Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 46/2013

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 10.09.2013 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R

Leitsätze
BSG bestätigt schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers nach dem SGB II für die Stadt “München”. Bei der Überprüfung der Referenzmiete des Jobcenters sind zutreffend eine Wohnungsgröße für Alleinstehende in München von 50 qm und nur Wohnungen mindestens einfachen und nicht einfachsten Standards zugrunde gelegt worden.

Die vom BSG vorgegebenen Kriterien eines schlüssigen Konzepts wurden beachtet. Durch den Rückgriff auf die Daten des Münchner Mietspiegels 2007 wird die Datenerhebung auf ein bestimmtes Gebiet (hier: die Stadt München) begrenzt und es werden Daten über das gesamte Stadtgebiet erhoben. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass durch den Rückgriff auf den Datenbestand des qualifizierten Mietspiegels nur diejenigen Wohnungen berücksichtigt worden sind, bei denen die Miete in den letzten vier Jahren neu vereinbart oder geändert und Wohnraum unberücksichtigt geblieben ist, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt worden ist.

Von einer zutreffenden Kostensenkungsaufforderung iS des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist auszugehen, wenn das Jobcenter als Referenzmiete eine Bruttokaltmiete benannt hat (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R; s. auch BSG Urteil vom 22.8.2012 – B 14 AS 13/12 R).

Unschädlich ist, dass das JC die Angemessenheitsgrenze im Verlaufe des Gerichtsverfahrens geändert hat. Denn dies ist einerseits Ergebnis der Auseinandersetzungen der Beteiligten vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und andererseits stellt das Schreiben des Grundsicherungsträgers über die Unangemessenheit der Unterkunftskosten und die Aufforderung zur Kostensenkung lediglich ein Informationsschreiben mit Aufklärungs- und Warnfunktion dar. Hält der Leistungsempfänger die vom Grundsicherungsträger vorgenommene Einschätzung über die Angemessenheit der Kosten für nicht zutreffend bzw einschlägig, so ist der Streit hierüber bei der Frage auszutragen, welche KdU angemessen sind. Insofern stellt die Kostensenkungsaufforderung seitens des Grundsicherungsträgers lediglich ein “Angebot” dar, in einen Dialog über die angemessenen KdU einzutreten.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12.06.2013 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Urteil vom 12.06.2013 – B 14 AS 50/12 R

Leitsätze
Ein minderjähriges Kind hat für die Kalendertage des mehr als zwölfstündigen Aufenthalts im Haushalt des getrennt lebenden Elternteils (temporäre Bedarfsgemeinschaft) auch dann einen Anspruch auf Sozialgeld, wenn es als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem anderen Elternteil für diese Tage bereits Sozialgeld erhalten hat.

Da die Bedarfsgemeinschaften im Falle des umgangsbedingten Wechsels des Aufenthalts eines Kindes nicht personenidentisch sind, handelt es sich um zwei Ansprüche, die unterschiedlich hoch sein können und sich in zeitlicher Hinsicht ausschließen.

Abschläge für Bedarfe, die in einer der Bedarfsgemeinschaften regelmäßig oder gar typischerweise nicht zu decken sind (Bekleidung, Haushaltsgeräte, usw), kommen nicht in Betracht (BSG Urteil vom 2.7.2009 – B 14 AS 75/08 R).

Das gilt auch für die Konstellation, in der das Kind in beiden Haushalten seiner getrennt lebenden Eltern hilfebedürftig im Sinne des SGB II ist. Die Regelleistung deckt den Bedarf für den regelmäßigen Lebensunterhalt ab; insgesamt ergeben sich aber auch bei wechselnden Aufenthalten damit Ansprüche auf Regelleistungen für nicht mehr als 30 Tage. Entstehen nachgewiesenermaßen in einem der Haushalte laufend höhere Bedarfe wegen der wechselnden Aufenthalte des Kindes, die nicht durch vorrangige Unterhaltsleistungen gedeckt sind, kommt hinsichtlich solcher Bedarfe im Einzelfall allenfalls einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II in Betracht.

