Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 07/2013

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 14.02.2013 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 62/12 R

Die anwaltliche Tätigkeit für einen bei der Behörde gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist – nicht zu vergüten.

Eine Erledigungsgebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens durch Abhilfebescheid kommt nur in Betracht, wenn der Anwalt eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat. Hieran fehlt es vorliegend.

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1.2 – BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 51/12 R

Geht die Gehaltszahlung an dem selben Tag aufs Konto ein, an dem er auch seinen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellte, ist es Einkommen.
Auf die Uhrzeit der Kontogutschrift und den der Antragstellung beim Grundsicherungsträger kommt es nicht an.

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Anmerkung:
Seit dem 01.01.2011 gilt: § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II n. F. sieht eine Rückwirkung des Antrags auf den Ersten des Monats vor

1.3 – BSG, Urteil vom 14.02. 2013 – B 14 AS 48/12 R

Auch für eine Krankheit, welche – nicht im Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten ist, kann Anspruch auf Mehrbedarf bestehen.

Denn auch bei „Laktoseintoleranz“ können Mehrkosten entstehen, welche den Mehrbedarf für Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II rechtfertigen.

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1.4 – BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 198/11 R

Die gesetzgeberische Grundentscheidung, eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen iS des § 11 SGB II von der Berücksichtigung auch nicht in Teilen freizustellen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Soweit die Alg II-VO zum 1.7.2011 neu bestimmt, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine Verletztenrente teilweise nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, handelt es sich um die Beseitigung eines als unbillig empfundenen Ergebnisses für die Zukunft.

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Anmerkung:
BSG, Urteil vom 17.3.2009, B 14 AS 15/08 R

Die Verletztenrente aufgrund einer Wehrdienstbeschädigung als Wehrpflichtiger der Nationalen Volksarmee ist bei der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in vollem Umfang als Einkommen zu berücksichtigen.

1.5 – BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 195/11 R

Ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt ist rechtswidrig, weil das Jobcenter entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat.

Die Rechtswidrigkeit ergibt sich dagegen nicht schon aus einem Anspruch auf Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung als vorrangiger Handlungsform bei der Eingliederung in Arbeit.

Das Jobcenter war vielmehr berechtigt, die ursprünglich vorgesehene Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt mit entsprechendem Regelungsgehalt zu ersetzen, nachdem der Kläger den Abschluss einer Vereinbarung abgelehnt hatte.

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Anmerkung:
Vgl. dazu auch BSG: Eingliederungsvereinbarung muss erst abgelehnt werden
Der 14. Senat stellte sich damit teilweise gegen eine frühere Entscheidung des 4. Senats des BSG. Dieser hatte am 22. September 2009 entschieden, dass Hartz-IV-Bezieher keinen Anspruch auf Abschluss einer individuellen Eingliederungsvereinbarung haben (Az.: B 4 AS 13/09 R). Es gebe keinen Anspruch darauf, mit dem Jobcenter über die Eingliederung und die Zuweisung eines persönlichen Ansprechpartners zu verhandeln.

Doch nach dem neuen Urteil des 14. BSG-Senats müssen zumindest Gespräche geführt werden. Denn nur wenn der Hartz-IV-Bezieher eine Eingliederungsvereinbarung ablehnt, dürfe er per Verwaltungsakt zu Eingliederungsmaßnahmen verpflichtet werden.

Quelle: www.juraforum.de

2.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.01.2013 – L 25 AS 1146/11 B PKH

Der Bevollmächtigte hat nach § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen. Wenn die Vollmacht auf eine solche behördliche Aufforderung nicht innerhalb einer dafür gesetzten Frist beigebracht wird, sind die bisherigen Verfahrenshandlungen unwirksam.

Der Mangel der Vollmacht kann auch nicht durch die Vorlage der Vollmacht im gerichtlichen Verfahren geheilt werden.

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Anmerkung:
Ebenso – Sozialgericht Chemnitz, Gerichtsbescheid vom 07.11.2012 – S 14 AS 2285/12

2.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.11.2012 – L 5 AS 140/10, Revision wurde zugelassen

Da der Leistungsbezieher zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter im Leistungsbezug stand, handelt es sich bei der Erbschaft gemäß § 1922 BGB um Einkommen.

