Verwaltungsgericht Frankfurt am Main – Urteil vom 01.12.2014 – Az.: 5 K 2486/13.F

URTEIL

In dem Verwaltungsstreitverfahren
des Herrn xxx,
Klägers,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

das Land xxx,
vertreten durch das xxx,
Beklagter,

wegen    Polizeirechts

hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main durch xxx als Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung am 1. Dezember 2014 für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass das am 1. Juni 2013 durch Polizeibeamte gegenüber dem Kläger ausgesprochene und für weite Teile der Frankfurter Innenstadt geltende Aufenthaltsverbot in der Zeit vom 1. Juni 2013 – ca. 22.00 Uhr – bis zum 2. Juni 2013 – 7.00 Uhr – rechtswidrig gewesen ist.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Kostenschuldner wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

TATBESTAND
Der Kläger begehrt die gerichtliche Überprüfung eines ihm anlässlich des Aufzugs “Blockupy Frankfurt – Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika” am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main erteilten Aufenthaltsverbots.

Der Kläger nahm am 1. Juni 2013 an einem Aufzug teil, der am 19. Dezember 2012 und 8. Januar 2013 beim Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main als zuständiger Versammlungsbehörde für die Zeit von 10.00 bis 18.00 Uhr angemeldet worden war. Die Versammlungsbehörde hatte zu dessen Durchführung unter dem 16. Mai 2013 diverse Auflagen verfügt (siehe im einzelnen BI. 2 – 21 der im Verfahren 5 K 2481/13.F vorgelegten und seinem Bevollmächtigten dort zugänglich gemachten Behördenakten – BA). Wegen der darin angeordneten Demonstrationsroute, aber auch bestimmter Auflagen, legte der Anmelder Widerspruch ein, dessen aufschiebende Wirkung durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Mai 2013 – 5 L 2209/13.F – (BI. 26 – 33 BA) hinsichtlich der Demonstrationsroute wiederhergestellt wurde, während er im Übrigen erfolglos blieb. Eine Beschwerde der Stadt Frankfurt am Main gegen den stattgebenden Teil wurde durch Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 2013 – 2 B 1274/13 – (BI. 22 – 25 BA) zurückgewiesen. Am 1. Juni 2013 setzte sich der Aufzug gegen 12.25 Uhr vom Baseler Platz aus über die Wilhelm-Leuschner-Straße in Bewegung. Nachdem die Spitze des Aufzugs die Hofstraße erreicht hatte, wurden gegen 12.49 Uhr vor dem Einschwenken auf die umstritten gewesene Streckenführung zwei Polizeiketten in den Aufzug eingezogen und der Aufzug so zum Stehen gebracht; Anlass hierfür war die Formation, die der Aufzug in diesem abgrenzbaren Bereich des “antikapitalistischen Blocks” eingenommen hatte, und weitere Feststellungen: Vor und hinter dem dort befindlichen Lautsprecherwagen hatten sich zwei Blöcke gebildet, die sich insbesondere im vorderen Bereich nach den Seiten durch zusammengeknotete Transparente sowie nach oben durch aufgespannte Schirme, deren es wetterbedingt nicht bedurft hätte, weitgehend der Sicht entzogen, während sich im hinteren Bereich ein “schwarzer Block” gebildet hatte, in dem der Umfang der Vermummung zunahm. Wegen der Einzelheiten des Erscheinungsbildes wird auf die Videoaufzeichnungen Bezug genommen. Durch das Einziehen der beiden Polizeiketten kam der gesamte Aufzug, dessen weitaus größter Teil sich hinter der hinteren Polizeikette staute und von dem sich nur wenige Versammlungsteilnehmer vor der vorderen Polizeikette befanden, zum Stehen. Im Folgenden – während der Einkesselung der als problematisch eingestuften Versammlungsteilnehmer – gab es Kontakte zwischen polizeilichen Verbindungsbeamten und dem Versammlungsleiter sowie von diesem zu einem “Plenum” der separierten Teilnehmer, in denen Modalitäten der Fortsetzung des Aufzugs verhandelt wurden; wegen der Einzelheiten aus polizeilicher Sicht wird auf die “Chronologische Übersicht über den Einsatzverlauf ,Großdemonstration Blockupy 2013′ am 01.06.2013” (BI. 44 – 54 BA), insbesondere deren S. 4 bis 8, Bezug genommen. Nachdem um 14.37 Uhr der Versammlungsleiter den polizeilichen Gesamteinsatzleiter davon unterrichtet hatte, dass die eingekesselten Teilnehmer zwar bereit seien, Gegenstände an der Seite abzulegen, nicht aber, sich einer weitergehenden polizeilichen Kontrolle zu unterziehen, wurde ihm gegenüber der Teilausschluss dieser Personengruppe erklärt und erfolgte mit einer Lautsprecherdurchsage von Beamten der taktischen Kommunikation um 14.58 Uhr erstmalig ein Ausschluss der separierten Personen aus der Versammlung, der um 15.04 Uhr und 15.09 Uhr ein zweites und drittes Mal wiederholt wurde. Um 16.41 Uhr wurde mit der Identitätsfeststellung der separierten Personen begonnen, die zuvor um 14.37 Uhr vom polizeilichen Gesamteinsatzleiter “in enger Absprache mit der Versammlungsbehörde” (BI. 51 BA) gegenüber dem Versammlungsleiter anlässlich des Ausschlusses angekündigt worden war. Um 20.20 Uhr stellte die Versammlungsbehörde formal das Ende der Versammlung fest.

