaube es könnte allerdings auch sein, dass ich von der ‚SS-Zeit‘ gesprochen habe. Ich bin sicher, dass diese Äußerung meinerseits erst bei meinem Sitzplatz gefallen ist. Von der ersten Ansprache über den gemeinsamen Gang zu meinem Sitzplatz bis zu meinem Sitzplatz hat es etwa fünf Minuten gedauert. Herr xxx fragte dann sofort, was ich damit gemeint habe. Ich habe ihn mehrmals darauf hingewiesen, dass ich nicht davon gesprochen habe, dass er ein Nazi sei. Er meinte dann sinngemäß, jetzt würde es teuer werden. Gemeint hat er damit wohl, dass eine Anzeige gegen mich erstattet würde. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, er ließe sich von mir nicht beleidigen. Herr xxx sagte mir, ich müsse jetzt mit ihm in Treysa aussteigen, und er hat mich dann fast aus dem Zug geschubst. Beim Aussteigen des Zuges ging es Schlag auf Schlag, so dass ich kaum meine Sachen (Rucksack, dicke Jacke) mitnehmen konnte.
Auf dem Bahnhof in Treysa kamen zwei hessische Landespolizisten hinzu. Sie machten deutlich, dass sie für meinen Fall nicht zuständig seien, sondern die Bundespolizei. Schon auf dem Bahnhof in Treysa wurde ich nach Ausweispapieren abgetastet. Ich hatte in einem Kreditkartenetui meinen Führerschein dabei, den sie bei dem Abtasten in Treysa nicht gefunden haben. Diesen Führerschein habe ich schließlich bei der Bundespolizei in Kassel vorgezeigt. Auf der Polizeibehörde in Kassel ging man zunächst seitens der dortigen Mitarbeiter davon aus, dass ich illegal eingereist sei. Ich wurde auf Englisch angeschrien. Schließlich habe ich meinen Führerschein gezeigt, woraufhin ich entlassen wurde.“
Dem Kläger wird aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 4. Oktober 2012 die folgende Textpassage vorgelesen: „Der … Kläger begegnete der Streife im engen Übergangsbereich zwischen zwei Waggons. Beim Anblick der Streife richtete er seinen Blick bewusst zur Seite und versuchte sich an den Beamten vorbeizudrängen.“
Auf Frage gibt der Kläger dazu an:
„Diese Sachverhaltsdarstellung ist unrichtig. Ich habe mich nicht an dem Beamten vorbeigedrängt. Herr xxx stand im unteren Bereich des Zuges an der Tür und der andere Beamte auf der Treppe, so dass ich mühelos an ihnen vorbeigehen konnte.
Am Anfang der Kontrolle war ich eher verwirrt und unsicher und habe auch deshalb gefragt, ob die Beamten zu der Kontrolle berechtigt wären. Gegenüber Mitreisenden wollte ich deutlich machen, was gerade passiert und habe mit ihnen gesprochen.
Mir ist nicht bewusst, dass ich mich gegenüber dem Polizeibeamten aggressiv oder auch nur lautstark verhalten habe. Ich habe allerdings so laut gesprochen, dass Herr xxx mich verstehen konnte.“
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers:
„Auf meine Kleidung angesprochen, kann ich nur sagen dass ich völlig neutral angezogen war. Gleichwohl habe ich mich wie einen Kriminellen behandelt gefühlt. Auch möchte ich auf die Frage meines Prozessbevollmächtigten ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich einen Tee in der Hand hatte.“
Auf Frage der Vertreter des Beklagten:
„Der Tee befand sich in einem Pappbecher ohne Deckel.“
Auf Frage des Herrn Oberregierungsrat xxx nach dem Wortlaut der Vorwürfe an Herrn xxx antwortet der Kläger:
„Ich habe die ‚damalige Zeit‘ erwähnt und die ‚NS-Zeit‘.“
Ergänzend gibt der Kläger an:
„Es könnte sein, dass – wie ich eben gesagt habe – auch das Wort ‚SS‘ gefallen sein könnte.“
Auf Frage des Herrn Regierungsdirektor xxx:
„Ich bin bereits des Öftern von Bundes— wie auch Landespolizeibeamten angesprochen worden. Ich war sogar etwa ein bis zwei Jahre vor diesem Vorfall einmal bei der Bundespolizei in Kassel und habe gefragt, warum ich kontrolliert werde. Damals war ich bereits schon einmal kontrolliert worden.“
Auf weitere Frage, warum der Kläger nach der Ansprache durch die Polizeibeamten verdutzt gewesen ist, gibt der Kläger an:
„Ich konnte nicht verstehen, warum sie sofort meinen Ausweis sehen wollten. Ich hatte einen Becher Tee in der Hand und konnte mich nicht verdächtig gemacht haben. Ich dachte mir, dass sie Illegale suchen. Es kam mir direkt durch den Kopf, dass ich wegen meiner Hautfarbe angesprochen wurde.
