Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 13/2015

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Sozialhilferecht (SGB XII)

1.1 – BSG, Urteil vom 24.03.2015 – B 8 SO 22/13 R

Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Übernahme der Kosten für einen Kabelanschluss – abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs nach § 27a Abs 4 S 1 SGB XII – unabweisbarer Bedarf

Türkische Sozialhilfeempfänger müssen Kabelanschluss zahlen

Leitsätze (Autor)
1. Sozialhilfeempfänger müssen ihren Kabelanschluss in der Regel selbst bezahlen.

2. Dies gilt auch dann, wenn sie in Ermangelung von Deutschkenntnissen auf ein Fremdsprachenprogramm angewiesen sind.

3. Es handelt sich weder um einen im Einzelfall vom Regelsatz abweichenden individuellen, unabweisbaren Bedarf, der seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII) noch um einen sonstigen sozialhilferechtlich relevanten Bedarf (Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wegen Behinderung; Leistung für sonstige Lebenslagen). Fehlende Sprachkenntnisse allein sind keine Behinderung, und Leistungen in sonstigen Lebenslagen scheitern daran, dass die Kosten für den Kabelanschluss aus den Leistungen für den Lebensunterhalt (Regelsatz) zu finanzieren sind.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteile vom 24.03.2015 – B 8 SO 5/14 R – und – B 8 SO 9/14 R –

Bundessozialgericht hält an seiner Rechtsprechung zur Sozialhilfe für volljährige behinderte Menschen, die bei ihren Eltern leben, fest

Mit Urteilen vom 23. Juli 2014 hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts entschieden, dass erwerbsunfähige volljährige behinderte Menschen, die Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten und bei ihren Eltern beziehungsweise einem Elternteil leben, grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach der Regelbedarfsstufe 1 (100 %) besitzen.

Leitsätze (Autor)
BSG führt seine Rechtsprechung fort und bekräftigt, dies ergebe sich bei verfassungskonformer Auslegung des § 27a Abs 3 SGB XII in Verbindung mit der Anlage zu § 28 SGB XII und der gesetzlichen Vermutung einer gemeinsamen, damit auch eigenen, nicht fremden Haushaltsführung (§ 39 Satz 1 SGB XII).

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Siehe dazu auch: aktuelles Schreiben des BMAS vom 18.03.2015: www.harald-thome.de an die Bundesländer.
Danach will das BMAS durch Erlass regeln, dass rückwirkend bis zum 01.01.2013 – ohne extra Antrag, Überprüfungsantrag, Widerspruch oder anhängigem Klageverfahren – die Regelsatzstufe 1 nachzuzahlen ist.

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.03.2015 – L 5 AS 110/15 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Einmalige Einnahme in Form der Rentennachzahlung – keine Berücksichtigung über den Bewilligungs- bzw Verteilzeitraum hinaus bei vorzeitigem Verbrauch – bereite Mittel – rückwirkende Verpflichtung des Leistungsträgers zur vorläufigen Leistungsgewährung – Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – eidesstattliche Versicherung

Das Jobcenter muss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Antragstellerin rückwirkend vorläufig Leistungen nach dem SGB II erbringen, denn die Antragstellerin hat durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass sie bereits den Nachzahlungsbetrag der privaten Versicherung vollständig ausgegeben hat.

Leitsätze (Autor)
1. Zwar ist nach § 11 Abs. 3 SGB II die Nachzahlung der ÖSA als einmalige Einnahme auf sechs Monate zu verteilen. Dies gilt jedoch nur, soweit sie noch als “bereites Mittel” zum Bestreiten des Lebensunterhaltes zur Verfügung steht (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 2013, B 14 AS 38/12).

2. Die eidesstattliche Versicherung ist geeignet, den Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sie sich in einem wesentlichen Punkt als unrichtig erweist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014, 1 BvR 1453/12).

3. Eine insoweit rückwirkende Verpflichtung des Leistungsträgers zur vorläufigen Leistungsgewährung ist grundsätzlich vom Fortbestehen der Notlage oder von einem aktuell noch bestehenden Nachholbedarf abhängig (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 26. August 2010, L 5 AS 353/10 B ER). Für eine solche Annahme bedarf es jedoch einer entsprechenden Darlegung und Glaubhaftmachung, die hier gegeben ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.02.2015 – L 7 AS 187/14

Pflicht des Leistungsträgers zum rechtzeitigen Hinweis auf erforderlichen Folgeantrag

Der Grundsicherungsträger nach dem SGB II muss den Hinweis auf den Fortzahlungsantrag zeitnah vor dem Ende des Bewilligungszeitraums erteilen (vier Wochen vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts).

