Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 38/2014

1.   Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum (SGB II)

BVerfG – Pressemitteilung Nr. 76/2014 vom 9. September 2014: Sozialrechtliche Regelbedarfsleistungen derzeit noch verfassungsgemäß – Gegenstand der Verfahren sind die Regelbedarfsleistungen für Alleinstehende, für zusammenlebende Volljährige, für Kinder bis zu sechs Jahren sowie für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren.

Leitsätze (Gericht)
zum Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juli 2014
 
– 1 BvL 10/12 –
 
– 1 BvL 12/12 –
 
– 1 BvR 1691/13 –
 
1. Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) dürfen die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, im Ergebnis nicht verfehlt werden und muss die Höhe existenzsichernder Leistungen insgesamt tragfähig begründbar sein.
 
2. Der Gesetzgeber ist von Verfassungswegen nicht gehindert, aus der grundsätzlich zulässigen statistischen Berechnung der Höhe existenzsichernder Leistungen nachträglich in Orientierung am Warenkorbmodell einzelne Positionen herauszunehmen. Der existenzsichernde Regelbedarf muss jedoch entweder insgesamt so bemessen sein, dass Unterdeckungen intern ausgeglichen oder durch Ansparen gedeckt werden können, oder ist durch zusätzliche Leistungsansprüche zu sichern.
 
Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

2.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
 
2.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.08.2014 – L 9 AS 2809/13 – unveröffentlicht
 
Pflicht des Jobcenters zur Ermessensausübung bei der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Rentenantragstellung – Eingliederungsvereinbarung – Erhöhung der Rentenanwartschaft durch Bundesfreiwilligendienst – Ermessensausübung – Ermessensunterschreitung – Unbilligkeits-Verordnung ist nicht abschließend
 
Leitsätze (Autor)
1. Solange der Rentenversicherungsträger noch keine Rente bewilligt hat, entfaltet die Aufforderung zur Rentenantragstellung Rechtswirkungen, da der Antrag des JC auf Rentengewährung an den Antragsteller noch zurückgenommen werden könnte (vgl. BSG, Beschluss vom 12.06.2013, B 14 AS 225/12 B, n. v.) und der Zweck der Aufforderung zur Rentenantragstellung, der Bezug vorrangiger Sozialleistungen, noch nicht erreicht ist (SG Cottbus, Urteil vom 15.05.2014 – S 14 AS 4304/13).
 
2. Vor Aufforderung zum Rentenantrag muss der Grundsicherungsträger Ermessen ausüben, denn nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger nach dem SGB II den Antrag für den Leistungsberechtigten stellen, wenn dieser trotz Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht bereit ist. Die Rentenantragstellung durch die Behörde steht im Ermessen des JC. Damit bedarf jedoch bereits die Aufforderung zur Rentenantragstellung einer Ermessensentscheidung. Andernfalls wäre der Leistungsempfänger, der den Antrag aufforderungsgemäß stellt benachteiligt, weil in seinem Fall die Ermessensentscheidung vor Vollziehung des Antrags nicht mehr stattfände. Daher muss diese Entscheidung vorverlegt werden und schon im Rahmen der Aufforderungsprüfung erfolgen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.09.2013 – L 28 AS 2330/13 B ER).
 
3. Da das Jobcenter nur die Unbilligkeits-V geprüft, aber sonst kein Ermessen ausgeübt hat, ist eine Ermessensunterschreitung gegeben, die zur Rechtswidrigkeit der Bescheide führt.

4. Die Unbilligkeitsgründe gemäß § 2 bis 5 Unbilligkeits-V sind nicht abschließend, so dass bei Nichtvorliegen der geregelten Unbilligkeitsgründe eine vollumfängliche Ermessensausübung des Jobcenters erforderlich ist (LSG NRW, Beschluss vom 19.05.2014 – L 7 AS 545/14 B ER; LSG BB, Beschluss vom 27.09.2013 – L 28 AS 2330/13 B ER; SG Dresden, Beschluss vom 21.02.2014 – S 28 AS 567/14 ER; a.A. SG Leipzig, Gerichtsbescheid vom 13.05.2014, S 17 AS 4284/ 13; im Ergebnis offen gelassen: LSG NRW, Beschluss vom 22.05.2013 – L 19 AS 291/13 B ER -).

