Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht – Beschluss vom 08.11.2013 – Az.: 11 OB 263/13

BESCHLUSS

In der Verwaltungssache

der xxx,
Klägerin und Beschwerdeführerin,

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

die xxx,
Beklagte und Beschwerdegegnerin,

Streitgegenstand: Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen
– Verweisung –

hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht 11. Senat – am 8. November 2013 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 10. Kammer – vom 18. September 2013 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

GRÜNDE
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass eine am 2. Juni 2012 durchgeführte Feststellung ihrer Personalien und ihre erkennungsdienstliche Behandlung in Form des individuellen Abfilmens ihrer Person rechtswidrig waren. Am 2. Juni 2012 fanden in Hamburg die rechtsgerichtete Versammlung “Tag der deutschen Zukunft” sowie Gegenveranstaltungen statt. Die Klägerin befand sich zusammen mit anderen Versammlungsteilnehmern auf der Rückreise von einer Gegenveranstaltung. Die streitgegenständlichen Maßnahmen wurden im Bahnhof in Uelzen durch Beamte der Bundespolizei durchgeführt.

Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht an das Amtsgericht Lüneburg verwiesen. Denn für den vorliegenden Rechtsstreit ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil der Streitgegenstand (auch) dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Nach der genannten Vorschrift ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Wird die Polizei zur Gefahrenabwehr tätig, ist danach der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dagegen sind die Strafgerichte für die Überprüfung von Strafverfolgungsmaßnahmen, die sich als Justizverwaltungsakte darstellen, nach § 23 Abs. 1 EGGVG bzw. § 98 Abs. 2 StPO analog zuständig.

Die hier streitigen polizeilichen Maßnahmen gehören zu den sogenannten doppelfunktionalen Maßnahmen der Polizei. Darunter werden Handlungen verstanden, die sich nicht ohne weiteres als Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung einordnen lassen, weil sie nach Maßgabe entsprechender Befugnisnormen sowohl nach Polizeirecht als auch nach der Strafprozessordnung vorgenommen worden sein könnten. Bei diesen Maßnahmen ist nach der überwiegenden Rechtsprechung der Rechtsweg danach zu bestimmen, ob der Grund oder das Ziel des polizeilichen Einschreitens und gegebenenfalls dessen Schwerpunkt der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienten. Für die Abgrenzung der beiden Aufgabengebiete ist maßgebend, wie sich der konkrete Sachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt (BVerwG, Urt. v. 3.12.1974 – BVerwG I C 11.73 -, DVBI. 1975, 581, juris, Rn. 24; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 14.12.2010 – 1 S 38/10 NVwZ-RR 2011, 231, juris, Rn. 16; Bayerischer VGH, Urt. v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 -, BayVBI. 2010, 220, juris, Rn. 12). Dabei muss der Sachverhalt im Allgemeinen einheitlich betrachtet werden, es sei denn, dass einzelne Teile des Geschehensablaufs objektiv abtrennbar sind. Hat die Polizei die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht weitergeleitet oder auf Weisung der Staatsanwaltschaft gehandelt, so kann an der strafprozessualen Natur ihres Einschreitens kein vernünftiger Zweifel bestehen. Eine Maßnahme, die nach dem Gesamteindruck darauf gerichtet ist, eine strafbare Handlung zu erforschen oder sonst zu verfolgen, ist der Kontrolle der ordentlichen Gerichte nach §§ 23 ff. EGGVG nicht etwa deshalb entzogen, weil durch die polizeilichen Ermittlungen möglicherweise zugleich auch künftigen Verletzungen der öffentlichen Sicherheit vorgebeugt wurde (BVerwG, Urt. v. 3.12.1974 – BVerwG I C 11.73 -, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall lässt sich nach diesen Kriterien nicht eindeutig bestimmen, ob die Polizei repressiv oder präventiv tätig geworden ist.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass ihr keine Rechtsgrundlage für das polizeiliche Handeln genannt worden sei, und sich die Gruppe, in der sie sich befunden habe, friedlich verhalten habe. Das gesamte polizeiliche Handeln am Bahnsteig in Uelzen habe sich für sie von Beginn der Umschließung bis zum Platzverweis als gefahrenabwehrrechtliches Maßnahmenbündel dargestellt. Nach dem Vorbringen der Beklagten hat die Polizei die Identitätsfeststellung und deren Filmen sowohl auf § 163 b StPO als auch auf § 23 Abs. 1 BPoIG gestützt. Dies ergibt sich aus dem Bericht des EPHK xxx vom 11. Juli 2012, der den Einsatz geleitet und die Personalienfeststellung der 41 auf dem Bahnsteig verbliebenen linken Versammlungsteilnehmer einschließlich der Klägerin angeordnet hat. Darin führt er zu dem doppelfunktionalen Charakter der Maßnahmen aus, dass nach § 163 b StPO der oder die Täter zum Flaschenwurf und weiterer Straftaten in Hamburg festgestellt werden sollten und nach § 23 Abs. 1 BPoIG vor dem Hintergrund der Gefahr des erneuten Aufeinandertreffens der linken und rechten Versammlungsteilnehmer und weiterer zu erwartender Straftaten diese verhindert werden sollten. Dies sei der Gruppe über Megaphon durch PHK xxx auch mehrfach mitgeteilt worden. Dass PHK xxx in seiner Stellungnahme vom 14. Juni 2012 demgegenüber angegeben hat, bei 41 separierten Personen sei eine repressive Identitätsfeststellung wegen des Verdachts der Begehung von Straftaten nach §§ 125, 224 StGB durchgeführt worden, ist im Hinblick auf den Bericht des Einsatzführers EPHK xxx, der die streitige Anordnung getroffen hat, zumindest als unvollständig anzusehen und kann für die erforderliche Zuordnung der Maßnahmen aus der objektiven Sicht eines Betroffenen nicht maßgeblich sein.