Am 17. Juni 2013 hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage erhoben, mit der er eine Verletzung seines Versammlungsrechts sowie der Freiheit seiner Person geltend macht und eine Überprüfung des polizeilichen Vorgehens begehrt. Als er gegen 22.00 Uhr aus der Einkesselung abgeführt worden sei, seien seine Personalien aufgenommen, er und die mitgeführten Sachen durchsucht sowie er videographiert worden. Sodann sei gegen ihn ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden, wobei ihm – auf mehrmalige Aufforderung hin – eine farbige Karte mit der Verbotszone ausgehändigt worden sei (vgl. BI. 7 = 14 d.A.). Für den Fall der Zuwiderhandlung sei ihm eine nochmalige Ingewahrsamnahme angedroht worden.

Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung vom 3. September 2014 bestritten, dass hinsichtlich der durch Polizeibeamte durchgeführten Freiheitsentziehung des Klägers am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main in der Zeit von ca. 12.55 Uhr bis ca.22.00 Uhr, der durch Polizeibeamte gegen ca. 22.00 Uhr durchgeführten Feststellung der Personalien des Klägers, der am 1. Juni 2013 durch Polizeibeamte gegen ca. 22.00 Uhr durchgeführten Durchsuchung des Klägers und seiner mitgeführten Sachen sowie der am 1. Juni 2013 durch Polizeibeamte gegen ca. 22.00 Uhr durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung (Videographierung) des Klägers der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei, da es sich um ein repressives Vorgehen gehandelt habe und beantragt, den Rechtsstreit insoweit an das Amtsgericht Frankfurt am Main, hilfsweise das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, zu verweisen. Das Gericht hat durch Beschluss vom 20. Dezember 2013 (BI. 53 – 60 d.A.) den Verwaltungsrechtsweg auch für diese Teile des Streitgegenstands für zulässig erklärt, doch ist dieser Beschluss durch Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 2014 – 8 F 200/14 – (BI. 92 – 93R = BI. 108 -109R d.A.) abgeändert und sind diese Teile des Streitgegenstandes unter Abtrennung und Unzulässigerklärung des Verwaltungsrechtswegs an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen worden. Eine hiergegen gerichtete Anhörungsrüge, hilfsweise Gegenvorstellung, hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 20. Juni 2014 – 8 F 524/14.R – (BI. 146 -148 = BI. 165 – 167 d.A.) zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt,
festgestellt, dass das am 1. Juni 2013 durch Polizeibeamte gegenüber dem Kläger ausgesprochene und für weite Teile der Frankfurter Innenstadt geltende Aufenthaltsverbot in der Zeit vom 1. Juni 2013 – ca. 22.00 Uhr – bis zum 2. Juni 2013 – 7.00 Uhr – rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verteidigt der Beklagte das polizeiliche Vorgehen und hält seine Sicht, das Aufenthaltsverbot sei rechtmäßig, auch in Ansehung der Gründe des Urteils des Gerichts vom 24. September 2014 – 5 K 659/14.F – (abrufbar über www.lareda.hessenrecht.hessen.de und juris) aufrecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Das Gericht kann durch den Vorsitzenden als Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 87a Abs. 2, 3, § 101 Abs. 2 VwGO; vgl. Bl. 205, 216, 224 d.A.).
Die Klage erweist sich als erfolgreich (I.), so dass die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen (II.) und unter Abwendungsbefugnis für vollstreckbar zu erklären sind (III.), ohne dass die Berufung zuzulassen ist (IV.):

