Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 11/2013

1.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.12.2012 – L 6 AS 2272/11, Revision zugelassen

1. Auch für Leistungszeiträume ab dem 01.01.2011 kann ein Rechtsmittel auf die Überprüfung von Leistungen zu Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II beschränkt werden (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.07.2012 – L 3 AS 307/12 B ER, L 3 AS 308/12 B; SG Stuttgart, Urteil vom 30.11.2011 – S 20 AS 6617/10).

2.Der Grenzwert für Heizkosten ist auch dann nach der abstrakt als angemessen anerkannten Wohnfläche zu bestimmen wenn – wie hier – die tatsächlich bewohnte Wohnfläche diesen Wert unterschreitet (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.05.2012 – L 19 AS 2007/12).

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1.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.02.2013 – L 2 AS 2302/12 B

Für Verfahren, in denen allein um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelsätze ab dem 01.01.2011 gestritten wird, ist unter Berücksichtigung der Rechtsschutzgleichheit keine PKH zu bewilligen (vgl. Beschluss des Senats vom 27.04.2012 – L 2 AS 616/12 B), weil davon auszugehen ist, dass ein kostenbewusster Bemittelter nach Anhängigkeit der Musterverfahren auf die Durchführung eines weiteren Klageverfahrens mit dem gleichen Ziel und unter Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten verzichtet hätte (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 09.07.2012 – L 6 AS 12/12 B PKH).

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1.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.09.2012 – L 12 AS 1350/12 B ER und – L 12 AS 1351/12 B, rechtskräftig

Selbst wenn die Zusicherung für die neue Wohnung im Eilverfahren vorläufig erteilt würde, trägt die Antragstellerin das volle Risiko einer anderweitigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 17.01.2011 – L AS 1914/10 B ER).

Zwar wird eine leer stehende Wohnung nur für begrenzte Zeit vom Vermieter zur Verfügung gestellt, gleichwohl entstehen durch die fehlende Zusicherung keine unwiederbringlichen Nachteile, denn bei der Zusicherung bei § 22 Abs. 4 SGB II handelt es sich lediglich um eine Obliegenheit. Ihre Erteilung ist für die Übernahme künftiger Mietzahlungen nicht Voraussetzung.

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Anmerkung:
Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 28.01.2013 – S 37 AS 2006/13 ER

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist ein Antrag auf Übernahme einer Mietgarantie so auszulegen, dass der SGB-2-Träger verpflichtet wird, die Unterkunfts- und Heizkosten im Falle des Zustandekommens eines Mietvertrages zu übernehmen. Denn die Zusicherung nach § 22 Abs 4 SGB 2 ist für die Übernahme angemessener Unterkunftskosten nicht konstitutiv und gewährleistet daher nicht die Übernahme der künftigen Mietkosten (siehe dazu Sozialgericht Chemnitz, Beschluss vom 26.07.2012 -S 14 AS 3078/12 ER).

1.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.03.2013 – L 11 AS 2183/12 B

Der besonnene Rechtsuchende kann allenfalls dann an der Unparteilichkeit und objektiven Einstellung des Richters die Besorgnis der Befangenheit begründende Zweifel haben, wenn sich der Verfahrensablauf über lange Zeit eindeutig als eine Kette von Verzögerungen bis hin zur Untätigkeit darstellt und keine Gründe ersichtlich sind, die diesen Ablauf als vertretbar erscheinen lassen könnten (Vossler in Vorwerk / Wolff, Beck´scher Online-Kommentar ZPO, Stand 15.01.2013, § 42 Rdn. 21 m.w.N.).

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1.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.03.2013 – L 19 AS 2435/12 B, rechtskräftig

Keine Übernahme von Kosten einer Osteopathiebehandlung sowie für die Beschaffung von Zubehör zur Blutzuckermessung als unabweisbaren Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II.

In der Frage, ab welcher Wiederholungsfrequenz ein Bedarf als wiederkehrender Bedarf anzusehen ist, hat sich die Rechtsprechung – soweit ersichtlich – bislang nicht grundsätzlich festgelegt. Bereits logisch scheidet die Annahme eines wiederkehrenden Bedarfes jedoch aus, wenn lediglich ein einmaliger Bedarf feststeht.

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1.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.02.2013 – L 12 AS 1858/12 B ER und – L 12 AS 1859/12 B, rechtskräftig

Schwangere bulgarische Staatsangehörige ist nicht vom Leistungen nach dem ALG 2 ausgeschlossen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R).

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1.7 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31.01.2013 – L 5 AS 373/10, Revision wurde zugelassen

Keine Abweichung vom Kopfteilprinzip für die KdU bei Wegfall des KdU-Anteils eines unter 25-jährigen sanktionierten Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft.

Denn das System des SGB II lässt es nicht zu, im Ergebnis Unterkunftskosten für Dritte geltend zu machen. Dies gilt selbst dann, wenn dem Dritten gegenüber eine Unterhaltspflicht besteht.

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Anmerkung:
Anderer Auffassung – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.03.2012- L 6 AS 1589/10, anhängig beim BSG unter dem Az. B 4 AS 67/12 R

Sippenhaftung im Falle einer Sanktion bei den Kosten der Unterkunft ist dem Sozialrecht fremd.

1.8 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.01.2013 – L 5 AS 487/10

Das Kindergeld für die im Haushalt lebenden volljährigen Kinder ist Einkommen des Kindergeldberechtigten; unerheblich ist eine Auszahlung an das Kind.

Etwas anderes gilt nur im – hier nicht vorliegenden – Fall der förmlichen Abzweigung gemäß § 74 Einkommensteuergesetz (ständige Rechtsprechung des BSG, z.Bsp. Urteil vom 27. Januar 2009, B 14/7B AS 14/07.

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2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Nürnberg v. 14.03.2013 – S 10 AS 679/10

Eigener Leitsatz:
1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind – nichtig und unwirksam, weil § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen.

2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

standpunkte.blogsport.de

2.2 – Sozialgericht Osnabrück, Urteil vom 05.02.2013 – S 33 AS 46/12

1. Kosten für die Reparatur von Brillen zur Korrektur der Sehschärfe sind als Sonderbedarf nach § 24 SGB II zu erstatten.

2. Es handelt sich insoweit um einen abtrennbaren Streitgegenstand.

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2.3 – Sozialgericht Stade, Beschl. v. 07.12.2012 – S 6 AS 905/12 ER

Gericht ordnet aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid an, denn eine kumulierende Minderung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von insgesamt 120 % bei weiterer Obliegenheitsverletzung innerhalb eines laufenden Sanktionszeitraums ist unzulässig.

www.kanzleibeier.de

Anmerkung:
BSG, Urteil vom 09.11.2010, – B 4 AS 27/10 R
Keine Addition der einzelnen Sanktionsbeträge bei mehreren zeitgleichen Verstößen.

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21.12.2012 – L 4 SO 340/12 B ER

Witwenrente ist auch im sog. Sterbevierteljahr (§ 67 Nr. 5, 6 SGB VI) in voller Höhe als Einkommen anzurechnen. Die Witwenrente ist auch im Sterbevierteljahr keine gem. § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung.

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Anmerkung:
Anderer Auffassung – Die fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zur Anwendung der §§ 11, 11a, 11b SGB II, Fassung vom 20. September 2012, Seite 28
besagen, dass Witwen- und Witwerrente für das sog. Sterbevierteljahr bis zu dem das Normalmaß übersteigenden Betrag zu den zweckbestimmten Einnahmen gehört.

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Mainz, Urteil vom 22.10.2012 – S 17 SO 145/11

Angemessenheit der KdU im Sozialhilferecht

1. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII anhand der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum “schlüssigen Konzept” ist nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, wie es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) näher bestimmt worden ist.

2. Für eine Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch am einfachen Wohnstandard orientierte Mietobergrenze fehlt es auch im SGB XII an einer den prozeduralen Anforderungen des BVerfG genügenden und hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Grundlage.

3. Die Kammer konkretisiert den Angemessenheitsbegriff deshalb nach Maßgabe des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen.

www.mjv.rlp.de

Anmerkung:
Ebenso SG Mainz, Urt. v. 08.06.2012 – S 17 AS 1452/09 zum § 22 SGB II.

4.2 – Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 12.10.2012 – S 22 SO 166 / 12 ER

Sozialhilfeträger muss im Rahmen der Eingliederungshilfe im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Kosten für zwei Brillengläser abzüglich des Anteils der gesetzlichen Krankenkasse übernehmen.

§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX

Quelle: Rechtsanwältin Sabine Jorns, Oldenburg

Mehr Info zum Beschluss:
www.also-zentrum.de

5.   Ausgabe 5/2013 der Zeitschrift “quer” der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e.V. : Hartz IV-Empfänger haben Leistungsanspruch auf Kostenübernahme für eine Brille – Musterantrag

www.also-zentrum.de

6.   Der Darmstädter Sozialrichter Jürgen Borchardt: Die Agenda-Politik beschädigt unsere Demokratie.

Weiterlesen hier: www.rnz.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de