1. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 29.05.2013 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BVerfG, Beschluss vom 29.05.2013 – 1 BvR 1083/09
Verfassungsbeschwerde gegen Einkommensanrechnung des „unechten Stiefvaters“ bei Hartz IV-Leistungen unzulässig
Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Regelung zur Einkommens- und Vermögensanrechnung bei den Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende richtet, wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.
In der Nichtgewährung einer staatlichen Leistung liege kein Grundrechtseingriff, weil nicht die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte betroffen sei. In Rede stehe vielmehr das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, für dessen Ausgestaltung aus grundrechtlicher Sicht allein Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG maßgeblich sei. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung dieses Grundrechts behaupte, sei die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend substantiiert.
Pressemitteilung Nr. 42/2013 vom 21. Juni 2013
2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 28.03.2013 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – BSG, Urteil vom 28.3.2013, B 4 AS 12/12 R
Neubemessung der Regelbedarfe ab 1.1.2011 für ein Ehepaar mit einem zweijährigen Kind ist verfassungsgemäß.
Der erkennende Senat ist ebenso wie der 14. Senat des BSG davon überzeugt, dass die im Rahmen des Statistikmodells begründete Herausnahme einzelner Positionen durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist.
Er folgt dem 14. Senat, wenn dieser ausführt, die regelbedarfsrelevanten Ausgabenpositionen und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich bleibe. Auch bei der Kennzeichnung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und dem Ausschluss bzw der Kürzung anderer Verbrauchspositionen hat der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
Zutreffend hat er sich schließlich bei der Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Entscheidung für das Statistikmodell orientiert (Rz. 24).
Anmerkung:
Anderer Auffassung Hans-Böckler-Stiftung: 25 Euro mehr Hartz-IV, wenn Kritik des Verfassungsgerichts ohne weitere Methodenänderungen umgesetzt worden wäre.
Zwischenergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Das Grundsicherungsniveau: Ergebnis der Verteilungsentwicklung und normativer Setzungen“ von Irene Becker und Reinhard Schüssler, gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2013.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.06.2013 – L 7 AS 40/13 B rechtskräftig
Minderung des Regelbedarfes um monatlich 112,20 Euro (30 % des Regelbedarfes) rechtmäßig, denn die Verpflichtung, monatlich acht Bewerbungen vorzunehmen, ist nicht zu beanstanden – Pflicht zum Nachweis von Eigenbemühungen eines SGB II-Beziehers ist zulässig.
Der Senat kann offen lassen, ob es sich bei § 15 Abs. 1 SGB II um eine reine Verfahrensvorschrift handelt, die das Verhalten und das Vorgehen des Grundsicherungsträgers steuern soll, wobei dieser selbst entscheiden kann, welchen Verfahrensweg er zur Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wählt, ohne dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige dadurch einen Rechtsverlust erleidet. Nach dieser Auffassung steht dem Grundsicherungsträger die Alternative des Erlasses eines Verwaltungsaktes schon dann zu, wenn ihm dies als der besser geeignete Weg erscheint (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 22.09.2009, Az.: B 4 AS 13/09 R; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 02.05.2011, Az. L 19 AS 344/11 B ER, L 19 AS 345/11 B ER).
Nach anderer Auffassung besteht ein Vorrang der konsensualen Lösung durch eine in gegenseitigem Einvernehmen geschlossene Vereinbarung vor einer hoheitlichen Maßnahme des Erlasses der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt (so Bundessozialgericht Urteil vom 14.02.2013 Az. B 14 AS195/11 R).
Anmerkung:
Anderer Auffassung- Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.05.2013 – L 7 AS 112/13 B ER rechtskräftig
3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.03.2013 – L 6 AS 531/13 B ER rechtskräftig
Rumänische Staatsangehörige haben Anspruch auf die Regelleistung nach dem SGB II im Rahmen der Folgenabwägung.
Für die Kosten der Unterkunft besteht kein Anordnungsgrund, denn für diese (laufenden) Kosten ist auch nach der Rechtsprechung des Senats die Eilbedürftigkeit regelmäßig erst dann zu bejahen, wenn konkret Wohnungslosigkeit im Stadium der Räumungsklage droht (s. etwa LSG NRW Beschl vom 11.01.2011 – L 6 AS 2084/10 B ER -; vgl auch LSG NRW Beschl v 27.11.2008 – L 9 B 183/08 AS ER – Rn 11 m.w.N.). Das Auflaufen von Mietschulden, Kündigung und Androhung der Räumungsklage begründet diese Annahme nicht.