5. Das JC hat nicht berücksichtigt, dass der Freibetrag für den Bundesfreiwilligendienst (§ 1 Abs. 7 Alg II-V) nur im Rahmen des SGB II Anwendung findet. Eine entsprechende Regelung findet sich im SGB XII nicht. Insoweit hätte das JC ermitteln müssen, ob eine ergänzende Leistungsgewährung nach dem SGB XII erforderlich wird, da eine daraus folgende Reduzierung des Freibetrages im Hinblick auf die Vergütung aus dem Bundesfreiwilligendienst in das Ermessen einzustellen gewesen wäre (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 19.05.2014 – L 7 AS 545/14 B ER).

6. Es hätte auch eine Ermessensabwägung im Hinblick auf die Frage erfordert, ob aufgrund der geschlossenen Eingliederungsvereinbarung ein Rentenantragstellung erst für die Zeit nach Erreichen des 63. Lebensjahres und damit auch nach dem geforderten Beginn der Altersrente zumutbar ist (vgl. LSG BB, Beschluss vom 27.09.2013 – L 28 AS 2330/13 B ER).
 
Anmerkung des Gerichts:
Dahinstehen kann, ob das JC nach § 131 Abs. 1 S. 1 SGG zur Rücknahme des Rentenantrages im Rahmen der Folgenbeseitigung verpflichtet werden könnte oder ob es sich bei der Rentenantragstellung durch das JC um ein Aliud zur Antragstellung des Leistungsbeziehers (LB) und nicht um den Vollzug der an den LB ergangen Aufforderung zur Antragstellung handelt, welcher der Folgenbeseitigung zugänglich wäre (vgl. SG Cottbus, Urteil vom 15.05.2014, S 14 AS 4304/13). Denn für eine Entscheidung des Senats nach § 131 Abs. 1 S. 1 SGG wäre ein entsprechender Antrag des LB erforderlich gewesen, der vorliegend nicht gestellt wurde.

Das Urteil liegt im Volltext vor, mein Dank gilt dem LSG BW.

2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.08.2014 – L 7 AS 269/14

Jobcenter muss keine Kosten als Zuschuss für zwei neue Brillengläser als Leistungen nach dem SGB II übernehmen – zum Begriff des therapeutischen Gerätes
 
Leitsätze (Autor)
1. Dem Antragsteller steht weder ein Anspruch auf Übernahme für die Kosten der Brillengläser nach § 21 Abs. 6 SGB II noch nach § 24 Abs. 3 Nr. 3 SGB II zu.
 
2. Ein besonderer Bedarf kann hier bejaht werden, da der Antragsteller (Antragst.) die medizinische Notwendigkeit der neuen Brillengläser durch Vorlage einer ärztlichen Verordnung nachgewiesen hat und die Krankenkasse als vorrangiger Leistungsträger nach § 33 Abs. 2 S. 2 SGB V zur Leistungserbringung aufgrund einer mangelnden schweren Sehbeeinträchtigung nicht verpflichtet ist. Allerdings kann hier weder ein laufender noch ein unabweisbarer Bedarf bejaht werden.
 
3. Um einen laufenden Bedarf handelt es sich, wenn er innerhalb von sechs Monaten nicht nur einmalig, sondern mehrfach auftritt. Ein regelmäßig wiederkehrender Bedarf kann auch vorliegen, wenn er prognostisch zumindest im nächsten Bewilligungsabschnitt wieder entsteht. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart des Bedarfs kann ein laufender Bedarf aber auch angenommen werden, wenn er zwar häufiger auftritt, nicht jedoch zwingend in jedem Bewilligungsabschnitt gegeben ist und wegen der Höhe der damit verbundenen Aufwendungen nicht über die Darlehensregelung des § 24 Abs. 1 SGB II erfasst werden kann (LSG) NRW, Beschluss vom 12. Juni 2013 – L 7 AS 138/13 B).