Leitsätze (Autor)
1. Der Anspruch des Antragstellers auf Arbeitslosengeld II folgt aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen einer Verletzung der Aufklärungs- und Beratungspflichten aus §§ 14, 15 Erstes Buch SGB I durch das Jobcenter.

2. Der mit Bewilligungsbescheid erteilte Hinweis auf eine erst ” fünf Monate” später erforderliche Neuantragstellung ist nicht im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende des letzten Bewilligungszeitraums erfolgt.

3. Die Beratungspflicht des Leistungsträgers erschöpft sich nicht mit einem nicht zeitnahen Hinweis, bei Fortbestehen der Hilfebedürftigkeit rechtzeitig einen Antrag auf Weiterzahlung zu stellen. Vielmehr folgt aus dem Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Grundsicherungsträger und dem Hilfebedürftigen die Verpflichtung, wie diese nach Auffassung des BSG in den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit unter Ziffer 37.11a ihren Niederschlag gefunden hat, nämlich dass vier Wochen vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts die Leistungsbezieher zentral einen neuen Antrag zugeschickt bekommen und darauf hingewiesen werden, noch vor dem Ende des letzten Bewilligungszeitraums die Leistungsfortzahlung zu beantragen (BSG, Urt. v. 18.11.2011 – B 4 AS 29/10 R).

Quelle: Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen: www.anwaltskanzlei-adam.de

2.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.11.2014 – L 4 AS 332/12 – rechtskräftig

Guthaben nach § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II a. F. – Direktverrechnung” zwischen Leistungsträger und Vermieter – nicht bereite Mittel

Leitsätze (Juris)
Grundsätzlich ist ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung gemäß § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II im Folgemonat als Einkommen anzurechnen. Dies gilt jedoch ausnahmsweise dann nicht, wenn der Leistungsempfänger eine “tatsächliche Verfügungsgewalt” nicht erhält, weil er aufgrund der bisherigen Verwaltungspraxis der “Direktverrechnung” zwischen Leistungsträger und Vermieter nicht damit rechnen kann, dass er nunmehr tatsächlich über das Guthaben verfügen kann und dieses erst deutlich später (hier: 15 Monate) ausgezahlt wird.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2015 – L 4 AS 405/14 – rechtskräftig

Kosten nach Erfolgsquote – Keine Erstattung von Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X

Leitsatz (Autor)
1. Es bedarf zur Ermittlung der Kostenquote nicht nur der Feststellung, dass z. T. obsiegt wurde, sondern dieser Betrag muss in ein Verhältnis zu dem gesamten Begehren gesetzt werden können.

2. Kann das gesamte Widerspruchsbegehren nicht ermittelt werden, lässt sich auch keine den Kostenerstattungsanspruch begründende Obsiegensquote im Sinne des Vollbeweises ermitteln. Dies geht nach den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten der Antragstellerin.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Februar 2015 (Az.: L 11 AS 1352/14 B ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. Ein in der Vergangenheit zugeflossenes und auf einen Verteilzeitraum umgelegtes Einkommen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 / Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB II) ist vom Jobcenter dann nicht mehr leistungsmindernd zu berücksichtigen, wenn es im Bedarfszeitpunkt tatsächlich nicht mehr vorhanden ist, d. h. es sich hier nicht mehr um für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts problemlos zur Verfügung stehende, “bereite Mittel” handelt.

2. Im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende trägt hierfür der Antragsteller die Vortrags- und Beweislast (§ 60 SGB I). Dies gilt insbesondere für Aspekte, die in der Sphäre des Anspruchstellers liegen wie z. B. der vorzeitige Verbrauch eines im Verteilzeitraum prinzipiell anrechenbaren Einkommens.

3. Bei einer auf ein sozialwidriges Verhalten zurückführbaren Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) kann ein Jobcenter die Erhebung von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II prüfen.

