Sozialgericht Hildesheim – Beschluss vom 27.12.2012 – Az.: S 42 AY 20/10

BESCHLUSS

In dem Rechtstreit
xxx,
Kläger,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Landkreis xxx,
Beklagter,

hat das Sozialgericht Hildesheim – 42. Kammer – am 27. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden, Richter am Verwaltungsgericht xxx, beschlossen:

Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.

GRÜNDE
Die Kammer hat gemäß § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren — wie hier durch (einseitige) Erledigungserklärung des Klägers — anders als durch Urteil beendet wird. Diese Kostengrundentscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes insbesondere auf die Erfolgsaussichten abzustellen ist (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 10. Auflage 2012, § 193 Rn. 13 m.w.N.). Weitere Kriterien für die Kostenentscheidung sind vor allem das erreichte Prozessergebnis, die Umstände, die zur Erhebung der Klage führten, sowie die Umstände, die zur Erledigung des Rechtsstreits geführt haben (vgl. Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Auflage 2005, Rn. 610 und 613 m.w.N.).

Die Ausübung des der Kammer nach § 193 Abs. 1 SGG eingeräumten Ermessens führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Beklagte dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten hat, denn der Ausgang des vorliegenden Hauptsacheverfahrens war bis zur Erledigungserklärung des Klägers offen.

Zwar dürfte nach gegenwärtigem Stand von Rechtsprechung (grundlegend: VG Karlsruhe, Beschluss vom 18.04.2000 — 8 K 3518/99 —, zit. nach juris Rn. 26 ff.; Urteil vom 13.07.2001 — 8 K 3499/99 —, abgedruckt bei Hohm, Kommentar zum AsyIbLG, Loseblatt, Stand Mai 2012, Bd. 3, VII – zu § 3 Abs. 2 VG Nr. 9) und Literatur (Adolph in: Linhart/Adolph, Kommentar zum SGB II, SGB XII und AsyIbLG, Loseblatt, Stand 79. Erg.lfg. August 2012, Bd. 2, § 3 Rn. 58; Birk in: Münder, Lehr- und Praxiskommentar zum SGB XII, 9. Aufl., § 3 AsylbLG Rn. 6; Decker in: Oestreicher, Kommentar zum SGB XII und SGB II, Loseblatt, Stand: 56. Erg.lfg. November 2008, § 3 AsylbLG Rn. 19; Frerichs in: juris-Praxiskommentar zum SGB XII, Onlineausgabe, § 3 AsylbLG Rn. 87; Goldmann/Schwabe, Praxishandbuch zum AsylbLG, 1. Aufl., S. 105 ff., 154; Hohm, a.a.O., Bd. 1, § 3 Rn. 79 f.; ders. in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, 18. Aufl., § 3 AsyIbLG Rn. 29; Röseler/Meyer in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand: 18. Erg.lfg. Dezember 2004, § 3 Rn. 16 und 18; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Aufl., § 3 AsyIbLG Rn. 14; a.A. Fasselt in: FichtnerNVenzel, Kommentar zum SGB XII mit AsyIbLG, 4. Aufl., § 3 Rn. 9) die wohl überwiegende Meinung zu § 3 Abs. 2 Satz 1 AsyIbLG noch vertreten, dass der dort aufgelisteten Folge der Ersatzleistungen ein das Auswahlermessen einschränkendes Rangverhältnis dergestalt zugrunde liegt, dass Geldleistungen nur subsidiär in den Fällen zur Auszahlung gelangen dürfen, in denen Wertgutscheine oder andere vergleichbare unbare Abrechnungen im Einzelfall ausscheiden. Begründet wird diese Auffassung nach wie vor unter Hinweis auf den Wortlaut, die Systematik und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, insbesondere den grundlegenden Vorrang der Sachleistungsgewährung (vgl. etwa Frerichs, a.a.O., § 3 AsylbLG Rn. 87 m.w.N.; Hohm, a.a.O., § 3 Rn. 79 f. m.w.N.). Folgt man dieser wohl h.M., bedarf es trotz Auswahlermessens in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG keiner Begründung der Bewilligung von Grundleistungen in Form von Wertgutscheinen in jedem Einzelfall, weil es sich insoweit um intendiertes Ermessen handelt, welches der zuständige Leistungsträger nach dem AsylbLG auszuüben hat. Ist eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urteil vom 16.06.1997 — 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, S. 55 ff., zit. nach juris Rn. 14 m.w.N.).

