1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 05.06.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil vom 5.6.2014 – B 4 AS 32/13 R
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander – Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers – Geltendmachung von Leistungen für Unterkunft und Heizung durch den Sozialhilfeträger gegenüber dem Grundsicherungsträger im Wege der Prozessstandschaft – Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2 – Unterbringung in einer stationären Einrichtung – Einrichtungsbegriff – notwendige Beiladung des Leistungsberechtigten
Steht der Untergebrachte aufgrund einer Gesamtverantwortung des Trägers der Einrichtung für dessen tägliche Lebensführung und seiner Integration dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, ist er dem Regelungsbereich des SGB XII zuzuordnen. Besteht keine derart umfassende Verantwortung mit der Folge, dass der Leistungsberechtigte in den Arbeitsmarkt integriert werden kann, ist er – vorbehaltlich einer Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 SGB II – entsprechend dem mit dem SGB II verfolgten Leitbild einer auf dem Grundsatz der Eigenverantwortung beruhenden Eingliederung in den Arbeitsmarkt diesem Leistungssystem zuzuordnen.
Leitsätze (Autor)
Zur Beurteilung der Frage, ob Jemand in einer stationären Einrichtung iS des § 7 Abs 4 S 1 SGB II untergebracht war, ist nicht mehr an den Kriterien festzuhalten, die die Rechtsprechung zu § 7 Abs 4 S 1 SGB II in der ursprünglichen Fassung vom 1.1.2005 zum sog “funktionalen Einrichtungsbegriff” entwickelt hatte.
Aufgrund der ab 1.8.2006 geltenden Neufassung des § 7 Abs 4 SGB II, der eine ausdrückliche Rückausnahme für den Fall einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit vorsieht, sind die Kriterien für einen Leistungsausschluss anhand eines im Vergleich zur Vorgängerregelung modifizierten Einrichtungsbegriffes in Zusammenschau mit § 13 SGB XII zu bestimmen. Nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II nF ist für das Eingreifen des Leistungsausschlusses nunmehr erforderlich, dass drei Voraussetzungen vorliegen.
In einem ersten Schritt ist zu klären, ob es sich um eine Leistungserbringung in einer Einrichtung handelt. Dies ist entsprechend dem Einrichtungsbegriff in § 13 SGB XII bei einer auf Dauer angelegten Kombination von sächlichen und personellen Mitteln anzunehmen, die zu einem besonderen Zweck und unter der Verantwortung eines Trägers zusammengefasst wird und die für einen größeren wechselnden Personenkreis bestimmt ist.
In einem zweiten Schritt ist sodann zu klären, ob die Leistungen stationär erbracht werden. Von einer stationären Leistungserbringung ist auszugehen, wenn der Leistungsempfänger nach formeller Aufnahme in der Institution “lebt” und daher die Unterbringung Teil der Leistungserbringung ist.
Mit dem dritten Prüfschritt berücksichtigt der Senat, dass § 7 Abs 4 S 1 SGB II “die Unterbringung” in der stationären Einrichtung ausdrücklich zum Tatbestandsmerkmal erhebt. Von einer Unterbringung ist nur auszugehen, wenn der Träger der Einrichtung nach Maßgabe seines Konzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und die Integration des Leistungsberechtigten übernimmt. Mit dieser Auslegung der Neufassung des § 7 Abs 4 SGB II wird ein abgestimmtes Begriffsverständnis der “stationären Einrichtung” im SGB II und im SGB XII herbeigeführt und eine eindeutige Zuweisung zu den jeweiligen Systemen ermöglicht.
Quelle: juris.bundessozialgericht.de
2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 06.08.2014 zur Arbeitsförderung nach dem (SGB 3)
2.1 – BSG, Urteil vom 06.08.2014 – B 11 AL 5/14 R
Karrierechancen für Menschen mit mittlerem Behinderungsgrad verbessert
Leitsatz (Autor)
Eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen ist auch zur Förderung des beruflichen Aufstiegs möglich.
Quelle: juris.bundessozialgericht.de
S. a. Medieninformation Nr. 29/14 des BSG vom 09.10.2014: Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen auch für beruflichen Aufstieg: juris.bundessozialgericht.de
Anmerkung:
Vgl. zu den Voraussetzungen des Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX (BSG Urteil vom 6.8.2014 – B 11 AL 16/13 R).
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 16.09.2014 – L 16 AS 649/14 B ER
Keine sofortige Vollziehbarkeit von Versagungsbescheiden nach § 66 SGB 1 – Bedarfsgemeinschaft – Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft – Anforderungen an das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft – Behauptung eines Untermietverhältnisses – Folgenabwägung
Leitsätze (Autor)
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I werden von § 39 SGB II nicht erfasst und entfalten aufschiebende Wirkung.