2.6 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18. März 2015 (Az.. L 6 AS 38/15 B ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. Eine von einem ehemaligen Arbeitgeber als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes und als Übergangsbeihilfe bis zur Aufnahme einer neuen Tätigkeit ausbezahlte Abfindung stellt in gleicher Weise wie das von der Bundesagentur für Arbeit gewährte Arbeitslosengeld I als Nettokapitalzufluss ein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, das auf einen auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II) gerichteten Leistungsanspruch anzurechnen ist.

2. Unter Einnahmen in Geld sind auch unbare Zahlungen mittels Überweisung zu verstehen, sofern der auf diesem Weg zugewandte Betrag durch den Empfänger auch tatsächlich problemlos nutzbar ist.

3. Grundsätzlich ändern auch Schulden nichts an der Einsatzfähigkeit solcher Mittel und der auf Seiten des Antragstellers bestehenden Obliegenheit, verfügbare Einnahmen in ihrer Gesamtheit zur Finanzierung des notwendigen Lebensunterhalts zu verwenden.

4. Die Unterhaltssicherung durch eigene Mittel geht deshalb der Schuldentilgung prinzipiell stets vor. Entsprechendes gilt gerade dann, wenn der Dispositionsrahmen für das Girokonto des Antragstellers unverändert fortbesteht, d. h. die erneute Inanspruchnahme eines Überziehungskredits im Verteilzeitraum auch der Höhe nach möglich ist, und der Bedarf aus den insofern zur Verwendung bereiten Mitteln gedeckt werden kann.

5. Bei einer Abfindung handelt es sich um kein privilegiertes Einkommen im Sinne des § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II, da diese Geldleistung – wie auch das Alg II – der Existenzsicherung der von dieser Zahlung begünstigten Person dient und keiner hierüber hinausgehenden Zweckbindung unterliegt.

2.7 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25.02.2015 – L 7 AS 125/15 B ER

Zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab im sozialgerichtlichen Eilverfahren
Wenn die Heizung der Unterkunft gefährdet ist, Winter ist und Kinder betroffen sind, ist im Eilverfahren mit geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung ggf. aufgrund einer Folgenabwägung zu prüfen und zu entscheiden.

Leitsätze (Juris)
1. Wenn eine erhebliche Verletzung des Rechts auf Sicherstellung des Existenzminimums konkret möglich ist, muss die Sach- und Rechtslage intensiv geprüft werden und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung müssen verringert werden. Eine Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich.

2. Leistungen aufgrund einer Folgenabwägung ins Blaue hinein, weil die Sach- und Rechtslage nicht vollständig aufklärbar ist, sind nicht angezeigt, wenn auf der Basis der gegenwärtigen Situation selbst geringe Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht erfüllt werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.8 – Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.02.2015 – L 7 AS 215/14 – Die Revision wird zugelassen.

Keine Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für behinderte Menschen in einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 21 Abs. 4 SGB II.

Leitsatz (Autor)
1. Die Maßnahme BINS50plus ist keine Maßnahme nach § 21 Abs. 4 SGB II.

2. Es handelt sich bei BINS50plus auch nicht um eine “sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben” nach § 21 Abs. 4 SGB II. Eine Maßnahme die im Wesentlichen aus einer nicht berufsbezogenen Auswahl und Teilnahme an Kursen der Volkshochschule besteht, erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2015 – L 19 AS 275/15 B ER – rechtskräftig

Italienische Antragstellerin hat Anspruch auf einen Regelbedarf für Partner entsprechend § 20 Abs. 4 SGB II.

Leitsätze (Autor)
1. Der Anspruch der Antragstellerin ist nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, denn die Antragstellerin hat als sorgeberechtigtes Elternteil (§ 1626a BGB) ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige ihrer die Schule besuchenden beiden ältesten Kinder entsprechend § 3 Abs. 4 FreizügG/EU.