I.
Die Klage ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1.   Die auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des gegen den Kläger am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main verfügten Aufenthaltsverbots gerichtete Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist für diesen verbliebenen Teil des Streitgegenstandes nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Der Kläger hat auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Dabei kann dahinstehen, ob in Fällen wie dem des Klägers die Klage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage oder als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO statthaft ist (hierzu: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. März 2012 – 6 C 12.11 -, juris Rdnr. 15 = NJW 2012, 2676), denn das für beide Klagearten gleichermaßen erforderliche schutzwürdige Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung besteht. Es folgt aus der unmittelbaren Betroffenheit im grundrechtsrelevanten Bereich der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie der mittelbaren Betroffenheit der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG. Zudem ist eine Wiederholungsgefahr angesichts angekündigter Proteste anlässlich des Bezugs des Neubaus der Europäischen Zentralbank nicht ausgeschlossen.

2.   Die Klage ist auch begründet, denn das erledigte Aufenthaltsverbot war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt. Zwar war die Polizei nach dem Grundsatz der Erstbefassung sachlich zuständig (vgl. Nr. 2.2 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung <VVHSOG> vom 1. Februar 2010, StAnz.7/2010 S. 322), doch lagen weder die materiellen Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot nach § 31 Abs. 3 HSOG vor noch war die Verfügung als Platzverweisung nach § 31 Abs. 1 HSOG zu rechtfertigen. In seinem Urteil vom 24. September 2014 -5 K 659/14.F. – hat das Gericht unter I B 3 der Entscheidungsgründe (juris Rn. 108 ff.) zur Problematik der im Zusammenhang mit dem Aufzug “Blockupy Frankfurt – Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika” verfügten Aufenthaltsverboten auszugsweise folgendes erkannt:

