Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 02/2013

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 23.08.2012 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 32/12 R

Nach einer Wohnungsmodernisierung müssen die Jobcenter auch die erhöhten Mietkosten übernehmen, dies gilt selbst dann, wenn der Hartz-IV-Empfänger die Modernisierung gewünscht hat.

Nach dem systematischen Zusammenhang des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II mit § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II aF ist nur bei einer Mieterhöhung durch Umzug eine Vorabklärung durch den Leistungsberechtigten und entsprechende Zusicherungsverpflichtung des SGB II-Trägers gesetzlich vorgesehen.

Insofern kann auch die weitreichende Konsequenz des hier analog herangezogenen § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II mit einer Kostenbegrenzung auf die bisherigen Unterkunftskosten ohne jeglichen (befristeten) Bestandschutz nur bei einem nicht genehmigten Umzug mit erhöhten Mietkosten greifen.

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2.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.08.2012 – L 6 AS 139/12 ZVW, Revision zugelassen

Für die Übernahme der Kosten von ergänzenden Behandlungsmaßnahmen über die von der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckte kieferorthopädische Behandlung hinaus für Kinder fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

Der Bedarf ist auch kein besonderer im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II. Er erwächst nicht aus einer atypischen Lebenssituation.

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2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.12.2012 – L 6 AS 1448/12 B

Ist ein Beteiligter Mitglied des VDK, so ist er gehalten, seine satzungmäßigen Rechte auf kostenlose Prozessvertretung, die als vermögenswerte Rechte anzusehen sind, auszuschöpfen. Einen Anspruch auf PKH kann er erst erwerben, wenn der Verband Rechtsschutz ablehnt (BSG, Beschluss vom 08.10.2009, B 8 SO 35/09 B).

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2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2012 – L 2 AS 2150/12 B ER –

Eine Bedarfsunterdeckung von 109,- Euro monatlich ist für einen vorübergehenden Zeitraum zumutbar und erfordert insbesondere vor dem Hintergrund, dass mit einer vorläufigen Regelung die Hauptsache nicht tatsächlich oder faktisch vorweggenommen werden soll, nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Regelbedarf nach dem SGB II dient zwar grundsätzlich der Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums, dies schließt aber eine vorübergehende Absenkung schon deshalb nicht aus, weil in der Regelleistung auch Ansparbeträge für einmalige Bedarfe enthalten sind und damit nach den gesetzlichen Vorgaben nicht die gesamte Regelleistung zum aktuellen Verbrauch bestimmt ist. Zudem ist in einem beschränkten Zeitraum der Bezug einer um 30 % verminderten Regelleistung auch deshalb als zumutbar anzusehen, weil eine Herabsetzung in dieser Höhe Rechtsfolge bei Pflichtverletzungen (siehe § 31a Abs. 1 SGB II) sein kann, wobei nach den Vorgaben des Gesetzes erst bei einer Minderung um mehr als 30 % auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzend Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen sind (siehe § 31 a Abs. 3 Satz 1 SGB II).

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2.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.12.2012 – L 6 AS 1004/12 B

Es ist fraglich und nicht im PKH-Verfahren zu klären, ob Kosten für Sanierungsarbeiten innerhalb einer Wohnanlage auch (nur) unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 SGB II erstattet werden können, oder ob es sich um Bedarfe für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II handelt, die in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen sind, wenn diese angemessen sind.

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2.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2012 – L 2 AS 1773/12 B –

Kein Anspruch auf Verpflegungskosten nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F, wenn am Maßnahmeort in der Unterbringung die Möglichkeit besteht, Mahlzeiten selbst zuzubereiten.

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2.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2013 – L 19 AS 2281/12 B ER und – L 19 AS 2282/12

Gewährung der Regelleistung im Rahmen der Folgenabwägung, denn das Jobcenter und Sozialgericht haben offensichtlich angenommen, dass die Vermutungsregelung nach einem Zusammenleben von mehr als einem Jahr per se gilt und Feststellungen zum Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Übrigen entbehrlich werden lässt.

Dies ist falsch und verkennt die systematische Stellung der Vermutungsregelung.

Eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft i.S.d. SGB II liegt nur vor, wenn kumulativ die folgenden Voraussetzungen gegeben sind:

Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft leben (objektive Voraussetzungen) und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (subjektive Voraussetzung).

