Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 16/2014

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 09.04.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 09.04.2014 – B 14 AS 23/13 R

Begrenzungsregelung des § 22 Abs. 1 S 2 SGB II gilt nach Überwindung der Hilfebedürftigkeit und Unterbrechung des Leistungsbezugs für mindestens einen Monat nicht fort – Jobcenter muss teurere Wohnung nach Kurzzeit-Job genehmigen

Leitsätze (Autor):
Keine Begrenzung auf die bisherigen Unterkunftskosten für einen nicht erforderlichen Umzug, denn § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist dann nicht mehr anwendbar, wenn der Hilfebedürftige seine frühere Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Kalendermonat durch bedarfsdeckendes Einkommen überwunden hatte und aus dem Leistungsbezug ausgeschieden war.

Mit Eintritt der neuen Hilfebedürftigkeit lag ein neuer Leistungsfall vor, bei dem die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu übernehmen sind.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Anmerkung:
Siehe auch: Jobcenter muss bei einmonatiger Hartz-IV-Unterbrechung teurere Wohnung bezahlen: www.juraforum.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 17.10.2013 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Urteil vom 17.10.2013 – B 14 AS 70/12 R

Sozialgerichtliches Verfahren – Entscheidung über die Gültigkeit von Satzungen nach § 22a SGB 2 – Antragsbefugnis – Nichtanwendbarkeit der WAufwV BE auf Leistungsberechtigte nach dem SGB 12 – keine Berücksichtigung der Bedarfe älterer Menschen

Leitsätze (Juris):
In der Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung – WAV) des Landes Berlin vom 3. April 2012 (GVBl 2012, 99) werden in der Überschrift die Wörter „und Zwölften“ und § 6 Abs. 2 Buchstabe d für unwirksam erklärt.

Es wird festgestellt, dass die Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung – WAV) des Landes Berlin vom 3. April 2012 (GVBl 2012, 99) für Leistungsempfänger nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht gilt.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17.10.2013 – L 2 AS 11/11 – Berufung anhängig beim BSG unter den Az. B 4 AS 12/14 R

Minderjährigenhaftung – Anwendung des § 1629a BGB auch bei Erlass des Erstattungsbescheides nach Eintritt der Volljährigkeit

Leitsatz (Autor):
Der Anwendung des § 1629a BGB steht nicht entgegen, dass die Erstattungsforderung und damit die gegen den Antragsteller gerichtete Verbindlichkeit erst nach Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers konkretisiert worden ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R – Die Entscheidung betraf einen Fall, in dem die Volljährigkeit nach Erlass des Erstattungsbescheides eintrat.

3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.05.2013 – L 12 AS 2465/12 – Berufung anhängig beim BSG unter dem Az. B 14 AS 17/14 R

Nachzahlung von Sozialleistungen (von sogenannten Analog-Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz) sind nicht gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. (jetzt: § 11a Abs. 1 SGB II) von der Einkommensanrechnung ausgeschlossen.

Leitsätze (Autor):
Nachzahlungen nach dem AsylbLG sind als Einkommen im Rahmen des SGB 2 zu berücksichtigen.

Eine Nachzahlung nach dem AsylbLG stellt nach dem Wortlaut eindeutig keine Leistung nach dem SGB II dar. Auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift liegen nicht vor. Eine planwidrige Regelungslücke besteht nicht. So hat das BSG zu der Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe entschieden, dass diese als Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen ist und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gerade keinen Vorrang eingeräumt (vgl. BSG vom 21.12.2009, B 14 AS 46/08 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung 1:
Anderer Auffassung LSG Schleswig-Holstein, Urteil 15.04.2008, L 11 AS 10/07 R (Nachzahlung Alhi); LSG Hamburg, Beschluss 17.07.2006, L 5 B 71/06 AS ER (Nachzahlung Verletztenrente); SG Koblenz, Urteil 22.01.2013, S 14 AS 798/11 (Nachzahlung Asylbewerberleistungen); SG Speyer, Urteil 05.03.2013, S 20 AS 1119/10 (Nachzahlung Asylbewerberleistungen) ; SG Trier, Urteil vom 29.03.2012, S 1 AS 275/11 (Nachzahlung Asylbewerberleistungen) – Durch Rechtsmittel erstrittene Nachzahlungen von Sozialleistungen sind bei der Prüfung der Bedürftigkeit nicht als Einkommen/Vermögen anzurechnen. Insoweit hat der Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes Vorrang vor den Grundsätzen der Bedarfsdeckung und der Bedürftigkeit.

