Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 39/2014

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 18.09.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
 
1.1 – BSG, Urteil vom 18.09.2014 – B 14 AS 48/13 R

Leitsatz (Autor)
Eine Umlage, die der Eigentümer einer selbstgenutzten Eigentumswohnung gegenüber der Eigentümergemeinschaft zu zahlen hat und die der Erhaltung des Gebäudes dient, gehört zu dem Bedarf für die Unterkunft nach § 22 SGB II.
 
Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 18.09.2014 – B 14 AS 58/13 R

Arbeitszimmer schützt Hartz-IV-Selbstständige vor Vermögensverwertung von Eigentumswohnung.

Ein selbstständiger Hartz-IV-Aufstocker kann eine unangemessen große Eigentumswohnung mit der Nutzung eines Arbeitszimmers wieder auf eine angemessene Größe schrumpfen lassen. Das Jobcenter kann dann nicht den Verkauf der Eigentumswohnung verlangen.

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2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 21.07.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Beschluss vom 21.07.2014 – B 14 SF 1/14 R

Rechtsweg für den Rechtsstreit über ein Hausverbot

Leitsätze (Autor)
Für Streitigkeiten über ein Hausverbot, das von einem Jobcenter gegenüber einem Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II ausgesprochen wurde, sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig und nicht die allgemeinen Verwaltungsgerichte oder die ordentlichen Gerichte; an dieser schon mit Beschluss vom 1.4.2009 (B 14 SF 1/08 R – SozR 4-1500 § 51 Nr 6) begründeten Rechtsprechung ist entgegen der hieran geübten Kritik (vgl etwa LSG Hamburg Beschluss vom 8.7.2013 – L 4 AS 214/13 B, aufgehoben durch Beschluss des Senats vom heutigen Tag – B 14 SF 1/13 R, festzuhalten.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
 
3.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.05.2014 – L 13 AS 491/14 B

Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH), denn die vorliegend streitige Frage, ob die Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II auch dann vorliegen, wenn nicht der Hilfebedürftige, sondern dessen Eltern aus der bislang gemeinsam gewohnte Wohnung ausgezogen sind, ist soweit ersichtlich in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.

Leitsätze (Autor)
In Anbetracht des Wortlautes des § 22 Abs. 5 SGB II, der von der Zeit „nach einem Umzug“ des Hilfebedürftigen spricht, ist die Rechtslage auch keineswegs so eindeutig, dass hier eine hinreichende Erfolgsaussicht ausgeschlossen werden kann.
 
Eine fehlende Klagebegründung berechtigt für sich genommen nicht zur Ablehnung eines PKH Antrages, wenn sich aus den dem Gericht vorliegenden Akten hinreichende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage angegriffenen Bescheides ergeben.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
 
Anmerkung:
Nicht erfasst von § 22 Abs. 5 SGB II werden: Auszug der Eltern aus der mit jungen Volljährigen bewohnten Wohnung (LSG Schleswig-Holstein vom 19.3.2007 – L 11 B 13/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.3.2007 – L 13 AS 38/07 ER). Erfolgt hier der Auszug aber nur zu dem Zweck, höhere Leistungsansprüche zu begründen, kommt eine Haftung der Eltern wegen verschuldeter Hilfebedürftigkeit nach § 34 SGB II in Betracht.

3.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.09.2014 – L 13 AS 3078/14

Sozialgerichtliches Verfahren – Bewilligung von PKH – Überprüfungsverfahren gem § 44 SGB 10 – mutwillige Rechtsverfolgung – weiteres Verfahren mit identischer Rechtsfrage – erforderliche anwaltliche Vertretung – Zumutbarkeit der Zurückstellung oder Ruhendstellung eines eigenständigen Verfahrens

Leitsätze (Juris)
1.) Die Bewilligung von PKH für ein Überprüfungsverfahren gem. § 44 SGB X scheidet regelmäßig wegen Mutwilligkeit der Rechtsverteidigung aus, wenn bereits ein weiteres Verfahren mit identischen Rechtsfragen geführt wird. Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird nicht ohne nachvollziehbaren Grund parallel zwei Verfahren betreiben, in denen die gleichen Rechtsfragen zu klären sind.

