Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 18.06.2013 – Az.: S 43 AS 1120/11

URTEIL

In dem Rechtsstreit

xxx,
Kläger,

Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Landkreis xxx,
Beklagter,

hat das Sozialgericht Hildesheim – 43. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2013 durch den Vorsitzenden, Richter xxx, sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx, für Recht erkannt:

1.  Der Bescheid vom 25.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.11.2011 wird abgeändert. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum Juni bis November 2011 weitere Kosten der Unterkunft i. H. v. 181,80 Euro zu bewilligen.

2.  Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

3.  Die Berufung wird zugelassen.

TATBESTAND
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Kosten der Unterkunft (KdU) im Rahmen von Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum Juni bis November 2011.

Der am xxx geborene Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum hilfebedürftig im Sinne des SGB II und stand im Bezug laufender Grundsicherungsleistungen durch den Beklagten. Er bewohnte bis einschließlich Oktober 2011 eine 54qm große Mietwohnung in xxx bei Göttingen. Die monatlichen KdU betrugen 409,60 EUR. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Blatt 106 der Verwaltungsakte verwiesen. Im Verlauf des Monats Oktober 2011 verzog der Kläger in eine Mietwohnung in der xxx Straße in Göttingen. Die dortigen KdU betrugen für November 2011 insgesamt 393,88 EUR.

Durch Bescheid vom 25.05.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum Juni bis November 2011. Hierbei berücksichtigte er monatliche Unterkunftskosten in Höhe von 292 EUR (vgl. Blatt 116 der Verwaltungsakte).

Hiergegen legte der Kläger am 30.05.2011 Widerspruch ein. Es seien höhere Unterkunftskosten zu bewilligen. Der Beklagte orientiere sich bei der Bemessung der Angemessenheit offensichtlich an den Werten der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG). Auf diesen monatlichen Wert von 292 EUR sei jedoch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen ein Sicherheitszuschlag von 10% zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Höhere Unterkunftskosten seien nicht zu bewilligen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Widerspruchsbescheides wird auf Blatt 21ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 29.06.2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben und sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren ergänzt und bekräftigt. Ein Sicherheitszuschlag von 10% sei auch auf die Werte der ab 01.01.2009 geltenden Tabelle zu § 12 WoGG zu erbringen. Somit bestehe pro Monat ein Anspruch auf weitere KdU in Höhe von 29,20 EUR für die Monate Juni bis Oktober 2011 und in Höhe von 35,80 EUR für den Monat November 2011.

Durch Änderungsbescheid vom 03.11.2011 regelte der Beklagte die dem Kläger für die Monate Oktober und November 2011 bewilligten KdU aufgrund des erfolgten Umzugsneu und bewilligte für den Monat November 2011 KdU in Höhe von 358 EUR. Wegen der weiteren Einzelheiten des Änderungsbescheides wird auf Blatt 38ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 25.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.11.2011 abzuändern und dem Kläger für den Zeitraum Juni bis November 2011 weitere Kosten der Unterkunft i. H. v. 181,80 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die angegriffenen Bescheide. Der geforderte Sicherheitszuschlag von 10% auf die maßgeblichen Werte der Tabelle zu § 12 WoGG sei nicht zu gewähren. Dies könne den Entscheidungen des BSG nicht entnommen werden. Ferner sei es unbillig, Empfänger von SGB II – Leistungen und solche von Wohngeld unterschiedlich zu behandeln. Nach Einführung der neuen Tabelle zu § 12 WoGG zum 01.01.2009 sei der vom BSG geforderte Sicherheitszuschlag nicht mehr nötig, da aufgrund der Erhöhung der jeweiligen Tabellenwerte die durch das BSG im Urteil vom 19.02.2009 (B 4 AS 30/08 R) BSG thematisierten möglichen Unbilligkeiten einer Pauschalierung beseitigt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidungsfindung geworden sind.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid vom 25.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten.

Dieser hat im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Gewährung weiterer KdU in Höhe von 181,80 EUR.

KdU werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind; vgl. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des Hilfebedürftigen so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate; § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II. Die Prüfung der Angemessenheit begrenzt die erstattungsfähigen Kosten der Höhe nach (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009, Az. B 4 AS 18/09 R). Es handelt sich bei der „Angemessenheit“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az. B 7b AS 10/06 R). Die Bestimmung der Angemessenheit hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG in mehreren Stufen zu erfolgen. Zunächst sind die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche Vergleichsraum festzulegen. In einem weiteren Schritt ist zu ermitteln, wie viel auf dem Wohnungsmarkt des Vergleichsraums für eine Wohnung einfachen Standards aufzuwenden ist. Ziel der Ermittlungen ist der Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards, der nach Maßgabe der Produkttheorie mit der angemessenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren ist. Das Ergebnis ist die regional angemessene Miete (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009, Az. 18/09 R).

Im hier streitgegenständlichen Zeitraum hat der Beklagte zunächst in nicht zu beanstandender Weise zur Ermittlung der regional abstrakt angemessenen Wohnungsmiete auf die Werte der Tabelle zu § 12 WoGG zurückgegriffen. Sofern ein sog. schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze nicht vorliegt, ist auf die Werte der Wohngeldtabelle zurückzugreifen (vgl. BSG a.a.0).

Entgegen der Auffassung ist des Beklagten ist jedoch auch auf die Werte der Tabelle zu § 12 WoGG in diesem Zusammenhang ein Sicherheitszuschlag von 10% zu gewähren, sodass der Kläger im hier streitigen Zeitraum Anspruch auf weitere KdU in Höhe von 29,20 EUR für die Monate Juni bis Oktober 2011 sowie 35,80 EUR für November 2011 hat.

Dies ergibt sich allerdings nicht aus den Ausführungen des BSG im Urteil vom 17.12.2009 (B 4 AS 50/09 R). Diese beziehen sich lediglich auf die Werte der bis zum 31.12.2008 gültigen Tabelle zu § 8 WoGG und treffen zur Rechtslage ab dem 01.01.2009 keine Aussage. Hierfür spricht insbesondere, dass diese Rechtsfrage zurzeit beim BSG anhängig ist (B 4 AS 87/12 R).

Gleichwohl ist nach Überzeugung der Kammer ein derartiger Zuschlag auch auf die Tabellenwerte zu § 12 WoGG zu gewähren. Die Kammer schließt sich diesbezüglich der Auffassung der Landessozialgerichte Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 06.04.2011 – L 7 AS 222/11 B ER – sowie vom 04.01.2012 – L 11 AS 653/11 B ER) und Baden-Württemberg (Urteil vom 07.11.2012, L 3 AS 5600/11) an.

Dabei ist entscheidend, dass es sich bei der Bestimmung des Zuschlags eben nicht um eine auf den konkreten Sachverhalt gerichtete Einzelfallentscheidung handelt sondern dieser unter Berücksichtigung abstrakter Kriterien durch das BSG festgelegt worden ist. Ferner sollte es sich bei dem Zuschlag auf die Werte der Tabelle zu § 8 WoGG nach der maßgeblichen Entscheidung des BSG auch nicht um einen Ausgleich für eine zwischenzeitlich eingetretene Teuerung handeln. Zweck des Zuschlags sollte vielmehr der Ausgleich möglicher Unwägbarkeiten und damit der Schutz des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes sein.

Trotz der zum 01.09.2009 vorgenommenen Erhöhung der Werte in der Wohngeldtabelle ist daher nach Überzeugung der Kammer weiterhin ein derartiger Zuschlag zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.