Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 02/2015

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 02.07.2014 – L 9 AS 656/14 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Auszubildende – behinderter Mensch – Teilhabe am Arbeitsleben – Bezug von Ausbildungsgeld nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 SGB 3 – Wohnheimunterbringung – Beibehaltung der bisherigen Unterkunft für Wochenendheimfahrten – kein Unterkunftskostenzuschuss nach § 27 SGB 2 – Übernahme der Unterkunftskosten durch den Rehabilitationsträger

Die Agentur für Arbeit kann nach § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch weitere Aufwendungen, die wegen Art und Schwere der Behinderung unvermeidbar entstehen, sowie Kosten für Sonderfälle der Unterkunft und Verpflegung bewilligen.

Leitsatz (Autor)
1. Der Maßnahmeträger – hier die Bundesagentur – ist zur Übernahme der Kosten zum Erhalt der Heimatwohnung bei Wohnheimunterbringung verpflichtet (LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17. April 2013 – L 2 AS 951/12 B ER).

2. Allerdings besteht kein Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten der Wohnung. Im Gegensatz zu den Regelungen im SGB II werden im Rahmen der Gewährung von Ausbildungsgeld Unterkunftskosten nicht in tatsächlicher Höhe erbracht, sondern es werden Pauschalbeträge erbracht. Für die Sonderfälle der Unterbringung und Verpflegung regelt § 128 SGB III, dass ein Betrag von 269,- Euro monatlich zuzüglich nachgewiesener behinderungsbedingter Mehraufwendungen erbracht wird.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso LSG NRW, Beschl. v. 23.01.2014 – L 19 AS 2316/13 B; offen gelassen LSG NSB, Urteil vom 22.01.2014 – L 13 AS 140/11.

1.2 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.11.2014 – L 7 AS 534/13

Zur Jahresfrist

Leitsatz (Autor)
1. Die Neuregelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II, mit der der Überprüfungszeitraum für Leistungen nach dem SGB II auf ein Jahr verkürzt worden ist, ist verfassungsgemäß.

2. Sie beruht auf dem Grundgedanken, dass für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts und der Eingliederung in Arbeit dienen und dabei im besonderen Maß die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollen (sog. Aktualitätsgrundsatz), die Vier-Jahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X zu lang und eine kürzere Frist von einem Jahr sach- und interessengerecht ist (so die Gesetzesbegründung, BT-Drucks 17/3404, S. 114 und S. 117 zur entsprechenden Regelung im Sozialhilferecht, § 116a SGB XII; wie hier bereits Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.09.2013 – L 7 AS 1050/13 und Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.03.2014 – L 16 AS 289/13; siehe auch Beschluss des Senats vom 13.08.2014 – L 7 AS 1569/13 NZB).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.11.2014 – L 9 AS 499/14 B PKH – rechtskräftig

ALG II – PKH

Leitsatz (Autor)
Klärt ein Gericht für parallel geführte Eilrechtsschutz- und Klageverfahren in einem dieser Verfahren den Sachverhalt weiter auf, darf es Prozesskostenhilfe grundsätzlich auch in dem Verfahren nicht ablehnen, in dem es keine Ermittlungen angestellt hat, wenn es in diesem Verfahren seine Ablehnung von Prozesskostenhilfe auf die Ermittlungen des Parallelverfahrens stützt, wie es das Sozialgericht hier getan hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.12.2014 – L 19 AS 1600/11 – Die Revision wird zugelassen.

Leistungsausschluss – Unterbringung in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs – betreutes Wohnen – tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit

Leitsätze (Autor)
1. Der Antragsteller hielt sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf, die nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung iS des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II gleichgestellt ist und damit einen Leistungsausschluss zur Folge hat.

2. Zentrales Kriterium für einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II ist eine tatsächliche Erwerbstätigkeit. Die objektive Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit findet weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze und tritt daher gegenüber dem Kriterium der tatsächlichen Erwerbstätigkeit aus § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II zurück.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. dazu Bay LSG, Urteil vom 17.09.2014 – L 16 AS 813/13 – wonach der fortdauernde Maßregelvollzug (§ 64 StGB) einer Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht entgegen steht, wenn zur Vorbereitung auf die Entlassung eine dauerhafte Beurlaubung in die eigene Wohnung erfolgt und nur noch einzelne Termine in der Vollzugseinrichtung wahrzunehmen sind (sog. Probewohnen).

1.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.10.2014 – L 7 AS 886/14 – rechtskräftig – Die Revision wird zugelassen.

Zur Frage, ob die Unbilligkeitsverordnung auf der Tatbestandsebene abschließenden Charakter hat und ob ggfls. weitere Besonderheiten der konkreten Situation bei der Aufforderung zur Antragstellung über eine Ermessensbetätigung des Leistungsträgers zu berücksichtigen sind.