Die zugeflossene Erbschaft war auf einen Zeitraum von 6 Monaten anzurechnen, da der Hilfebedürftige seinen Hilfebedarf in dieser Zeit vollständig aus dem zugeflossenen Erbe decken konnte.

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Anmerkung:
Die Frage, ob einmalige den Hilfebedarf im Anrechnungszeitraum übersteigende Einnahmen auf mehrere Monate mit Verbleib eines Restleistungsanspruchs aufzuteilen sind, wenn das anzurechnende Einkommen den Hilfebedarf im Abrechnungszeitraum übersteigt, ist obergerichtlich nicht geklärt

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.02.2013 – L 2 AS 42/13 B

1. Auch eine Betriebskostenrückzahlung, die dem Hilfebedürftigen nicht ausgezahlt worden ist, sondern die mit einer künftigen Mietforderung verrechnet worden ist, bewirkt einen wirtschaftlichen Zuwachs, weil sie die entsprechende Verbindlichkeit verringert (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 132/11 R).

2. Nach der Sonderregelung zur Einkommensanrechnung von Rückzahlungen und Guthaben des § 22 Abs. 3 SGB II ist allerdings abweichend vom tatsächlichen Zufluss des Einkommens für die Einkommensanrechnung erst der Monat nach der Rückzahlung oder Gutschrift maßgeblich. Erst die in diesem Monat entstehenden Aufwendungen werden gemindert

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2.4 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28.11.2012 – L 7 AS 244/12 B ER

Die Unterbringung in einer JVA einerseits und in einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation i.S.d. § 107 Abs. 2 SGB V andererseits im Rahmen des § 7 Abs. 4 SGB II sind unterschiedlichen Regimen unterworfen, die ein Zusammenrechnen der jeweiligen Aufenthaltszeiten ausschließen.

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Anmerkung:
Ebenso im Ergebnis – LSG Rhld.-Pf., Beschluss vom 19.06.2007 – L 3 ER 144/07 AS – und LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 21.03.2006 – L 7 AS 1128/06 ER-B.

2.5 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15.01.2013 – L 3 AS 1010/12 B PKH

Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Entziehungs- oder Versagungsbescheid nach § 66 SGB I sind nicht von der Ausnahmereglung des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II erfasst.

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Anmerkung:
Ebenso – Sächs. LSG, Beschluss vom 3. November 2011 – L 3 AS 268/11 B PKH

2.6 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.12.2012 – L 3 AS 943/12 B PKH

Scheidung macht einen Umzug gem. § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II notwendig, denn eine rechtliche Verpflichtung, dass Ehegatten nach der Trennung weiterhin in einem gemeinsamen Haushalt leben zu müssen gibt es nicht.

Eine Pflicht zum Zusammenleben nach einer Trennung oder Scheidung sieht auch der Gesetzgeber weder beim Bezug von Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II noch von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII).

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2.7 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21.01.2013 – L 7 AS 413/12 B

Erstattungsbescheide für Leistungen nach dem SGB II sind nicht sofort vollziehbar.

Ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs in analoger Anwendung von § 86b Abs. 1 SGG ist statthaft und zulässig i, wenn der Antragsgegner das Bestehen der aufschiebenden Wirkung bestreitet oder – wie hier – entgegen der bestehenden aufschiebenden Wirkung Vollzugsmaßnahmen einleitet oder schon vorgenommen hat(vgl. LSG NRW, Beschluss vom 12.03.2012 – L 12 AS 45/10 B).

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2.8 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 31.01.2013 – L 7 AS 964/12 B ER

1. Die Zuwendungen der Eltern sind nicht als Einkommen im Sinne der Vorschriften bei der Berechnung des Alg II zu berücksichtigen (vgl. BSG vom 6.10.2011 – B 14 AS 66/11 R).

2. Irischer Staatsangehöriger hat Anspruch auf ALG II, ein Anspruch auf Sozialhilfe kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2012 – L 14 AS 933/12 B ER).

3. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt gegen höherrangiges Recht, nämlich Art. 18 und 21 Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 (offen lassend: BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R).

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2.9 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.02.2013 – L 15 AS 378/12 B ER

1. Enthält die Akte keinen Vermerk über den Tag der Aufgabe zur Post, gilt die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht (BSG Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 R – Rn. 17).