4. Die Kosten der Brillengläser belaufen sich hier abzüglich der Brillenversicherung auf 144,80 Euro. Dieser Betrag könnte, sofern man von einer noch zumutbaren Ansparquote von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs, also 37,40 Euro ausgeht, in vier Monaten angespart werden. Damit könnte der Antrast. bereits in einem Bewilligungsabschnitt bei der genannten Ansparquote die Kosten decken. Bei diesem Betrag erscheint das menschenwürdige Existenzminimum nicht gefährdet. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Antrast. bereits im nächsten Bewilligungsabschnitt neue Brillengläser benötigte. Für eine chronische Augenerkrankung, die mit einer zeitnahen Veränderung der Sehstärke einhergeht, besteht kein Anhaltspunkt. Vorliegend ist daher nicht von einem regelmäßig wiederkehrenden Bedarf auszugehen.
 
5. Er hat auch keinen Anspruch nach § 24 Abs. 3 Nr. 3 SGB II im Rahmen eines Sonderbedarfes für die Kosten seiner Brillengläser. Bei den vom Antrast. eingesetzten Brillengläsern handelt es sich nicht um eine Reparatur eines therapeutischen Gerätes. Der Austausch von Brillengläsern stellt keine Reparatur dar. Die Rechtsfrage, ob es sich bei den Brillengläsern um ein therapeutisches Gerät handelt, konnte offen gelassen werden, da der Anspruch  nach § 24 Abs. 3 Nr. 3 SGB II bereits aufgrund der mangelnden Reparatur der Brillengläser nicht gegeben ist (vgl. zur Brille als therapeutisches Gerät – SG Osnabrück (Urteil vom 05.02.2013 – S 33 AS 46/12).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2014 – L 2 AS 1461/14 B – rechtskräftig
 
Notwendigkeit des Erlasses eines Aufhebungsbescheides zur Umsetzung einer Sanktion

Leitsätze (Autor)
1. Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn ob die Umsetzung einer Sanktion nach §§ 31, 32 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Aufhebung eines bereits erteilten Bewilligungsbescheides erfordert oder nicht bzw. ob davon auszugehen ist, dass sie konkludent mit dem Absenkungsbescheid erfolgt, ist umstritten.
 
2. Nach einer Auffassung ist eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht erforderlich, weil der Wortlaut der zum 01.04.2012 in Kraft getretenen Neuregelung des § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II (Minderung des “Auszahlungsanspruchs”) dafür spricht, dass die Bewilligung dem Grunde nach bestehen bleibt und lediglich die Auszahlung betroffen ist. Der im Bewilligungsbescheid festgestellte Leistungsanspruch bleibe daher unberührt und müsse nicht aufgehoben werden.

3. Die Minderung trete vielmehr kraft Gesetzes ein (Bay LSG, Urteil vom 30.01.2014 – L 7 AS 85/13).

4. Folgt man dieser Auffassung, ist gegen den Sanktionsbescheid allein eine isolierte Anfechtungsklage statthaft, in deren Rahmen die Rechtmäßigkeit der Sanktion geprüft wird. Sozialgerichtlicher Eilrechtsschutz kann dann durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage erreicht werden.
 