2.) Solange das Betreiben eines eigenständigen Verfahrens in zumutbarer Weise zurückgestellt oder ruhend gestellt werden kann, ist auch eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. November 2009 – 1 BvR 2455/08 -).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.08.2014 – L 7 AS 1333/14 B ER

Für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft eines erwachsenen Kindes im Verhältnis zu seinen (leiblichen) Eltern ist entscheidend die Zugehörigkeit zum Haushalt des Elternteils.

Leitsätze (Autor)
Ist das (Stief)Kind also in den Haushalt des leiblichen Elternteils aufgenommen, gehört es der über diesen Elternteil vermittelten Bedarfsgemeinschaft zwischen den Partnern an, ohne dass es einer weitergehenden Prüfung der familienhaften Beziehungen zwischen Kind und Stiefelternteil bedarf. Ein zusätzlicher Einstandswille seitens des Stiefelternteils ist auch bei erwachsenen Stiefkindern nicht zu fordern (vgl. BSG Urteil vom 14.03.2012 – B 14 AS 17/11 R).

Nur wenn weitergehende Konflikte oder Anhaltspunkte für eine Trennung vorliegen, genügt die Herstellung einer lediglich räumlichen Verbindung im Sinne einer Duldung der Anwesenheit in der Wohnung nicht. Erst ein Konflikt zwischen den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft, der in einer (ernstlichen) Weigerung einer materiellen und/oder immateriellen Unterstützung der Eltern für das erwachsene Kind mündet, berechtigt volljährige Kinder zur grundsicherungsrechtlich folgenlosen Auflösung des gemeinschaftlichen Haushalts. Nur eine solche Auslegung der Regelungen des SGB II zu Leistungen an unter 25 Jährige wahrt die verfassungsrechtlich zu schützenden Belange der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft.

Zwar hat der Antragsteller vorgetragen, dass das Verhältnis zwischen ihm, seiner Mutter und seinem Stiefvater gestört sei. Ein solcher Konflikt würde den Antragsteller aber nur zu einer grundsicherungsrechtlich irrelevanten Auflösung des gemeinsamen Haushaltes berechtigen. Im Übrigen liegen keine nachweisbaren Anhaltspunkte für diesen Vortrag der (ernstlichen) Weigerung einer materiellen und/oder immateriellen Unterstützung der Eltern vor.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.08.2014 – L 7 AS 1289/14 B ER – und – L 7 AS 1290/14 B – rechtskräftig

Im Sinne der Folgenabwägung ist der Antrag auf darlehensweise Übernahme der Energieschulden begründet – Nicht in jedem Fall ist ein Wechsel zu einem Energieanbieter mit Vorauskasse zumutbar – Verweis auf Energieunternehmen mit Vorauskasse

Leitsätze (Autor)
Ob ein endgültiger Anspruch auf Gewährung eines Darlehens wegen der Rückstände nach § 22 Abs. 8 SGB II besteht, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu entscheiden.

Die Sperrung der Energieversorgung ist eine Notlage, die die Bewohnbarkeit der Wohnung beeinträchtigt und die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sicherung der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II indiziert. Dies gilt nicht nur für eine bereits durchgeführte Stromsperre, sondern auch für eine vom Energielieferer angekündigt und unmittelbar bevorstehende Stromsperre. Das Jobcenter kann dann die Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich der bestehenden Schulden beim Energieversorger nur in atypischen Fällen ablehnen.

Insbesondere leistungsschwächere Verbraucher sind nicht ohne weiteres auf Energieunternehmen mit Vorauskasse zu verweisen. Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Leistungsträger notwendigerweise dem Leistungsempfänger, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen hat (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 14.08.2013 – L 7 AS 1143/13 B ER). Dies gilt umso mehr bei einem Abschluss eines Energielieferungsvertrags mit einem Energielieferer, der ohne Bonitätsprüfung aber mit Vorkasse Energielieferungsverträge anbietet.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Leistungsberechtigte hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf. Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 24.04.2014 – L 7 AS 629/14 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.08.2014 – L 4 AS 159/14 B ER

Leitsätze (Autor)
Antragsteller war verpflichtet eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, denn das Jobcenter habe die notwendigerweise vorzunehmende Ermessensentscheidung erkannt und dieses Ermessen nach Sinn und Zweck des § 12a SGB II ausgeübt.