Anmerkung:
Ebenso im Ergebnis- Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.05.2013 – L 7 AS 553/13 B ER rechtskräftig;
Anderer Auffassung – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2012 – L 20 AS 2061/12 B ER
3.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.06.2013 – L 7 AS 830/13 B ER rechtskräftig
Italienischer Staatsbürger hat Anspruch auf ALG II im Rahmen der Folgenabwägung.
Insbesondere ist der Antragsteller zur Sicherstellung des Existenzminimums wegen der auch diesbezüglich bestehenden klärungsbedürftigen Rechtsfragen auch nicht auf die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu verweisen (LSG NRW Beschluss vom 20.12.2012 Az. L 7 AS 2138/12 B ER).
Anmerkung:
Ebenso – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.01.2013 – L 2 AS 2457/12 B ER und – L 2 AS 2458/12 B ER
3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.06.2013 – L 7 AS 138/13 B rechtskräftig
Brille stellt Sonderbedarf nach SGB II dar.
Kosten für die Beschaffung einer Brille sind als unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger Mehrbedarf gem. § 21 Abs. 6 SGB II vom Grundsicherungsträger zu übernehmen.
Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn Kosten für die Anschaffung der Brille sind wohl möglich als Zuschuss nach § 21 Abs. 6 SGB II vom Jobcenter zu übernehmen.
Dies soll dann gelten, wenn aufgrund der besonderen Sachlage, beispielsweise aufgrund der bestehenden Erkrankungen, nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei der Anschaffung der Brille um einen regelmäßig wiederkehrenden Sonderbedarf handelt.
Anmerkung:
Vgl. dazu auch SG Detmold, Urteil vom 11.01.2011 – S 21 AS 926/10
Kosten für die Beschaffung einer Gleitsichtbrille sind als unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger Mehrbedarf vom Grundsicherungsträger zu übernehmen.
3.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.04.2013 – L 34 AS 2121/11 rechtskräftig
Von dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II werden nicht solche Personen erfasst, die eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme als LTA (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) in Anspruch nehmen.
Da der Gesetzgeber in § 7 Abs. 5 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) nicht darauf abstellt, aufgrund welcher Vorschriften Ausbildungen der in dem Absatz genannten Art durchgeführt werden, sondern nur darauf, ob die Ausbildungen dem Grunde nach anderen Regelungssystemen förderungsfähig sind, kann der Systematik des Gesetzes nur entnommen werden, dass generell LTA von dem Ausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II nicht erfasst sind.
Anmerkung:
Im Ergebnis ebenso: für LTA nach §§ 97 ff. SGB III auch LSG Berlin-Brandenburg vom 11. Februar 2008 – L 5 B 10/08 AS ER -, vom 10. März 2009 – L 20 AS 47/09 B ER -, und vom 10. März 2010 – L 20 AS 2047/09 B ER ).
3.6 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.2013 – L 2 AS 1962/12
Nach § 7 Abs. 5 SGB II sind auch in Ausbildung befindliche behinderte Menschen, die Ausbildungsgeld nach § 104 SGB III beziehen, vom Leistungsausschluss nach dem SGB II erfasst, wenn die Ausbildung dem Grunde nach förderfähig ist.
Der Ausschluss der Ausbildungsvergütung im Berufsausbildungsvertrag für eine Ausbildung im Berufsbildungswerk führt nicht zum Förderungsausschluss dem Grunde nach und steht somit der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 5 SGB II nicht entgegen.
sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Im Ergebnis ebenso: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.01.2013 L 34 AS 2968/12 B ER
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 26.04.2013 – S 197 AS 10018/13 ER rechtskräftig
Jobcenter muss darlehensweise die Kosten der Vereinsfahrt nach Barcelona des 13- jährigen Schülers übernehmen
Die Kosten für eine Vereinsfahrt stellen als „Teilnahme an Freizeiten“ im Sinne des § 28 Abs. 7 Nr. 3 SGB 2 einen vom Regelbedarf nach § 20 Abs. 1 SGB 2 umfassten Bedarf dar, wodurch der Anwendungsbereich des § 24 Abs. 1 S. 1 SGB 2 eröffnet ist.