5. Gegen diese Auffassung werden aber Bedenken vorgebracht: Die Aufspaltung in “Leistungsanspruch” und “Auszahlungsanspruch” überzeuge nicht. Beide seien vielmehr als Einheit anzusehen, wobei die Auszahlung nur die “automatische” Folge der zuvor erfolgten Bewilligung sei. Auch wenn die Anspruchsminderung kraft Gesetzes eintrete, bedürfe es der Aufhebung des “formalrechtlichen Anspruchs” aus dem Bewilligungsbescheid. Die Feststellung der Minderung führe zwar zu einer “Änderung der Verhältnisse”, die Voraussetzung für eine Aufhebung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei, mache diese aber nicht entbehrlich (vgl. LSG NSB, Beschluss vom 10.02.2014 – L 7 AS 1058/13 B; Hessisches LSG Beschluss vom 03.12.2013 L 9 AS 614/13 B; SG Dortmund, Beschluss vom 26.05.2014 – S 35 AS 1758/14 ER; Beschluss vom 13.06.2014 – S 32 AS 1173/14 ER).

6. Auch eine Auslegung des Absenkungsbescheides als konkludente Aufhebung des Bewilligungsbescheides begegnet Bedenken. Ob eine Formulierung, die lediglich den Wortlaut des § 31b SGB II wiedergibt, gleichzeitig als Änderung des zuvor ergangenen Bewilligungsbescheides aufgefasst werden kann, erscheint zweifelhaft (verneinend Hessisches LSG, Beschluss vom 03.12.2013 – L 9 AS 614/13 B) Eine solche Auslegung würde zudem unter Berücksichtigung der erforderlichen Bestimmtheit zumindest erfordern, dass das Datum des streitigen Ausgangsbescheides im Absenkungsbescheid benannt wird (so auch LSG NRW, Beschluss vom 04.03.2013 – L 19 AS 1688/12 B unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Offen gelassen – SG Neuruppin, Beschluss vom 27.05.2014 – S 17 AS 659/14 ER

2.4 – LSG NRW, Beschluss v. 04.09.2014 – L 7 AS 1018/14 B ER

Keine Sanktionen, wenn Verpflichtungen nicht hinreichend bestimmt sind.

Leitsätze:
1. Ein Leistungsempfänger darf jedoch nicht mit dem Risiko einer Leistungsminderung im Sinne der §§ 31 -31 b SGB ” belastet werden, wenn seine Pflicht im Einzelfall nicht hinreichend bestimmt ist.

2. Aus der beigefügten Anlage zur Belehrung über die Rechtsfolgen ergibt sich nicht, dass das Verhalten der Antragstellerin hinsichtlich der auferlegten Verpflichtungen aus der “Pflicht 7” sanktionslos gestellt ist. Insoweit beinhaltet die Pflicht 7 keinen rechtsfolgenlosen Fahrplan der Förderung der Antragstellerin durch den Job-Club für die kommenden Monate nach Durchführung des Erstgesprächs.

3. Die Rechtsfolgenbelehrung unterscheidet bei einer etwaigen Leistungsminderung nicht zwischen Verletzungen der Pflicht der Antragstellerin um Bemühungen zur Eingliederung in Arbeit und der Verletzung von Pflichten im Rahmen der erweiterten Unterstützung der Eigenbemühungen der Antragstellerin.

4. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der in der “Pflicht 7” aufgeführten verpflichtenden Teilnahme an verbindlich unterbreiteten Trainingsmaßnahmen wie Bewerbungsmanagement, Selbstmarketing, Übung zu Vorstellungsgesprächen, Stellensuche und Erstellung von Bewerbungsunterlagen.

5. Damit wird zulasten der Antragstellerin ein etwaiger Pflichtverstoß vorverlagert, ohne dass auf eine prüfbare konkrete Einzelmaßnahme abgestellt wird.

Quelle: Erwerbslosen Forum Deutschland: www.elo-forum.org

2.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.09.2014 – L 2 AS 1195/14 B ER – rechtskräftig

Für eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II und § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II fehlt es an einem Anordnungsgrund.

