Sozialgericht Hildesheim – Beschluss vom 15.11.2012 – Az.: S 42 AY 126/11

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit
1. xxx,
2. xxx,
3. xxx,
Kläger,
Proz.-Bev.: zu 1-3:Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen, 

gegen

xxx,
Beklagte,

hat das Sozialgericht Hildesheim – 42. Kammer – am 15. November 2012 durch den Vorsitzenden, Richter am Verwaltungsgericht xxx, beschlossen:

Den Klägerinnen wird für das Verfahren im ersten Rechtszug ab dem 14. November 2011 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt

Ihnen wird insoweit Rechtsanwalt Adam in Göttingen zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

GRÜNDE
Gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen hier ab Entscheidungsreife des PKH-Gesuchs – Vorlage eines vollständig ausgefüllten aktuellen amtlichen Erklärungsvordrucks PKH mit am 14.11.2011 beim erkennenden Gericht eingegangenem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 09.11.2011 – (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 29.11.1994 – 11 KSt 1/94 -, NVwZ-RR 1995, 545 = juris, dort insb. Rn. 3 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 17.03.1992 – 4 StR 95/92 -, JurBüro 1992, 823 = juris, dort insb. Rn. 1; Beschluss vom 13.11.1991 – VIII ZR 187/90 -, NJW 1992, 840 juris, dort insb. Rn. 5 m.w.N.; ebenso auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.05.2010 – L 7 AS 263/10 B -; anders mit wenig überzeugender Begründung für den Fall der Nachreichung “kurze Zeit” nach Antragstellung [die hier nach Auffassung der Kammer angesichts der Antragstellung mit Klageerhebung am 24.10.2011 auch nicht gegeben ist] LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.09.2010 – L. 11 AS 1025/10 B, zit. nach juris) erst vor.

Daneben bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg.

Das Vorgehen der Beklagten, die auf der Übergangsregelung des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 2/11) beruhende nachträgliche Gewährung von Grundleistungen gern. § 3 AsylbLG für den hier streitgegenständlichen Monat August 2011 (Bescheid der Beklagten vom 29.07.2011 in der Gestalt des weiteren Bescheides vom 27.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2011 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 10.09.2011: Bewilligung von rundleistungen an die drei Klägerinnen i.H.v. insgesamt 292,00 € als Taschengeld und weiteren 483,00 € in Wertgutscheinen, davon im September 2012 nachgewährt: 210,20 € als Barbetrag und 40,68 € in Wertgutscheinen) nicht vollständig durch Geldleistungen vorzunehmen, sondern einen Teil dieser Leistungen (40,68 €) wiederum in Wertgutscheinen der Fa. Sodexo zu erbringen, die lediglich bis zum 31.12.2012 gültig sind, begegnet erheblichen rechtlichen Zweifeln.

In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist schon vor Verkündung des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 vertreten worden, dass die Nachgewährung von Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 AsyIbLG nach Ablauf des Monats, in dem sie zu erbringen waren, allein in Form von Geldleistungen möglich sei. Das SG Koblenz hat in seinem Gerichtsbescheid vorn 29.06.2012 – S 11 AY 5/12 -, abrufbar unter:
www.fluechtlingsinfo-berlin.de, ausgeführt, eine nachträgliche Sicherung eines in der Vergangenheit liegenden Bedarfs sei zwangsläufig nur in Form von Geldleistungen möglich, weil der Betroffene gezwungen gewesen sei, seinen Lebensunterhalt anderweitig (z.B. durch Spenden oder geliehene Geldmittel) sicherzustellen. Durch die Nachgewährung der ihm zustehenden Leistungen müsse der Betroffene in die Lage versetzt werden, die während der rechtswidrigen Vorenthaltung zustehender Leistungen ggf. entstandenen Schulden zu tilgen, was regelmäßig nicht durch Wertgutscheine, sondern nur durch Geldleistungen möglich sei. Dieser Ansatz ist auch für das vorliegende Verfahren nicht von der Hand zu weisen.