Er habe die Unbilligkeitsverordnung berücksichtigt, offen bleiben kann, ob neben den in der Unbilligkeitsverordnung ausdrücklich geregelten Fällen auch weitere Fallgruppen, in denen die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente möglicherweise eine besondere Härte für den Betroffenen darstellt, im Rahmen des § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen sein können (so SG Dresden, Beschluss vom 21. Februar 2014, S 28 AS 567/14 ER) oder nicht (so wohl Knickrehm in: Eicher, SGB II, 3. Auflage § 12a Rdn. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2013, L 19 AS 291/13 B ER).

Jedenfalls liegen weder nach der Unbilligkeitsverordnung noch nach möglichen atypischen Umständen außerhalb des Anwendungsbereichs der Unbilligkeitsverordnung Gründe vor, die eine besondere Härte hätten rechtfertigen können.

Die Vorschrift des § 12a SGB II unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
 
Anmerkung:
Vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.08.2014 – L 9 AS 2809/13, n. v.  -  Die Unbilligkeitsgründe gemäß § 2 bis 5 Unbilligkeits-V sind nicht abschließend, so dass bei Nichtvorliegen der geregelten Unbilligkeitsgründe eine vollumfängliche Ermessensausübung des Jobcenters erforderlich ist.

3.6 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.06.2014 – L 4 AS 798/12
 
§ 60 Abs. 2 SGB II ist keine Rechtsgrundlage für ein „allgemeines Ausforschungsinteresse“ des Grundsicherungsträgers.

Leitsätze (Autor)
Der Grundsicherungsträger ist nicht berechtigt, gegenüber einem Dritten eine Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu begründen, wenn der Dritte zwar leistet bzw. leistungsverpflichtet ist, der Leistungsempfänger bzw. Leistungsberechtigte jedoch weder tatsächlich irgendwelche Leistungen des Grundsicherungsträgers erhält, noch Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft ist und sein Leistungsantrag nach dem SGB II vom Grundsicherungsträger bereits bestandskräftig abgelehnt wurde.

Im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit konkretisiert sich der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Erforderlich ist dabei eine Güterabwägung zwischen dem Auskunftsinteresse des Leistungsträgers einerseits und den schutzwürdigen Persönlichkeitsinteressen des Auskunftsverpflichteten andererseits. Der Auskunftsanspruch besteht daher nicht, wenn der Leistungsträger über die gewünschten Informationen bereits verfügt oder sie auch auf einfachere Weise beschaffen kann. Ebenso kann der Leistungsträger keine Auskunft verlangen, wenn feststeht, dass die Auskunft den Leistungsanspruch nicht (mehr) beeinflussen kann, weil er aus anderen, insbesondere rechtlichen Gründen nicht besteht. Schließlich ist das Auskunftsverlangen auch dann rechtswidrig, wenn feststeht, dass der behauptete Unterhaltsanspruch aus anderen Gründen als der mangelnden Leistungsfähigkeit des auf Auskunft in Anspruch genommenen unabhängig von dessen Einkommen oder Vermögen nicht gegeben ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Januar 2007, L 1 AS 12/06; zustimmend Sächsisches LSG, Urteil vom 13. Februar 2014, L 7 AS 34/10).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
 
Anmerkung:
Vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.03.2014 – L 2 AS 877/12 – Die Jobcenter dürfen nicht zur Einreichung der ausgefüllten Anlagen EK, VM und WEP und zur Vorlage von Einkommensnachweisen auffordern, wenn das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vom Partner bestritten wird und dieser keine SGB II-Leistungen beantragt hat.

3.7 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.08.2014 – L 28 AS 1830/14 B ER – rechtskräftig

Die Aufforderung zur Beantragung der Altersrente ist zu – unrecht erfolgt -, denn es liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor – Unbilligkeitsverordnung – Aufforderung zur Rentenantragstellung – Ermessensfehlgebrauch

Leitsätze (Autor)
Bezieht sich der Grundsicherungsträger in seinen Ausführungen allein auf die gesetzlichen Vorschriften, die zugrundeliegenden Gesetzesmotive sowie auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 12a SGB II i. V. m. der Unbilligkeitsverordnung und schlussfolgert daraus, dass die Aufforderung zur Beantragung der Altersrente zu Recht erfolgt sei und werden zwar als Ermessenskriterien der vorzeitige Anspruch auf Rente, das Nichtvorliegen von Härtefall bzw. Unbilligkeit der vorzeitigen Rentenbeantragung, der Vorrang von versicherungsfinanzierten Leistungen vor steuerfinanzierten Leistungen und die Möglichkeit der ergänzenden Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII, die denen des SGB II in diesem Fall vorzuziehen seien, aufgeführt, hat eine Abwägung dieser Kriterien – wobei dahinstehen kann, ob diese ausreichend sind – in Bezug auf den zu entscheidenden konkreten Einzelfall neben der einfachen Subsumtion aber nicht stattgefunden.

