Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 12.12.2013 – Az.: S 16 AS 942/12

URTEIL

In dem Rechtsstreit
xxx,
– Kläger –

Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis xxx,
– Beklagter –

hat die 16. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim ohne mündliche Verhandlung am 12. Dezember 2013 durch die Richterin xxx sowie die ehrenamtliche Richterin xxx und den ehrenamtlichen Richter xxx für Recht erkannt:

1.  Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 11. Mai 2012 in Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2012 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 1. Juni 2012 bis 30. November 2012 monatlich weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 35,80 €, insgesamt in Höhe von 214,80 €, zu gewähren.

2.  Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

3.  Die Berufung wird zugelassen.

TATBESTAND
Der Kläger begehrt höhere Leistungen für die Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum Juni bis einschließlich November 2012.

Der Kläger bewohnte im streitigen Zeitraum ein 57,30 Quadratmeter große Wohnung in Göttingen, für welche monatlich eine Kaltmiete von 320,88 € und Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 73,00 € für die kalten Betriebskosten zu entrichten waren. Die Warmwasserbereitung erfolgte sowohl über die Heizungsanlage als auch über ein zusätzliches Elektrogerät.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2012 gewährte die Stadt Göttingen dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 30. November 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, wovon 349,40 € auf die Kosten der Unterkunft (KdU) und 53,40 € auf die Heizkosten entfielen.

Mit Schreiben vom 22. Mai 2012 erhob der Kläger anwaltlich vertreten Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. Mai 2012 mit dem Ziel der Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung. Der Beklagte orientiere sich bei der Bemessung der Angemessenheit offensichtlich an den Werten der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG). Auf den monatlichen Wert sei jedoch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen ein Sicherheitszuschlag von 10 Prozent zu gewähren. Zudem erhitze der Kläger sein warmes Wasser teilweise über einen Durchlauferhitzer. Weiterhin müsse der Betriebsstrom der Gastherme Berücksichtigung finden, welcher fünf Prozent der monatlichen Heizkosten ausmachen dürfte.

Auf den Widerspruch erließ der Beklagte den Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2012, mit welchem dem Widerspruch insoweit abgeholfen wurde, als dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 30. November 2011 in Abänderung des im Streit stehenden Ausgangsbescheids 358,00 € für KdU sowie weitere Nebenkosten für die durch Strom betriebene Heizungsanlage in Höhe von 3,10 € monatlich gewährt wurden und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hat anwaltlich vertreten am 13. Juni 2012 vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben und sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren ergänzt und bekräftigt. Das Gutachten der Firma xxx entspreche nicht den Anforderungen des Bundessozialgerichts an das sogenannte „schlüssige Konzept“, so dass es an einer durch den Beklagten vorzunehmenden Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II fehle. In Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte seien ihm daher als KdU die um einen Sicherheitszuschlag von 10 Prozent zu erhöhenden Werte von § 12 WoGG zuzuerkennen. Ein Sicherheitszuschlag von 10 Prozent sei auch auf die Werte der ab 01.01.2009 geltenden Tabelle zu § 12 WoGG zu erbringen. Somit bestehe pro Monat ein Anspruch auf weitere KdU in Höhe von monatlich 35,80 € für die Monate Juni bis einschließlich November.

Die Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2012 zu verurteilen, dem Kläger für Kosten der Unterkunft monatlich weitere 35,80 €, zusammen weitere 214,80 € zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist zunächst auf den im Streit stehenden Bescheid. Der geforderte Sicherheitszuschlag von 10 Prozent auf die maßgeblichen Werte der Tabelle zu § 12 WoGG sei nicht zu gewähren. Dies könne den Entscheidungen des BSG nicht entnommen werden. Ferner sei es unbillig, Empfänger von SGB II – Leistungen und solche von Wohngeld unterschiedlich zu behandeln. Nach Einführung der neuen Tabelle zu § 12 WoGG zum 01.01.2009 sei der vom Bundessozialgericht (BSG) geforderte Sicherheitszuschlag nicht mehr nötig, da aufgrund der Erhöhung der jeweiligen Tabellenwerte die durch das BSG im Urteil vom 19.02.2009 (B 4 AS 30/08 R) thematisierten möglichen Unbilligkeiten einer Pauschalierung beseitigt seien.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid vom 11. Mai 2012 in Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten.