2. Hat sich ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II in einer Eingliederungsvereinbarung verpflichtet, seine postalische Erreichbarkeit sicherzustellen, und verletzt er diese Verpflichtung schuldhaft, muss er sich unter Umständen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm ein Verwaltungsakt, dessen Erhalt er bestreitet, zugegangen.

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2.10 – LSG Thüringen, Urteil vom 06.12.2012 – L 9 AS 430/09

Jobcenter muss Missbräulichkeitskosten in Höhe von 600 Euro wegen eines Rechtsstreits um 15 Cent bezahlen.

www.thlsg.thueringen.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Hildesheim, Beschluss vom 19.12.2012 – S 26 AS 1917/12 ER

1. Eine Bescheinigung über die Höhe des Pfändungsfreibetrages iS des § 850k Abs 5 Satz 2 ZPO ist kein Verwaltungsakt. Ein entsprechendes Begehren ist in der Hauptsache als (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) zu verfolgen.

2. Das Begehren auf Bescheinigung des Pfändungsfreibetrages kann von vorn herein nur vom Inhaber des Pfändungsschutzkontos verfolgt werden, nicht jedoch von Dritten, zu Gunsten derer Zahlungen auf das Pfändungsschutzkonto erfolgen.

3. Der Inhaber eines Pfändungsschutzkontos hat gegen den Träger der Grundsicherung keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung über die Höhe des pfändungsfreien Betrages. Dieser hat ggf beim Vollstreckungsgericht die Beträge bestimmen zu lassen.

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3.2 – Sozialgericht Gießen, Urteil vom 14.01.2013 – S 29 AS 676/11

Sanktion ist aufzuheben, wenn das Jobcenter die Ordnungsgemäßheit einer Rechtsfolgenbelehrung nicht nachweisen kann.

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4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 21.01.2013 – L 4 SO 44/11

Kein Anspruch auf Übernahme eines Teils seiner Unterkunftskosten im Wege der Eingliederungshilfe.

Denn Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Unterkunftskosten nicht (wie beim regulären Schulbesuch eines nicht behinderten Menschen) als Bedürfnisse des täglichen Lebens entstehen, sondern notwendigerweise durch die besonderen Verhältnisse der Behinderung bedingt sind.

Dies ist der Fall, wenn eine bedarfsgerechte Beschulung nicht näher am Wohnort erfolgen kann und ein (schul-) tägliches Pendeln nicht zumutbar ist(vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8.3.2006, L 23 B 16/06 SO ER).

Besucht ein Hilfesuchender von seinem Wohnort aus eine Schule, so sind die Aufwendungen für Unterkunft nicht durch den Schulbesuch verursacht, sondern Teil des “allgemeinen” Bedarfs, dessen Deckung nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe ist.

sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

5.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Mai 2012 – L 2 AL 82/09

Keine fiktive Berechnung des Arbeitslosengeldes eines Rechtsreferendars nach erzielbarem Einkommen als Richter.

www.presse.sachsen-anhalt.de

6.   Bestattung nach § 74 SGB XII (Stand 01/13)

Dr. jur. Wigo M ü l l e r, Braunfels – Lahn ArbG – Direktor a. D.

www.elo-forum.org

7.   RA Helge Hildebrandt, Sozialberatung Kiel: Freibeträge nach § 11b SGB II vom Monatseinkommen abzusetzen

In der heutigen Verhandlung noch einmal vom SH LSG bestätigt: Auch wenn zwei Monatsgehälter in einem Monat zufließen, sind für jeden Monat, in dem gearbeitet wurde, die Freibeträge nach § 11b SGB zu gewähren. Das Jobcenter Plön nahm die Berufung zurück.

sozialberatung-kiel.de

8.   Sozialrecht in Freiburg – Hartz IV – Sozialhilfe – Krankenversicherung: Neue Veröffentlichungen in unserer Verfahrensübersicht

1. Veröffentlichung auf unserer Website zu Mietkautionsdarlehen

2. LSG Essen verurteilt Sozialamt zur Übernahme der Kosten einer persönlichen Nachtwache

3. Bundessozialgericht eröffnet Raum für Mehrbedarfszuschlag bei Laktoseintoleranz

www.srif.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de