Ich habe eine Menge farbige Bekannte, für die Kontrollen wegen der Hautfarbe normal sind.“
Die Sitzung wird um 15:00 Uhr kurz unterbrochen und um 15:11 Uhr fortgesetzt.
Um 15:12 Uhr wird der Zeuge Herr xxx in den Sitzungssaal gerufen. Auf die Aussagegenehmigung vom 8. Oktober 2012 (BI. 423 f. GA) wird Bezug genommen.
Der Zeuge wird von dem Gegenstand seiner Vernehmung in Kenntnis gesetzt und in angemessener Weise zur Wahrheit ermahnt und über die Bedeutung des Eides sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen und unvollständigen eidlichen oder uneidlichen Aussage belehrt.
Der Zeuge wird sodann wie folgt vernommen:
Zur Person:
xxx
dienstliche Anschrift: Bundespolizeiinspektion Kassel, Heerstraße 3 – 5, 34119 Kassel
48 Jahre alt
Bundespolizeibeamter (Polizeihauptmeister)
Mit dem Kläger nicht verwandt oder verschwägert.
Zur Sache:
„Am Freitag, dem 3. Dezember 2010, waren mein Kollege xxx und ich im sogenannten Variodienst eingesetzt. Es bestanden keine konkreten größeren Anlässe wie z. B. Fußballspiele. Aufgrund der Lageinformationen war von der Dienststellenleitung eine Bestreifung von Zügen wegen illegaler Migration vorgesehen. In diesem Zusammenhang wurden Herr xxx und ich auch in dem Regionalexpress von Kassel nach Frankfurt am Main eingesetzt.
Herr xxx kam uns in diesem Regionalexpress im Durchgangsbereich entgegen. Ich habe Herrn xxx angesprochen. Als Grund dafür möchte ich meine Verwunderung darüber nennen, dass jemand in einem vollbesetzten Zug seinen Sitzplatz verlässt und durch den Zug geht. Ich kann mich nicht erinnern, ob Herr xxx etwas wie z. B. einen Becher Tee in der Hand hatte.
Ich fand es auch schon deshalb ungewöhnlich, weil der Zugbegleiter durch den Zug geht und Fahrkarten kontrolliert. Ich möchte nochmals betonen, dass das Kriterium für die Ansprache für mich das ‚Durch-den-Zug-gehen‘ des Herrn xxx war. Ich hätte auch jede andere Person angesprochen.
Zur Vorbereitung dieses Termins habe ich mir meine damals gefertigte Strafanzeige durchgelesen. Dies mache ich generell, wenn ich zu einer Verhandlung geladen werde.
Über den heutigen Termin habe ich mit Herrn xxx gesprochen und mir sind auch die Sachverhaltsdarstellungen der Bundespolizei bekannt.
Wenn ich auf den Schriftsatz der Beklagten vom 4. Oktober 2012 angesprochen werde, bestätige ich, dass ich den Sachverhalt in dieser Art selbst geschrieben habe.“
Dem Zeugen wird seine Aussage zum Schema einer Kontrolle bei dem Amtsgericht Kassel vorgelesen, auch der Satz: „Der Angeklagte ist in das Raster gefallen, weil er anderer Hautfarbe ist.“
Dem Zeugen werden die nach Auffassung des Gerichts unterschiedlichen Versionen der Sachverhaltsdarstellung vor Augen geführt. Daraufhin antwortet der Zeuge:
„Ich kann nur sagen, dass ich Herrn xxx angesprochen habe, als er durch die Türe auf mich zuging. Schon während meiner Ansprache war er fast an mir vorbei. Möglicherweise wollte oder konnte er mich nicht verstehen.