Die Begründung des Widerspruchsbescheids könnte ohne Änderung auf jeden anderen Leistungsempfänger, der in dem entsprechenden Alter ist, angewendet werden, somit war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
 
Anmerkung:
Vgl. dazu LSG Mecklenburg- Vorpommern, Beschluss vom 14.05.2014 – L 8 AS 288/13 B ER – Leitsätze (www.richterbank.de): Bei der Einzelfallbetrachtung ist die Gesamtsituation des Leistungsberechtigten stets erforderlich und die Verhältnismäßigkeit der Antragstellung und der Aufforderung hierzu im Hinblick auf die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit im engeren Sinne zu prüfen. Die Beschränkung der Prüfung auf die Tatbestandsvoraussetzungen nach §§ 5 Abs. 3 und 12a SGB II i.V. mit der Unbilligkeitsverordnung ist nicht ausreichend.

3.8 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.08.2014 – L 18 AS 2084/14 B ER – rechtskräftig

Zusicherung – einstweiliger Rechtsschutz – Erforderlichkeit des Umzugs – Kosten der Unterkunft – Beschwerdewert – effektiver Rechtsschutz

Besonders hohe Anforderungen an die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz bei faktischer endgültiger Vorwegnahme der Hauptsache.

Leitsätze (Autor)
Die hier begehrte (grundsätzlich) „vorläufige Zusicherung“ ist für einen Leistungsberechtigten nur dann von Nutzen, wenn sie für die Beteiligten auf Dauer Bindungswirkung entfaltet. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn sie nicht nur vorläufig, sondern endgültig erteilt wird (vgl LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 6. November 2012 – L 25 AS 2712/12 B PKH). Für eine derartige endgültige Vorwegnahme der Hauptsache, für die § 86b Abs. 2 SGG seinem Wortlaut nach grundsätzlich keine geeignete Grundlage darstellt, ist unter Berücksichtigung des in Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes nur dann Raum, wenn zwingende Gründe eine solche Entscheidung gebieten. Derartige Gründe liegen indes vor.

Ein Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsbezieher leiten lassen würde. Ein nachvollziehbarer Grund für den Umzug besteht. Auch an seiner Erforderlichkeit – und Dringlichkeit – ergeben sich vorliegend in Ansehung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes der Familie (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz) keine Zweifel. Die Anmietung der avisierten Wohnung dient letztlich der Integration des Sohnes der Antragstellerin in die Familie, der derzeit in einer Jugendwohngruppe untergebracht ist. Für die Dauer der geplanten „umfangreichen Beurlaubungen“ bilden der Sohn und die Antragsteller eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft, für die auch ein entsprechender Unterkunftsbedarf anzuerkennen ist (vgl schon BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R -).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
 
Anmerkung:
Vgl. SG Leipzig, Beschluss vom 28.05.2014 – S 3 AS 1885/14 ER, n. v. – Eine Verpflichtung der Behörde zum Erlass einer Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4, 6 SGB II ist auch im einstweiligen Rechtsschutz möglich.

3.9 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.08.2014 – L 18 AS 1967/14 B PKH – rechtskräftig
 
Eingliederungsverwaltungsakt – Geltungsdauer unter sechs Monaten

Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist statthaft, denn das Jobcenter hatte in der Folge mehrere, in anderen Klageverfahren streitbefangene Sanktionsbescheide erlassen, so dass der EVA – anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall (vgl Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 195/11 R) – noch Regelungswirkungen entfaltet, obwohl seine zeitliche Geltungsdauer abgelaufen ist (vgl auch Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. Februar 2014 – L 3 AS 639/10 -).