2. Die besondere Situation des nicht aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigten Elternteils, der das Sorgerecht hinsichtlich eines minderjährigen Kindes ausübt, wird in § 3 Abs. 4 FreizügG/EU gewürdigt. Nach dieser Vorschrift (vgl. auch Art. 12 Abs. 3 RL 2004/38/EG vom 29.04.2004) wird den Kindern und dem personensorgeberechtigten Elternteil bis zum Abschluss der Ausbildung der Kinder ein Aufenthaltsrecht eingeräumt, dass diese selbst im Fall des Todes oder Wegzugs des freizügigkeitsberechtigten anderen Elternteils behalten.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.10 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.03.2015 – L 19 AS 195/15 B rechtskräftig

Bewilligung von Prozesskostenhilfe – Grundsicherung nach dem SGB II – Antragstellerin aus Tschechin – Folgenabwägung

Leitsätze (Autor)
1. Im Hinblick auf das noch anhängige Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof wird in der Rechtsprechung vertreten, dass auch nach der Entscheidung in der Rechtsache Dano eine abschließende Klärung der seit Jahren und in mehrerlei Hinsicht umstrittenen Frage, ob der Leistungsausschluss für Ausländer, die sich ausschließlich zur Arbeitssuche im Inland aufhalten, rechtmäßig und anzuwenden ist, in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahrenen nicht möglich ist und weiterhin im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden ist (vgl. hierzu LSG NRW Beschlüsse vom 22.01.2015 – L 7 AS 21262/14 B ER und vom 14.01.2015 – L 19 AS 2186/14 B ER).

2. Selbst wenn der Antragstellerin kein materielles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zusteht und Aufenthaltsrechte aus anderen Gründen nicht in Betracht kommen (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 37/12 R zu einem solchen Fall), ist auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Dano höchstrichterlich keineswegs geklärt, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in einem solchen Fall eingreift.

3. Zu einem wird vertreten, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung findet, weil der Wortlaut der Vorschrift nur auf das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche abstelle und wegen des Ausnahmecharakters des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einer erweiternde Auslegung im Wege des “Erst-Recht-Schlusses” nicht zugängig sei (LSG Hessen Beschluss vom 05.02.2015 – L 6 AS 883/14 B ER).

4. Zum anderen wird vertreten und im Wege teleologischer Auslegung von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II begründet, dass die Vorschrift neben Unionsbürgern mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche auch Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht erfasst (LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Braunschweig, Urteil vom 20.02.2015, S 44 AS 121/14 –

Heizkostenguthaben – Aufrechnung mit Stromschulden durch den Energieversorger – fiktives Guthaben

Leitsätze (Autor)
1. Der Bedarf für Unterkunft und Heizung mindert sich nicht, wenn ein Heizkostenguthaben aufgrund einer vom Energieversorger erklärten Aufrechnung mit Stromschulden für den Leistungsberechtigten nicht realisierbar ist.

2. Die Grundsätze der Einkommensanrechnung sind hier heranzuziehen, da es sich bei dem Minderungstatbestand nach § 22 Abs. 3 SGB II um einen Sonderfall der Einkommensberücksichtigung nach § 11 SGB II handelt (vgl. BSG, Urteile v. 16.05.2012, B 4 AS 132/11 R und B 4 AS 159/11 R).

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.2 – SG Koblenz, Beschluss vom 17.03.2015 – S 6 AS 214/15 ER

Fahrkosten zur Methadonbehandlung müssen vom Jobcenter im einstweiligen Anordnungsverfahren  vorläufig bezahlt werden

Leitsatz (Autor)
Für Hilfeempfänger von Grundsicherung ergibt sich ein entsprechender Anspruch aus § 21 Abs.6 SGB II.

Quelle: www.elo-forum.org

Anmerkung:
Ebenso SG Detmold, Urteil vom 11.09.2014 – S 23 AS 1971/12 – anhängig beim LSG NRW Az. L 7 AS 2024/14 und SG Wiesbaden, Beschluss vom 11.10.2010 – S 23 AS 766/10 ER

3.3 – SG Neuruppin, Beschluss vom 18.12.2014 – S 17 AS 2659/14 ER – unveröffentlicht

Umzugserforderlichkeit verneint von einer 3 Raumwohnung in eine 4 Raumwohnung – Gemeinschaftszimmer

Leitsätze (Autor)
1. Ein gebundener Anspruch, stets in einer Wohnung zu leben, die für jeden Bewohner ein eigenes Zimmer sowie ein Gemeinschaftszimmer bereithält, ist den Regelungen des SGB II nicht zu entnehmen.