Das Einkommen und Vermögen der Vermieterin dürfe nicht berücksichtigt werden, da bereits die objektiven Voraussetzungen für das Bestehen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft fraglich seien. Aufgrund der grundrechtlich gebotenen Folgenabwägung sei daher zu Gunsten des Antragstellers von dessen Hilfebedürftigkeit auszugehen.
Das “Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt” i. S. des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II erfordert das Bestehen einer “Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft”. Die Verbundenheit von Partnern, die in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, muss nach außen erkennbar sein.. Aus der Tatsache, dass der Bg und seine Vermieterin früher ein Paar waren, kann auf die jetzige Lebenssituation kein Rückschluss gezogen werden. Zwar gibt es keinen eigenen Briefkasten und keine eigene Klingel des Antragst., dies ist jedoch bei vielen Untermietverhältnissen der Fall. Auch daraus, dass die Vermieterin den Antragst. in seiner finanziellen Notlage unterstützt und ihm Lebensmittel zur Verfügung stellt und die Miete stundet kann nicht ohne weiteres auf ein “Zusammenleben” geschlossen werden. Auch die Aufteilung von Putzarbeiten ist in reinen Wohngemeinschaften üblich und isoliert betrachtet kein entscheidender Hinweis auf ein “Zusammenleben”. Auch die Gründe für das Überlassen der Kontokarte wird zu überprüfen sein.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Siehe dazu auch: LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2010, – L 19 AS 1990/10 B ER – Voraussetzungen des Bestehens einer Wohngemeinschaft zur Annahme des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft – Allein aus dem Umstand, dass der Hilfebedürftige im Mehrfamilienhaus der Vermieterin, dessen Alleineigentümerin die Vermieterin ist, dieses Haus zu Wohnzwecken nutzen, kann nicht geschlossen werden, dass sie eine gemeinsame” Wohnung haben.
3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2014 – L 7 AS 1220/14 B ER – rechtskräftig
Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit einer Eingliederungsvereinbarung bzw. eines Eingliederungsverwaltungsaktes – Keine Sanktionen, wenn Verpflichtungen nicht hinreichend bestimmt sind
Leitsätze (Autor)
Der Eingliederungsverwaltungsakt ist bezüglich der Bemühungen zur Eingliederung in Arbeit – geregelten Pflichten des Antragstellers nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X.
Die Bestimmtheit macht erforderlich, dass der Betroffene aus der gewählten Formulierung schlüssig nachvollziehen kann, was von ihm erwartet wird und welche Konsequenzen sich aus einer Pflichtverletzung ergeben (LSG NRW, Beschluss vom 23. August 2013 – L 7 AS 1398/13 B ER). Inhaltlich hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt dann, wenn für den verständigen Beteiligten der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche subjektive Bewertung nicht möglich ist.
Die vom Antragsteller erwarteten Eigenbemühungen sind nicht klar umrissen. Der Verwaltungsakt schafft hinsichtlich der vom Antragsteller erwarteten Eigenbemühungen eine umfassende Pflicht zur Abgabe von Initiativbewerbungen, um die Hilfebedürftigkeit zu mindern oder zu beenden. Es bleibt unklar, was vom Antragsteller erwartet wird. Es ist unklar, welche Erkenntnisquellen der Antragsteller heranziehen muss. Unklar bleibt auch, was es bedeuten soll, dass alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen sind. Es ist nicht klar, ob der Antragsteller über die Verpflichtung hinaus, sich initiativ zu bewerben, noch weitere, unbenannte Möglichkeiten ausschöpfen muss. Hinsichtlich der Initiativbewerbungen lässt der Verwaltungsakt offen, wie viele Bewerbungen der Antragsteller in welchem Zeitraum schreiben muss und welchen Nachweis er zu führen hat. Ein Verstoß gegen die unbestimmte Pflicht zur Initiativbewerbung führt ausweislich der Rechtsfolgebelehrung im Bescheid zur Sanktion nach §§ 31- 31b SGB II.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Vgl. LSG NRW, Beschluss vom 04.09.2014, – L 7 AS 1018/14 B ER + L 7 AS 1442/14 B – Keine Sanktionen, wenn Verpflichtungen nicht hinreichend bestimmt sind.