Leitsätze (Autor)
1. Neben den in der Unbilligkeitsverordnung geregelten Fällen, in denen die vorzeitige Inanspruchnahme für den Betroffenen unbillig ist, sind weitere Fallgruppen auf der Tatbestandsebene nicht zu prüfen. Die in den §§ 2 bis 5 der Unbilligkeitsverordnung geregelten Fälle sind abschließend (offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. V. 22.05.2013 – L 19 AS 291/13 B ER).

2. Ermessenserwägungen sind erforderlich, wenn der Berechtigte anrechenbares (geringfügiges) Nebeneinkommen erzielt, das bei einem Wechsel in das Leistungssystem des SGB XII einen deutlich niedrigeren Selbstbehalt zur Folge gehabt hätte (Beschluss vom 19.05.2014 – L 7 AS 546/14 B).
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Anderer Auffassung LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.08.2014 – L 9 AS 2809/13 – unveröffentlicht – Unbilligkeits-Verordnung ist nicht abschließend.

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 08.10.2014 – S 44 AS 3509/12 – Die Revision wird zugelassen.

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung – Kapitalerträge aus einem Bausparvertrag – rechtlicher und tatsächlicher Zufluss – bereite Mittel

Zur Rechtsfrage, ob Zinseinnahmen aus Bausparverträgen auch ohne Kündigung des Vertrages zu berücksichtigendes Einkommen darstellen.

Leitsätze (Autor)
1. Die Anrechnung einer fiktiven Einnahme, die nicht tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden kann, ist nach dem System des SGB II nicht zulässig.

2. Ohne Kündigung des Bausparvertrags kann der Hilfebedürftige auf die Zinsgutschrift aus rechtlichen Gründen nicht zugreifen. Es besteht in diesem Fall daher keine „bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit“, der Hilfebedürftige kann das Guthaben nicht zur Bestreitung seines Lebensunterhalts einsetzen.

3. Forderungen, die – wie hier – aufgrund des Verhaltens des Hilfebedürftigen nicht in Form von Einnahmen realisiert werden können, sind nicht als Einkommen zu werten. Es ist daher sachgerecht, ein Zinsguthaben erst im Zeitpunkt der Auszahlung des Guthabens nach Auflösung des Bausparvertrags als anrechenbares Einkommen anzusehen (LSG NRW, Urteil vom 19.09.2013 – L 7 AS 1745/11).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Anderer Auffassung – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 02.04.2012 – L 1 AS 5113/11 – Anrechenbarkeit der Guthabenzinsen in einem vergleichbaren Fall, weil der Hilfebedürftige die Auszahlung der Zinsen durch eine zumutbare Kündigung hätte bewirken können. Die bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit als „bereites Mittel“ werde durch das Erfordernis, den Bausparvertrag zu kündigen, nicht aufgehoben.

2.2 – SG Braunschweig, Beschluss vom 08.12.2014 – S 33 AS 653/14 ER

Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die 100% Sanktion des 22- jährigen Antragstellers, denn die vom Jobcenter angebotene Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung in Arbeit war zu unbestimmt und für den Antragsteller unzumutbar.

Keine Sanktionen, wenn Verpflichtungen nicht hinreichend bestimmt sind.

Leitsätze (Autor)
1. Der Leistungsträger muss das Ermessen entsprechend dem Zweck der Vorschrift ausüben, die Eingliederung in Arbeit zu fördern. Bei der Ausübung des Ermessens muss er zudem u. a. die Zumutbarkeitskriterien des § 10 Absatz 1 und 2 SGB II beachten, die nach § 10 Absatz 3 SGB II für die Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit entsprechend gelten. Weder der Zuweisungsbescheid noch die diesbezüglichen Ausführungen in der Eingliederungsvereinbarung lassen erkennen, ob der LT überhaupt sein Ermessen ausgeübt hat und wenn ja, anhand welcher Kriterien.

2. Die angebotene Maßnahme war zudem nicht hinreichend bestimmt. Nachteilige Folgerungen aus dem Verhalten des Leistungsempfängers können nur gezogen werden, wenn der Leistungsträger das jeweilige Angebot genau bezeichnet hat. Der Sanktionsmechanismus des § 31 SGB II setze voraus, dass dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine hinreichend bestimmte Arbeitsangelegenheit angeboten werde. Nur dann könne der Leistungsberechtigte erkennen, ob die angebotene Arbeitsgelegenheit den inhaltlichen und formellen Anforderungen an eine zulässige Arbeitsgelegenheit genüge (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2012, B 4 AS 60/07 R). Diese Rechtsprechung ist auf das Angebot einer Eingliederungsmaßnahme übertragbar (vgl. zur Übertragung auf das Angebot einer Trainingsmaßnahme LSG NSB, Urteil vom 18. Juni 2013 – L 7 AS 513/11).