Anmerkung 2 (Thomé):
Wenn allerdings anrechnen, dann handelt es sich hier um nachgezahlte Sozialleistungen, die aus einem laufenden Anspruch entstanden sind, die nach der Rechtsprechung des BSG wie laufendes Einkommen anzurechnen sind. Das bedeutet, nur im Monat des Zuflusses dürfen sie als Einkommen berücksichtigt werden (BSG v. 21.12.2009 – B 14 AS 46/08 R, LSG NRW v. 22.07.2013 – L 2 AS 738/13 B).  Eine Anrechnung wie einmaliges Einkommen mit Verteilung auf sechs Monate ist rechtswidrig.

3.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2014 – L 19 AS 332/14 B – rechtskräftig

Verfassungsmäßigkeit der Aufrechnung zur Tilgung eines Darlehens zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen – Gewährung von PKH

Leitsätze (Autor):
Offen bleiben kann, ob § 42a Abs. 2 SGB II auf sog. Altdarlehen, d.h. vor dem 01.04.2011 gewährte Darlehen anwendbar ist.

Zu berücksichtigen wird sein, dass den gegen die Regelung des § 42a Abs. 2 SGB II erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 18.11.2013 – L 10 AS 1793/13 B; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 07.02.2013 – L 7 AS 448/13 B m.w.N.) entgegengehalten wird, dass in atypischen Fällen eine Mietkaution als Zuschuss zu gewähren ist (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 03.02.2014 – L 2 AS 2280/13 B) bzw. ein Erlass der Rückzahlungsverpflichtung nach § 44 SGB II in Betracht kommt. Bei der Prüfung, ob ein atypischer Fall vorliegt, werden im Hinblick auf die seit dem 01.04.2011 geltenden gesetzlichen Rückzahlungsbedingungen seit diesem Zeitpunkt andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen, als zuvor.

Ebenfalls nicht im Rahmen des Antrags auf Prozesskostenhilfe abschließend zu prüfen ist auch, ob eine verfassungskonforme Auslegung des § 42a SGB II im Hinblick auf die zeitliche Dauer einer Aufrechnung zur Tilgung von Darlehen geboten ist (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 18.11.2013 – L 10 AS 1793/13 B). Vorliegend soll der Tilgungsvorgang mehr als drei Jahre dauern, länger als der § 43 Abs. 4 S. 2 SGB II vorgesehen Aufrechnungszeitraum. Gleiches gilt für die Frage, ob die Aufrechnung eines Darlehens nach § 22 Abs. 6 SGB II in Höhe von 10% des maßgebenden Regelbedarfs neben weiteren Aufrechnungen – vorliegend 10,00 EUR monatlich – zulässig ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. zur Frage, ob die Aufrechnung eines Darlehens nach § 22 Abs. 6 SGB II in Höhe von 10% des maßgebenden Regelbedarfs neben weiteren Aufrechnungen zulässig ist – Thüringer LSG, Beschluss vom 02.01.2014 – L 9 AS 1089/13 B

3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2014 – L 19 AS 373/14 B ER – rechtskräftig

Einstweiliger Rechtsschutz – Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs – Rechtsschutzinteresse – Eingliederungsvereinbarung – Ersetzungsbescheid – Unterzeichnung des Vertragsentwurfs durch den Antragsteller mit dem Zusatz „unter rechtlichem Vorbehalt “ – Bewerbungsbemühungen – Bewerbungskosten – Eingliederungsverwaltungsakt schränkt die freie Berufswahl bzw. -ausübung (Art. 12 GG) des Antragstellers nicht rechtswidrig ein

Leitsätze (Autor):
Ein Verwaltungsakt i.S.v. § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II kann ergehen, wenn nach einer Verhandlungsphase keine Einigung über den Abschluss oder den Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung zu Stande gekommen ist, wobei der Grund für das Scheitern der Vertragsverhandlungen unerheblich ist (vgl. zum Vorliegen eines atypischen Falls bei beharrlicher Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen und darauf folgenden fehlenden Verhandlungen Urteil des Senats vom 17.02.2014 – L 19 AS 749/13).