3.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.10.2014 – L 2 AS 1112/14 B – rechtskräftig
Einkommensberücksichtigung – Urlaubsabgeltung – öffentlich-rechtlichen Vorschrift – § 11a Abs. 3 SGB II (n.F.) – Einmalige oder Laufende Einnahme – § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II
Leitsätze (Autor)
Urlaubsabgeltung ist als Einkommen zu berücksichtigen.
Nach § 11a Abs. 3 SGB II (n.F.) bildet die Zweckbestimmtheit einer Leistung nur dann ein Kriterium für die Frage der Berücksichtigung dieses Zuflusses, wenn sich die Zweckbestimmung aus einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift ergibt. Dies ist bei einer Urlaubsabgeltung gerade nicht der Fall (vgl. zu der Problematik auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 06.06.2012 – L 20 AS 95/12 NZB; Sächsisches LSG, Beschl. vom 26.09.2012 – L 3 AS 408/12 B ER).
Offen bleiben kann auch, ob es sich bei der Urlaubsabgeltung der Rechtsnatur nach um eine laufende oder einmalige Einnahme handelt, denn gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II gilt für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, wie dies vorliegend der Fall ist, Absatz 3 – und damit die Verteilung auf den sog. Verteilzeitraum – entsprechend.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Anderer Auffassung: SG Düsseldorf, Urteil vom 18.10.2012 – S 10 AS 87/09 -, Berufung anhängig beim LSG NRW unter dem Az.: L 2 AS 2252/12
3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.09.2014 – L 2 AS 136/14 B – rechtskräftig
Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III – Sozialleistung – Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags gemäß § 11b Abs. 2 SGB 2
Leitsätze (Autor)
Gewährung von Prozesskostenhilfe, denn dem gewährten Ausbildungsgeld, obwohl es sich um eine Sozialleistung handelt, kann durchaus ein Bezug zu einer Erwerbstätigkeit zukommen, der die Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags rechtfertigt.
Der Erwerbstätigenfreibetrag ist für Einkommen aus einer erwerbsbezogenen Tätigkeit zu gewähren. Um derartiges Einkommen kann es sich jedoch beispielsweise auch bei einer Sozialleistung handeln, wenn sie anstelle des Arbeitsentgelts tritt (siehe Urteil des BSG vom 13.05.2009 zum Az. B 4 AS 29/08 R zum Insolvenzgeld).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.09.2014 – L 19 AS 1680/14 B ER – rechtskräftig
Krankenversicherung – Versicherungspflicht – Arbeitslosengeld II-Bezieher – vorläufige Leistungsgewährung
Leitsätze (Autor)
Die vorläufige Bewilligung von Arbeitslosengeld II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begründet eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, soweit Ausnahmetatbestände nicht erfüllt sind (so auch SG Berlin, Beschluss vom 10.07.2014 – S 81 KR 1172/14 ER -).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.05.2014 – L 6 AS 22/14 – Die Revision wird zugelassen.
Leitsätze (Autor)
Antragsteller hat keinen Anspruch gegen den Grundsicherungsträger, den Datenabgleich gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zu unterlassen.
Mit dem automatisierten Datenabgleich wird zwar in das durch Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Dieser Eingriff auf der Grundlage und nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II begegnet aber keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar § 93 Abs. 8 AO hinsichtlich der Übermittlung von Kontostammdaten an Sozialleistungsträger für verfassungswidrig erklärt, dies jedoch lediglich wegen der Unbestimmtheit der Norm. Es hat jedoch in seinem Urteil vom 13.06.2007 ausdrücklich festgestellt, dass die mit Kenntnis von Kontostammdaten verbundene Konkretisierung des Risikos, staatlichen Ermittlungen (hier: wegen Leistungsmissbrauchs) ausgesetzt zu sein, angesichts der verfolgten Gemeinwohlbelange keine unangemessene Belastung darstelle (vgl. (BSG, Urteil vom 19.09.2009 – B 14 AS 45/07 R; BVerfG, Beschluss vom 13.6.2007 1 BvR 1550/03).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Gleicher Auffassung: LSB NRW, Beschluss vom 28.03.2013 – L 7 AS 370/13 B ER – und Beschluss vom 25.03.2010 – L 20 AS 39/08 -.
3.7 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.09.2014 – L 5 AS 1066/13
Übernahme der Fahrtkosten aus dem Vermittlungsbudget – keine gültige Fahrerlaubnis – tschechischer Führerschein – Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist erfüllt
Ohne gültigen Führerschein keine Fahrtkostenbeihilfe vom Jobcenter.