Lebt ein Kind regelmäßig in zwei Bedarfsgemeinschaften, ist der Bedarf in der einen Bedarfsgemeinschaft nicht deckungsgleich mit dem Bedarf in der anderen Bedarfsgemeinschaft. Dies ist Folge der Regelungen in § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB II, wonach der jeweilige Bedarf eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft nur in Abhängigkeit zum Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft festgestellt werden kann (zuletzt Urteil des Senats vom 16.4.2013 – B 14 AS 71/12 R).

Von der Mutter an das Kind erfolgte Zahlungen wegen der Aufenthalte in der Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater wären wie sonstige Zuwendungen von Dritten nach den Grundsätzen des § 9 Abs. 1 i.V.m. § 11 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen (hier nicht feststellbar). Das Kindergeld, das für das Kind gewährt wird, ist in der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater, der nicht auch der Kindergeldberechtigte ist, nicht als Einkommen des Kindes von dessen Bedarf abzusetzen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2013 – L 29 AS 2314/13 B ER rechtskräftig

Leitsatz
Rumänische Staatsangehörige sind vom ALG II ausgeschlossen(vgl. dazu aktuell LSG Berlin, Beschluss vom 14.10.2013 – L 29 AS 2128/13 B ER, zum Leistungsausschluss für lettische Staatsangehörige).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.10.2013 – L 29 AS 2128/13 B ER rechtskräftig

Leitsätze
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II findet auf lettische Staatsbürgerin Anwendung.

Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass er eine Europarechtswidrigkeit dieser Regelung nicht feststellen kann.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.09.2013 – L 29 AS 2328/13 B ER, (zum Leistungsausschluss bei rumänischen Staatsangehörigen).

3.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.10.2013 – L 5 AS 644/12 B rechtskräftig

Leitsätze
Die Höhe der Regelleistung und des Sozialgeldes ist nicht verfassungswidrig.

Die Regelleistung für die Leistungsbezieherin liegt mit 364 EUR/Monat deutlich über der vom BVerfG gezogenen Grenze der evidenten Unterdeckung des menschenwürdigen Existenzminimums.

Die Festsetzung des Regelbedarfs ab dem 1. Januar 2011 genügt den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9. Februar 2010 (so auch: BSG, Urteile vom 12. Juli 2012, B 14 AS 189/11 R, B 14 AS 153/11 R; Urteile vom 28. März 2013, B 4 AS 47/12 R, B 4 AS 12/12 R für alleinstehende Erwachsene und unter 6 jährige Kinder).

Auch die Ermittlung des Sozialgeldes für das 6-jährige Kind ist verfassungskonform. Die Wahl von drei Altersstufen für Kindern ist nicht zu beanstanden (zur Stufung der tatsächlichen Kosten nach Altersgruppen vgl. etwa Münnich/Krebs: “Ausgaben für Kinder in Deutschland”, in: Wirtschaft und Statisitk 2002, 1080 f., so auch: BSG, Urteil vom 28. März 2013, B 4 AS 12/12 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
So auch für alleinstehende Erwachsene: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. März 2013 – L 2 AS 606/12 B.

3.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.08.2013 – L 5 AS 191/11 rechtskräftig

Leitsätze
Die Renten des Ehemanns der Leistungsbezieherin (LB) waren, soweit dieser sie nicht zur Deckung eigener Bedarfe benötigte, als Einkommen der LB zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 16. Mai 2007, B 11b AS 27/06 R). Eine Rente aus der Gesetzlichen Renten- und der Gesetzlichen Unfallversicherung ist in voller Höhe als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzurechnen. Eine Privilegierung nach § 11 Abs. 3 SGB II findet nicht statt.

Grundsätzlich nicht zu beanstanden ist die erfolgte Bereinigung der Renteneinkünfte des Ehemanns der LB.

Davon war zunächst ein fiktiver Bedarf nach dem SGB II abzusetzen (BSG, Urteil vom 19. September 2008, B 14/7b AS 10/07 R). Weiter waren die auf ihn entfallenden tatsächlichen anteiligen KdU anzurechnen.