Wenn ich nochmals auf die unterschiedlichen Sachverhaltsdarstellungen angesprochen werde, möchte ich angeben, dass Herr xxx tatsächlich in das Raster gefallen ist, er ist Alleinreisender und war ohne Gepäck im Zug unterwegs.
Ich bin mir generell der Problematik bewusst, nicht wie Europäer aussehende Menschen im Zug anzusprechen.“
Auf Frage, wieso er beim Amtsgericht Kassel die andere Hautfarbe des Klägers als Rastergrund angegeben hat, gibt der Zeuge an:
„Ich richte meine Ansprache nicht ausschließlich aufgrund der Hautfarbe aus. Die Hautfarbe ist für mich eines unter mehreren Kriterien.
Ich hätte in dieser Situation jeden, auch die Senatsvorsitzende, angesprochen. Die Ansprache des Herrn xxx beruhte auf dem Gefühl und der besonderen Situation, dass ein Fahrgast in einem vollbesetzten Zug umherläuft.“
Sodann wird die mündliche Verhandlung um 15:46 Uhr kurz unterbrochen und um 15:53 Uhr fortgesetzt.
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärt der Zeuge: „Wortwörtlich kann ich die Ansprache an Herrn xxx nicht wiedergeben. Sinngemäß habe ich Folgendes gesagt: ‚Guten Tag junger Mann, darf ich fragen, wohin die Reise geht. Bitte weisen sie sich aus.‘
In dem Moment meiner Ansprache lief er schon an mir vorbei. Ich habe ihn dann auch angetippt, als er vorbeilief, und darauf hingewiesen, ich wollte mit ihm sprechen. Ich halte nicht jede Person an, die durch einen Zug läuft, aber solche Personen, die von dem Fahrzeugschaffner offensichtlich noch nicht kontrolliert wurden.
Ich möchte nochmals betonen dass ich in dieser Situation jeden Fahrgast angesprochen hätte. Ich hätte auch die Senatsvorsitzende angesprochen und gefragt, ob ich ihr helfen könne.
Die Fahndung insgesamt beruhte auf der Verhinderung illegaler Migration. Bei den Fahndungsmaßnahmen können sich allerdings auch andere Situationen ergeben, z. B. dass ein Fahrgast keine Fahrkarte hat.
Ich hatte zunächst – wie bereits gesagt – den Eindruck, dass Herr xxx mich nicht verstanden hat, weil er möglicherweise kein Deutsch spricht. Dies schließe ich daraus, dass er bereits während meiner Ansprache an mir vorbeilief und nicht stehen blieb. Herr xxx antwortete dann auf meine Ansprache in einwandfreiem Deutsch. In dem Moment war für mich kein Verdacht illegaler Migration mehr gegeben.
Auf die Frage, warum meine Kontrollmaßnahmen nicht beendet waren, möchte ich antworten, dass dies möglicherweise so gewesen wäre, wenn nicht in dem Moment der Zugschaffner gekommen wäre. Der Zugschaffner hat nach der Fahrkarte gefragt und Herr xxx konnte eine solche in dem Augenblick nicht vorzeigen.
Ich habe Herrn xxx dann nach seiner Fahrkarte gefragt und er hat geantwortet, diese befände sich am Ende des Zuges bei seinem Sitzplatz.
Als wir uns beim Sitzplatz des Herrn xxx befanden, klärte sich auf, dass er mit anderen im Besitz einer Gruppenfahrtkarte war. Damit war auch für mich dieses Thema erledigt. Die Personalien wollte ich zu dem Zeitpunkt wissen, weil Herr xxx meine Kontrollmaßnahme und die meines Kollegen mit SS-Methoden verglichen hat.
