Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 27/2014

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 09.04.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 09.04.2014 – B 14 AS 23/13 R

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Erhöhung der angemessenen Unterkunftskosten durch Umzug – keine Begrenzung der Leistungen auf die bisherigen Unterkunftskosten nach Unterbrechung des Leistungsbezuges für mindestens einen Monat

Leitsatz (Autor)
Wenn ein Hilfeempfänger nach dem (nicht erforderlichen) Umzug in eine teurere Wohnung seine Hilfebedürftigkeit für mehr als einen Monat unterbricht, darf das Jobcenter die Übernahme der Wohnkosten nicht auf den Betrag begrenzen, der für die alte Wohnung angefallen wäre.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 9.4.2014 – B 14 AS 46/13 R

Sozialgerichtliches Verfahren – Klagefrist – Widerspruchsbescheid – Rechtsbehelfsbelehrung – Bekanntgabe – Zustellung – Monatsfrist

Ist ein Bescheid „zugestellt“ worden, dann ist er auch „bekannt gegeben“…

Ein Bezieher von Arbeitslosengeld II kann gegen einen Bescheid des Jobcenters innerhalb eines Monat nach „Bekanntgabe“ eines Widerspruchsbescheides Klage vor dem Sozialgericht erheben. Wird ihm der entsprechende Brief förmlich zugestellt, so ist der Widerspruchsbescheid damit „bekannt gemacht“.

(Der Leistungsempfänger kann seinen von ihm verspätet eingereichten Widerspruch nicht mit der Begründung entschuldigen, er sei durch die Formulierung „Bekanntgabe“ verunsichert worden, da der Brief ihm ja nur „zugestellt“ worden sei.

Das BSG hielt dies für Förmelei: Die Belehrung über die Frist könne „keinen Irrtum des Adressaten für den Beginn der Frist für den Rechtsbehelf hervorrufen“.)

Quelle: Wolfgang Büser

Volltext der Entscheidung hier: juris.bundessozialgericht.de

2.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.06.2014 – L 7 AS 357/13 B – rechtskräftig

Als Anspruchsgrundlage zur Übernahme von Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente kommt § 21 Abs. 6 SGB II in Betracht.

Leitsätze (Autor)
Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente als auch für nicht verordnungsfähige Arzneimittel können einen Anspruch auf Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II auslösen.

In Ansehung der Rechtsprechung des für das Krankenversicherungsrecht zuständigen 1. Senats des BSG (BSG, Urteil vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R) kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass ohne weitere Ermittlungen seitens der Träger der Grundsicherung davon auszugehen ist, dass grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung, die durch ergänzende Leistungen der Grundsicherung abzuwenden wären, ausscheiden (so aber LSG NW, Beschluss vom 14. März 2012 – L 12 AS 134/12 B).

Die bei Hilfebedürftigkeit eingreifenden Teile des Sozialsystems sichern das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum, sofern Versicherte krankheitsbedingt Mittel benötigen, die verfassungskonform nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen. Bei Bedürftigkeit Betroffener übernehmen daher andere Teile des Sozialsystems die Versorgung mit solchen Leistungen, etwa das SGB II und SGB XII unter den dort genannten Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 06. März 2012 – B 1 KR 24/10 R). Das gilt nach der Rechtsprechung des 1. Senats grundsätzlich sowohl für nicht verschreibungspflichtige als auch für nicht verordnungsfähige Arzneimittel.

Daher wird umfassend das Erkrankungsbild des Leistungsbeziehers zu ermitteln sein, um abzugleichen, ob die Voraussetzungen, unter denen nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente übernommen werden können, erfüllt sind. Zudem wird das SG zu prüfen haben, ob die Krankenkasse beizuladen ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.06.2014 – L 2 AS 932/14 B ER – rechtskräftig

Leitsätze (Autor)
Ein Anordnungsgrund für eine Wiederherstellung der Gasversorgung zur Beheizung der Wohnung ist außerhalb der Heizperiode aufgrund der derzeitigen und noch für mehrere Monate zu erwartenden Außentemperaturen, die eine Wohnungsbeheizung nicht erfordern, nicht gegeben.