Die Unterzeichnung des Vertragsentwurfs durch den Antragsteller mit dem Zusatz „unter rechtlichem Vorbehalt unterzeichnet, ist als Annahme eines Vertragsangebots unter eine Einschränkung i.S.v. § 61 S. 2 SGB X i.V.m. § 150 Abs. 2 BGB zu werten. Eine solche Annahmeerklärung gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Diesen neuen Antrag hat das Jobcenter nicht angenommen.

Keine offensichtliche Rechtswidrigkeit des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes, wenn die Übernahme von Bewerbungskosten nicht konkret betragsmäßig geregelt wird und auch die Frequenz der abverlangten Bewerbungsbemühungen – mindestens fünf Bewerbungen monatlich – ist nicht zu beanstanden (Urteil des Senats vom 17.02.2014 – L 19 AS 749/13 m.w.N., LSG Bayern Beschluss vom 22.01.2013 – L 16 AS 381/11).

Es ist weiterhin nicht zu beanstanden, dass die Pflichten des Jobcenters weniger konkret formuliert sind, als die des Antragstellers. Zwar sind die Leistungen, die der Hilfebedürftige nach § 16 SGB II zur Eingliederung vom Träger erhalten soll, möglichst verbindlich und konkret zu bezeichnen. Jedoch ist zu beachten, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses die weitere Entwicklung für die nächsten sechs Monate noch nicht in allen Einzelheiten überblickt werden kann. Daher besteht ein Bedürfnis, die Förderungsmaßnahmen zunächst allgemeiner zu formulieren. Dies ist auch nach den gesetzlichen Vorgaben (§ 15 Abs. 1 S. 2 SGB II) so vorgesehen. Nach dieser Vorschrift sind nicht nur die Eigenbemühungen des Hilfebedürftigen zu vereinbaren, sondern auch deren Häufigkeit und in welcher Form der Nachweis zu erbringen ist. Die Leistungspflicht des Leistungsträgers wird dagegen nur allgemein beschrieben (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 18.04.2013 – L 5 AS 91/12 m.w.N.).

Gegen die im Eingliederungsverwaltungsakt enthaltenen Regelungen zur Ortsabwesenheit und Arbeitsunfähigkeit bestehen keine Bedenken (vgl. hierzu LSG Bayern Beschluss vom 22.01.2013 – L 16 AS 381/11 und LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 20.06.2013 – L 6 AS 89/12).

Der Eingliederungsverwaltungsakt schränkt die freie Berufswahl bzw. -ausübung (Art. 12 GG) des Antragstellers nicht rechtswidrig ein. Dies gilt sowohl für die Obliegenheit, monatlich mindestens fünf Bewerbungen nachzuweisen, als auch für die weitere Obliegenheit, sich zeitnah auf Vermittlungsvorschläge zu bewerben und die damit verbundene Sanktionsandrohung im Falle eines Verstoßes (vgl. LSG Hamburg Urteil vom 15.11.2013 – L 4 AS 73/12 und auch Urteil des Senats vom 17.02.2014 – L 19 AS 749/13).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.02.2014 – L 19 AS 2286/13

Kindergeld ist vorbehaltlich abweichender Normen – auch im SGB II als Einkommen der Elternteils, der das Kindergeld bezieht, i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II anzusehen (ständige Rechtsprechung, BSG Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 81/12 R).

Leitsätze (Autor):
Sowohl § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II als auch § 1612b BGB ordnen – abweichend von der grundsätzlichen kindergeldrechtlichen Zuordnung – jeweils an, dass das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung des sozialrechtlichen bzw. unterhaltsrechtlichen Bedarfs des Kindes zu verwenden ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.01.2014 – L 12 AS 888/13 NZB, LSG Thüringen Beschluss vom 04.07.2013 – L 9 AS 395/10), wobei der Begriff des sozialrechtlichen und des unterhaltsrechtlichen Bedarfs nicht identisch sind.

