Sozialgericht Hildesheim – Beschluss vom 23.09.2013 – Az.: S 12 SF 76/13 E

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx,
Erinnerungsführer,

gegen

xxx,
Erinnerungsgegner,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

hat das Sozialgericht Hildesheim – 12. Kammer – am 23. September 2013 durch die Vorsitzende, Richterin xxx, beschlossen:

1.  Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Hildesheim vom 22. Mai 2013 im Verfahren S 24 AS 1032/11 wird zurückgewiesen.

2.  Der Erinnerungsführer hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsgegnerin zu tragen.

GRÜNDE
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren in einem Kostenfestsetzungsverfahren.

Die 19xx geborene Erinnerungsgegnerin stand in den letzten Jahren im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ihr Prozessbevollmächtigter beantragte für sie mit Schriftsätzen vom 20. September 2010 und 7. Oktober 2010 die Überprüfung von Bescheiden insgesamt sieben Leistungszeiträume betreffend. Begründet wurde dies damit, dass die Klägerin ihr Wasser mittels Durchlauferhitzer erwärme und daher die sog. Warmwasserpauschale nicht abgezogen werden dürfe. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 nahm der Erinnerungsführer die Einbehaltung der Warmwasserpauschale für alle betroffenen Leistungszeiträume zurück. Gegen diesen Bescheid wurde hinsichtlich aller zuvor einbezogenen Leistungszeiträume mit gesonderten Schriftsätzen vom 15. Oktober 2010 Widerspruch eingelegt. Den Widersprüchen wurde mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 abgeholfen und eine positive Kostengrundentscheidung verfügt. Mit Schriftsätzen vom 22. Dezember 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin für diese die Festsetzung von zu erstattenden außergerichtlichen Kosten unter Ansetzung jeweils einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe von 80,00 €. Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 8. März 2011 wurden die der Erinnerungsgegnerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für die Widerspruchsverfahren in Höhe von insgesamt 166,60 € festgesetzt. Der Erinnerungsführer setzte hierbei einmalig die Gebühr nach Nr. 2401 VV RVG zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer fest. Die hiergegen gerichteten Widersprüche vom 11. März 2011 wurden zunächst nicht beschieden. Daraufhin erhob der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin für diese unter dem 20. Juni 2011 insgesamt sieben Untätigkeitsklagen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2011 wurden sodann die Widersprüche als unbegründet zurückgewiesen. Im hier zugrunde liegenden Klageverfahren zum Aktenzeichen S 24 AS 1032/11 wurde der Erinnerungsführer mit gerichtlichem Beschluss vom 10. Juli 2012 zur Kostentragung verpflichtet.

Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2012 beantragte der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegner für diese die gerichtliche Kostenfestsetzung. Hierbei brachte er eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe von 96,00 € nebst Auslagenpauschale nach Nr. 7002 W RVG und zzgl. Umsatzsteuer, insgesamt einen Betrag in Höhe von 137,09 € in Ansatz.

Mit Beschluss vom 22. Mai 2013 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Erinnerungsführer zu erstattenden Kosten antragsgemäß fest.

Am 26. Juni 2013 wird durch den dortigen Beklagten Erinnerung eingelegt. Es bestehe lediglich eine Kostenerstattungspflicht in Höhe von 1/7, da es der Erinnerungsgegnerin oblegen habe, anstatt sieben nur eine Untätigkeitsklage zu erheben. Der Kostenfestsetzungsbeschluss widerspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), wonach eine Quotelung der Kosten unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs im Kostenfestsetzungsverfahren und nicht schon bei der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen sei (Beschluss vom 20. November 2012 – VI ZB 1/12; Beschluss vom 11. September 2012 – VI ZB 59/11). Dem nach § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeräumte Ermessen hinsichtlich einer Klagehäufung stehe das Kostenminimierungsgebot gegenüber. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs leite sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben her, der die gesamte Rechtsordnung durchziehe. Dass eine Zusammenfassung aller sieben Widersprüche gegen einen Kostenfestsetzungsbescheid in einer Untätigkeitsklage möglich und zumutbar gewesen sei, zeige auch der Fortgang der Angelegenheit, indem die Erinnerungsgegnerin anschließend eine Klage in objektiver Klagehäufung nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens erhoben habe.

Die Erinnerungsgegnerin hat sich den Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die Beiakte S 24 AS 1032/11, die vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

II.
Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

Die Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist nicht zu beanstanden. Die beantragte und festgesetzte doppelte Mindestgebühr zzgl. 20 % entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kostenkammern des Sozialgerichts Hildesheim betreffend Untätigkeitsklagen. Eine weitere Kürzung ist nicht vorzunehmen. Die Erinnerungsgegnerin muss sich nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten lassen, weil sie sieben Untätigkeitsklagen anstelle nur einer Klage erhoben hat.