Soweit die Beklagte geltend gemacht hat, der Schwerpunkt des polizeilichen Handelns dürfte im repressiven Bereich gelegen haben, ist dies aus Sicht der Klägerin bei verständiger Würdigung des Sachverhalts nicht eindeutig erkennbar gewesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Polizei ihre Maßnahmen auf verschiedene Rechtsgrundlagen stützen kann und sich nicht am Einsatzort entscheiden muss, ob sie ausschließlich oder schwerpunktmäßig präventiv oder repressiv handelt. Hier liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Klägerin von den vor Ort anwesenden Polizeibeamten der Eindruck vermittelt worden ist, die Durchführung der polizeilich angeordneten Maßnahmen diene allein oder vorrangig Zwecken der Strafverfolgung. Auch sonst ist nicht ersichtlich, aus welchen Umständen die Klägerin diesen Schluss hätte ziehen sollen. Gegen die Klägerin ist offenbar kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dass aus objektiver Sicht nach Abfahrt der rechten Versammlungsteilnehmer ein präventiv-polizeilicher Zweck der Maßnahme nicht mehr in Betracht kommen konnte, ist ebenfalls nicht festzustellen. So sind gegen die 41 auf dem Gleis befindlichen Personen noch befristete Platzverweise für den Bahnhof Uelzen und damit Maßnahmen zur Gefahrenabwehr angeordnet worden. Die Platzverweise dienten nach dem Bericht des Einsatzführers EPHK xxx dem Zweck, im Bahnhof eine Nachsuche nach möglicherweise dort verbliebenen rechten Versammlungsteilnehmern vornehmen zu können. Wie der Vertreter der Beklagten nach dem unwidersprochen geblieben Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt haben soll, diente die Identitätsfeststellung ebenfalls dazu, die Einhaltung der Platzverweise zu gewährleisten, und stand somit (auch) in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Dass für die Klägerin aus ihrer Sicht eindeutig die Strafverfolgung im Vordergrund stehen musste, kann daher nicht angenommen werden.

In einem solchen Fall, in dem der Grund für das polizeiliche Einschreiten bzw. dessen Schwerpunkt nach objektiver Betrachtung für den Betroffenen nicht zweifelsfrei zu erkennen ist, für die polizeiliche Maßnahme aber (zumindest auch) eine präventivpolizeiliche Rechtsgrundlage in Betracht kommt, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (so auch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9.1.2012 – 5 E 251/11 -, juris, Rn. 16; im Ergebnis ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.7.2006 – 5 E 585/06 -, juris, Rn. 4; OVG Thüringen, Beschl. v. 5.9.2013 – 1 K 121/12 -, V.n.b.). Das angerufene Verwaltungsgericht entscheidet den Rechtsstreit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Die dadurch angeordnete umfassende Prüfung erstreckt sich somit auch auf rechtliche Gesichtspunkte, für die an sich ein anderer Rechtsweg gegeben wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 1 GKG i.V.m. Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Die Vorschrift des § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten bei dem Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, behandelt werden, kann auf die Kosten eines Beschwerdeverfahrens nicht angewandt werden (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., Anh. § 41, Rn. 37 m.w.N.).

Die weitere Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG nicht vorliegen. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).