Jedenfalls tritt für den vorliegend entscheidungserheblichen Fall der Nachgewährung von Grundleistungen aufgrund der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts hinzu, dass es in Niedersachsen – namentlich im Bezirk des erkennenden Sozialgerichts – diesbezüglich keine einheitliche Verwaltungspraxis mangels eindeutiger Weisungslage des Nds. Innenministeriums als oberster Fachaufsichtsbehörde gibt. Anders als die Beklagte nimmt etwa der Landkreis Göttingen aufgrund einer vom Nds. Innenministerium eingeholten “Ausnahmegenehmigung” die Nachgewährung der Grundleistungen ausschließlich in Geld vor. In der entsprechenden, der Kammer in einem anderen Verfahren vorliegenden Email des Nds. MI vom 15.08.2012 wird zur Begründung ausgeführt, die Gewährung von Geldleistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips sei bei ganz besonderen Sach- oder Fallkonstellationen zulässig. Bei den durch das Urteil des BVerfG vorzunehmenden Nachzahlungen sei es naheliegend, eine besondere Sachkonstellation anzunehmen. Es werde anheimgestellt, in den entsprechenden Fällen ausnahmsweise vom Vorrang des Sachleistungsprinzips abzuweichen. Entsprechend diesen Ausführungen steht es offenbar im Ermessen der Beklagten, die Nachgewährung der Grundleistungen vollständig durch Geldleistungen zu erbringen.

Sofern der Beklagten ein Ermessensspielraum bei der Art der Nachgewährung von Grundleistungen aufgrund der Übergangsregelung im Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 zuzugestehen sein sollte – was angesichts der vom SG Koblenz (a.a.O.) vertretenen Ermessensreduzierung auf Null zweifelhaft ist und im anhängigen Hauptsacheverfahren zu klären sein wird -, käme jedenfalls dem Anspruch auf Gleichbehandlung der in Niedersachsen verteilten Asylbewerberleistungsberechtigten gem. Art. 3 Abs. 1 GG ein erhebliches Gewicht bei der Ermessensausübung zu. Zwar wird das AsylbLG durch die einzelnen Bundesländer etwa im Bereich der Grundleistungsgewährung, insbesondere der Frage des Vorrangs von sog. Ersatzleistungen (Wertgutscheine u.a.) vor Geldleistungen aufgrund unterschiedlicher Weisungslage der obersten Fachaufsichtsbehörden unterschiedlich vollzogen, nach Auffassung der Kammer begegnet jedenfalls eine unterschiedliche Vollzugspraxis der niedersächsischen kommunalen Träger der Leistungen nach dem AsyIbLG, die diese Aufgabe gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 NdsAufnG im übertragenen Wirkungskreis wahrzunehmen haben, erheblichen Bedenken und lässt sich nach den derzeitigen Erkenntnissen der Kammer durch sachlich tragfähige Gründe nicht rechtfertigen. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Vollzugspraxis kann jedenfalls allein mit den unterschiedlichen EDV-Programmen (Software für die Leistungssachbearbeitung), die von den verschiedenen Kommunen im Gerichtsbezirk derzeit genutzt werden, und den damit verbundenen unterschiedlichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 sachlich nicht gerechtfertigt werden.

RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen diesen Beschluss findet – soweit Prozesskostenhilfe bewilligt wurde – nur die sofortige Beschwerde der Staatskasse nach Maßgabe des § 73 a SGG i.V.m. § 127 Abs. 3 ZPO statt; im Übrigen ist er unanfechtbar.

Soweit Prozesskostenhilfe aus den o.g. Rechtsgründen für die Zeit vor Eintritt der Entscheidungsreife abgelehnt wurde, findet gegen diesen Beschluss nach Auffassung des 11. Senates des LSG Niedersachsen-Bremen (vgl. Beschluss vom 17.09.2010 – L 11 AS 1025/10 B -) die Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen statt (§ 172 SGG). Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim Sozialgericht Hildesheim, Kreuzstraße 8, 31134 Hildesheim, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 173 SGG).

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, innerhalb der Monatsfrist, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Nach Auffassung des 6. Senates des LSG Niedersachsen-Bremen (vgl. Beschlüsse vom 03.11.2010 – L 6 AS 264/10 B -, vom 08.11.2010 – L 6 AS 704/10 B -) ist dieser Beschluss für die Klägerinnen nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.