Auch eine Übernahme von Stromschulden durch Gewährung eines entsprechenden Darlehens durch den Grundsicherungsträger kommt nicht in Betracht, weil zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten von den Antragstellern noch nicht ausgeschöpft worden sind (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 08.10.2012 zum Az. L 12 AS 1442/12 B ER – Leistungsempfängern ist es zumutbar, sich im Zivilrechtsweg gegen eine angekündigte oder schon erfolgte Stromsperre zu wenden oder sich um einen Wechsel des Stromversorgers zu bemühen). Das Risiko des Energieversorger, die von ihm an seinen Kunden erbrachten Leistungen auch abgegolten zu erhalten, müsse in dem zu Grunde liegenden rein zivilrechtlichen Rechtsverhältnis vorrangig geklärt werden, bevor ein etwaiger Einstand des Leistungsträgers und damit eine Risikoüberleitung auf den Steuerzahler in Betracht komme (siehe auch Beschluss des erkennenden Senates vom 13.05.2013, Az.: L 2 AS 313/13 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. dazu – SG Berlin, Beschluss vom 25.10.2012 – S 37 AS 24431/12 ER -   Auf vorrangige Selbsthilfebemühungen kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II nur verwiesen werden, wenn diese konkret realisierbar sind und so zeitnah greifen, dass eine Hilfe über § 22 Abs. 8 SGB II entbehrlich wird.

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.05.2014 – L 19 AS 430/13 – Die Revision wird zugelassen.

Bulgarische Staatsangehörige haben Anspruch auf ALG II.

Leitsätze (Autor)
Die Antragsteller können sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 berufen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.06.2014 – L 7 AS 749/14 B ER – und – L 7 AS 750/14 B – rechtskräftig

Bei der Übernahme von Kosten für eine Weiterbildungsmaßnahme i.S.v. § 81 SGB III als Leistung zur Eingliederung nach § 16 Abs. 1 SGB II handelt es sich um eine Kann-Leistung und damit um eine Ermessensleistung.

Leitsätze (Autor)
Bei einer Ermessensleistung kann ein Anspruch auf die Leistung vom Gericht nur dann bejaht werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs vorliegen (bzw. glaubhaft gemacht sind beim einstweiligen Rechtsschutzverfahren) und das Ermessen zugunsten des Betroffenen auf Null reduziert ist. Diese liegt dann vor, wenn jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre. Letzteres bedeutet, dass die Ausübung des Ermessens allein zu einer Leistungsgewährung führen kann, weil keine Ablehnung begründet werden könnte (LSG Bayern, Beschluss vom 04.07.2011 – L 7 AS 472/11 B ER).

Hier liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Vorliegend ist nur eine einzige Ermessensentscheidung möglich. Der Antragsgegner hat trotz eines ausführlichen rechtlichen Hinweises in der gesetzten Frist keine Gründe vorgetragen, die eine andere alternative Eingliederung des Antragstellers realistisch erscheinen lässt.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2014 – L 3 AS 1997/13 B PKH

Die Neuregelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II, mit der der Überprüfungszeitraum für Leistungen nach dem SGB II auf ein Jahr verkürzt worden ist, begegnet keinen ernsthaften Zweifeln hinsichtlich der Recht- und Verfassungsmäßigkeit.

Leitsätze (Autor)
Nach der Gesetzesbegründung ist die Vier-Jahres-Frist für bedarfsabhängige Leistungen – im Vergleich zu anderen Sozialleistungen wie etwa den Sozialversicherungsleistungen – zu lang (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 114 f.). Ebenso wie die Begrenzung der rückwirkenden Gewährung auf vier Jahre in § 44 Abs. 4 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986 – 1 RA 31/85 – BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr. 23) ist auch die kürzere Sonderregelung für die bedarfsabhängige Grundsicherung für Arbeitssuchende verfassungskonform (vgl. z. B. Hess. LSG, Beschluss vom 15. Januar 2013 – L 6 AS 364/12 B ; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. September 2013 – L 7 AS 1050/13 ; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – L 13 AS 4917/12 B ; Bay. LSG, Urteil vom 19. März 2014 – L 16 AS 289/13 -).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.6 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.04.2014 – L 7 AS 1116/13 B

Bei der Wohngeldzahlung handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.