Leitsätze (Autor)
Ausschluss eines Anspruchs auf Zusicherung des Grundsicherungsträgers zur Übernahme der Kosten der Unterkunft für die neue Wohnung durch einstweiligen Rechtsschutz (LSG NRW-, Beschluss vom 22.02.2013 – L 2 AS 2299/12 B). Die Erteilung einer Zusicherung ist keine Voraussetzung für die Übernahme zukünftiger, höherer Kosten der Unterkunft und Heizung (BSG, Urteil vom 22.11.2011 – B 4 AS 219/10 R).

Auch bei der Zusicherung für Wohnungsbeschaffungskosten oder Umzugskosten fehlt es an der für das einstweilige Rechtsschutzverfahren erforderlichen besonderen Eilbedürftigkeit. Zwar ist die Erteilung einer Zusicherung grundsätzlich Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme von Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten. Sie ist allerdings verzichtbar bei treuwidriger Verzögerung einer fristgerecht möglichen Entscheidung (dazu BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung 1:
Vgl. SG Neuruppin, Beschluss vom 28.07.2014 – S 26 AS 1393/14 ER – Auch im Rahmen von einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann die (vorläufige) Erteilung einer Zusicherung zur Übernahme von Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten im Sinne des § 22 Abs 6 SGB II erstrebt werden.

Anmerkung 2:
Bay LSG, Beschluss vom 14.07.2014 – L 7 AS 517/14 B ER – Im einstweiligen Rechtsschutz kann regelmäßig nur eine vorläufige Zusicherung erlangt werden, aus der anschließend nur vorläufige Leistungen (hier die Miete der neuen Wohnung) beansprucht werden können. Eine endgültige Klärung des Anspruchs ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

2.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.09.2014 – L 2 AS 996/14 B ER – rechtskräftig

Vorläufige Gewährung von ALG II für polnischen Staatsbürger – Zweifel über die Erwerbsfähigkeit

Leitsätze (Autor)
Der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist auch dann zur Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II) verpflichtet, wenn er zwar vom Fehlen der Erwerbsfähigkeit ausgeht, aber keine Abstimmung mit dem zuständigen Sozialhilfeträger über das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit herbeigeführt hat (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R). Eine solche Abstimmung ist hier nicht erfolgt.

Der Grundsicherungsträger hat jedoch bei Zweifeln über die Erwerbsfähigkeit gem. § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle über die Erwerbsfähigkeit Leistungen zu erbringen.

Die Erwerbsunfähigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller Ausländer ist. Zur Erwerbsfähigkeit von Ausländern bestimmt § 8 Abs. 2 SGB II, dass diese im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II nur erwerbstätig sein können, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (Satz 1). Insofern ist auf die abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II; BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R). Als polnischer Staatsangehöriger benötigt der Antragsteller wegen der ihm zustehenden uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Beschäftigungsaufnahme keine Arbeitsgenehmigung.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.7 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.08.2014 – L 11 SF 489/13 EK AS – rechtskräftig

Allein aufgrund einer Zeitdauer (12 Monate) kann nicht auf eine unangemessene Verfahrensdauer geschlossen werden.

Leitsätze (Autor)
Denn § 198 GVG, der wiederum auf den Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts (s. z.B. BVerfG, Beschluss vom 14.12.2010 – 1 BvR 404/10 -) beruht (vgl. dazu Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 – 7 KE 1/11 – m.w.N.), gibt keine gesetzlich definierte Grenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer vor, sondern knüpft im Gegenteil an eine im Einzelfall unangemessene Verfahrenslänge an. Mit § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG hat der Gesetzgeber ausdrücklich von einer “Fristenlösung” abgesehen, weil sie der Vielfältigkeit prozessualer Situationen nicht gerecht würde (u.v.a. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R – Entschädigungsanspruch bei überlangen Gerichtsverfahren: Umstände des Einzelfalls entscheidend

2.8 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.09.2014 – L 9 AS 626/14 B ER

LSG Niedersachsen-Bremen entscheidet im Rahmen der Folgenabwägung für EU-Ausländer (SGB II)

Leitsätze (Autor)
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift nur dann, wenn das Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitssuche besteht.