Kann ein einmaliger Bedarf für die Teilnahme an einer Freizeit nicht aus den nach § 28 Abs. 7 Nr. 3 SGB 2 anerkannten Mitteln finanziert werden, ist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die Gewährung eines Darlehens möglich. Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, durch die Einführung des § 28 SGB 2 die materielle Basis für Chancengerechtigkeit herzustellen und eine stärkere Integration bedürftiger Kinder und Jugendlicher in die Gemeinschaft zu erreichen.
4.2 – Sozialgericht Detmold, Urteil vom 23.05.2013 – S 16 SO 27/13, die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen
Eine erwachsene – dauerhaft voll erwerbsgeminderte – Hilfeempfängerin, die mit einer anderen Frau lediglich in einer – Wohngemeinschaft – lebt, ist bei der Bedarfsberechnung der Regelbedarfsstufe – 1 – zuzuordnen.
An der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 8/08 R) ist auch nach der Neuregelung zum 01.01.2011 in § 27a SGB XII und der Anlage zu § 28 SGB XII festzuhalten, denn in der Sache hat sich die Rechtslage nicht geändert.
Vor diesem Hintergrund ist an der Rechtsprechung des BSG festzuhalten, dass nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII Einsparungen bei gemeinsamen Haushalt nur angenommen werden können, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft i. S. des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft i. S. des SGB XII bilden.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt.
Anmerkung:
Im Ergebnis ähnlich: kritisch zu Einführung der Regelbedarfsstufe 3 auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6.2.2012 – L 20 SO 527/11 B , anderer Auffassung LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 24.10.2011 – L 8 SO 275/11 B ER.
4.3 – Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 28.1.2013 – S 25 AS 4787/12 ER
Leitsätze (der Redaktion):
1. Sowohl die Stellung eines Rentenantrags durch das Jobcenter anstelle des Leistungsberechtigten gern. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II als auch schon die Aufforderung an den Leistungsberechtigten zur Rentenbeantragung stehen im Ermessen des Jobcenters. Bei der Ermessensausübung hat das Jobcenter auch andere als die in der Unbilligkeitsverordnung aufgeführten Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Der in der Unbilligkeitsverordnung aufgeführte Katalog von Unbilligkeitstatbeständen ist nicht abschließend.
2. Bei der Ermessensausübung ist auch zu berücksichtigen, ob eine vorzeitige Inanspruchnahme einer geminderten Altersrente voraussichtlich zu einer dauerhaften Bedarfsunterdeckung und zu einer dauerhaften Inanspruchnahme von Existenzsicherungsleistungen führen würde.
Quelle: info also, 2013, 132 – Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorgezogener Altersrente mit Anmerkung von Hans-Ulrich Weth
Hier zu finden: www.info-also.nomos.de
5. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 21.5.2013 – S 1 SO 1369/12
Das aus Einkünften aus eigener Erwerbstätigkeit angesparte Bankvermögen eines Empfängers von Hilfe zur Pflege ist grundsätzlich als Vermögen bedarfsmindernd zu berücksichtigen.
Dies stellt für den Hilfeempfänger weder eine Härte dar noch führt die Vermögensanrechnung zu einer behinderungsspezifischen Diskriminierung i.S.d. der UN-Behindertenrechtskonvention.
sozialgerichtsbarkeit.de
6. Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Reform der Sanktionen im SGB II
Hier zur Quelle: www.deutscher-verein.de
7. Vorwurf des Bundesrechnungshofs: Arbeitsagentur manipuliert Vermittlungsstatistik – Um die Ziele zu erfüllen, kam es zudem laut Rechnungshof zu erheblichen Manipulationen – Diskriminierende Vorgehensweise
Vermittelt wird nur, wer leicht vermittelbar ist: Der Bundesrechnungshof wirft der Agentur für Arbeit vor, nach diesem Prinzip eine bessere Erfolgsbilanz vorzutäuschen. Besonders Langzeitarbeitslose würden schlecht betreut.
Quelle: Der Spiegel
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de