Welches Einkommen im Rahmen des SGB II bei einem Elternteil als Einkommen zu berücksichtigen ist, wird in § 11 Abs. 1 SGB II geregelt, dessen Wortlaut eindeutig ist (vgl. LSG Bayern Urteil vom 15.11.2007 – L 7 AS 320/06 zu § 1612b BGB a.F.). Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass das Kindergeld grundsätzlich nicht als Einkommen des Kindergeldberechtigten, sondern im Hinblick auf die Bestimmung § 1612b BGB als Einkommen des Kindes aufzufassen ist, ist nicht etwa im Hinblick auf eine bestehende Regelungslücke geboten (LSG Thüringen, Beschluss vom 04.07.2013 – L 9 AS 395/10). Zwar hat der Gesetzgeber den Kindern durch die Vorschrift des § 1612b BGB das Kindergeld familienrechtlich bindend und unabhängig vom Außenverhältnis zwischen den Bezugsberechtigten und der Familienkasse zugewiesen (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 14.07.2011 – 1 BvR 932/10). Diese unterhaltsrechtliche Zuweisung kann ein Kind ggf. auf verschiedenen Wegen (u.a. Antrag auf Abzweigung nach § 74 EStG oder Geltendmachung eines Auskehranspruchs – BGH Urteil vom 26.10.2005 – XII ZR 34/03) durchsetzen. Das Kindergeld hat der Klägerin vorliegend jedoch als bereites Mittel zur Verfügung gestanden, da dieses von der Familienkasse nicht an ihren Sohn abgezweigt, sondern an sie ausgezahlt worden ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung des Gerichts:
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.04.2009 – L 20 SO 99/07 – berufen. Diese Entscheidung betraf die Rechtslage nach dem SGB XII. Da das SGB XII die besondere Konstruktion einer Bedarfsgemeinschaft nicht kennt, hat das BSG ausdrücklich offen gelassen, ob die Rechtslage zum SGB II zur Berücksichtigung von Kindergeld für im Haushalt des Kindergeldberechtigten lebende volljährige Kinder auf das SGB XII übertragbar ist (BSG Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 23/06 R).

3.6 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 15. Senat, Beschluss vom 26.03.2014 -  L 15 AS 16/14 B ER

Leitsätze (Juris)
1.      Der Senat hält an seiner Auffassung fest (vgl. bereits Beschluss vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER), dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II stets dann ausschließt, wenn kein anderweitiger Aufenthaltszweck als derjenige der Arbeitsuche ein Aufenthaltsrecht begründen kann, so dass auch solche Ausländer von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, die kein materielles Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet haben, weil sie wirtschaftlich inaktiv sind, ohne über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel zu verfügen oder ein Daueraufenthaltsrecht zu haben (§ 2 Abs. 2 Nrn. 5 und 7 i. V. m. § 4 S. 1 und § 4a FreizügG/EU).

2.   Allein die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsnorm mit Gemeinschaftsrecht (vgl. BSG Beschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R) führt nicht ohne weiteres zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes; vielmehr ist in seinem solchen Verfahren allein die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof die Unvereinbarkeit feststellt.

3.    Es spricht kaum etwas dafür, dass von der Vorabentscheidung des EuGH Auswirkungen auf die Leistungsansprüche von solchen EU-Bürgern erwartet werden können, die als Arbeitsuchende keine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut haben.

4.    Bei einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III handelt es sich um eine Leistung sui generis und ein aliud gegenüber der endgültigen Leistung. Mit einem derartigen Leistungsbegehren muss der Grundsicherungsträger zunächst befasst worden sein, bevor gerichtlicher Eilrechtsschutz in Anspruch genommen werden kann.