Darüber hinaus war der Pauschbetrag i.H.v. 30 EUR/Monat gemäß § 6 Abs. 1 Ziffer 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (ALG II-V) abzusetzen. Eine doppelte Berücksichtigung bei zwei Einkommensarten scheidet aus (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 86/08R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 07.10.2013 – L 7 AS 644/13 B ER

Leitsätze von Dr. Manfred Hammel
Wenn sich keine realitätsnahe Bemessung der Anteile des Heizstromes (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) und des Haushaltsstromes (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ermöglichen lässt, ist es vertretbar, vom im Einzelnen bezifferten Gesamtaufwand einer Bedarfsgemeinschaft für Strom den Anteil in Abzug zu bringen, der im Regelbedarf für Haushaltsstrom angesetzt ist (vgl. § 5 Abs. 1 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz, dort die Abteilung 4: „Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung“, Nr. 18: Strom, Mieterhaushalte).

3.6 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21.10.2013 – L 7 AS 1144/13 B ER

Leitsätze
Zum Leistungsanspruch tschechischer Staatsbürger nach dem SGB II.

Ob auch eine ganz geringfügige Beschäftigung mit nur drei Stunden wöchentlich ausreicht, um die Anwendbarkeit europarechtlicher Normen auszulösen und Ansprüche aus europarechtlichen Freizügigkeitsrechten zu begründen, kann vorliegend nicht abschließend beantwortet werden (Raumpflegerin für die Kirchgemeinde).

Obwohl die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug fraglich sind, sind daher zunächst kurzfristig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, da es sich um existenzsichernde Leistungen handelt (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.09.2013 – L 13 AS 260/13 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.7 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.10.2013 – L 3 AS 18/12 B PKH

Leitsätze
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid bei unerlaubter Ortsabwesenheit im Ausland

Wegen unerlaubter Ortsabwesenheit sind bereits gewährte Leistungen nach dem SGB II vom Leistungsbezieher zu erstatten, wenn lediglich vom Hilfebedürftigem behauptet wird, eine Rückkehr aus dem Ausland sei wegen Krankheit nicht möglich gewesen. Denn eine Erkrankung bedingt nicht zwingend eine Reiseunfähigkeit (Sächs. LSG, Beschluss vom 14. September 2012 – L 3 AS 8/12 NZB).

Beruft sich ein Leistungsträger bei der Rückabwicklung einer vorläufigen Entscheidung fälschlicherweise auf §§ 45 oder 48 SGB X oder § 50 SGB X, ist dies in der Regel unschädlich, da es sich bei der Angabe der Rechtsgrundlage nur um ein (dann fehlerhaftes) Begründungselement handelt, was sich bei gebundenen Entscheidungen nicht auswirkt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. dazu – LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2013 – L 13 AS 4804/12 – Aufhebungs- und Erstattungsbescheid bei ungenehmigtem Auslandsaufenthalt.

3.8 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.10.2013 – L 2 AS 1082/11 – Die Revision wird zugelassen.

Leitsätze
Zur Anwendung des § 11 Abs. 3 SGB II n.F. auf den am 01.04.2011 beginnenden Bewilligungszeitraum beim Zufluss einer einmaligen Einnahme – Erbschaft in 2010 – Noch vorhandene Teile der zugeflossenen Erbschaft sind nach Ende der Anrechnung Vermögen.

Fand eine Aufteilung der Erbschaft auf 8 Monate vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 11 Abs. 3 SGB II statt, ist eine Aufteilung über sechs Monate hinaus nach der ab 01.04.2011 geltenden Rechtslage ausdrücklich ausgeschlossen. Damit besteht für eine Anrechnung der mehr als sechs Monate zurückliegenden Einnahme keine Rechtsgrundlage mehr und die Erbschaft ist kein anrechenbares Einkommen.

Eine abweichende Regelung oder Übergangsregelung für eine vor dem 01.04.2011 begonnene, nicht abgeschlossene Aufteilung eines einmaligen Einkommens besieht nicht. Eine Übergangsregelung zu dieser Frage ist in § 77 SGB II nicht enthalten.