Ich habe mich durch diese Äußerung im Ehrgefühl verletzt gefühlt und ihm auch sofort mitgeteilt, dass wir uns durch die Beleidigung im Bereich des Strafrechts befänden und ich daher seine Personalien benötigte.“
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers:
„Die Angaben in meiner Strafanzeige (BI. 3 der Strafakten ab Mitte der Seite) sind zutreffen. Ich hatte den Eindruck, dass Herr xxx vor dem Zugbegleiter weglaufen wollte.“
Auf weitere Frage des Gerichts:
„Bereits auf dem Weg zum Sitzplatz nahm Herr xxx ‚SS-Vergleiche‘ vor. In Treysa sind wir dann ausgestiegen, ich habe die Landespolizei Hessen informiert und um Unterstützung gebeten, weil ich das Gefühl hatte, dass der Kläger ein Problem mit mir hat. Ich wollte eine gemeinsame Rückfahrt mit dem Kläger nach Kassel möglichst vermeiden.
Nachdem ich mit dem Kläger gesprochen hatte, wurde mein Verdacht illegaler Migration immer geringer. Ich hatte allerdings den Verdacht einer Straftat bezüglich der fehlenden Fahrkarte.
Hätte der Kläger die Fahrkarte bei meiner Ansprache und der Kontrolle durch den Fahrzeugschaffner vorgezeigt, wären die Kontrollmaßnahmen wahrscheinlich beendet worden.
Allein aufgrund der Weigerung des Klägers, ein Ausweispapier vorzuzeigen, wäre vermutlich von uns aus nichts Weiteres veranlasst worden.“
Auf Vorhalt des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass der Grund der Kontrollmaßnahmen nach der jetzigen Aussage der Verdacht einer Beförderungserschleichung sei und sich dies so nicht aus dem bisherigen Sach- und Streitstand ergebe, und seiner anschließenden Frage, ob der Zeuge sich heute noch so präzise an den Vorfall erinnern könne, gibt der Zeuge an: „Das kann ich nicht.“
– Laut diktiert und genehmigt –
Der Zeuge wird um 16:26 Uhr entlassen. Er wird gebeten, im Sitzungssaal zu bleiben.
Um 16.27 Uhr wird die mündliche Verhandlung unterbrochen, und um 16:33 Uhr fortgesetzt.
Sodann wird um 16:35 Uhr der Zeuge Herr xxx in den Sitzungssaal gerufen. Eine Aussagegenehmigung vom 9. Oktober 2012 (BI. 421 f. GA) liegt vor und es wird Bezug genommen.
Der Zeuge wird von dem Gegenstand seiner Vernehmung in Kenntnis gesetzt und in angemessener Weise zur Wahrheit ermahnt und über die Bedeutung des Eides sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen und unvollständigen eidlichen oder uneidlichen Aussage belehrt.
Der Zeuge wird sodann wie folgt vernommen:
Zur Person:
dienstliche Anschrift: Bundespolizeiinspektion Münster, Schaumburgstraße 13, 48145 Münster
50 Jahre alt
Bundespolizeibeamter (Polizeihauptmeister)
Mit dem Kläger nicht verwandt oder verschwägert.
Zur Sache:
„Wir sind am 3. Dezember 2010 eine Zugstreife von Kassel nach Frankfurt am Main gefahren. Nach dem Einstieg am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe haben Herr xxx und ich Personen in diesem Zug befragt. Wir haben die angesprochenen Personen nach ihrer Reiseroute befragt und ob sie sachdienliche Hinweise auf illegale Migration geben können. Ob wir auch einen von ihnen, abgesehen von Herrn xxx, nach Ausweispapieren gefragt haben, kann ich heute nicht mehr sagen. Herr xxx ist uns zwischen zwei Zugabteilen entgegengekommen. Auf Herrn xxx selbst bin ich persönlich erst aufmerksam geworden, als Herr xxx ihn angesprochen hatte. Herr xxx fragte nach der Reiseroute, nach dem Ausweis hat er nicht gefragt. Zum Grund der Ansprache durch Herrn xxx habe ich mir in diesem Augenblick nichts weiter gedacht.
Herr xxx hatte einen Becher in seiner Hand. Herr xxx hatte seine Ansprache noch gar nicht richtig beendet, als Herr xxx hastig an ihm vorbeiging. Herr xxx rief dem Kläger hinterher, er solle stehen bleiben, da er noch eine Frage habe. Herr xxx hat darauf lautstark reagiert und gesagt, er zeige uns nichts, obwohl wir gar nicht danach gefragt hatten.