Die Kammer kann allerdings das klägerische Begehren der Verpflichtung des Beklagten zum Umtausch der ausgegebenen Wertgutscheine in Bargeld dahingehend nachvollziehen, dass die hier streitig gewesene Frage des gesetzlichen Rangverhältnisses der Ersatzleistungen in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG im Lichte des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 — 1 BvL 10/10 und 2/11 —, zit. nach juris), insbesondere der Grundaussage, die Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht zu relativieren (BVerfG, a.a.O., Rn. 121), erneut grundsätzlich aufgeworfen wird. Ausgehend von den Feststellungen des BVerfG in seinem e.g. Urteil muss das Auswahlermessen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG noch stärker durch die strikte Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips geprägt werden, sodass in jeden Einzelfall — insbesondere in Fällen wie dem Vorliegenden, in denen der Betroffene dezentral im ländlichen Raum in einer kleinen Ortschaft einer kreisangehörigen Samtgemeinde untergebracht wurde — die Frage der Geeignetheit des gewählten Mittels eine entscheidungserhebliche Rolle spielt. Zudem wird ein Vergleich zu dem weiteren, im Grundsicherungsrecht gebräuchlichen Wertgutscheinsystem des Beklagten zu ziehen sein. Nach dem der Kammer vorliegenden Muster eines Warengutscheins zur Ausgabe an Leistungsberechtigte nach dem SGB II, welche aufgrund von Sanktionen weniger als 70 % der Regelleistung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung haben und deshalb vom Beklagten ergänzende Sachleistungen beziehen, sind derartige, im SGB II gebräuchliche Wertgutscheine/Warengutscheine grundsätzlich bei jedem Einzelhändler im Kreisgebiet einlösbar. Dagegen waren die dem Kläger monatlich ausgehändigten Wertgutscheine der Fa. Sodexo Pass GmbH nur bei ausgewählten Akzeptanzpartnern im Kreisgebiet des Beklagten einlösbar. Ob diese Wertgutscheine von vorn herein geeignet waren, in ausreichendem Maße die physische Existenz des Klägers zu sichern, wäre von der Kammer weiter aufzuklären gewesen. Denn in der Samtgemeinde, in die der Kläger verteilt und dezentral untergebracht wurde, waren lediglich der Edeka-Markt im Ortsteil xxx und der Rewe-Markt im Ortsteil xxx bereit, derartige Wertgutscheine als Zahlungs- bzw. Tauschmittel zu akzeptieren. Von der Nutzung etwaiger Lebensmitteldiscounter mit geringerem Preisniveau war der Kläger indes von vorn herein abgeschnitten. Dasselbe gilt für die Deckung des Bedarfs an Lebensmitteln durch traditionelle Kleinhändler wie ortsansässige Bäcker oder Fleischer.

Es spricht daher Einiges dafür, in Fällen dezentraler Unterbringung eines Asylbewerberleistungsberechtigten im ländlichen Raum einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt anzunehmen, der bei der Entscheidung über die Art und Weise der Gewährung von Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG grundsätzlich eine einzelfallbezogene Ermessensausübung und die nachvollziehbare Begründung derselben erfordert (zur isolierten Anfechtbarkeit dieser Entscheidung vgl. Urteil der Kammer vom 12.12.2012 – S 42 AY 126/11 -, juris).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG.