Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 17/2013

1.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.04.2013 – L 36 AS 2095/12 NK, die Revision wird zugelassen

Berliner Wohnaufwendungenverordnung (WAV) unwirksam.

www.lifepr.de

Anmerkung:
Ebenso – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22.02.2013 – S 37 AS 30006/12

1.2 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19.03.2013 – L 16 AS 61/13 B ER

Ein Anordnungsgrund – also Eilbedürftigkeit – besteht auch schon vor Erhebung der Räumungsklage durch den Vermieter.

Es ist regelmäßig nicht zumutbar, einen zivilrechtlichen Kündigungsgrund entstehen zu lassen.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Anderer Auffassung: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.01.2013 – L 19 AS 2449/12 B ER

Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II setzt nach konstanter Rechtsprechung nicht bloß die Gefahr voraus, dass Schulden entstehen.

Vorausgesetzt wird vielmehr eine akute Gefährdung der Unterkunft, von der frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage auszugehen ist.

1.3 – Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.03.2013 – L 11 AS 810/11, Revision wird zugelassen

Eine mehrfache Berücksichtigung des Grundfreibetrages in Höhe von 100 Euro innerhalb eines Monats und ein Abweichen zum Zuflussprinzip sind nicht geboten bei Zufluss von zwei Arbeitsentgelten innerhalb eines Kalendermonats.

Der Grundfreibetrag nach § 11 Abs 2 Satz SGB II aF (nunmehr § 11b Abs 2 Satz 2 SGB II) ist als monatlicher Aufwand anzusehen, der vom gesamten Einkommen (aus Erwerbstätigkeit) abzusetzen ist, das in dem Monat, für den der Aufwand zu berücksichtigen ist, zufließt, unabhängig davon aus welchen Einkommensquellen der tatsächliche Zufluss stammt und unter welchen tatsächlichen oder rechtlichen Bedingungen dieser Einkommenszufluss zustande gekommen ist.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Anderer Auffassung: LSG NRW, Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.12.2012 – L 7 AS 652/12, Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 14 AS 13/13 R ; SG Berlin, Urteil vom 18.01.2012, Az.: S 55 AS 30011/10).

Bei Zufluss von zwei Monatslöhnen aus demselben Arbeitsverhältnis innerhalb eines Kalendermonats sind die Freibeträge jeweils für jeden Monatslohn in Abzug zu bringen.

1.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.04.2013 – L 2 AS 99/13 B rechtskräftig

Unter Berücksichtigung des zum 01.01.2011 neu angefügten § 10 Abs. 5 BEEG das Elterngeld auf SGB II-Leistungen voll anzurechnen.

Etwas anderes gelte nur, wenn bis zur Geburt des Kindes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt worden sei. § 10 Abs. 5 BEEG ist auch verfassungsgemäß (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.04.2012 – L 19 AS 2012/11).

Unter Berücksichtigung von Wortlaut, Gesetzesmaterialien und den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen ist davon auszugehen, dass die Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs. 5 BEEG hinreichend geklärt ist

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
So auch – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.11.2012 – L 19 AS 1283/12 B; Beschluss vom 06.01.2012 – L 7 AS 1107/11 B; Beschluss vom 04.01.2012 – L 12 AS 2089/11 B; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 01.02.2013 – L 6 AS 817/12 B; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.10.2012 – L 14 AS 1607/12 NZB).

1.5 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2013 – L 6 AS 623/11

Die Berücksichtigung von Elterngeld seit dem 01.01.2011 als ein die Leistung minderndes Einkommen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist rechtmäßig und verfassungsrechtlich nicht beanstanden.

www.mjv.rlp.de

Anmerkung:
Ebenso: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 01.02.2013 – L 6 AS 817/12 B

Die Rechtsfrage, ob die Anrechnung von zugeflossenem Elterngeld auf die Leistungen nach dem SGB II gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der hier ab 1. Januar 2011 maßgeblichen Fassung verfassungsgemäß ist, erscheint im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als nicht mehr klärungsbedürftig.

1.6 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.03.2013 – L 11 AS 949/10 B

Der Bewilligung von PKH steht nicht entgegen, dass die Rechtsverfolgung nur hinsichtlich geringer Beträge im “Centbereich” Erfolgsaussicht aufweist.

Insbesondere sind Rechtsstreitigkeiten um geringe Beträge nicht (allein) wegen ihres niedrigen Streitwerts mutwillig. Die Bewilligung von PKH scheitert auch nicht allein wegen des geringen im einsteiligen Euro-Bereich liegenden Streitwertes an der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs 2 ZPO. Eine andere Beurteilung würde nämlich den Vorgaben des BVerfG zum Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit i.S.v. Art 3 Abs 1 i.V.m. Art 20 Abs 3 GG widersprechen (vgl. BVerG, Beschluss vom 24. März 2011 – 1 BvR 1737/10)

Schließlich ist es unzulässig, die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, auf eine ausschließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko zu reduzieren. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessbeteiligten ein deutliches Ungleichgewicht besteht.

www.rechtsprechung.niedersachsen.de

Anmerkung:
Ebenso im Ergebnis: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.09.2012 – L 18 AS 1832/12 B PKH

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 11.03.2013 – S 36 AS 1433/12, Berufung zugelassen

Spanische Staatsangehörige hat keinen Anspruch auf ALG 2.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft vereinbar.

Der aufgrund der Richtlinie 2004/38/EG erklärte Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 VO 883/2004.

Das EFA ist nicht anwendbar- Gegen die Wirksamkeit dieses Vorbehalts bestehen keine Bedenken.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.11.2012 – L 29 AS 1782/12 B ER

Spanische Staatsangehörige hat kein Anspruch auf ALG II

Anmerkung:
Anderer Auffassung: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.08.2012,- L 19 AS 1851/12 B ER –

Spanischer Staatsangehöriger hat Anspruch auf ALG II.

2.2 – SG Berlin, Urteil vom 05.04.2013 – S 37 AS 13126/12

Leistungsbezieher hat Anspruch auf Mehrbedarf für Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II bei Laktoseintoleranz monatlich in Höhe von 13 EUR.

Dem Gutachten ist der Vorzug gegenüber den bloßen Empfehlungen des DV zu geben, zumal es speziell auf die Mehrkosten bei Laktose-Intoleranz eingeht.

Volltext der Entscheidung: www.harald-thome.de (pdf)

Zum Gutachten: www.harald-thome.de (pdf)

Anmerkung:
Ähnlich im Ergebnis: Sozialgericht Dresden, Urteile vom 18.09.2012, – S 38 AS 5649/09 und – S 38 AS 17/11

Leistungsbezieherin hat Anspruch auf ernährungsbedingter Mehrbedarf für Laktoseintoleranz in Höhe von 1,00 EUR/Tag – 30,00 EUR monatlich.


2.3 – Sozialgericht Mainz, Urteil vom 11.04.2013 – S 10 AS 1221/11

Einem Empfänger von Arbeitslosengeld II kann es zur Aufnahme einer Tätigkeit zumutbar sein, einen nächtlichen Weg von der Arbeitsstelle nach Hause durch ein Industriegebiet zurückzulegen.

www.mjv.rlp.de

2.4 – Sozialgericht Bremen, Urteil vom 11.04.2013 – S 4 KR 27/11

Ex-Freiberufler: Kasse darf Hartz- IV- Empfänger abweisen – Keine gesetzliche Krankenversicherung für ehemals Selbständige

§ 5 Abs. 5a SGB V ist auch auf ehemals Selbständige anwendbar, die nicht unmittelbar vor dem ALG-II-Bezug selbständig tätig waren.

Entscheidend ist nur, das sie zuletzt vor der Antragstellung selbständig gewesen sind (Anschluss an LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.08.2010, Az. L 16 KR 329/10 B ER und Beschluss vom 30.04.2012, Az. L 16 KR 134/12 B ER).

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Anderer Auffassung: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2010, Az. L 1 KR 368/10 B ER, L 1 KR 370/10 B PKH; Beschluss vom 11.03.2011, Az. L 1 KR 326/10

3.   Entscheidungen zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – SG Mainz, Urteil vom 09.04.2013 – S 4 AL 194/11

Agentur für Arbeit muss für Auszubildende, welche nicht mehr bei den Eltern wohnen auch Nebenkosten bei Eigentumswohnungen berücksichtigen.

www.mjv.rlp.de

3.2 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 22.04.2013 – S 11 AL 3545/12

Kein Anspruch auf Arbeitslosengeld I aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung

Die Nahtlosigkeitsregelung gem. § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III findet keine Anwendung, wenn beide Versicherungsträger von einem objektiv vorhandenen Leistungsvermögen ausgehen und nur der Arbeitslose meint, sein Leistungsvermögen sei aufgehoben.

Aufgabe der Nahtlosigkeitsregelung ist es nicht, einen nahtlosen Leistungsbezug bis zum Abschluss eines rentenrechtlichen Verfahrens sicherzustellen.

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4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 SO 358/12 B 05.04.2013 rechtskräftig

Gemäß § 116a SGB XII in der zum 01.04.2011 in Kraft getretenen Fassung gilt die Regelung des § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X, nach der Sozialleistungen gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X grundsätzlich für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden, für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts im Leistungsbereich des SGB XII lediglich mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt.

Die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 136 SGB XII, nach der § 116a SGB XII nicht auf Anträge nach § 44 SGB X Anwendung findet, die vor dem 01.04.2011, also vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 116a SGB XII, gestellt worden sind, sind nicht erfüllt.

Es fehlt vorliegend bereits an einem Antrag nach § 44 SGB X, den die Übergangsregelung des § 136 SGB XII nach ihrem eindeutigen Wortlaut zwingend voraussetzt (ebenso Greiser in jurisPK, SGB XII, § 136 SGB XII Rn. 15).

Der Sozialhilfeträger hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vorliegend nicht anlässlich eines von dem Antragsteller gestellten Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X, sondern von Amts wegen einer Überprüfung unterzogen und nachfolgend gemäß § 44 SGB X teilweise zurückgenommen.

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5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.04.2013 – S 17 SO 483/11

Keine Erstattung von Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung als Nothilfeanspruch gem. § 25 SGB XII, wenn der Antragsteller über erhebliches Vermögen(§ 2 Abs. 1 SGB XII) verfügte.

Vorschrift des § 25 SGB XII gestaltet das Rechtsverhältnis zwischen Nothelfer und Träger der Sozialhilfe insoweit abschließend. Ein Rückgriff auf allgemeine Ausgleichsbestimmungen, insbesondere die Regeln der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag, ist daher ausgeschlossen (ebenso Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.02.2012, Az.: L 20 SO 48/11).

sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Anmerkungen zu Gerichtsentscheidungen des SGB 2 und SGB 3

6.1 – Anmerkung von RiSG Berlin Udo Geiger zu SG Mannheim, Urt. v. 23.08.2012 – S 14 AL 2139/12 Ermessensreduzierung auf Null bei der Entscheidung über einen Gründungszuschuss

Siehe dazu: www.soziales-netzwerk-bgs.de

6.2 – Beweislast für den Zugang von Bewerbungsschreiben

Landessozialgericht Bayern, Beschluss vom 21.05.2012 – L 16 AS 297/12 B ER (www.ra-klose.com/html/bay-lsg-l16as-297-12-b-er.html)

Leitsatz (der Redaktion):
Kann jemand die Absendung seines Bewerbungsschreibens, das der Arbeitgeber letztlich nicht erhalten hat, durch Zeugen belegen, dann kann nicht ohne Beweisaufnahme ein Verhindern der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses angenommen werden, weil ein Verlust des Schreibens nicht nur bei der Post, sondern auch in der Sachbearbeitung beim potentiellen Arbeitgeber denkbar ist.

Kurzanmerkung der Redaktion:
Weiter hier: www.soziales-netzwerk-bgs.de

Thomé “Dossier Eingangsbestätigung”: www.harald-thome.de (pdf)

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de