Leitsätze (Autor)
Der Eingliederungsverwaltungsakt ist bereits deshalb rechtswidrig, weil das JC, ohne entsprechende Ermessenserwägungen angestellt zu haben, entgegen der gesetzlichen Vorgabe in § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II eine Geltungsdauer von weniger als sechs Monaten angeordnet hat. Auch bei einem EVA ist der Träger indes an § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II gebunden, und zwar auch im Hinblick auf eine Verkürzung der Laufzeit unter sechs Monate.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
 
Anmerkung:
Vgl. dazu mit gleicher Auffassung: SG Altenburg, Beschluss vom 15.08.2014 – S 22 AS 1825/14 ER, n. v. ; SG München, Beschluss vom 05.06.2014 – S 48 AS 1306/14 ER, n. v.; SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 09.05.2014 – S 28 AS 1366/13; SG Chemnitz, Beschluss vom 29. April 2014 – S 29 AS 1636/14 ER, n. v.; SG Hamburg, Beschluss vom 28.04.2014 – S 58 AS 1238 /14 ER, n. v. und LSG NRW, Beschluss vom 17.10.2013 – L 7 AS 836/13 B -.
 
 
 
4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
 
4.1 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 29.08.2014 – S 197 AS 8527/13 – rechtskräftig

Leitsätze (Juris)
Ändert sich die Prognose über die voraussichtlichen Einkommensverhältnisse eines selbstständigen Leistungsberechtigten nach Erlass eines vorläufigen Bewilligungsbescheids wesentlich i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 und bestehen für diese Änderung plausible Anhaltspunkte, ist ein Leistungsträger schon während des laufenden Bewilligungszeitraums verpflichtet, die vorläufige Bewilligung abzuändern. Im Fall einer erheblichen Lücke bei der Bedarfsdeckung seines Lebensunterhalts ist es dem Leistungsberechtigten nicht zuzumuten, die endgültige Festsetzung nach § 328 Abs. 2 SGB 3 abzuwarten.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Gleicher Auffassung SG Aachen, Urteil vom 18.02.2014 – S 14 AS 921/13.

4.2 – Sozialgericht Kassel, Urteil vom 02.07. 2014 – S 6 AS 873/12
 
Leitsätze (Juris)
Ein höherer Hilfebedarf nach dem SGB II infolge eines Arbeitsplatzverlustes kann einen Ersatzanspruch des Grundsicherungsträgers nach § 34 SGB II auslösen, wenn der Arbeitsplatzverlust auf die Entdeckung eines Diebstahls zum Nachteil des eigenen Arbeitgebers zurückzuführen ist.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – SG Koblenz, Urteil vom 13.08.2014 – S 2 AS 573/13

Unterkunftskosten, Auslandsaufenthalt eines Mitglieds einer Bedarfsgemeinschaft von unbestimmter Dauer
 
Leitsätze (Juris)
Auch wenn die Bedarfsgemeinschaft fortbesteht, obwohl ein Ehepartner auf unbestimmte Dauer im Ausland weilt (die Ortsabwesenheit also nicht von vorne herein auf bis zu 6 Monate beschränkt), ist das sog. Kopfteilprinzip bezüglich der Unterkunftskosten anzuwenden.

Dies bedeutet, dass der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II greift.

Quelle: www.mjv.rlp.de

5.   Entscheidungen zum Arbeitsförderungsrecht nach dem (SGB III)

5.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.08.2014 – L 10 AL 175/12

Arbeitslosengeld, Auslandswohnsitz, Erreichbarkeit, zeit- und ortsnaher Bereich

Leitsätze (Juris)
Grundsätzlich können auch Arbeitslose mit einem Wohnsitz außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland Arbeitslosengeld nach dem SGB III beziehen. Sie müssen dabei aber sämtliche Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht erfüllen.

Ein Wohnsitz in Nizza gehört nicht mehr zum Nahbereich einer deutschen Agentur für Arbeit und schließt die notwendige Erreichbarkeit aus.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6. Bundesfinanzhof Beschluss vom 5.6.2014, VI R 15/12

Kindergeld: Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers bei nachträglicher Kindergeldfestsetzung nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 9 AsylbLG, 107 Abs. 1 SGB X, 104 Abs. 1 SGB X – Wirksame Geltendmachung von Erstattungsansprüchen – Kindergeld als Einkommen

Leitsätze (Gericht)
1. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) sind bedarfsabhängige Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie ihnen gleichgestellten ausländischen Staatsangehörigen und damit dem Kindergeld gleichartige und nachrangige Leistungen.