Noch vorhandene Teile der zugeflossenen Summe sind nach Ende der Anrechnung Vermögen, das evtl. zur Bestreitung des Lebensunterhaltes einzusetzen ist. Nach der erfolgten Anrechnung war ein Betrag von 1805,48 EUR als Vermögen anzunehmen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 30.09.2013 – S 5 AS 603/13, Berufung anhängig beim LSG NRW unter dem Az. L 19 AS 2040/13

Leitsätze
Hat die Agentur für Arbeit aufgrund des Nichterscheinens der Arbeitslosen beim Meldetermin das Eintreten einer Sperrzeit von einer Woche festgestellt, darf die Arbeitslose nicht noch mal vom Jobcenter wegen des Meldeversäumnisses sanktioniert werden.

Denn maßgeblich ist, dass die Vorschrift des § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II bei einer von der Agentur für Arbeit festgestellten Sperrzeit bei Meldeversäumnis nicht anzuwenden ist.

Der Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ist auf die Nrn. 1 bis 5 des § 159 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB III sowie auf § 161 SGB III teleologisch zu reduzieren. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte nicht bereits aufgrund der fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu den §§ 31, 31a und 31b SGB II, Ziffer 31.26 (Stand: 20.03.2013) verpflichtet ist, von einer Absenkung abzusehen.

Offenbleiben kann dabei auch, ob der Beklagte als zugelassener kommunaler Träger zumindest – wie hier – hinsichtlich der Absenkung von Leistungen aus Bundesmitteln an Weisungen der Bundesagentur für Arbeit gebunden ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Sozialgericht Aachen, Beschluss vom 18.09.2013 – S 11 AS 868/13 ER

Leitsätze
SG Aachen revidiert Haltung zum Thema KdU und erklärt, dass der Rückgriff auf § 12 WoGG nicht mehr angemessen erscheint

SG Aachen geht davon aus, dass die realen Mieten im Stadtgebiet Aachen mittlerweile weit oberhalb der Werte der Wohngeldtabelle liegen. Das vom BSG entwickelte Konzept der Obergrenze greift vor diesem Hintergrund nicht, macht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts doch deutlich, dass die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft sich vor allem an den örtlichen Gegebenheiten zu orientieren hat.

Nunmehr ist auch unter Berücksichtigung des vom Bundessozialgerichts in Ansatz gebrachten Sicherheitszuschlags von 10% erkennbar, dass die Wohngeldtabelle für Aachen nicht im Ansatz (mehr) die realen Verhältnisse abbildet.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – Sozialgericht Detmold, Urteil vom 17.10.2013 – S 18 AS 1095/12 – Die Berufung wird zugelassen.

Leitsätze
Gem. § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II mindert sich der Auszahlungsanspruch mit dem Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung feststellt. Nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II beträgt der Minderungszeitraum drei Monate.

Durch einen entsprechenden Minderungsbescheid, der die Feststellung einer Pflichtverletzung im Sinn von § 31 SGB II trifft, verliert ein bereits für den Minderungszeitraum erlassener Bewilligungsbescheid seine Wirkung soweit die Minderung reicht. Einer zusätzlichen Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X bedarf es hierzu nicht (so SG Trier, Beschluss vom 14.12.2011,S 4 AS 449/11 ER; a.A. noch zur alten Rechtslage BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 30/09 R). Durch den Feststellungsbescheid selbst wird eine bereits erfolgte Bewilligung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.

Wenn ein SGB II-Leistungsträger sowohl einen Minderungsbescheid als auch einen Bewilligungsbescheid erlässt, der die Minderung berücksichtigt, stellen die Bescheide eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheides zur Höhe des Arbeitslosengeldes II in dem von der Minderung betroffenen Zeitraum dar (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012, B 4 AS 68/09 R). Eines gesonderten Widerspruchsverfahrens gegen den Bewilligungsbescheid in dem die festgestellte Minderung umgesetzt wird bedarf es insofern nicht. Ein gleichfalls erhobener weiterer Widerspruch wäre unzulässig. Gleiches gilt auch in den Fällen, in denen der Minderungsbescheid sich lediglich teilweise auf eine bereits erfolgte Bewilligungsentscheidung auswirkt und für den weiteren Zeitraum der Minderung auf einen Fortzahlungsantrag hin ein Bewilligungsbescheid mit nur geminderten Leistungen erlassen wird.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.4 – Sozialgericht Ulm, Beschluss vom 23. Oktober 2013 (Az.: S 8 AS 3164/13 ER):

Leitsätze von Dr. Manfred Hammel
Für die Ausübung des Umgangsrechts der Gattin und der Kinder mit ihrem an einem weit entfernten Ort inhaftierten Vater besteht ein besonderer, unabweisbarer und fortlaufend fällig werdender Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II (eine sog. atypische Bedarfslage).