5.   § 328 Abs. 1 SGB III räumt dem Leistungsträger ein Entschließungs- und Auswahlermessen ein. Von einer Reduzierung des Entschließungsermessens des Grundsicherungsträgers auf Null in den Fällen arbeitsuchender Unionsbürger, die keine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut haben, ist bereits deshalb nicht auszugehen, weil sich ein materieller Leistungsanspruch als Ergebnis des vom BSG initiierten Vorabentscheidungsverfahrens als unwahrscheinlich darstellt und ihrem Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums auch durch Nothilfeleistungen des Sozialhilfeträgers in hinreichender Weise Genüge getan werden kann.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.7 – LSG NSB, Urteil vom 03.04.2014 – L 7 AS 786/11

Mietobergrenzen für SGB II-Bezieher im Landkreis Heidekreis rechtswidrig

Leitsätze (Autor):
In Ermangelung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten seien in Anlehnung an die Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes bei einem Vier-Personen-Haushalt (Mietstufe 2 + Zuschlag von 10%) Mietaufwendungen ohne Heizung bis zu einem Maximalbetrag von 575,30 € monatlich zu übernehmen.

Pressemitteilung des LSG NSB vom 08.04.2014: www.landessozialgericht.niedersachsen.de

3.8 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11.03.2014 – L 8 AS 176/13 NZB

Leitsätze (Juris):
Ein Verfahrensmangel, weil das Sozialgericht kein Sachverständigengutachten gemäß § 106 SGG zu den Fragen eingeholt habe, ob eine Ernährung unter Verringerung des Anteils cholesterinhaltiger Nahrungsmittel kostenaufwändiger ist und ob die Erkrankung des Klägers insofern dem Diabetes Mellitus vergleichbar ist, ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG ist nur dann ein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 SGG, wenn sich das Gericht zu weiteren Ermittlungen aus seiner rechtlichen Sicht hätte gedrängt fühlen müssen; im vorliegenden Fall ist bereits eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zu verneinen.

Der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel, vorliegend: fettes Fleisch, Butter, Schmalz, viele Eier etc., führt nicht zu einem Mehraufwand; das Sozialgericht musste kein Sachverständigengutachten einholen, denn aus dem Weglassen oder der Verringerung des Konsums cholesterinhaltiger Produkte können sich unmittelbar keine zusätzlichen Ausgaben ergeben.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

Anmerkung:
Vgl. LSG NRW, Beschluss vom 10.09.2013 – L 19 AS 1844/12 NZB

3.9 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 24.03.2014 – L 7 AS 217/14 B ER

Einstweiliger Rechtsschutz – Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs – Rechtsschutzinteresse – Eingliederungsvereinbarung – Ersetzungsbescheid mit Sanktionsandrohung für den Fall von Pflichtverletzungen – Übernahme von Bewerbungskosten – falsche Rechtsfolgenbelehrung

Leitsätze (Autor):
Einstweiliger Rechtsschutz hat grundsätzlich nicht die Aufgabe, Rechtsfragen zu beantworten, die mit einer gegenwärtigen Notlage nichts zu tun haben (BayLSG, Beschluss vom 20.12.2012, Az.: L 7 AS 862/12 B ER).

Keine offensichtliche Rechtswidrigkeit des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes, wenn die Übernahme von Bewerbungskosten nicht konkret betragsmäßig geregelt wird und eine Verpflichtung zu sieben Eigenbewerbungen pro Monat mit einem Nachweis zu bestimmten Zeitpunkten festgelegt wird.

Eine falsche Rechtsfolgenbelehrung macht den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt nicht rechtswidrig. Dies ist erst für eine etwaige Sanktion erheblich (BayLSG, Beschluss vom 05.06.2013, Az.: L 11 AS 272/13 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. zu bestehenden Bedenken, wenn die Übernahme von Bewerbungskosten nicht konkret betragsmäßig geregelt wird – BayLSG, Beschluss vom 16.04.2013 – L 11 AS 74/13 B ER u. Beschluss vom 05.06.2013 – L 11 AS 272/13 B ER

3.10 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26.03.2014 – L 6 AS 31/14 B – rechtskräftig

Legasthenie oder Dyskalkulie – Aufwendungen für die Therapie einer Lese- und Rechtsschreibschwäche können Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II sein – Eine zeitliche Höchstgrenze der Förderung sieht das Gesetz nicht vor.

Leitsätze (Autor):
Nicht nur die Versetzung in die nächste Klassenstufe ist ein wesentliches Lernziel, sondern auch das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Februar 2012, L 7 AS 47/12; SG Marburg, Beschluss vom 1. November 2012, S 5 AS 213/12 ER).