Dieser hat im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Gewährung weiterer KdU in Höhe von 214,80 €.

KdU werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind; vgl. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des Hilfebedürftigen so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate; § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II. Die Prüfung der Angemessenheit begrenzt die erstattungsfähigen Kosten der Höhe nach (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R). Es handelt sich bei der ‚Angemessenheit“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R). Die Bestimmung der Angemessenheit hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG in mehreren Stufen zu erfolgen. Zunächst sind die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche Vergleichsraum festzulegen. In einem weiteren Schritt ist zu ermitteln, wie viel auf dem Wohnungsmarkt des Vergleichsraums für eine Wohnung einfachen Standards aufzuwenden ist. Ziel der Ermittlungen ist der Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards, der nach Maßgabe der Produkttheorie mit der angemessenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren ist. Das Ergebnis ist die regional angemessene Miete (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 – 18/09 R).

Im hier streitgegenständlichen Zeitraum hat der Beklagte zunächst in nicht zu beanstandender Weise zur Ermittlung der regional abstrakt angemessenen Wohnungsmiete auf die Werte der Tabelle zu § 12 WoGG zurückgegriffen. Sofern ein sog. schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze nicht vorliegt, ist auf die Werte der Wohngeldtabelle zurückzugreifen (vgl. BSG a.a.0).

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist jedoch auch auf die Werte der Tabelle zu § 12 WoGG in diesem Zusammenhang ein Sicherheitszuschlag von 10 Prozent zu gewähren, sodass der Kläger im hier streitigen Zeitraum Anspruch auf weitere KdU in Höhe von jeweils 35,80 € für die Monate Juni bis einschließlich November 2012 hat.

Dies ergibt sich allerdings nicht aus den Ausführungen des BSG im Urteil vom 17.12.2009 (B 4 AS 50/09 R). Diese beziehen sich lediglich auf die Werte der bis zum 31.12.2008 gültigen Tabelle zu § 8 WoGG und treffen zur Rechtslage ab dem 01.01.2009 keine Aussage. Hierfür spricht insbesondere, dass diese Rechtsfrage zurzeit beim BSG anhängig ist (B 4 AS 87/12 R).

Nun auch entschieden durch das BSG mit Urteil vom 12.12.2013 zu dem Az. B 4 AS 87/12 R

Gleichwohl ist nach Überzeugung der Kammer ein derartiger Zuschlag auch auf die Tabellenwerte zu § 12 WoGG zu gewähren. Die Kammer schließt sich diesbezüglich der Auffassung der Landessozialgerichte Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 06.04.2011 – L 7 AS 222/11 B ER – sowie vom 04.01.2012 – L 11 AS 653/11 B ER) und Baden-Württemberg (Urteil vom 07.11.2012 – L 3 AS 5600/11) an.

Dabei ist entscheidend, dass es sich bei der Bestimmung des Zuschlags eben nicht um eine auf den konkreten Sachverhalt gerichtete Einzelfallentscheidung handelt, sondern dieser unter Berücksichtigung abstrakter Kriterien durch das BSG festgelegt worden ist. Ferner sollte es sich bei dem Zuschlag auf die Werte der Tabelle zu § 8 WoGG nach der maßgeblichen Entscheidung des BSG auch nicht um einen Ausgleich für eine zwischenzeitlich eingetretene Teuerung handeln. Zweck des Zuschlags sollte vielmehr der Ausgleich möglicher Unwägbarkeiten und damit der Schutz des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes sein.

Trotz der zum 01.09.2009 vorgenommenen Erhöhung der Werte in der Wohngeldtabelle ist daher nach Überzeugung der Kammer weiterhin ein derartiger Zuschlag zu bewilligen.

Auf der Grundlage von § 12 WoGG zuzüglich eines 10-prozentigen Aufschlages betragen die übernahmefähigen Kosten im streitigen Zeitraum monatlich 393,80 €, so dass der Beklagte unter Berücksichtigung bereits gewährter 358,00 € pro Monat weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 35,80 €, mithin in dem im Streit stehenden Zeitraum von sechs Monaten insgesamt weitere 214,80 € zu tragen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.