3. Im Zuweisungsbescheid finden sich keine Angaben zur vorgesehenen Tätigkeit, lediglich Maßnahmeziele werden stichwortartig genannt. In der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt werden als Inhalte der Maßnahme praktische Arbeiten im Bereich der Hauswirtschaft, Holzwerkstatt und im Naturschutz sowie ein theoretischer Teil genannt. Die Beschreibung ist derart allgemein, dass es nicht möglich ist nachzuvollziehen, durch welche Tätigkeiten der Antragsteller wie an den Arbeitsmarkt herangeführt werden soll. Dadurch ist es dem Antragsteller nicht möglich, zu beurteilen, ob die in der Maßnahme geforderten oder vermittelten praktischen Arbeiten zur Erreichung des Eingliederungsziels erforderlich und geeignet sind. Der Antragsteller ist auch aufgrund der nur unzureichenden Angaben nicht in der Lage zu überprüfen, ob die Maßnahme den gesetzlichen Vorgaben entspricht. So kann nicht überprüft werden, ob die Maßnahme, die ein Jahr dauert, die Vermittlung von beruflichen Kenntnissen enthält und ggf. die Förderhöchstdauer überschritten wird (vgl. § 45 Absatz 2 Satz 3 SGB III).

Quelle: dejure.org

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB X II)

3.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2014 – L 7 SO 2474/14
 
Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Unterkunft und Heizung – Zulässigkeit des Abzugs einer Haushaltsenergiepauschale von den tatsächlichen Aufwendungen – Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung als Bedarf

Leitsätze (Juris)
1. Wird im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als Leistungen für Unterkunft und Heizung eine Inklusivmiete berücksichtigt, in der auch die Stromkosten enthalten sind, ist im Recht der Sozialhilfe – anders als im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – der Abzug einer „Energiepauschale“ vom Regelsatz nach § 42 Nr. 1 i.V.m. 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII zulässig.

2. Zur Berücksichtigung der Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung als Bedarf im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
 
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung 1:
Vgl. zum SGB II: BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 151/10 R – Danach sind bei einer Inklusivmiete, in der auch Stromkosten enthalten sind, die Leistungen für die Unterkunft – nicht – um einen aus der Regelleistung ermittelten Anteil für Haushaltsenergie zu kürzen.

Anmerkung 2:
LSG Baden-Württemberg Urteil vom 27.5.2014, L 2 SO 20/14 – anhängig beim BSG unter dem Az.: B 8 SO 13/14 R – Eine Anrechnung der bereits im Regelsatz berücksichtigten Haushaltsenergie auf die Kosten der Unterkunft ist im Recht der Sozialhilfe (SGB XII) anders als im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zulässig.

3.2 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 20.11.2014 – L 4 SO 31/12

Sozialhilfe – keine Kostenübernahme einer Ferienfreizeit für einen behinderten Menschen bei eigener Wohnung.

Leitsätze (Autor)
1. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft können grundsätzlich auch Urlaubsreisen und Ferienlager einschließen (LSG NW, Urt. v. 17.6.2010 – L 9 SO 163/10).

2. Keine Leistungen für die sog. gastweise Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe, wenn der Antragsteller nicht mehr im Haushalt der Eltern lebt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Anmerkung zu LSG BB, Beschluss vom 18.11.2014 – L 10 AS 2254/14 B ER

Vorgezogene Altersrente – Höhe egal?
Ein Beitrag von RA Kay Füßlein: www.ra-fuesslein.de

5.   LAG in Mainz senkt Anforderungen an den Erhalt von Prozesskostenhilfe

Beantragt ein Hartz-IV-Bezieher wegen eines Rechtsstreits staatliche Prozesskostenhilfe, dürfen auch nur seine ihm zustehenden Hilfeleistungen als Einkünfte berücksichtigt werden. Die Hartz-IV-Leistungen für die in derselben Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kinder bleiben grundsätzlich außen vor, stellte das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in Mainz in einem am Mittwoch, 07.01.2015, veröffentlichten Beschluss klar (AZ: 3 Ta 200/14). Denn auch wenn das Jobcenter dem Hartz-IV-Empfänger einen Gesamtbetrag für die Bedarfsgemeinschaft bewilligt hat, bedeute dies nicht, dass ihm damit alles persönlich zur Verfügung steht.

Weiter: www.kanzlei-blaufelder.com

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de