2. Hat ein Sozialhilfeträger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) für Eltern und Kinder erbracht, die in einem Haushalt zusammenleben und eine Bedarfsgemeinschaft bilden, so steht ihm ein Anspruch auf Erstattung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes zu.

Quelle: juris.bundesfinanzhof.de

7.   OLG Celle, Beschluss vom 05.09.2014, 10 WF 272/14

Ermittlung des einzusetzenden Einkommens im Rahmen der PKH/VKH
 
Leitsätze (Juris)
Zu den „Kosten der Unterkunft und Heizung“ i.S.d. § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO gehören über die Kaltmiete und die direkten Heizkosten hinaus auch alle weiteren Mietnebenkosten, soweit diese nicht ausdrücklich bereits bei der Herleitung des Regelbedarfs berücksichtigt sind.
 
In die Bestimmung des Regelbedarfs nach dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz sind – anders als bei früheren Ermittlungen – gesonderte Kosten für die Wasserversorgung nicht (mehr) eingeflossen. Entsprechende Aufwendungen sind daher seit Januar 2011 als Unterkunftskosten im Rahmen der Einkommensermittlung für die PKH/VKH berücksichtigungsfähig.
 
Da bei der Herleitung des Regelbedarfs seit Januar 2011 mithin allein die Haushaltsenergie in Form von Strom bereits berücksichtigt ist, handelt es sich bei allen anderen Mietnebenkosten um „Kosten der Unterkunft und Heizung“ i.S.d. § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO, die vom im Rahmen der VKH/PKH einzusetzenden Einkommen abzusetzen sind.
 
Bei der Ermittlung des im Rahmen der VKH/PKH einzusetzenden Einkommens sind aufgrund der Rechtsänderung zum 1. Januar 2014 gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BGH, Beschluss vom 5. Mai 2010 – XII ZB 65/10 – auch die Mehrbedarfe nach § 21 des SGB II bzw. § 30 SGB XII abzusetzen, also insbesondere auch die Mehrbedarfssätze für Alleinerziehende gemäß § 30 Abs. 3 SGB XII.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

8.   VG Neustadt/Wstr., Urt. v. 04.09.2014 – 4 K 466/14.NW – Pressemitteilung Nr. 32/14
 
Hartz IV-Empfänger aus Braunschweig hat keinen Anspruch auf Zugang zur Diensttelefonliste aller Mitarbeiter des Jobcenters Kaiserslautern.
 
Ein in Braunschweig wohnhafter Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch („Hartz IV“) hat keinen Anspruch gegen das beklagte Jobcenter Kaiserslautern, ihm nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Zugang zur aktuellen Diensttelefonliste aller Mitarbeiter des Beklagten mit der Angabe ihrer Zuständigkeitsbereiche unter Unkenntlichmachung der jeweiligen Vornamen bzw. Namen zu gewähren. Das hat das Verwaltungsgericht Neustadt a.d. Weinstraße mit Urteil vom 4. September 2014 entschieden.
 
Zur Pressemitteilung: www.mjv.rlp.de
 
Anmerkung 1: Volltext hier abrufbar: dejure.org
 
Anmerkung 2:
Anderer Auffassung VG Lüneburg, Urteil vom 15.07.2014 – Aktz: 3 A 203/13 – veröffentlicht hier: www.harald-thome.de (pdf)
 
 
 
9.   OLG Braunschweig, Beschl. v. 03.09.2014 – 1 Ss (OwiZ) 1060/14
 
Verzug mit der Entrichtung von Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung
 
Leitsatz
Bei der Ordnungswidrigkeit gemäß § 121 Abs 1 Nr 6 SGB XI handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, so dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten möglich und zumutbar sein muss (Anschluss: OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.04.2013, 53 Ss OWi 93/13, juris, Rn. 8).
 
Einem Betroffenen, der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat, ist es nach den Grundsätzen der „omissio libera in causa“ vorzuwerfen, wenn er den erforderlichen Antrag auf Übernahme der Aufwendungen für eine angemessene private Pflegeversicherung (§ 26 Abs 2 S 1, Abs 4 SGB II), der zu einer entsprechenden Zahlung an das Versicherungsunternehmen geführt hätte (§ 26 Abs. 4 SGB II), bewusst nicht gestellt hat.
 
Die während des Grundsicherungsbezugs nicht bezahlte Pflegeversicherung: www.hartzbote.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de