Das Aufenthaltsrecht der Ehefrau ergibt sich aus dem FreizügG/EU als Familienangehörige und somit nicht allein zur Arbeitssuche. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es einzig darauf an, ob der andere Familienangehörige – hier der Ehemann – von den Leistungen nach SGB II nicht ausgeschlossen ist.

weiterlesen: LSG Niedersachsen-Bremen entscheidet im Rahmen der Folgenabwägung für EU-Ausländer (SGB II), ein Beitrag von Rechtsanwalt Denis König, Willi-Eichler-Str. 11, 37079 Göttingen, Beitrag veröffentlicht auf anwalt.de: www.anwalt.de

Anmerkung:
Vgl. dazu andere Auffassung LSG NSB, Urteil vom 18.03.2014, L 15 AS 393/11 (Revision war zugelassen) ” Der Leistungsausschluss in den ersten drei Monaten des Aufenthalts nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II betrifft auch Familienangehörige, die zu einem bereits in Deutschland lebenden EU Bürger nachziehen.”

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 03.09.2014 – S 35 AS 2904/14

Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Eingliederungsverwaltungsakt

Leitsätze (Autor)
Die bloße Verpflichtung eines Antragstellers zur Vornahme gewisser Eingliederungsbemühungen begründet grundsätzlich noch nicht die Erforderlichkeit einer beschleunigten gerichtlichen Klärung.

Im Rahmen eines Antrags nach § 86 b Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG kann nicht die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs.2 SGG allgemein formulierte Anforderung einer existentiellen Eilbedürftigkeit gestellt werden.

Die Erforderlichkeit eines “gewissen Maßes an Eilbedürftigkeit ” (vgl. hierzu SG Dortmund, Beschluss vom 25.07.2014 – S 32 AS 2343/14 ER) ergibt sich unabhängig hiervon jedoch aus dem Wesen einstweiligen Rechtsschutzes an sich: Durch diesen soll eine vorläufige Regelung geschaffen werden, bis durch eine endgültige Entscheidung Rechtssicherheit hinsichtlich einer zwischen den Verfahrensbeteiligten streitigen Rechtsfrage geschaffen worden ist. Dies gilt auch für den Antrag nach § 86 b Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG: Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs kann nämlich nur angeordnet werden, solange dieser “in der Welt” ist.

Die Erforderlichkeit einer vorläufigen Regelung besteht aber nicht, wenn eine dem Antragsteller auferlegte Belastung nur marginaler Natur ist und ihm das Abwarten einer Hauptsachentscheidung bei jeder Betrachtungsweise zugemutet werden kann. Dies ist bei Streitigkeiten über Eingliederungsverwaltungsakte gemäß § 15 Abs.1 Satz 6 SGB II regelmäßig der Fall: Die bloße Verpflichtung eines Antragstellers zur Vornahme gewisser Eingliederungsbemühungen begründet grundsätzlich noch nicht die Erforderlichkeit einer beschleunigten gerichtlichen Klärung. Die eigentliche Beeinträchtigung entsteht erst durch die Feststellung einer Sanktion als Reaktion auf einen Verstoß des Antragstellers gegen den Eingliederungsverwaltungsakt. Gegen eine solche Sanktion kann der Antragsteller nach ihrer Festsetzung aber noch eigenständigen vorläufigen Rechtsschutz bemühen (zu einem ähnlich gelagerten Fall Bayerisches LSG, Beschluss vom 20.12.2012 – L 7 AS 862/12 B ER).

Im vorliegenden Fall gibt es keinen Anlass, von den vorgenannten Grundsätzen abzuweichen. Unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers, dass es ihm maßgeblich um die Möglichkeit einer Bewerbung auch auf “höherwertige” Stellen gehe, stellt sich die Beeinträchtigung seiner Interessen durch den Eingliederungsverwaltungsakt als völlig unwesentlich dar.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 11.06.2014 – S 52 AS 2515/13

Mietobergrenzen des Jobcenter Helmstedt halten gerichtlicher Überprüfung nicht stand – Jobcenter muss sechsköpfiger Familie höhere Unterkunftskosten zahlen.
 