“Nach dem gegenwärtig in Hessen geltenden Recht (a.) lagen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltsverbots nicht vor (b.). Auch ist die erledigte Verfügung nicht als eine Platzverweisung im engeren Sinn zu rechtfertigen (c.). Die befristete Verweisung des Klägers aus dem größten Teil der Frankfurter Innenstadt war daher rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person.
a.  Die Befugnis zur Platzverweisung wurde im hessischen Polizeirecht erst durch das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 26. Juni 1990 (GVBI. I S. 197) ausdrücklich geregelt; zuvor wurden Platzverweisungen auf die polizeiliche Generalklausel gestützt (vgl. LTDrucks. 12/5794 S. 77). Die damalige Fassung entspricht der des heutigen § 31 Abs. 1 HSOG und lautete:
   Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder andere Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen behindert.
Damit geht es, wie der Rückschluss aus der Rechtsfolge zeigt, um eine ortsgebundene Gefahr. Die tatbestandlichen Voraussetzungen stimmen mit denen der Generalklausel überein, während es auf der Rechtsfolgenseite um die ‚vorübergehende’ Verweisung von einem ‚Ort’ geht, ohne dass die Materialien Rückschlüsse darauf zuließen, was unter ‚Ort’ zu verstehen sei.
Durch Art. 1 Nr. 1 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 6. Dezember 2003 (GVBI. I S. 308) wurde durch Anfügung eines Absatzes 3 die Möglichkeit des längerfristigen Aufenthaltsverbots geregelt:
   (3) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich innerhalb einer Gemeinde eine Straftat begehen wird, so können die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörde ihr für eine bestimmte Zeit verbieten, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung oder sie ist aus einem vergleichbar wichtigen Grund auf das Betreten des Bereichs angewiesen (Aufenthaltsverbot). Das Aufenthaltsverbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken. Das Verbot darf die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten. Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.
Bei dieser Novellierung handelte es sich um eine Reaktion auf inzwischen ergangene Rechtsprechung zur Befugnis der Platzverweisung (vgl. LTDrs. 16/119 S. 3). Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte in seinem Urteil vom 21. Februar 2002 – 5 E 4962/01 – (NVwZ-RR 2002, 575) erkannt, dass auf der Rechtsfolgenseite des § 31 Abs. 1 HSOG die zeitliche Begrenzung durch das Adjektiv ‚vorübergehend’ keine langandauernden Aufenthaltsverbote ermögliche und es sich bei § 31 Abs. 1 HSOG um eine besondere Regelung handele, die einen Rückgriff auf die Generalklausel des § 11 HSOG zur Rechtfertigung längerer Aufenthaltsverbote ausschließe. Dem folgte der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. Januar 2003 – 11 TG 2548/02 – (ESVGH 53, 149; NVwZ 2003, 1400; juris, insbes. Rdnr. 8), so dass entschieden war, dass für Aufenthaltsverbote in Hessen die erforderliche gesetzliche Eingriffsbefugnis fehlte. Anknüpfungspunkt der daraufhin eingeleiteten Novellierung war erklärtermaßen die polizeiliche Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, also § 1 Abs. 4 HSOG, doch wurden ebenso die Gefahrenabwehrbehörden ermächtigt. Inhaltlich nahm der Gesetzgeber an, Aufenthaltsverbote eigneten sich “insbesondere zur Bekämpfung offener Drogenszenen, zum Schutz von Veranstaltungen (z.B. Volksfesten, Sportveranstaltungen oder Open-Air-Konzerte) vor gewaltbereiten Personen (z.B. Skinheads, Punks, Hooligans), zur Verhinderung so genannter Chaos-Tage, zum Schutz von Castor-Transporten oder auch zur Verhinderung des so genannten ,Hütchenspiels”(LTDrs. 16/119 S. 3; übernommen in Nr. 31.3 VVHSOG) als dem Geschehen, das der angeführten Rechtsprechung zugrunde gelegen hatte. Systematisch ist das Aufenthaltsverbot damit dem Unterbindungsgewahrsam nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG enger verwandt als der Gewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG. Als tatbestandliche Voraussetzungen zu verlangen seien “nachprüfbare Tatsachen …, die zur Annahme berechtig[t]en, dass eine Person an einer bestimmten Örtlichkeit eine Straftat begehen wird. Hinsichtlich der insoweit erforderlichen Prognoseentscheidung [werde] eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gefordert, eine Gewissheit [sei] nicht erforderlich. Ferner [hätten] die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden in jedem Fall das Aufenthaltsverbot auf den zur Verhütung der Straftaten erforderlichen Umfang in zeitlicher und örtlicher Hinsicht zu beschränken” (LTDrs. 16/119 S. 3). Auf der Rechtsfolgenseite war der Gesetzgeber der Ansicht, das Aufenthaltsverbot unterscheide sich “gegenüber der bisherigen Regelung des Platzverweises [sic!] nur in zeitlicher Hinsicht” (a.a.O.).