Diese Kosten des Umgangsrechts sind derjenigen Person zuzuordnen, bei der sie entstehen, nämlich dem den Vater zusammen mit der Mutter besuchenden Kind, nachdem dieser Erziehungsberechtigte aufgrund seiner Inhaftierung an der aktiven Wahrnehmung seines Umgangsrechts gehindert ist.

Die Tatsache, dass ein Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, führt zu keiner anderen Betrachtung, denn für die Bindung des Kindes zu einem Erwachsenen sind gerade die ersten Lebensjahre entscheidend.

Im Interesse des Kindes sowie zur Bildung und Aufrechterhaltung verfassungsrechtlich geschützter familiärer Bindungen sind bis zu fünf einstündige Besuche im Monat sowie ggf. weitere Besuche im Rahmen von Sonderprogrammen (z. B. speziellen Eltern-Kind-Projekten) vom Jobcenter zu ermöglichen.

Die Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts sind gegen Nachweis des tatsächlichen Besuchs bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Höhe der tatsächlich entstandenen Aufwendungen bis zu den in der niedrigsten Klasse anfallenden Kosten vom SGB II-Träger zu übernehmen.

Bei der Benutzung eines privaten Kfz sind vom Jobcenter gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3b) Alg II-VO je Entfernungskilometer EUR 0,20 an angemessenen Kosten anzuerkennen.

Höhere Aufwendungen sind von den Antragstellern bei Angemessenheit gegen Nachweis geltend zu machen.

4.5 – SG Duisburg, Beschluss vom 12.11.2013 – S 49 AS 4010/13 ER

Bei 100% Sanktion Gutschein auch ohne Antrag bei minderjähriger Schwester.

Das Sozialgericht Duisburg hat am 12.11.13 in einem Eilverfahren die aufschiebende Wirkung eines Widerspruch gegen eine Sanktion des Jobcenters Essen angeordnet. Der tragende Grund für die Entscheidung mit dem Aktenzeichen S 49 AS 4010/13 ER ist, dass keine Sachleistung bzw. geldwerte Leistung gleichzeitig mit der Sanktion erbracht wurde.

Die Sanktion wurde gegen einen Volljährigen ausgesprochen und führte zum vollständigen Wegfall der Regelleistung für den unter 25-jährigen. Da eine minderjährige Schwester in dem gleichen Haushalt lebt, IST nach § 31a Abs. 2 S. 3 SGB II auch ohne Antrag zugleich mit der Sanktionsentscheidung der Lebensmittelgutschein zu gewähren. Eine Differenzierung, ob ein Elternteil oder ein Geschwister sanktioniert wird, ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Gesetzes zu entnehmen.

Insbesondere reicht ein Hinweis im Anhörungsschreiben nicht aus, dass diese Leistung beantragt werden kann. Die Sanktion ist dann insgesamt rechtswidrig.

Quelle: RA Jan Häüßler, Fachanwalt für Sozialrecht, Pferdemarkt 4, 45127 Essen. Hier ist der Volltext der Entscheidung: www.jan-haeussler.de (pdf)

Anmerkung:
Ebenso- SG Aurich, Beschluss vom 1. 7. 2013, – S 25 AS 96/13 ER, LSG NRW, Beschluss vom 07.09.2012,- L 19 AS 1334/12 B).

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 7. Juni 2013 (Az.: S 46 SO 157/10, S 46 SO 206/11, S 46 SO 23/13):

Leitsätze von Dr. Manfred Hammel
Bei einer wesentlichen Sprachbehinderung besteht prinzipiell eine Leistungsberechtigung im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 ff. SGB XII).