Quelle: www.kostenlose-urteile.de

3.3 – Sozialgericht Cottbus, Urteil vom 20.08.2014 – S 2 AS 3428/12 – Die Berufung wird zugelassen.

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Aufwandsentschädigungen für Betreuer – zweckbestimmte Einnahme

Leitsatz (Juris)
1. Aufwandsentschädigungen für Betreuer (§ 1835a BGB) sind zweckbestimmte Einnahmen, die von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen sind.

2. Der typische Anwendungsbereich des § 328 Abs. 1 SGB III ist nicht eröffnet, wenn dem Leistungsberechtigten voraussichtlich eine jährlich einmalige Einnahme zufließen wird, falls er diese beantragt.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB X II)

4.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.08.2014 – L 8 SO 117/14 B ER

Erfolgreiche Beschwerde eines Sozialhilfeträgers gegen eine einstweilige Anordnung des SG, vorläufig Mietaufwendungen für die restliche Dauer der Haftzeit zu übernehmen
 
Leitsätze (Juris)
1. Dem Sozialhilfeträger fehlt es auch dann nicht an einem Rechtsschutzinteresse für eine Beschwerde nach §§ 172 ff. SGG gegen eine einstweilige Anordnung, wenn er der vom SG ausgesprochenen Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung zwischenzeitlich in vollem Umfang nachgekommen ist (entgegen Bayer. LSG, Beschlüsse vom 10.07.2009, L 7 AS 323/09 B ER, vom 24.02.2011, L 7 AS 54/11 B ER, und vom 11.04.2011, L 16 AS 168/11 B ER).

2. Besondere Lebensumstände mit sozialen Schwierigkeiten iS des § 67 SGB XII liegen grundsätzlich vor, wenn bei Haftentlassung Wohnungslosigkeit besteht (BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 8 SO 24/12 R).

3. Bei der Erbringung von Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII steht dem Sozialhilfeträger ein Auswahlermessen zu. Dabei kommt der (gesamten oder verbleibenden) Haftdauer jedenfalls kein allein entscheidendes Gewicht zu (BSG, a.a.O.).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. hierzu SG Detmold, Urteil vom 08.07.2014 – S 8 SO 147/13 – Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der Miet- und Nebenkosten sowie der Mietrückstände für die zehnmonatige Haftdauer nach den Vorschriften des 8. Kapitels des SGB XII.

4.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.07.2014 – L 9 SO 388/12

Kein Anspruch auf einmalige Beihilfe zur Deckung einer Gas- und Stromkostenforderung – Kenntnis nach § 18 SGB XII – Ob die Forderung des Gasversorgers gerechtfertigt ist, ist im Rahmen von Sozialhilfeansprüchen nicht zu prüfen. Entscheidend ist allein, ob und in welchem Umfang der Hilfesuchende einer ernsthaften Forderung ausgesetzt ist
 
Leitsätze (Autor)
1. Die Übernahme von Heiz- und Stromkostenschulden nach § 36 Abs. 1 SGB XII kommt insgesamt nur in Betracht, wenn eine mit der Gefährdung der Unterkunft oder der drohenden Wohnungslosigkeit “vergleichbare Notlage” vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.

2. Ein “vergleichbare Notlage” im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird nach allgemeiner Ansicht bei Heiz- und Stromkostenschulden nur angenommen, wenn wegen der konkreten Energiekostenschulden die Einstellung der Gas- und/oder Stromlieferung droht (vgl. den Beschluss des Senats vom 25.11.2013 – L 9 SO 441/13 B ER).

3. Für die entsprechende Anwendung von § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB XII wird sogar verlangt, dass die Gas- bzw. Stromversorgung bereits eingestellt ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.06.2013 – L 7 AS 765/13 B ER, L 7 AS 1117/13 B). An beidem fehlt es hier.