b.  Für ein Aufenthaltsverbot nach § 31 Abs. 3 HSOG fehlt es am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ((1)). Auch wurden im Fall des Klägers die notwendigen Formalien nicht genügend beachtet ((2)). Das Aufenthaltsverbot als Mittel der Gefahrenabwehr ist nach dem Normbefehl des § 31 Abs. 3 HSOG nicht darauf zugeschnitten, nach Auflösung einer Versammlung oder dem Ausschluss von Versammlungsteilnehmern räumlich großflächige Verlassenspflichten zu begründen:
(1)  Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt der nach § 31 Abs. 3 Satz 1 HSOG anzustellenden Prognose kein bloßer Gefahrenverdacht zugrunde. Der bloße Gefahrenverdacht besteht, wenn objektive Anhaltspunkte für eine Gefahr vorliegen, die aber für eine endgültige Beurteilung nicht ausreichend sind, und berechtigt lediglich zu weiteren Gefahrerforschungseingriffen typischerweise aufgrund der polizeilichen Generalklausel; er korrespondiert daher mit dem Untersuchungsgrundsatz aus § 24 HVwVfG. In § 31 Abs. 3 Satz 1 HSOG geht es dagegen um eine qualifizierte Gefahrenlage: Notwendig wären ‚Tatsachen’, die die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger innerhalb eines bestimmten Bereichs Frankfurts am Main eine Straftat begehen wird. Unter ‚Straftat’ ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Handlung zu verstehen, wobei Anstiftung und Beihilfe zu der zu verhindernden Straftat ausreichen (vgl. Hornmann, a.a.O. [scil.: HSOG, 2. Aufl. – 2008], § 31 Rdnr. 56). Als ‚Tatsachen’ werden dem Beweis zugängliche wahrnehmbare oder feststellbare äußere oder innere Zustände oder Vorgänge bezeichnet, die in der Gegenwart oder Vergangenheit liegen. Sie unterscheiden sich von bloßen ,tatsächlichen Anhaltspunkten’, die eine Annahme bereits rechtfertigen, wenn es nach polizeilicher oder gefahrenabwehrbehördlicher Erfahrung als möglich erscheint, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und hierfür bestimmte Indizien sprechen (vgl. Nr. 13.1.1 Satz 3 VVHSOG). In jedem Fall müssen die ‚Tatsachen’ sich auf den Adressaten beziehen, können also nicht von ihm losgelöst betrachtet und durch einen ‚Gruppenbezug’ ersetzt werden. Als eine solche Tatsache ist das Antreffen des Klägers in dem Bereich des Aufzugs, der von der Polizei eingekesselt wurde, anzusehen. Damit hat es aber bereits sein Bewenden. Die weiteren Maßnahmen – insbesondere die Durchsuchung des Klägers und seines Rucksacks sowie der von ihm angeführte Datenabgleich – ergaben offenbar keine weiteren Tatsachen, die die Prognoseentscheidung tragen könnten. Soweit der Beklagte meint, alle von der Umschließung Betroffenen hätten ausreichend Gelegenheit gehabt, sich mitgeführter Tatmittel zu entledigen, verbleibt der klägerbezogene Nachweis im Bereich bloßer Möglichkeit. Auch wenn im eingekesselten Teil des Aufzugs Straftaten insbesondere nach dem Nebenstrafrecht des § 27 Abs. 2 Nr. 1, 2 VersammlG bereits begangen wurden und sich dieser Personenkreis insgesamt durch sein kolludierendes Verhalten auszeichnete, lässt dies für die Person des Klägers nicht – quasi automatisch – einen Gewissheitsgrad annehmen, der die Voraussetzungen von § 31 Abs. 3 Satz 1 HSOG erfüllt. Ebenso wenig ist eine Verlautbarung des Klägers dokumentiert, die die Prognoseentscheidung rechtfertigen würde. Die polizeiliche Annahme, dass die Betroffenen sich nach ihrer Entlassung in Kleingruppen sammeln und ihrer Wut oder Frustration über die polizeilichen Maßnahmen, insbesondere das Anhalten des Aufzugs, durch Anschlussstraftaten Luft verschaffen würden, stellt keine tatbestandsausfüllende Tatsache dar. Der Stand der Erkenntnis verbleibt so bestenfalls im Bereich bloß tatsächlicher Anhaltspunkte; dies genügt indes nicht (vgl. Hornmann, a.a.O., Rdnr. 55). Bestätigung findet diese Sicht in den vom Gesetzgeber als Referenzfälle von Aufenthaltsverboten angeführten Beispielen. Diese lassen erkennen, dass als Voraussetzung eines Aufenthaltsverbots typischerweise bereits konkrete Erkenntnisse im Vorfeld vorgelegen haben müssen, die die Annahme der Begehung von Straftaten rechtfertigten: bei der offenen Drogenszene oder der Hütchenspieler-Szene etwa das wiederholte Antreffen und Mitwirken einer bestimmten Person in dieser; beim Schutz von Veranstaltungen o.ä. vor gewaltbereiten Personen individuelle Umstände, die diese Bewertung rechtfertigten.
(2)  Vom Verfahren her ist das Aufenthaltsverbot durchaus auf Schriftlichkeit unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung angelegt; darin unterscheidet es sich vom typischen präventiven Vorgehen von Polizeivollzugsbeamten, das eher auf kurzfristige und situative Rechtsfolgensetzung gerichtet ist. Selbst wenn ein Aufenthaltsverbot mündlich ebenso formwirksam erlassen werden kann, müsste, um dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 HVwVfG zu genügen, dann sein Geltungsbereich entweder räumlich klar abgegrenzt erkennbar sein oder dem Betroffenen eine kartographische Darstellung ausgehändigt werden. [… ]