Vom Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII werden auch vorrangige Leistungen nach dem Schulrecht erfasst.

Neben dem schulischen Förder- und Betreuungsbedarf kann aber auch ein ergänzender Anspruch auf Eingliederungshilfe bestehen, z. B. wenn die notwendigen und angemessenen Maßnahmen der Eingliederungshilfe (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Eingliederungshilfe-Verordnung) von den Schulträgern in keiner Weise erbracht werden.

Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt allerdings nach Sinn und Zweck der §§ 53 ff. SGB XII, die hier in erster Linie unterstützende Leistungen vorsehen, außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers.

Von Schulbegleitern erbrachte Leistungen sind dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen, nämlich Hilfen zu leisten, wenn die Anweisungen oder Erklärungen der Lehrkraft nicht verstanden werden.

5.2 – SG Rostock, Beschluss vom 28.10.2013 – S 8 SO 80/13 ER

Leitsätze
Integrationshelfer in Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

Von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers können im Rahmen der Eingliederungshilfe auch Maßnahmen umfasst sein, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung oder eines Schulträgers gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind (Anschluss an BSG, Urt. v. 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R).

Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule lässt sich nur im Rückgriff auf die landesschulrechtlichen Vorschriften näher bestimmen (Abweichung zu BSG, Urt. v. 22.03.2012 B 8 SO 30/10 R).

Der Kern der pädagogischen Arbeit der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung umfasst nach dem Landesrecht Mecklenburg Vorpommern die individuelle Förderung in allen Entwicklungs- und Persönlichkeitsbereichen. Es bleibt damit allenfalls in sehr engen Grenzen Raum für unterstützende Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

6.   Entscheidungen zum Asylrecht

6.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. September 2013 (Az.: L 8 AY 58/13 B ER):

Leitsätze von Dr. Manfred Hammel
Weder aus dem AsylbLG noch aus dem SGB XII geht – anders als aus dem SGB II (§ 39 SGB II – “Sofortige Vollziehbarkeit”) – eine Vorschrift hervor, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt.

Ein gegen die Ablehnung der Weiterzahlung der bislang gemäß § 3 AsylbLG gewährten Grundleistungen erhobener Widerspruch hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG).

6.2 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. Oktober 2013 (Az.: L 8 AY 38/13 B):

Leitsätze von Dr. Manfred Hammel
§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gelangt bei chronischen Erkrankungen, welche die Durchführung einer Arthroskopie erforderlich machen, nicht zur Anwendung.

„Leistungen bei Krankheit“ können nach dieser Bestimmung nur bei unvermutet auftretenden, rasch und heftig verlaufenden, regelwidrigen Körper- oder Geisteszuständen, die aus medizinischen Gründen unverzüglich der ärztlichen Behandlung bedürfen, erbracht werden.

Wenn die streitige Maßnahme aber für die „Sicherung der Gesundheit“ als unerlässlich im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG aufzufassen ist, hat eine entsprechende „sonstige Leistung“ erbracht zu werden.

In diesem Sachzusammenhang sind auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 zum menschenwürdigen Existenzminimum zu berücksichtigen.

7.   Pressemeldung 8/2013 Sozialgericht Mainz – Hartz-IV: Fahrtkosten für Facharztbesuch

Das Sozialgericht Mainz hatte sich in einer mündlichen Verhandlung im Oktober 2013 (Az.: S 15 AS 1324/10) mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (“Hartz IV”) beim Jobcenter Fahrtkosten für notwendige Facharztbesuche als “Mehrbedarf” geltend machen kann.

Aufgrund des Hinweises des Sozialgerichts erklärte sich das Jobcenter am 11.10.2013 im Wege eines gerichtlichen Vergleichs zur Übernahme der Fahrtkosten bereit.

Quelle: www.mjv.rlp.de

8.   BSG: Hartz-4-Empfänger sind bei Probearbeit aus Eigeninitiative unfallversichert

Stellenbewerber sind bei einer unbezahlten Probearbeit in einem Unternehmen gesetzlich unfallversichert. Voraussetzung hierfür ist eine Eingliederung in dem Betrieb und eine Weisungsgebundenheit, urteilte am Donnerstag, 14. November 2013, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 2 U 15/12 R). Versichert sind dann auch Arbeitslose, die aus Eigeninitiative ohne Anweisung des Jobcenters eine Probearbeit aufnehmen.