Die von dem Erinnerungsführer zitierte Rechtsprechung des BGH ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Grundlage dieser Rechtsprechung ist der Grundsatz, dass die willkürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes bzw. die getrennte Verfolgung von Ansprüchen, die aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsen, ohne sachlichen Grund rechtsmissbräuchlich ist und der Kläger sich so behandeln lassen muss, als hätte er nur eine einzige Klage als Klagehäufung mit mehreren Streitgegenständen geführt. Den Entscheidungen des BGH lagen zum einen zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf Unterlassung zugrunde, eines die Verbreitung einer Passage der Wortberichterstattung und eines die Veröffentlichung eines Lichtbildes jeweils desselben Zeitschriftenartikels betreffend. In der zweiten Entscheidung ging es um die Unterlassung einer einzelnen Behauptung über den Urlaubsort einer Familie, gegen die die betreffenden Familienmitglieder mit gesonderten Verfahren vorgegangen sind.

Im Gegensatz hierzu waren die durch die Klägerin geführten Verfahren nicht auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt zurückzuführen. Ein solcher ergibt sich nicht schon daraus, dass Grundlage der fraglichen Verfahren jeweils der Bezug von Leistungen nach dem SGB II war. Denn vorliegend waren insgesamt sieben Leistungszeiträume von den Überprüfungsanträgen und den nachfolgenden Verfahrensentwicklungen betroffen. Der Gesetzgeber hat in § 41 Abs. 1 SGB II einen grundsätzlichen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten normiert, der nicht ohne Weiteres nach dem Belieben des Leistungsträgers verändert werden kann. Maßgeblich für diese gesetzgeberische Entscheidung war der Gedanke, dass die Leistungen nach dem SGB II – anders als z.B. die Leistungen nach dem SGB XII – grundsätzlich auf eine kurze Bezugsdauer ausgelegt sind und häufigen Veränderungen der Tatsachengrundlage unterworfen sein können. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zudem auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der zwar eine Abtrennbarkeit der Streitgegenstände hinsichtlich Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung besteht, nicht jedoch hinsichtlich einzelner Berechnungskomponenten. Sofern also wie im zugrunde liegenden Fall über die Berechnung der Warmwasserpauschale Uneinigkeit besteht, sind die gesamten Kosten der Unterkunft und Heizung streitgegenständlich und damit zu überprüfen. Die Prüfung kann – dies zeigen die Erfahrungen aus Praxis und Rechtsprechung – für unterschiedliche Leistungszeiträume aufgrund veränderter Beurteilungsgrundlage zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Vor diesem Hintergrund kann auch in Fällen, in denen die klägerische Argumentation in allen Verfahren gleichlautend ist, nicht ohne Weiteres von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgegangen werden. Dies erscheint allein in solchen Fallgestaltungen denkbar, in denen ausschließlich unveränderbare Umstände streitentscheidend sind. Der Umstand, dass die Rechtsstreitigkeiten ihren Ursprung in verschiedenen Lebenssachverhalten haben, wirkt auch hinsichtlich der später erhobenen Untätigkeitsklagen wegen der Kostenfestsetzung fort, da auch hier weiterhin unterschiedliche Klagegegenstände und Lebenssachverhalte vorliegen.

Im Übrigen besteht aber auch praktisch kein Bedürfnis für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsgrundsatzes, da der Führung von im Wesentlichen gleich laufenden Parallelverfahren im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens durch die Berücksichtigung entstandener Synergieeffekte begegnet werden kann. Ob im vorliegenden Verfahren Synergieeffekte entstanden sind kann indes dahinstehen. Denn bei gleichzeitig erhobenen Klagen, bei denen nicht ersichtlich ist, welche durch den Anwalt zeitlich zuerst erstellt wurde, ist dem anwaltlichen Aufwand durch einmalige Festsetzung der vollen angemessenen Gebühr für ein Verfahren Rechnung zu tragen. Etwaige Synergieeffekte sind sodann ggf. in den weiteren Kostenfestsetzungs- bzw. Erinnerungsverfahren zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Das Gericht hat insoweit seine bisherige Auffassung aufgegeben, wonach eine Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren nach § 197 Abs. 2 SGG nicht ergehen sollte (vgl. Beschluss vom 5. September 2011, Az.: S 12 SF 52/11 E; Beschluss vom 8. September 2011, S 12 SF 108/11 E). Eine Kostenentscheidung ist aufgrund der Regelung in § 3501 VV RVG erforderlich.

Das Gericht folgt dabei der Auffassung, wonach auch bei Erinnerungen gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten eine besondere Angelegenheit nach § 18 Nr. 5 RVG vorliegt und somit der Gebührentatbestand von Nr. 3501 VV RVG verwirklicht wird (so: SG Berlin, Beschluss vom 10. September 2007 – S 48 SB 2223/05 – unter Verweis auf Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. September 2005 – L 2 B 40/04 – und auf Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 – L 6 B 221/06 SB – vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Juni 2007 – 4 KSt 1001/07). Es spricht im Ergebnis Überwiegendes dafür, dass die Beschränkung in § 18 Nr. 5 RVG auf Entscheidungen des Rechtspflegers auf einem Redaktionsversehen beruht und insoweit das regelmäßige Fehlen eines Rechtspflegers bei Entscheidungen nach dem SGG übersehen wurde.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.