c.  Als eine Platzverweisung im engeren Sinn nach § 31 Abs. 1 Satz 1 HSOG kann die getroffene – inzwischen wegen Zeitablaufs unwirksam gewordene – Regelung nicht gerechtfertigt werden. Da sich Platzverweisung und Aufenthaltsverbot nicht als Aliud gegenüberstehen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. Januar 2003 -11 TG 2548/02 -, juris, Rdnr. 4), geht es vorliegend nicht um eine Umdeutung nach § 47 Abs. 1 HVwVfG, sondern die Prüfung aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage. Ziel war hier die Verweisung des Klägers aus dem weitaus größten Teil der Frankfurter Innenstadt, mithin eine Rechtsfolge, die über die Verlassenspflicht eines ausgeschlossenen Versammlungsteilnehmers nach § 18 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 VersammlG weit hinausging. Fraglich ist bereits, ob die Voraussetzungen einer Platzverweisung im engeren Sinn im Zeitpunkt ihres Erlasses noch vorlagen ((1)), doch wurde jedenfalls eine räumlich zu weitgehende und damit unzulässige Rechtsfolge gesetzt ((2)).
(1)  In tatbestandlicher Hinsicht ist das Bestehen einer ‚Gefahr’ im polizeilichen Sinne Voraussetzung. Zwar ging auch von dem Kläger – wie oben oben I B 1 a (3) (b), S. 21 f. [scil. juris Rn. 68], bereits festgestellt – zunächst eine Gefahr aus, wenngleich die Tatsachen nicht für die Annahme reichten, er werde die öffentliche Sicherheit durch Begehung oder Teilnahme an einer Straftat stören. Diese Gefahr war wegen ihres Bezugs zum Sitz der Europäischen Zentralbank, aber auch anderer Geldinstitute, durchaus ortsbezogen. Zweifel an ihrem – weiteren – Bestehen mussten indes aufgrund der mit der Entlassung aus dem Gewahrsam verbundenen Maßnahmen – der Identitätsfeststellung, der Durchsuchung und Klägers und seines mitgeführten Rucksacks, schließlich der erkennungsdienstlichen Behandlung – gegeben sein: die Personalien des Klägers waren bekannt, gefährliche Gegenstände konnte er nicht (mehr) mit sich geführt haben, seine Identifizierung wäre ermöglicht.
(2)  Jedenfalls ist auf der Rechtsfolgenseite der Begriff des ‚Orts’, von dem vorübergehend verwiesen oder dessen Betreten vorübergehend verboten werden kann, enger zu definieren als der des ,bestimmten örtlichen Bereichs innerhalb einer Gemeinde’. Unter dem Substantiv ‚Ort’ ist laut Duden ein lokalisierbarer, oft auch im Hinblick auf seine Beschaffenheit bestimmbarer Platz (an dem sich jemand, etwas befindet, an dem etwas geschehen ist oder soll)`, zu verstehen. Der Begriff des Ortes ist somit im Zweifel punktuell zu begreifen und umfasst keinen größeren räumlichen Bereich. Bestätigung findet diese Sichtweise bei einem Blick in § 31 Abs. 1 Satz 2 HSOG. Danach kann die Platzverweisung ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder andere Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen behindert. Hier geht es in räumlicher Hinsicht um einen typischerweise überschaubaren Bereich. Entgegen seiner Ansicht definierte der Gesetzgeber beim Aufenthaltsverbot auf der Rechtsfolgenseite den räumlichen Geltungsbereich schon deshalb nicht identisch zur Platzverweisung im engeren Sinn, als er eine andere Wortwahl traf und statt von einem ‚Ort’ nunmehr von ,einem bestimmten örtlichen Bereich innerhalb einer Gemeinde’ spricht. Damit wird der räumliche Geltungsbereich erweitert und seinem Wortlaut nach nur durch die Präposition ‚innerhalb’ dergestalt begrenzt, dass es sich nicht um das gesamte Gemeindegebiet handeln darf. Die dem Kläger zur Kenntnis gebrachte, indes nicht ausgehändigte Begrenzung innerhalb der Stadt Frankfurt am Main könnte als ein solcher ‚örtlicher Bereich’ verstanden werden, nicht aber als ein ‚Ort’ im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HSOG. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HSOG wäre eine Platzverweisung allein vom Ort des polizeilichen Einsatzes in der Hofstraße und deren angrenzender Umgebung möglich gewesen.”