4. Hinsichtlich der Stromkostennachforderung fehlt es an einem sowohl nach § 27a Abs. 4 Satz 1 2. Alt. SGB XII als auch nach § 37 Abs. 1 SGB XII erforderlichen unabweisbaren, vom Regelsatz umfassten und anderweitig nicht zu deckenden Bedarf. Denn bei der Stromkostenforderung handelt es sich um Schulden im sozialhilferechtlichen Sinne, die, was sich unmittelbar aus § 36 Abs. 1 SGB XII ergibt, nicht vom Regelbedarf umfasst werden und deshalb weder eine Regelsatzerhöhung noch eine Darlehensgewährung nach § 37 Abs. 1 SGB XII rechtfertigen können.
 
5. Die Abgrenzung von Schulden zu laufenden Leistungen nach § 35 SGB XII ist danach vorzunehmen, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen, im Zeitpunkt der Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe (vgl § 18 Abs 1 SGB XII) von der Notwendigkeit der weitergehenden Sicherung der Unterkunft in der Vergangenheit liegenden und bisher noch nicht vom Sozialhilfeträger gedeckten Bedarf handelt.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. hierzu auch LSG NRW, Beschluss vom 26.05.2014 – L 9 SO 474/13 – Kein Anspruch auf einmalige Beihilfe zur Deckung einer Stromkostennachforderung

5.   EU-Kommission – Deutschland darf nicht pauschal Hartz IV verweigern

Deutschland darf nicht pauschal arbeitslose EU-Bürger von Hartz-IV-Leistungen ausschließen. Das Verhalten Deutschlands sei nicht mit europäischem Recht vereinbart, meint die EU-Kommission und fordert klare Kriterien.
 
Weiterlesen: www.faz.net

6.   VG Freiburg (Breisgau) 4. Kammer, Beschl. v. 04.09.2014: Wassersperre bei Zahlungsrückständen erschwert – Verhinderung einer Hartz IV-Empfängerin den Wasserhahn zuzudrehen
 
VG Freiburg, Beschl. v. 04.09.2014 – 4 K 1748/14
 
Leitsatz
Bei der (schlichten) Einstellung der Wasserlieferung handelt es nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen Realakt.
 
Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Untersagung der Einstellung der Wasserversorgung ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
 
Die Rechtsgrundlage (in einer kommunalen Wasserversorgungssatzung) über die Einstellung der Wasserversorgung wegen eines Gebührenrückstands begründet keine Verpflichtung des Wasserversorgers, sondern stellt die Versorgungseinstellung in dessen Ermessen.
 
Die Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des Versorgers ist nur dann gerechtfertigt, wenn es um Forderungen gerade aus dem Wasserversorgungsverhältnis geht. Eine Versorgungseinstellung darf nicht (auch) darauf gestützt werden, dass ein Bezieher von Wasser seinen finanziellen Verpflichtungen wegen anderer öffentlicher Forderungen, insbesondere wegen offener Gebühren für die Abwasserentsorgung, nicht nachgekommen ist oder nachkommen wird.
 
Quelle: dejure.org

7.   KOS: Verfassungsgericht zu Hartz IV: Anspruch auf Fahrtkosten gilt ab sofort

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bringt zumindest eine konkrete und sofort wirksame Verbesserung für Familien im Hartz-IV-Bezug: Kindern stehen zusätzliche Fahrtkosten zu, wenn sie die Gutscheine für soziale Teilhabe nutzen und etwa in einem Sportverein aktiv sind. Wir haben den Beschluss des BVerfG in einer Pressemitteilung kommentiert.

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8.   Die Hartz-IV-Gesetze sind die Arbeitshäuser des 21. Jahrhunderts
 
Zum 1. April 2015 soll das Hartz-IV-Gesetz verschärft werden. Armut soll damit weiterhin als abschreckendes Beispiel dienen.
 
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Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de