Leitsätze (Autor)
Grundsicherungsträger müssen keine Fahrtkosten aus dem Vermittlungsbudget erbringen, wenn der Antragsteller als Selbstfahrer über keinen gültigen Führerschein verfügt.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
S.a.: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Pressemitteilung Nr.: 008/2014: Keine Eingliederungsleistungen für strafbares Fahren: www.presse.sachsen-anhalt.de
3.8 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.06.2014 – L 31 AS 800/14 B ER, L 31 AS 801/14 B PKH – rechtskräftig
Rentenantragstellung – Unbilligkeitsverordnung – Ermessensfehler
Aufschiebende Wirkung der Klage, denn die vom Grundsicherungsträger vorgenommene Ermessensausübung begegnet hinsichtlich der Stellung eines Rentenantrages gemäß § 12 a SGB II schwerwiegenden Bedenken.
Leitsätze (Autor)
Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte einen solchen Antrag trotz Aufforderung nicht selbst stellt. Auch die Aufforderung zur Stellung des Rentenantrags steht im Ermessen des Leistungsträgers.
2. Das Jobcenter gewährt der Antragstellerin die Kosten der Unterkunft nicht in Höhe der tatsächlichen, sondern lediglich in Höhe der angemessenen Kosten. Warum er dann im Rahmen der Ausübung seines Ermessens nicht die gewährten Unterkunftskosten, sondern nunmehr – zu Ungunsten der Antragstellerin – die tatsächlichen Unterkunftskosten berücksichtigt, hätte zumindest zu umfassenden Darlegungen Anlass gegeben, denn es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen unterstellt werden sollte, dass die Antragstellerin als Rentenbezieherin plötzlich wieder einen Anspruch auf Gewährung der tatsächlichen und nicht bloß der angemessenen Kosten der Unterkunft haben sollte. Dem dürfte im SGB XII die – im Wesentlichen mit § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, nach der vorliegend die Kosten der Unterkunft der Antragstellerin gemindert worden sind, identische – Vorschrift des § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 entgegenstehen.
3. Es kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dahinstehen, ob es sich hierbei um einen weiteren Unbilligkeitsgrund hinsichtlich der Aufforderung eines Leistungsbeziehers zur Rentenantragstellung handelt, denn jedenfalls fehlt es an solchen Überlegungen des JC bei seinen im Bescheid angestellten Ermessenserwägungen. Diesen Aspekt hat er nicht nur nicht ausreichend, sondern gar nicht berücksichtigt.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
4.1 – Sozialgericht Altenburg, Urteil vom 24.07.2014 -S 23 AS 3357/13 – rechtskräftig – Die Berufung war zuzulassen.
Bedarfe für Schülerbeförderung können nur dann anerkannt werden, wenn und soweit die Beförderungskosten nicht durch Dritte übernommen werden – Schüler im Sinne des § 28 SGB II – Fahrtkosten sind bereits in der BAföG-Leistung enthalten
Leitsatz (Autor)
Die Übernahme von Schülerbeförderungskosten nach § 28 Abs. 4 SGB II ist bei Bezug von BAföG-Leistungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG ausgeschlossen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 – Sozialgericht München, Beschluss vom 19. Mai 2014 (Az.: S 54 AS 1155/14 ER):
Leitsätze Dr. Manfred Hammel
Bevor ein JobCenter einem Alg II-Empfänger gegenüber entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II einen Eingliederungsverwaltungsakt, der dem Betroffenen besondere Verpflichtungen auferlegt, erlässt, hat der SGB II-Träger gemäß § 24 Abs. 1 SGB X dieser bedürftigen Person Gelegenheit zu geben, sich zu den für diese Verfügung maßgeblichen Tatsachen zu äußern.
Diese Anhörung kann unter Beachtung des Grundsatzes der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X) auch mündlich erfolgen. Hierbei darf aber eine Äußerungsfrist von in der Regel zwei Wochen nicht unterschritten werden.
Die Abänderung eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts während dessen Gültigkeitszeitraums durch einen weiteren Ersetzungsbescheid nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ist nur unter Beachtung der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, nämlich bei wesentlichen Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, zulässig. – Dies kann z. B. der Fall sein, wenn bei einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Arbeitshilfemaßnahme aus organisatorischen Gründen nicht (mehr) realisiert werden kann. Dies ist aber vom SGB II-Träger – auch in Beachtung der von ihm zu entsprechenden Begründungspflicht nach § 35 Abs. 1 SGB X – stets näher auszuführen.
Ein Bestehen zweier sich auf den gleichen Bewilligungszeitraum beziehender Eingliederungsverwaltungsakte nebeneinander ist rechtlich nicht zulässig.