Das Vorbringen des Beklagten mit Schriftsatz vom 17. November 2014 gibt keinen Anlass, von dieser Ansicht abzuweichen. Der Gesetzgeber unterscheidet im Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei tatbestandlichen Voraussetzungen – unbeschadet deren anderer Bestimmungen – sprachlich erkennbar differenziert zwischen “Tatsachen” (§ 18 Abs. 5 Satz 2, § 30 Abs. 1 Satz 1, § 31 Abs. 3 Satz 1, § 36 Abs. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 Nr. 1, 3, § 38 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, 4 HSOG), “tatsächlichen Anhaltspunkten” (§ 12 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 2 Nr. 1, 2, § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 3, 4, Abs. 4 Satz 4, § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 3, 4, § 20 Abs. 2, § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 25 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 3 Satz 4, § 36 Abs. 2 Nr. 3, 4, § 37 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 1, § 38 Abs. 6 Nr. 1, § 40 Nr. 4 sowie § 59 HSOG) und bloßen “Umständen” (§ 14 Abs. 6 Satz 1, § 36 Abs. 3 HSOG). Beim Blick auf den jeweiligen Regelungszusammenhang zeigt sich, dass es sich bei diesen Unterscheidungen um ein abgestimmtes Konzept handelt: Ausgehend davon, dass die immer erforderliche tatsächliche Grundlage eines polizeilichen oder gefahrenabwehrbehördlichen Eingriffs dem Beweis zugängliche Geschehnisse darstellen müssen, werden deren Anforderungen beim Abstellen auf bloß “tatsächliche Anhaltspunkte” (oder “Umstände”) zurückgenommen. Nach der Definition in Nr. 13.1.1 Satz 3 VVHSOG (“Tatsächliche Anhaltspunkte rechtfertigen die Annahme, wenn es nach polizeilicher oder gefahrenabwehrbehördlicher Erfahrung als möglich erscheint, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und hierfür bestimmte Indizien sprechen.”), von der abzuweichen für das Gericht kein Anlass besteht, kommt dem subjektiven Element der “Erfahrung” hervorgehobene Bedeutung zu und genügen in objektiver Hinsicht bereits Indizien (von indicare = anzeigen), also indirekte Tatsachen als ein Hinweis, der für sich allein oder in einer Gesamtheit mit anderen Indizien den Rückschluss auf das Vorliegen einer Tatsache (factum) zulässt. Dadurch trägt der Gesetzgeber dem prognostischen Charakter des Gefahr-Begriffs unterschiedlich Rechnung und differenziert die Eingriffsvoraussetzungen. “Tatsachen” und “tatsächliche Anhaltspunkte” sind mithin nicht identisch oder austauschbar, sondern umreißen graduell unterschiedliche konditionale Voraussetzungen. Die vom Beklagten angeführte Rechtsprechung und Literatur vermag daran nichts zu ändern. Insbesondere gilt dies hinsichtlich der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Das materielle Polizeirecht gehört – unbeschadet der Erwähnung der “öffentlichen Sicherheit und Ordnung” an zwei Stellen des Grundgesetzes (Art. 13 Abs. 7, Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG) – in den Bereich des einfachen Gesetzesrechts, dessen Anwendung und Auslegung verfassungsgerichtlich lediglich einer Evidenzkontrolle unterliegt (BVerfGE 18, 85 <92>). Bezeichnenderweise hat das Bundesverfassungsgericht in seiner “Brokdorf-Entscheidung” die zentralen Begriffe der “öffentlichen Sicherheit und Ordnung” auch nicht selbst definiert, sondern lediglich Definitionen festgestellt, die aus verfassungsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden waren (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>).

II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte nach § 154 Abs. ^1 HSOG zu tragen, weil er unterlegen ist.

III.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

IV.
Gründe, aus denen nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO die Berufung zuzulassen wäre, sind nicht ersichtlich.

Es folgt Rechtsmittelbelehrung.