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2.7 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2012 – L 12 AS 2232/12 B

In den Vorschriften des § 31 a Abs. 2 Satz 1, 31 SGB II kann weder ein Verstoß gegen Artikel 3 GG noch eine Altersdiskriminierung gesehen werden.

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2.8 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.12.2012 – L 19 AS 2210/12 NZB

Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 1 Abs. 4 Alg II-V auf Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit zwischen Beendigung der Schulausbildung und Aufnahme des Studiums scheidet aus.

Insoweit ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach Beendigung der Schulausbildung mit dem durch § 1 Abs. 4 AlgII-V geregelten Sachverhalt nicht vergleichbar. § 1 Abs. 4 AlgII-V bezweckt auch nicht, die Aufnahme eines Studiums finanziell durch die Privilegierung von Erwerbseinkommen zu fördern.

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2.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2012 – L 19 AS 1809/12 B ER –

Polnische Staatsbürgerin hat Anspruch auf ALG II im Rahmen der Folgenabwägung.

Im Rahmen einer maßgeblich an der Existenzsicherung ausgerichteten Folgenabwägung ist eine Verpflichtung zur Zahlung des Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II regelmäßig nicht erforderlich (vgl. hierzu LSG Sachen-Anhalt Beschluss vom 23.05.2012 – L 5 AS 456/11 B ER, Rn 24; VG München Beschluss vom 29.11.2004 – M 15 E 04.4738, Rn 16; a.A. wohl LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 13.05.2008 – L 9 AS 119/08,Rn 14; LSG NRW Beschluss vom 23.05.2012 – L 7 AS 2252/11 B ER, Rn 11).

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2.10 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.12.2012 – L 7 AS 2016/12 B ER

Spanischer Staatsbürger hat Anspruch auf ALG II im Rahmen der Folgenabwägung, auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII können sie nicht verweisen werden (a.A. dazu LSG NRW, Beschluss vom 02.10.2012, Az.: L 19 AS 1393/12 B ER).

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2.11 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.06.2012 – L 6 AS 48/11, anhängig beim BSG unter dem Az. B 14 AS 80/12 R

Die reine Wiederholung eines bereits unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes oder der lediglich wiederholende Hinweis auf eine frühere Verfügung ist kein neuer anfechtbarer Verwaltungsakt.

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2.12 – Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 16.08.2012 – L 9 AS 1380/11 –

Keine Kostenerstattung nach § 63 SGB X, weil es sich bei der Mitteilung nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 331 SGB III nicht um einen mit dem Widerspruch angreifbaren Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X handelt (vgl. Coseriu/Jakob in Mutsch-ler u.a., SGB III, 3.A., § 331 Rdnr. 6).

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3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Braunschweig, Urteil vom 20.11.2012 – S 49 AS 1145/11

Anspruch auf Mehrbedarf für Behinderte nach § 21 Abs. 4 SGB II, wenn Leistungen nach § 16 SGB II i.V.m. § 77 Abs. 4 SGB III a.F. in Form eines Bildungsgutscheins bezogen werden. Diese Leistungen sind als „sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben“ im Sinne des § 21 Abs. 4 SGB II anzusehen.

www.rechtsprechung.niedersachsen.de

Anmerkung:
Ähnlich LSG NSB, Urteil vom 01.11.2011 – L 9 AS 477/10

3.2 – Sozialgericht Gießen, Beschluss vom 10.01.2013 – S 25 AS 832/12 ER

Jobcenter muss Kosten für teurere Wohnung aufgrund der Erforderlichkeit des Umzuges wegen gesundheitlicher Gründe- Schmerzen beim Treppensteigen – übernehmen.

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Anmerkung:
BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 107/10 R
Ein Umzugsgrund ist auch die schwere Kindeslast
Kann eine alleinerziehende Mutter ihr eineinhalbjähriges Kleinkind aus gesundheitlichen Gründen nicht in den 4. Stock ihrer Wohnung tragen, kann dies ein solcher sachlicher Grund für einen Umzug sein.

3.3 – Sozialgericht Stade, Beschluss vom 22.11.2012 – S 28 AS 781/12 ER

§ 28 Abs 5 SGB II sieht eine dauerhafte schulbegleitende Einzelförderung nicht vor, allerdings können bei entsprechender ernsthafter Erfolgsprognose auch längerfristige Fördermaßnahmen angezeigt sein (vgl. SG Itzehoe, Beschluss vom 03.04.2012 – S 11 AS 50/12 ER).