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB X II)
5.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.08.2018 – L 9 SO 28/14
Kenntnis des Sozialhilfeträgers von den Leistungsvoraussetzungen – Auch die bloße Vermutung oder entfernte Möglichkeit eines Notfalles ist für das Einsetzen der Sozialhilfe nicht ausreichend – keine Kenntnis durch Übermittlung des Telefax
Leitsätze (Autor)
Sozialhilfe ist zwar – bis auf die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – nach § 18 SGB XII antragsunabhängig zu gewähren, was einen “niederschwelligen” Zugang zu den Hilfen des SGB XII gewährleisten soll (Sächsisches LSG, Urteil vom 06.03.2013, Az.: L 8 SO 4/10).
Voraussetzung für das “Einsetzen” und damit den zeitlichen Beginn der Sozialhilfe ist aber, dass dem Leistungsträger bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Kenntnis in diesem Sinne hatte der Beklagte (oder auch ein sonstiger Leistungsträger i.S.v. § 18 Abs. 2 SGB XII) bis zum Tod der Pflegebedürftigen nicht.
Keine hinreichende Kenntnis vom Bedarfsfall hatte der Beklagte aber deshalb, weil ihr die Kenntnis über die Hilfebedürftigkeit der Pflegebedürftigen durch das Telefax nicht vermittelt wurde. Der Vordruck enthält keinerlei Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Pflegebedürftigen. Die wirtschaftliche Bedürftigkeit wird nicht einmal behauptet, geschweige denn durch jedenfalls rudimentäre Angaben etwa zur Rente der Pflegebedürftigen näher skizziert. Allein das Kreuz im Feld Sozialhilfe in der Kopfzeile des Vordrucks vermittelt dem Beklagten keine Kenntnis der Hilfebedürftigkeit.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
6. Kosten der Unterkunft bei temporärer Bedarfsgemeinschaft, ein Beitrag von RA Kay Füßlein.
Nach der Rechtsprechung ist bei einer temporären Bedarfsgemeinschaft – weil in etwa ein Wechselmodell (also die Ausübung des gemeinsamen Umgangs-und Sorgerechtes) vereinbart worden ist- von einem erhöhten Wohnraumbedarf auszugehen. Dies liegt auf der Hand, da eine Wohnung nicht zeitweise kleiner oder größer wird oder billiger oder teuer wird.
Nach der Umstellung auf das neue Softwaresystem der JobCenter (ALLEGRO) findet sich nun scheinbar folgender Hinweis in den Bescheiden:
“Für Ihre Kinder wird aufgrund der nur zeitweisen Zugehörigkeit zu Ihrer Bedarfsgemeinschaft auch nur für diese Zeit die Miete anteilig übernommen. Dies war unter den vorherigen Berechnungssystem A2LL fehlerhaft, so dass Sie zuvor eine höhere Summe erhielten, was jedoch nicht korrekt war.
Doch, war es!
Nach der benannten Rechtsprechung des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. 6. 2008 – L 20 B 225/07 AS ER gilt bei einer wechselnden Ausübung des Sorgerechtes (also eine temporäre bzw. zeitweise Bedarfsgemeinschaft) nämlich folgendes betreffend der Unterkunftskosten und der durch das JobCenter zu übernehmenden Miete:
weiterlesen: www.ra-fuesslein.de
7. Claudia Theesfeld, Ass. jur. Anmerkung zu LG Berlin, Urteil vom 24.07.2014 – 67 S 94/14 : Kündigung des Mietvertrages bei durch den Leistungsträger verschuldetem Zahlungsverzug
Leitsätze
1. Der Mieter gerät grundsätzlich auch dann in Zahlungsverzug, wenn die vom JobCenter für den Mieter an den Vermieter unmittelbar zu leistenden Mietzahlungen aufgrund eines Versehens des JobCenters ausbleiben.
2. Solange der Mieter keine Kenntnis von einem allein vom JobCenter zu verantwortenden Ausfall der Mietzahlungen hat, befindet er sich in einem den Verzug gemäß § 286 Abs. 4 BGB ausschließenden unvermeidbaren Tatsachenirrtum.
3. Der so begründete Tatsachenirrtum entfällt erst nach Ablauf einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Frist zur Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen der Mietschuld; im Regelfall beträgt die zur Nachfrage und Informationsgewinnung gegenüber dem JobCenter erforderliche Mindestfrist für den Mieter einen Monat.
weiter: juris: www.juris.de
Volltext der Entscheidung hier abrufbar: www.iww.de
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de