Leitsätze (Juris)
Das Unwirksamwerden der Bewilligung von Wohngeld nach § 28 WoGG belastet nicht den Einkommenzufluss nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II mit einer wirksamen Rückzahlungsverpflichtung. Erst der nach § 50 Abs. 2 SGB X ins Ermessen der Wohngeldstelle gestellte Erstattungsbescheid begründet die einkommensverschonende maßgebliche Zahlungspflicht.
 
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

2.7 – LSG Hessen, Beschluss vom 6. Juni 2014 (Az.: L 6 AS 130/14 B ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II verbietet es im Fall einer arbeitsuchenden Bulgarin vor dem Hintergrund der bestehenden Aufenthaltsrechtslage in der BR Deutschland § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als einen „Auffangausschlusstatbestand“ auszulegen.

Art. 18 in Verbindung mit Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und einer hiermit vereinbare Auslegung von Art. 24 RL 2004/38/EG stehen einer erweiternden Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für ein nur formal fortbestehendes Aufenthaltsrecht wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger entgegen.

2.8 – LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Juni 2014 (Az.: L 12 AS 5220/13 ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Die vollständige Versagung von Leistungen nach § 66 SGB I wird von den in § 39 Nr. 1 SGB II bezüglich einer Leistungsverweigerung abschließend aufgelisteten Fallvarianten nicht erfasst.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines auf § 66 SGB I gestützten Verwaltungsakts entsprechend § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hat Wirkung nur für die Zukunft. Eine rückwirkende Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nicht möglich. Einer derartigen Verfügung kann frühestens ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe Wirkung beigemessen werden, ansonsten wäre die kraft Gesetzes eingeräumte aufschiebende Wirkung im Nachhinein unterlaufen.

Aus der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG folgt zwangsläufig, dass die Frage, ob antragstellerseitig die Mitwirkungspflichten (§§ 60 ff. SGB I) verletzt worden sind und deshalb Leistungen versagt werden dürfen, außer Betracht zu bleiben hat, sofern sämtliche anspruchsbegründenden Voraussetzungen nach dem SGB II als erfüllt aufgefasst werden können.

Wenn der SGB II-Träger lediglich das Bestehen einer Erwerbsfähigkeit entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 8 Abs. 1 SGB II anzweifelt, greift der eine vorläufige Leistungserbringung regelnde § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II.

2.9 – LSG BB, Urteil vom 11.06.2014 – L 38 SF 180/13 EK AS

LSG Berlin- Brandenburg spricht einer vierköpfigen Bedarfsgemeinschaft aus Berlin insgesamt 2000,- € an Entschädigung zu. (je Person 500 €). Das Verfahren betraf die Kosten der Unterkunft, mit einer Dauer von mehr als 31 Monaten zwischen dem Eingang der Berufung und der Zustellung des Berufungsurteils war das vorliegend zu beurteilende zweitinstanzliche Verfahren unangemessen lang.

Das Urteil liegt dem Autor vor.

2.10 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.11.2013 – L 5 AS 388/10 – rechtskräftig

Die Auslöse des Arbeitgebers ist – als Einkommen im Sinne des SGB II zu berücksichtigen.

Leitsätze (Autor)
Es handelt sich bei diesen Spesen nicht um zweckbestimmte Einnahme auf privatrechtlicher Grundlage, die nach der bis zum 31. März 2011 geltenden gesetzlichen Grundlage ggf. unberücksichtigt bleiben können (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012, Az. B 4 AS 27/12 R).