Ich kann heute nicht sagen, ob ich persönlich Herrn xxx dieser Situation angesprochen hätte oder nicht. Die Ansprache richtet sich auch nach dem ‚Bauchgefühl‘.
Da Herr xxx wirsch reagierte, bestand der Verdacht, er habe etwas zu verbergen. Für die Art seiner Reaktion sahen wir keinen Grund. Es hätte sein können, dass er keine Fahrkarte hat.“
Auf Nachfrage des Gerichts erläutert der Zeuge:
„Wenn ich darauf angesprochen werde, dass ich ausgesagt habe, die Ansprache sei nicht zugleich mit der Aufforderung der Vorlage des Ausweises verbunden gewesen, so bin ich mir nach genauem Überlegen genauso wenig sicher wie bei meiner Aussage beim Amtsgericht Kassel.
Mit Herrn xxx habe ich mich über den Grund der Kontrollmaßnahmen nicht unterhalten.“
Auf Frage des Herrn Regierungsdirektor xxx erklärt der Zeuge:
„Ich bin normalerweise nicht für Zugkontrollen zuständig, sondern arbeite am Flughafen Paderborn. Ich war nur kurze Zeit bei der Bundespolizeiinspektion Kassel und in Zugstreifen tätig.“
– Laut diktiert und genehmigt –
Der Zeuge wird um 16:52 Uhr entlassen. Er bleibt im Sitzungssaal.
Beschlossen und verkündet
Die beiden Zeugen bleiben unbeeidigt, da auch Anträge zur Beeidigung nicht gestellt werden.
Mit den Beteiligten wird die Sach- und Rechtslage erörtert.
Die Sitzung wird um 17:00 Uhr unterbrochen, um den Beteiligten Gelegenheit zur Rücksprache zu geben. Um 17:27 Uhr wird die mündliche Verhandlung fortgesetzt.
Um 17:35 Uhr wird die mündliche Verhandlung nochmals unterbrochen um dem Prozessbevollmächtigten Gelegenheit zur Rücksprache mit dem Kläger zu geben. Die Sitzung wird um 17:49 Uhr fortgesetzt.
Nach einer Beratung teilt die Vorsitzende Folgendes mit:
„Der Senat geht bei Würdigung des gesamten Sachverhaltes, insbesondere der Aussagen der Zeugen xxx und xxx, davon aus, dass die Hautfarbe des Klägers für die Ansprache und das Verlangen, einen Ausweis vorzulegen, das alleinige oder zumindest das ausschlaggebende Kriterium war.
Für die Befragung und die Aufforderung, Ausweispapiere vorzulegen, nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz im vorliegenden Fall ist der Anknüpfungspunkt der Hautfarbe nicht zulässig. Die Maßnahmen (erste Befragung und erstes Auskunftsverlangen der Polizeibeamten) verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG, so dass sie ermessenfehlerhaft waren.
Daraufhin erklären die Vertreter der beklagten Bundesrepublik Deutschland:
„Auch die Beklagte hat stets die Auffassung vertreten, dass die Hautfarbe als alleiniges bzw. ausschlaggebendes Kriterium im vorliegenden Fall für die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPoIG unzulässig ist. Ungeachtet der Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall entschuldigt sich die Beklagte ausdrücklich bei dem Kläger für die erste Befragung und das erste Verlangen nach Vorlage des Ausweises.“
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt:
„Ich erkläre das Verfahren in der Hauptsache damit für erledigt.“
v.u.g.
Die Vertreter der Beklagten stimmen der Hauptsacheerledigung zu.
v.u.g.
Die Beklagte erklärt, sie stelle die Kostenentscheidung in das Ermessen des Gerichts.
Beschlossen und verkündet
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 28. Februar 2012 wird für wirkungslos erklärt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Beklagte.
Die erste Ansprache und das erste Ausweisverlangen, das an den Kläger gerichtet war, erweist sich als rechtswidrig (s.o.). Da diese Maßnahmen auch für die weiteren strafprozessualen Maßnahmen kausal waren, entspricht es der Billigkeit, der Beklagten die Kosten vollständig aufzuerlegen (§ 161 Abs. 2 VwGO).
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Nachdem das Wort nicht mehr gewünscht wird, schließt die Vorsitzende die mündliche Verhandlung.