Weiter: Hartz-4-Empfänger sind bei Probearbeit aus Eigeninitiative unfallversichert – Recht & Gesetz – JuraForum.de, hier zur Quelle: www.juraforum.de

9.   SG Berlin zur elektronischen Gesundheitskarte – Foto ist Pflicht – SG Berlin, Beschl. v. 07.11.2013 – S 81 KR 2176/13 ER,

Volltext der Entscheidung hier: sozialgerichtsbarkeit.de

Ab Anfang 2014 ist die Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte Pflicht für alle Versicherten. Eine Befreiung von dieser Pflicht ist nicht möglich, entschied nun das SG Berlin. Die Speicherung personenbezogener Daten auf der Versichertenkarte verletze nicht die Grundrechte der Versicherten.

Weiter: SG Bln: Elektronische Gesundheitskarte verfassungsmäßig, hier: www.lto.de

Ebenso aktuell: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.09.2013 – L 1 KR 50/13 -, hier abrufbar: www.lareda.hessenrecht.hessen.de

9.   RA Helge Hildebrandt, Sozialberatung Kiel: Mietobergrenzen-Moratorium in Kiel

In aktuellen Mietobergrenzenverfahren, in denen eine zu hohe Miete erstmals auf die derzeit maßgebliche Mietobergrenze abgesenkt werden soll, setzt das Jobcenter Kiel seit kurzem die Mietsenkungsverfahren aus, soweit die Überschreitung nicht zu hoch ist. Grund hierfür sind die Bemühungen der Stadt Kiel, im Arbeitskreis Mietobergrenzen eine gerichtsfeste Neubestimmung der Kieler Mietobergrenzen vorzunehmen. Mit einer Vorstellung der Ergebnisse im Sozialausschuss der Landeshauptstadt Kiel ist voraussichtlich im Februar 2014 zu rechnen. Die Mietobergrenzen dürften moderat angehoben werden.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7

Quelle: Mietobergrenzen-Moratorium | Sozialberatung Kiel, hier zum Link: sozialberatung-kiel.de

10.   Sozialrecht in Freiburg: BSG lässt Revision zum Thema persönliches Budget/Zielvereinbarung zu

Seit dem 1.1.2008 gibt es den Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget (pB) (§ 17 Abs. 3 iVm § 159 Abs. 5 SGB IX) [Infos zum Budget]. Ein pB kann aber nach § 4 Budget-Verordnung nur bewilligt werden, wenn eine Zielvereinbarung geschlossen ist. Was aber, wenn der Berechtigte und die Behörde keine Einigung über die Zielvereinbarung erzielen können? Das Landessozialgericht Stuttgart hat im Verfahren L 5 R 3442/11 am 20.2.2013 entschieden, dass der Anspruch auf ein pB entfällt, wenn keine Zielvereinbarung geschlossen wird. In der Sache steht im Streit, ob der Kläger, der durch eine Hirnverletzung behindert ist, das pB in Anspruch nehmen kann, um anstelle einer WfbM eine andere Einrichtung – hier: eine Förder- und Betreuungsgruppe für Menschen mit erworbener Hirnschädigung – zu besuchen.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Auf die (von unserer Kanzlei eingelegte) Nichtzulassungsbeschwerde hin hat das BSG die Revision mit Beschluss vom 24.10.2013 zugelassen (B 13 R 125/13 B). Wir hoffen, dass das nun eröffnete Revisionsverfahren zu der dringend erforderlichen Klärung des Verhältnisses von Rechtsanspruch auf pB einerseits und der Zielvereinabrung nach § 4 BudgetV andererseits beitragen wird. (rr)

Quelle: Sozialrecht in Freiburg – Hartz IV – Sozialhilfe – Krankenversicherung – www.srif.de, hier zum Kanzleiauftritt: www.sozialrecht-in-freiburg.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de