Nach der Neuregelung in der Alg II-V ist eine pauschale Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen zumindest iHv 6,00 EUR täglich bei einer Abwesenheit von mehr als 12 Stunden möglich. Für den streitigen Zeitraum waren die tatsächlichen Aufwendungen jedoch nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012, a.a.O., RN 24).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung 1:
Vgl. SG Oldenburg, Beschluss vom 28.04.2014, Az. S 48 AS 107/14 ER (unveröffentlicht) – Zum Verpflegungsmehraufwand/Spesen eines Berufskraftfahrers – kein konkretisierter Aufwendungsnachweis im Sinne der Ausgaben.

Anmerkung 2:
Höhe der Absetzbeträge bei Mehraufwendungen für Verpflegung: www.harald-thome.de (pdf)

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Potsdam, Urteil vom 09.04.2014 – S 40 AS 2731/11

Die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsvorschusses ist rechtswidrig.

Leitsätze (Autor)
Die Anrechnung von fiktivem Einkommen verstößt gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz. Einkommen kann nur dann bedarfsmindernd berücksichtigt werden, wenn es dem Hilfebedürftigen auch tatsächlich zur Verfügung steht (sogenannte bereite Mittel; ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie der Obergerichte, vgl. beispielhaft: BSG, Urteile vom 11.12.2007 (B 8/9b SO 23/06 R), 02.07.2009 (B 14 AS 75/08 R 9), 27.09.2011 (B 4 AS 202/10 R), 29.11.2012 (B 14 AS 33/12 R; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19.09.2005 (L 3 B 155/05 AS – ER); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.02.2010 (L 15 AS 1081/09 B).

Unabhängig davon, dass – den Vortrag der Mutter der Antragstellerin zur Unkenntnis über den Kindsvater als wahr unterstellt – eine anderweitige Mitwirkung im Unterhaltsvorschussverfahren unmöglich ist, schaltet eine fiktive Anrechnung nicht geflossener Einnahmen selbst bei schuldhaftem Verhalten aus.

Es lag auch in der Hand des Jobcenters, die etwaige Nachrangigkeit der Leistungen auf der Grundlage des SGB II gem. § 5 Abs. 3 SGB II durch einen eigenen Antrag nach dem UVG herzustellen und gegebenenfalls anschließend ein Erstattungsverfahren gem. §§ 102 ff. SGB X einzuleiten (vgl. konkret zur Rechtswidrigkeit der Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsvorschusses – Beschlüsse des LSG Baden-Württemberg vom 05.10.2012 (L 9 AS 3208/12 ER – B) und des Hessischen LSG vom 18.12.2012 (L 7 AS 624/12 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Aktuell zur Rechtswidrigkeit der Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsvorschusses – LSG BB, Beschluss vom 09.04.2014 – L 32 AS 623/14 B ER -.

3.2 – Sozialgericht Dresden, Gerichtsbescheid vom 16. Mai 2014 (Az.: S 12 AS 3729/13 u. a.):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Gemäß § 59 SGB II erlassene Meldeanordnungen liegen im Ermessen des SGB II-Trägers.

Das Jobcenter hat sich hier vom Grundsatz sachgerechter Aufgabenerfüllung leiten zu lassen.

Meldeaufforderungen haben im Rahmen des Erforderlichen zu erfolgen und unterliegen in Konkretisierung allgemeiner Mitwirkungspflichten entsprechend § 65 SGB I dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Meldeaufforderungen sind unverhältnismäßig, wenn bei einer psychisch behinderten Leistungsbezieherin, wo vollkommen unstreitig erhebliche Vermittlungshemmnisse bestehen, keine frei bestimmte und von in ihrer Person liegenden Defiziten unabhängige Verweigerungshaltung vorliegt, so dass zunächst die Einleitung spezieller Beratungs- und Betreuungsleistungen (§ 16a Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 33 Abs. 6 SGB IX) und nicht in letzter Konsequenz eine Sanktionierung nach § 32 SGB II geboten ist.

Ein SGB II-Träger darf sich hier nicht darauf zurückziehen, mit den Mitteln des Verwaltungszwangs formale Meldepflichten entsprechend § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III durchsetzen zu wollen, sondern hat vielmehr besondere, einzelfallbezogene Vorkehrungen zur Konfliktlösung einzuleiten.

