Sozialgericht Hildesheim – AZ.: S 24 AS 322/13Urteil vom 21.11.2013 –

URTEIL

In dem Rechtsstreit

xxx,
– Klägerin –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

xxx,
– Beklagter –

hat die 24. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim ohne mündliche Verhandlung am 21. November 2013 durch die Richterin xxx und die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

TATBESTAND
Die Klägerin wendet sich gegen die Beschränkung ihr bereits bewilligter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum 1. Februar 2013 bis zum 30. April 2013.

Der Beklagte bewilligte der am xxx geborenen Klägerin mit Bescheid vom 29. Juni 2012 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 15. November 2012 Leistungen nach dem SGB II für den vorliegend streitigen Zeitraum.

Die Klägerin erhielt mit Schreiben des Beklagten vom 19. Oktober 2012 eine Einladung zu einem Beratungstermin am „12.1.12“. Mit Schreiben vom 5. November 2011 erinnerte der Beklagte „noch einmal an den nächsten Beratungstermin […] am 12.11.12 um 10:00 Uhr.“ Das zuletzt genannte Schreiben enthält eine Absendevermerk des Beklagten für den 6. November 2012. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2012 teilte die Klägerin bezugnehmen auf die Einladung zum Beratungsgespräch mit, dass Sie sich aufgrund der Notwendigkeit einer besonderen Betreuung ihrer therapiebedürftigen fünf- und dreijährigen Töchter zur Zeit nicht in der Lage sehe, eine Arbeitstätigkeit aufzunehmen. Zu dem in der Vergangenheit liegenden Beratungstermin äußerte sie sich nicht.

Mit Schreiben vom 13. November 2012 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Minderung des Arbeitslosengeldes II an, da sie der Meldeaufforderung vom 5. November 2012 nicht nachgekommen sei.

Daraufhin übersandte die Klägerin eine Bescheinigung der Dipl. Sozialpädagogin xxx. Diese teilte mit, dass sich die fünfjährige Tochter der Klägerin wegen starker Trennungsängste bei ihr in therapeutischer Behandlung befinde. Die Therapie finde zweimal wöchentlich statt und es sei notwendig, dass die Klägerin ihre Tochter bringe und abhole. Der Klägerin selbst sei keine berufliche Tätigkeit zumutbar wegen ihres eigenen gesundheitlichen Zustands und der Ausübung ihrer elterlichen Funktion. Zudem übersandte die Klägerin eine Bescheinigung ihrer Psychotherapeutin Dr. xxx, bei welcher sie sich seit dem 14. Dezember 2011 in einer Langzeitpsychotherapie befindet. Zudem übersandte die Klägerin einen Bericht der ihre Tochter behandelnden Logopädin, welcher der Tochter eine Sprachstörung bescheinigt Eine Therapie sei weiterhin einmal wöchentlich zu empfehlen. Zudem wurde eine Bescheinigung der Stadt Göttingen vorgelegt, nach welcher sich die Klägerin am 12. November 2012 in der Zeit von 9:30 Uhr bis 10:30 Uhr zur Beratung in der Erziehungsberatungsstelle befand.

Mit Sanktionsbescheid vom 8. Januar 2013 kürzte der Beklagte die der Klägerin bewilligten Regelleistungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 30. April 2013 um 10 Prozent. Die Klägerin sei der Aufforderung, sich zu melden trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachgekommen. Zwar habe die Klägerin am Sonntag auf den Anrufbeantworter des Beklagten gesprochen, dass sie den Termin nicht wahrnehmen könne, jedoch keinen wichtigen Grund hierfür genannt. Insofern könne auch kein wichtiger Grund Berücksichtigung finden.

Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 erhob die Klägerin nunmehr anwaltlich vertreten Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. Januar 2013, welcher mit Schreiben vom 13. Februar 2013 begründet wurde. Es wurde vorgetragen, dass die der Einladung zum Termin am 12.11.2012 beigefügte Rechtsfolgenbelehrung fehlerhaft gewesen sei. Zudem sei die Klägerin mit der Einladung vom 19.10.12 zu einem Termin am 12.01.12 eingeladen worden, die Erinnerung hieran mit Schreiben vom 5. November 2012 nenne widersprüchliche Daten zu ursprünglichen Einladung. Zudem sei der Schriftsatz vom 5. November 2012 am 6. November 2012 abgesandt und erst am 9. November 2012 angekommen. Die Klägerin habe in diesem Zeitpunkt bereits einen Termin bei der Erziehungsberatungsstelle bei der Stadt Göttingen für den 12. November 2012 um 9:30 Uhr vereinbart gehabt. Unter weiterer Ansehung der Stellungnahme der Dipl. Sozialpädagogin xxx vom 12. November 2012 könne der Sanktionsbescheid vom 8. Januar 2013 keinen Bestand haben.

Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2013 als unbegründet zurück. Das Arbeitslosengeld II der Klägerin sei zu Recht gekürzt worden, da sie der Aufforderung zur Meldung nicht nachgekommen sei. Insbesondere habe es keinen wichtigen Grund für die Klägerin gegeben, den Termin nicht wahrzunehmen. Zehn Therapiestunden der Tochter der Klägerin würden keinen wichtigen Grund darstellen. Auch die Tatsache, dass die Klägerin einen Termin bei der Erziehungsberatungsstelle der Stadt Göttingen gehabt habe, stelle keinen wichtigen Grund dar. Die Klägerin habe den Beratungstermin nach dem Termin bei der Beratungsstelle wahrnehmen können.

Die Klägerin hat anwaltlich vertreten am 4. März 2012 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Zur Klagebegründung wird im Wesentlichen die Begründung des Widerspruchsschreibens vom 13. Februar 2013 wiederholt.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen im streitigen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die vorlagen, und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Klage ist zulässig und begründet. Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2013 das Arbeitslosendgeld II im Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis 30. April 2013 reduziert, ist dies rechtswidrig. Die Klägerin ist hierdurch in ihren Rechten verletzt.

Der Tatbestand für den Eintritt einer Minderung des Arbeitslosengeldes II gemäß § 32 Abs. 1 SGB II ist nicht erfüllt.

Gemäß dieser Norm mindert sich das Arbeitslosengeld II jeweils um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs, wenn Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommen, es sei denn der Leistungsberechtigte legt einen wichtigen Grund für sein Verhalten dar und weist diesen nach.

Das Gericht konnte schon nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin eine Meldeaufforderung für den 12. November 2012 erhalten hat.

Die Einladung zum Meldetermin am 19. Oktober 2012 konnte schon keine Verpflichtung zur Meldung am 12. November 2012 begründen. Der Beklagte hat mit dem Schreiben vom 19. Oktober 2012 ausdrücklich nicht zu einem Termin im November 2012 eingeladen, sondern zu einem Termin im Januar 2012. Allein die Tatsache, dass man möglicherweise hat schließen können, dass ein Schreibfehler vorliegt und der Monat November gemeint ist, führt nicht dazu, dass die Klägerin zu dem Termin geladen wurde.

Auch unter Berücksichtigung des Schreibens vom 5. November 2012 wurde die Klägerin nicht ordnungsgemäß zu dem Termin am 12. November 2012 eingeladen. Bei diesem Schreiben handelt es sich um ein Erinnerungsschreiben, welches im Widerspruch zu der vorigen Einladung steht. Auch in der Zusammenschau beider Schreiben konnte nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass eine Meldung am 12. November 2012 erfolgen soll.

In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um existenzsichernde Leistungen handelt, kann eine Sanktion nicht bereits dann ergehen, wenn nicht mit Sicherheit feststeht, dass die Klägerin vom Termin an dem entsprechenden Tag Kenntnis hatte, sondern lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht. Die Kammer konnte in Anbetracht der sich widersprechenden Schreiben des Beklagten nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin wusste, welche Verpflichtung ihr der Beklagte auferlegen wollte.

Die Klage hat demzufolge vollumfänglich Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.