Wenn die Versetzung eines hilfebedürftigen Schülers nur deshalb nicht gefährdet ist, weil in der Orientierungsstufe der automatische Aufstieg von der 5. in die 6. Klassenstufe vorgesehen ist, so steht dies einer Lernförderung durch das Jobcenter gemäß § 28 Abs.5 SGB II nicht entgegen.

Zur Behandlung von Teilleistungsstörungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie kann Lernförderung auch dann gewährt werden, wenn voraussichtlich deren längerfristige Inanspruchnahme erforderlich ist (vgl. SG Marburg, Beschluss vom 1. November 2012, S 5 AS 213/12 ER; SG Braunschweig, Urteil vom 8. August 2013, S 17 AS 4125/12; SG Oldenburg, Beschluss vom 11. April 2011, S 49 AS 611/11 ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Bei Legasthenie kann Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II erfolgen – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2013 – L 19 AS 2015/13 B ER

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Stade, Urteil vom 27.03.2014 – S 18 AS 937/12 – Die Berufung wird zugelassen

Zur Frage, inwieweit Abmahnkosten wegen einer behaupteten Markenrechtsverletzung eine Betriebsausgabe im Sinne des § 3 Abs 2 der Arbeitslosengeld-II-Verordnung (ALG-II-V) darstellen und sich entsprechend einkommensmindernd im Rahmen der Leistungsberechnung nach dem SGB II auswirken.

Leitsätze (Autor):
Abmahnkosten stellen Betriebsausgaben des Leistungsbeziehers dar.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 24.09.2013 – S 14 AS 130/13 – Berufung anhängig beim LSG unter dem Az. L 7 AS 2046/13

Das insoweit schlüssige Konzept des Jobcenters (Vergleichsraum Kreis Düren) ist um einen Höchstwert für die Angemessenheit der kalten Betriebskosten zu ergänzen, zu vervollständigen.

Leitsätze (Autor):
In NRW sind 65 qm für einen Haushalt mit zwei Haushaltsangehörigen angemessen (BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R). Den maßgeblichen Vergleichsraum bildet dabei der gesamte Kreis Düren.

Das Konzept des Jobcenters ist insoweit schlüssig, jedoch unvollständig, als es Grenzwerte nur für die Grundmiete bestimmt, eine abstrakte Taxierung der angemessenen kalten Nebenkosten allerdings nicht möglich war.

Die kalten Betriebskosten müssen zur Netto-Kaltmiete addiert werden und bilden als Summe die Mietobergrenze. Mangels kommunalen Betriebskostenspiegels sind die durchschnittlichen Werte für NRW mit 1,94 Euro/qm zu verwenden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Vgl. dazu LSG NRW, Urteil vom 28.11.2013 – L 7 AS 1121/13 und – L 7 AS 1122/13 – Beschwerde anhängig beim BSG unter dem Az. B 4 AS 17/14 B und B 4 AS 18/14 B

4.3 – SG Mainz, Urteil vom 20.02.2014 – S 10 AS 1166/13

Klageerhebung vor dem Sozialgericht per E-Mail?

Leitsatz (Autor):
Eine Klageerhebung per E-Mail ist nur dann zulässig, wenn die E-Mail mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Eine solche – bei Privatleuten kaum verbreitete – Signatur wies die E-Mail der Klägerin aber nicht auf.

Pressemeldung 1/2014 Sozialgericht Mainz, 04.04.2014: www.mjv.rlp.de

4.4 – SG Hannover, Beschluss vom 03.04.2014 – S 49 AS 1058/14 ER

Kosten der Unterkunft bei Verwandten – Jobcenter fordert Untermietgenehmigung des Vermieters der Mutter – Keine Untermieterlaubnis des Vermieters für Untermietvertrag erforderlich

Leitsätze (Autor):
Für die Bewilligung der Kosten der Unterkunft muss der Antragsteller beim Jobcenter keine Untermietgenehmigung des Vermieters der Mutter vorlegen.
 
Quelle: Beschluss liegt dem Autor vor.