3.3 – SG Lüneburg, Urteil vom 12.03.2014 – S 37 AS 1884/10

Zu den Kosten der Unterkunft unter Verwandten – Haushaltsgemeinschaft

Leitsätze (Autor)
Der Leistungsbezieher war einem ernstlichen Zahlungsverlangen seines Vaters nicht ausgesetzt gewesen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

Anmerkung:
Vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2012 – L 2 AS 5209/11 – Nicht jedes ernstliche Geldverlangen des Verwandten ist auch ein ernstliches Mietzinsverlangen. Entscheidend ist, ob die wesentlichen Vertragsinhalte eines Mietvertrages nach § 535 BGB vorliegen.

3.4 – Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 30. Mai 2014 (Az.: S 38 AS 1975/14 ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) ist es erforderlich, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen.

Ein Anordnungsgrund ist damit grundsätzlich erst bei Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine vermieterseitig fristlos ausgesprochene Kündigung der Mietsache reicht für die Bejahung einer Eilbedürftigkeit nicht aus.
 
Anmerkung:
Vgl. dazu LSG NRW, Beschlüsse vom 05.05.20 14 – L 19 AS 632/14 B ER und vom 19.05.2014 – L 19 AS 805/14 B ER – Ein Anordnungsgrund ergibt sich dagegen nicht bereits aus eventuellen Kostenfolgen der Kündigung des Mietverhältnisses. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich der Geltendmachung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist nicht die Vermeidung von Mehrkosten, sondern die drohende Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit.

3.5 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 28. Mai 2014 (Az.: S 124 AS 10047/14 ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Die Ausübung eines Beschäftigungsverhältnisses, das zeitgleich mit dem amtlicherseits festgesetzten Meldetermin (§ 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III) ausgeübt wird und zeitlich nicht verschiebbar ist, steht der Teilnahme an einem Meldetermin entgegen.

Es besteht hier ein wichtiger Grund gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Anmerkung:
Vgl. dazu Sächsisches LSG, Urteil vom 03.7.2013 – L 3 AL 78/12 – Zu den wichtigen Gründen einer Terminabsage kann auch eine Nebenbeschäftigung gehören; Sozialgericht Kiel, Gerichtsbescheid vom 12.09.2012 – S 40 AS 340/12 – Jobcenter darf keine Sanktion gegen einen selbständigen Aufstocker aussprechen, der einen Meldetermin wegen eines Kundentermins absagt.

3.6 – Sozialgericht Leipzig, Beschluss vom 28. Mai 2014 (Az.: S 3 AS 1885/14 ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Der Auszug aus dem bislang bewohnten Einfamilienhaus ist erforderlich i. S. d. § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II, wenn die eheliche Gemeinschaft bereits seit geraumer Zeit nicht mehr besteht und die Scheidung bevorsteht.

Die Angemessenheit von Unterkunftskosten i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II kann aus den Tabellenwerten nach § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 v. H. bestimmt werden.

3.7 – Sozialgericht Leipzig, Urteil vom 22. Mai 2014 (Az.: S 25 AS 4071/12):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Die aus § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II hervorgehende Darlegungslast hebt in Bezug auf erkennbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes die Pflicht des SGB II-Trägers zur Ermittlung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalts von Amts wegen nicht auf.

3.8 – Sozialgericht Regensburg, Beschluss vom 6. Dezember 2013 (Az.: S 3 AS 650/13 ER)

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Die Einstellung von Arbeitslosengeld II, das bereits bewilligt und ausbezahlt wurde, ist durch eine Leistungsentziehung mit Wirkung für die Zukunft auf der Grundlage des § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I möglich.

Eine analoge Anwendung des § 39 Nr. 1 SGB II (Sofortige Vollziehbarkeit) auf die Entziehung von SGB II-Leistungen verbietet sich aber aus verfassungsrechtlichen Gründen.

