Landgericht Frankfurt – Beschluss vom 05.11.2014 – Az.: 5/28 Qs 47/14

BESCHLUSS

In dem Feststellungsverfahren

xxx,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

xxx,

hat das Landgericht Frankfurt am Main – 28. Große Strafkammer – am 05.11.2014 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 30.07.2014 wird aufgehoben und die Sache zur Entscheidung in der Sache an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

GRÜNDE
I.
Der Antragsteller nahm am 01.06.2013 an der für die Zeit von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr genehmigten Demonstration mit dem Thema “Europäische Solidarität gegen das Krisenregime EZB und Troika” in Frankfurt am Main teil.

Gegen 12.40 Uhr soll der Gesamteinsatzleiter der Polizei die Entscheidung getroffen haben, sogenannte “Problemgruppen” durch Einziehen zweier Polizeiketten anzuhalten. Diese Entscheidung wurde 12.49 Uhr umgesetzt, wobei insgesamt 943 Personen zur Identitätsfeststellung eingekesselt wurden.

Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 17.06.2013 an das Amtsgericht Frankfurt am Main, festzustellen, dass die durch Beamte des Landes Hessen am 01.06.2013 durchgeführte Freiheitsentziehung rechtswidrig war. In der Begründung des Antrags wurde auf § 32 HSOG Bezug genommen.

Das Amtsgerichts Frankfurt am Main verwarf den Antrag mit Beschluss vom 30.07.2014 als unzulässig. Es begründete die Entscheidung damit, dass die durchgeführte Maßnahme als repressiv einzustufen sei und lediglich eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 StPO beantragt werden könne. Der Feststellungsantrag sei deshalb unzulässig.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit Beschwerde vom 06.08.2014, eingegangen bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main am selben Tag.

II.
Die Beschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

Die Kammer erachtet vorliegend den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten als unzulässig. Vielmehr ist gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Nach § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit keine Sonderzuweisung zu einem anderen Gericht besteht. Entscheidend für die Bestimmung des Rechtsweges ist der Zweck der angegriffenen polizeilichen Maßnahme. Die angegriffene Maßnahme der Freiheitsentziehung durch die Polizeibeamten des Landes Hessen am 01.06.2013 ist als Maßnahme der Gefahrenabwehr einzustufen und damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wie das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in mehreren Parallelfällen bereits ausgeführt hat (u.a. Urteil vom 23.06.2014 – 5 K 2334/13.F; Beschluss vom 22.01.2014 – V1 – K -46/13).

Die Kammer sieht den Schwerpunkt der Maßnahme, die Teilnehmer der Versammlung durch Einziehen zweier Polizeiketten, an der Fortbewegung zu hindern, in der Gefahrenabwehr. Die Anordnung der Maßnahme erfolgte durch den Einsatzleiter der Polizei und nicht durch die Staatsanwaltschaft, für die Versammlungsteilnehmer war der Anlass nicht ohne weiteres ersichtlich. Der Einsatzleiter entschied sich aufgrund der unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dafür, der Gefahrenabwehr “zunächst den Vorrang einzuräumen”, wie er in seinem Bericht über den polizeilichen Einsatzverlauf niedergelegt hat. In Folge dieses Entschlusses wurde um 12.49 Uhr mit der Einziehung der Polizeiketten begonnen.
Zwar beruft sich die Antragsgegnerin darauf, dass das angegriffene polizeiliche Vorgehen auf Grundlage des § 163 b StPO erfolgte und damit repressiv war. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch aus Sicht der Kammer nicht erfüllt. § 163 b StPO ermöglicht das Festhalten einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, wenn das Festhalten zur Identitätsfeststellung erforderlich ist.
Zweck des Festhaltens ist nach der Norm allein das Feststellen der Identität zum Zweck der Strafverfolgung. Die zur Identitätsfeststellung erforderlichen Maßnahmen dürfen nicht zu weit ausgelegt werden. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer nach § 163 b StPO zulässigen Identitätsfeststellung ist daher nach Polizeirecht zu beurteilen (Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 163 b Rn. 8).
Bei objektiver Betrachtung handelt sich beim Separieren vermeintlich gewaltbereiter Versammlungsteilnehmer (“Einkesselung”) um eine spezifisch polizeiliche Maßnahme, um die friedliche Durchführung der Versammlung zu sichern. Das Verwaltungsgericht führt hierzu aus: “Das Einziehen der beiden Polizeiketten richtet sich unzweifelhaft gegen eine Versammlung […J. Für die Beurteilung kommen daher versammlungsrechtliche Pflichten und Befugnisse in Betracht. Dagegen liegt ein Berufen auf strafverfahrensrechtliche Befugnisse, wie den hier aufgeführten § 163 b StPO […] fern” (Beschluss vom 22.01.2014 – V1 – K -46/13).

Dafür, dass vorrangiger Zweck der Maßnahme die Gefahrenabwehr und nicht die Strafverfolgung war, spricht auch, dass mit den Teilnehmern, die durch Einkesseln separiert wurden, in Verhandlungen eingetreten wurde. Seitens der Polizei wurde angeboten, von einer Identitätsfeststellung abzusehen, sofern die separierten Versammlungsteilnehmer alle verbotenen Gegenstände ablegen und eine polizeiliche Durchlassstelle passieren würden. Ein solches Vorgehen ist mit § 163 StPO nicht vereinbar. Insoweit folgt die Kammer den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts. Im Beschluss vom 22.01.2014 heißt es dazu, die Polizei habe mit diesem Angebot, ein “Verfahren vorgeschlagen […] das bei einer einmal getroffenen Entscheidung für ein repressives Vorgehen im Hinblick auf § 163 Abs. 1 S. 1 StPO, 258 a StGB schwerlich zu rechtfertigen wäre”.

Die Kammer sah sich vorliegend aber wegen § 17 a Abs. 5 GVG an einer Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht gehindert. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.
Eine Entscheidung in der Hauptsache liegt nicht vor, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Klage ausschließlich wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs durch Urteil anstatt durch einen nach § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG an sich vorgesehenen Beschluss abweist (vgl. BGH, Urteil v. 19. März 1993 – VZR 247/9 – MDR 1993, 755; VGH Kassel, Urteil vom 09.12.1993 – 6 UE 571/93). Das Amtsgericht hat danach eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen, obgleich es eine sachliche Prüfung des Antrags nicht vorgenommen hat. Durch die Entscheidung hat das Amtsgericht seine Zuständigkeit bejaht, indem im Beschluss darauf abgestellt wird, dass der zulässige Antrag ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 StPO analog wäre, für den das Amtsgericht zuständig ist. Das Amtsgericht hat daher die Abweisung des Antrags nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsweges, sondern auf die Nennung der falschen Rechtsgrundlage gestützt.

Der Rechtsstreit war zur Entscheidung in der Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Zwar trifft das Beschwerdegericht die in der Sache erforderliche Entscheidung gemäß § 309 Abs. 2 StPO grundsätzlich selbst. Eine Zurückverweisung kommt aber in Betracht, wenn das untere Gericht den Antrag zu Unrecht aus formalen Gründen als unzulässig abgelehnt hat und eine sachliche Entscheidung völlig fehlt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.10.1982 – 1 Ws 266/82).

Da das Amtsgericht eine Sachentscheidung nicht allein unter Verweis auf die unrichtige Antragstellung zurückweisen durfte, war hier die Zurückverweisung geboten. Sofern das Amtsgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig hält, hat es über den Antrag auf Feststellung, dass die durchgeführte Maßnahme rechtswidrig war, unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (§ 17 Abs. 2 GVG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.