4.5 – SG Kiel, Beschluss vom 09.04.2014 – S 38 AS 88/14 ER

Bei einer sog temporären Bedarfsgemeinschaft ist ein erhöhter Wohnraumbedarf zu berücksichtigen.

Leitsatz (Autor):
Im Falle einer temporären Bedarfsgemeinschaft, wenn die Anwesenheitszeiten der 2 Kinder zeitlich erheblich sind, ergibt sich für den Antragsteller ein angemessener Wohnbedarf von 65 m2.

Quelle: Rechtsanwalt Stephan Felsmann aus Kiel: www.anwalt-kiel.com

5.   Begründung einer einkommens- und vermögensunabhängigen Eingliederungshilfe anhand der UN-Behindertenrechtskonvention

Eine Abhandlung von Larissa Rickli, Anne Wiegmann, veröffentlicht in der Zeitschrift für Sozialberatung “ Sozialrecht aktuell „, Heft 02/2014 (SRa 2014, Heft 02): www.sozialrecht-aktuell.nomos.de (pdf)

6.   Erreichbarkeit und Transparenz: Rechtsanwalt Dirk Feiertag zur Klage gegen das Jobcenter

Die Kanzlei fsn-rechte Rechtsanwälte hatte beim Landgericht Leipzig auf Herausgabe der Diensttelefonnummern des Jobcenters Leipzig geklagt und im Januar 2013 Recht bekommen. Das Jobcenter stellte darauf einen Antrag auf Zulassung einer Berufung, der seit über einem Jahr beim Oberverwaltungsgericht Bautzen zur Bearbeitung vorliegt. Über die gesellschaftlichen Hintergründe der Klage und die Konsequenzen im Falle der Bekräftigung des Urteils haben wir mit Dirk Feiertag gesprochen.

Weiter: Leipziger Internet Zeitung: www.l-iz.de

7.   Arbeitshilfe zur Gesundheitsversorgung im AsylbLG

Der Paritätische Gesamtverband hat eine Arbeitshilfe zum Thema Gesundheitsversorgung im AsylbLG herausgegeben mit Hinweisen zur aktuellen Rechtslage und Rechtsprechung.

Hier: Der Paritätische Gesamtverband – Fachinformationen: www.der-paritaetische.de

8.   Musterverfahren vor BVerfG: DGB pocht auf Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze

Die Hartz-IV-Sätze für Langzeitarbeitslose müssen nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) neu berechnet werden, weil sie zu niedrig seien. „Die Regelsätze sind nach Auffassung des DGB nicht verfassungskonform“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Ein dazu vom DGB unterstütztes Musterverfahren liegt dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.

Weiter: beck-aktuell Nachrichten: https://beck-aktuell.beck.de

Hartz-IV-Satz: Berechnungsverfahren hat weiterhin eklatante Schwächen – Forscher kritisieren „freihändiges“ Vorgehen.

Weiter: idw – Pressemitteilung: Hartz-IV-Satz: Berechnungsverfahren: www.idw-online.de

Irene Becker – Wie die Hartz-IV-Sätze klein gerechnet wurden

Bei der neuen Berechnung der Regelbedarfe, die in Folge des Regelbedarf-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 vorgenommen werden musste, wurden nicht nur mehrere vom BVerfG angemahnte Mängel korrigiert. Gleichzeitig wurden gegenüber der vorherigen Berechnung auch mehrere fragwürdige methodische Änderungen vorgenommen. Sie wirkten sich mindernd auf den Regelsatz aus. So ergab sich für das Jahr 2008 schließlich ein Eckregelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen von nur 361,81 Euro. Dieser lag nur geringfügig höher als der Satz von 359 Euro, der von Juli 2009 bis Ende 2010 galt. Dabei hätte eigentlich ein wesentlich höherer Satz erwartet werden dürfen, wenn nur die verfassungsrechtlich notwendigen Korrekturen berücksichtigt worden wären. Hier wird gezeigt, wie der Regelbedarf für das sozio-kulturelle Existenzminimum klein gerechnet wurde. Das BVerfG überprüft derzeit auch die neuen Regelbedarfe auf ihre Verfassungsmäßigkeit.

Weiter: SoSi 03/2014: www.bund-verlag.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de