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3.4 – Sozialgericht Darmstadt, Urteil vom 26.09.2012 – S 17 AS 416/10, Berufung anhängig beim LSG Hessen unter dem Az. L 9 AS 852/12

1. Ein erwerbsfähiger Leistungsempfänger hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen für die Gründung eines Erotik-Live-TV-Magazins im Internet, mit dem Erotik- und Pornografiedarstellungen angeboten werden.

2. Bei Erlass eines jeden Verwaltungsaktes ist übergeordnet stets die Grenze der Sittenwidrigkeit zu beachten.

3. Ein Verwaltungsakt verstößt nicht nur gegen die guten Sitten, wenn mit ihm behördlicherseits ein sittenwidriges Geschehen ausdrücklich erlaubt wird, sondern auch dann, wenn ein sittenwidriges Geschehen durch öffentliche Mittel überhaupt erst ermöglicht werden soll.

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4.   BSG, Urteil vom 22.08.2012 – B 14 AS 13/12 R

Maßstäbe für die Zumutbarkeit eines Umzugs bei Alleinerziehenden ALG II-Empfängern / Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II – Anmerkungen von RA Helge Hildebrandt

sozialberatung-kiel.de

5.   VG Leipzig, Urt. v. 10.01.2013 – 5 K 981/11

Jobcenter muss Kanzlei Telefonliste der Sachbearbeiter geben.

www.harald-thome.de (pdf)

6.   Entscheidungen zum Asylrecht

6.1 – SG Hildesheim 42. Kammer, Urteil vom 12.12.2012, S 42 AY 126/11

Bargeld statt Gutscheine bei Nachzahlungen von Leistungen nach AsylbLG

1. Bei der in einem Leistungsbescheid enthaltenen Aufteilung der errechneten und bewilligten Grundleistungen in einen Barbetrag und einen weiteren Betrag, der dem Leistungsberechtigten in Wertgutscheinen ausgehändigt wird, handelt es sich um einen rechtlich abtrennbaren Streitgegenstand, der einer isolierten gerichtlichen Überprüfung außerhalb eines sog. Höhenstreits zugänglich ist.

2. Das Gegenwärtigkeitsprinzip prägt das Recht der Asylbewerberleistungen nach dem AsylbLG. Die Existenzschwäche des Hilfeanspruchs nach dem AsylbLG zeitigt daher den Vorrang der Sachleistungsgewährung.

3. Die Nachgewährung von Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 AsylbLG hat stets in Form von Geldleistungen zu erfolgen.

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Anmerkung:
19 Flüchtlinge bitten Gericht bei Frage der Gutscheine um Hilfe
Pressemitteilung zu Eilverfahren vor dem SG Hildesheim zur Gewährung von Bargeld statt Gutscheinen

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6.2 – SG Hildesheim 42. Kammer, Urteil vom 12.12.2012, S 42 AY 100/11

Bildungs- und Teilhabepaket für Leistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG

1. Leistungsberechtigte gem. § 3 AsylbLG haben über § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG im Wege der Ermessensreduzierung auf Null einen Anspruch auf Leistungen des sog. Bildungs- und Teilhabepakets entsprechend § 28 SGB II bzw. § 34 SGB XII.

2. Ohne Inkrafttreten einer § 28 Abs. 2 bis 7 SGB II bzw. § 34 Abs. 2 bis 7 SGB XII nachgebildeten gesetzlichen Regelung besteht bei der Auslegung und Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG kein abschließender Katalog der Bildungs- und Teilhabeleistungen für Grundleistungsberechtigte.

3. Die einem Grundschüler vom Träger seines Schulhortes in Rechnung gestellten Kosten für den trägerorganisierten Bustransfer von der Grundschule zum Schulhort sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gesondert zu übernehmen.

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7.   Entscheidungen zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

7.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2012 – L 2 SF 436/12

Keine Entschädigung für die Dauer des Gerichtsverfahrens nach zu Unrecht bezogener Arbeitslosenhilfe.

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Anmerkung:
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.11.2012 – L 2 SF 1495/12 EK

Kein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer.

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de