3.9 – Sozialgericht Frankfurt, Beschluss vom 13.06.2014 – S 32 AS 620/14 ER

Vorläufiger Anspruch auf ALG II für rumänische Staatsangehörige -100 Euro Monatsverdienst reichen nicht für Arbeitnehmereigenschaft -  3,88 Euro Stundenlohn ist sittenwidrig – Anspruch auf Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro

Quelle: Pressemitteilung Frankfurt am Main, den 24. Juni 2014,  1/14: www.sg-frankfurt.justiz.hessen.de

Volltext der Entscheidung: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
S. a. Richter beendet Not durch Bürokratie – Eine rumänische Familie, die von einem extrem niedrigen Lohn leben musste und deren Antrag auf Grundsicherung genau deswegen vom Jobcenter abgelehnt worden ist, hat nun juristische Rückendeckung erhalten: Das Sozialgericht Frankfurt sprach ihr in einem aktuellen Urteil das Recht auf Hartz IV-Leistungen zu.

weiterlesen: www.fnp.de

3.10 – SG Braunschweig, Urteil vom 09.04.2014 – S 49 AS 2184/12 – rechtskräftig

Jobcenter muss Fahrtkosten für JVA-Besuche zahlen

Leitsätze (Autor)
Jobcenter muss Kosten für Besuchsfahrten zum inhaftierten Sohn übernehmen. Fahrten zum Gefängnis stellen besonderen Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II dar.

Die Besuchsfahrten der Eltern zu ihrem Sohn waren zur Aufrechterhaltung des Familienzusammenhalts erforderlich.

Quelle: www.kostenlose-urteile.de

Anmerkung:
Ebenso zu „Fahrtkosten zum Besuch des inhaftierten Kindes“ (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.07.2012 – L 7 AS 963/10; SG Ulm, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – S 8 AS 3164/13/ER (unveröffentlicht) – Fahrtkosten der Gattin und der Kinder zum inhaftierten Vater und SG Reutlingen, Vergleich vom 27. Februar 2013 – S 2 AS 1515/12 (unveröffentlicht) – Bei regelmäßig durchgeführten Besuchsfahrten von Gattin und Kind zum in der Justizvollzugsanstalt einsitzenden Vater handelt es sich ebenfalls um einen Bedarf, der dem Jobcenter gegenüber gemäß § 21 Abs. 6 SGB II geltend gemacht werden kann.

3.11 – SG Mainz, Urt. vom 24.06. 2014 – S 15 AS 132/11

Glücksspielgewinn als Einkommen – Neuwagen – Kläger können sich auf Vertrauensschutz berufen

Leitsatz (Autor)
Glückspielgewinne sind im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II zu berücksichtigen, jedoch rechtsfehlerhaft erlassene Bescheide können nur unter engen Voraussetzungen aufgehoben werden. Hier durften die Kläger darauf vertrauen, dass ihnen die bewilligten Leistungen zustanden und mussten sie daher auch nicht erstatten.

Quelle: Pressemeldung 3/2014 Sozialgericht Mainz vom 24.06.2014: www.mjv.rlp.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG Hessen, Urteil vom 14. Mai 2014 (Az.: L 4 SO 303/11):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Eine hörbehinderte Grundschülerin (GdB: 100) kann sich hinsichtlich des von ihr geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme der Kosten eines/einer GebärdendolmetscherIn für den Unterricht auf § 53 Abs. 1 und 3 SGB XII in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII stützen, denn die Übernahme dieser Aufwendungen ist zur Erreichung des Teilhabeziels (Ermöglichung bzw. Erleichterung des Schulbesuchs im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht) bei einem erwiesenen, besonderen Förderbedarf im Bereich Hören erforderlich und geeignet (§ 12 Nr. 1 EingliederungshilfeVO).

Die behinderte Schülerin wird mittels Gebärdensprache und Gebärdendolmetscher/in insbesondere in die Lage versetzt, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen und mit nichtbehinderten MitschülerInnen zu kommunizieren.

Anmerkung: Vgl. dazu auch Hess. LSG, Beschl. v. 17.06.2013 – L 4 SO 60/13 B ER – Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung – Übernahme der Kosten für einen Gebärdendolmetscher bei inklusiver Beschulung – kein Verweis auf den Schulträger – kein Betroffensein des Kernbereichs pädagogischer Arbeit – Nachrang der Sozialhilfe – kein Verweis auf den Besuch einer Förderschule – schulrechtliches Wahlrecht der Eltern.

4.2 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. April 2014 (Az.: L 9 SO 36/14 B ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
Zum Kernbereich der öffentlichen Schule gehören sämtliche schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, d. h. der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermittelnde Unterricht.

In einem Bundesland, in dem nach dem Schulgesetz die Inklusion zur wesentlichen Aufgabe einer jeden Schule gehört, trifft die Schule mehr Verpflichtungen, diese Aufgabe zu bewältigen.

Die Schule darf diese Obliegenheit nicht pauschal in den Bereich der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 ff. SGB XII) verweisen.

Je mehr das Schulrecht den individuell bestehenden, behinderungsbedingten Bedarf eines jungen Menschen als schulische Aufgabe formuliert, umso mehr kommt der einzelnen Schule die Aufgabe zu, die behinderte Schülerin / den behinderten Schüler dadurch zu fördern, indem die Schule den Kernbereich der schulischen Aktivitäten, d. h. nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch das Erlernen von Techniken zur Wissensaufnahme sowie die umfassenden bildungsgemäßen und gesellschaftlichen Anforderungen wahrnimmt.

Anmerkung:
Vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 17.02.2014 – L 9 SO 222/13 B ER – Es ist Aufgabe der Schule, die gemeinsame Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern sicherzustellen.

5.   IQ-Publikation: „Selbständige Erwerbstätigkeit als Einstieg in den Arbeitsmarkt für Personen aus Nicht-EU-Ländern“

Neuerscheinung: „Wegweiser durch den Dschungel des Aufenthaltsrechtes“

Dieser neue „Wegweiser“ bietet übersichtliche Informationen zu allen relevanten Paragraphen des Aufenthaltsrechtes, die eine selbstständige Tätigkeit für Personen aus Nicht-EU-Ländern ermöglichen.

Gegliedert nach verschiedenen Zielgruppen, beispielsweise ausländische Studierende, Akademiker, Fachkräfte, Familienangehörige, wird aufgeführt, welche Aufenthaltstitel eine selbstständige Tätigkeit ermöglichen, in welche Aufenthaltstitel für eine Existenzgründung möglicherweise „gewechselt“ werden muss und welche Anforderungen für die Bewilligung zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gestellt werden.

Der Wegweiser ist ein Gemeinschaftsprodukt der IQ Fachstelle Existenzgründung und des IQ Landesnetzwerks Niedersachsen.

Unter IQ Publikationen zu Existenzgründung steht das PDF des „Wegweisers durch den Dschungel des Aufenthaltsrechtes“ zum Download zur Verfügung.

Quelle: www.netzwerk-iq.de

6.   Neue Ausgabe 10/2014 der quer (ALSO Oldenburg)

www.also-zentrum.de

7.   Zu Hartz IV – KDU in Köln

Mietberechnung Köln: hartz4-und-bsg-infos.jimdo.com

Rechtsanwälte Fritz und Kollegen, Freiburg verweisen auf diese Seite unter Link des Monats: www.sozialrecht-in-freiburg.de

8.   VG Ansbach: (Kein) Anspruch auf Herausgabe von Telefonlisten und E-Mail-Adressen von Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit

VG Ansbach, Urt. v. 27.05.2014 – AN 4 K 13.01194   

Bundesagentur für Arbeit ist nicht zur Herausgabe von Telefonlisten und E-Mail-Adressen von Beschäftigten verpflichtet

Geheimhaltungsinteresse der Angestellten der Agentur für Arbeit überwiegt grundsätzlich das Informationsinteresse des Arbeitssuchenden

Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat entschieden, dass die Bundesagentur für Arbeit nicht verpflichtet ist, einem Arbeitssuchenden eine Liste mit sämtlichen geschäftlichen Telefondurchwahlen und E-Mail-Adressen der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit zugänglich zu machen.

Weiter: Kostenlose Urteile: www.kostenlose-urteile.de

Volltext der Entscheidung: dejure.org

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de