2. Soweit das Fehlen eines Gemeinschaftszimmers im Einzelfall unzumutbar sein mag, (etwa: wegen des Schnitts der Wohnung oder besonderer Eigenheiten der Wohnung oder in der Person der Bewohner liegender Umstände), haben die Antragsteller solche Gründe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

3. Es ist bereits zweifelhaft, ob der 9 Monate alten Antragstellerin ein eigenes Zimmer zusteht.

Anmerkung 1:
Vgl. dazu SG Dresden, Urteil v. 02.06.2014 – S 7 AS 510/12 – Dreipersonenhaushalt – kein Anspruch auf Vierzimmerwohnung – nicht erforderlicher Umzug – gemeinsames Kinderzimmer mehrerer Kinder

Bei einem Dreipersonenhaushalt kann sich vor allem in einer Dreizimmerwohnung jedes Haushaltsmitglied in einem von den anderen getrennten Zimmer aufhalten (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 05.07.2011 – L 6 AS 18/11 B). Die Frage ist deshalb nicht, ob es zumutbar ist, dass sich zwei gleichaltrige und gleichgeschlechtliche Kinder ein Kinderzimmer teilen, sondern ob zu Gunsten des zweiten Kinderzimmers auf das Gemeinschaftszimmer “Wohnzimmer” verzichtet werden kann bzw. muss.

Anmerkung 2:
Vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 12.03.2012, – L 7 AS 985/11 B ER – Eine Rechtsprechung, wonach einem Erwachsenen zwingend ein Wohn- und ein Schlafzimmer zur Verfügung stehen muss, existiert nicht.

3.4 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 24.02.2015 – S 14 AS 1059/14 – (nicht rechtskräftig)

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Abweichung von der Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl bei Wegfall des Unterkunftskostenanteils eines Mitgliedes der Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft durch Sanktion

Eine Abweichung vom Regelfall des sog. “Kopfteilprinzips” bei der Verteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung auf den Bedarf der Mitglieder einer Haushalts- bzw. Bedarfsgemeinschaft ist auch angezeigt, wenn die Antragsteller als Partner eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft sui generis bildeten.

Auch in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft keine Sippenhaft bei Hartz-IV-Sanktionen.

Leitsatz (Autor)
1. Ist die Sanktion eines SGB II-Trägers gegen ein Mitglied der Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft mit dem Wegfall der Leistungen für Unterkunftsaufwendungen verbunden, kann dies eine Abweichung vom “Kopfteilprinzip” und höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft an die weiteren Einstands- und Verantwortungsgemeinschaftsmitglieder rechtfertigen.

2. Für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip bei der Betroffenheit minderjähriger Kinder durch eine vollständige Sanktion eines Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft spricht ferner die in § 31 a Abs. 3 SGB II zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wertung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Arbeitsförderung nach dem (SGB III)

4.1 – SG Landshut, Urteil vom 25.03.2014 – S 13 AL 68/13

Rücknahme der Arbeitslosengeldbewilligung für die Vergangenheit – Überzahlung – Festlegung des Anspruchsbeginns durch Gericht – geänderter Leistungszeitraum – Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes – keine Bösgläubigkeit des Begünstigten

Zur Aufhebung von Arbeitslosengeld-Bewilligungen bei Leistungen für “falsche Zeiträume”.

Leitsätze (Juris)
1. Wird die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Rahmen eines Klageverfahrens verpflichtet, einem Arbeitslosen Alg I bereits ab einem früheren als dem von der BA festgelegten Zeitpunkt zu gewähren, und hat der Arbeitslose seinen Anspruch auf Alg I ausgehend von dem von der BA festgelegten Anspruchsbeginn in der Zwischenzeit bereits vollständig ausgeschöpft, so kommt als Anspruchsgrundlage für die hierdurch am Ende der Bewilligung eingetretenen Überzahlung ausschließlich § 45 SGB X in Betracht.

2. Allein der Umstand, dass der Arbeitslose von Anfang an die Rechtsauffassung vertreten hat, dass ihm Alg I bereits ab einem früheren Zeitpunkt zusteht, begründet noch keine Bösgläubigkeit hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides in Bezug auf das Ende des von der BA festgelegten Bewilligungszeitraums.

Quelle: dejure.org

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.12.2014 – L 8 SO 106/14 B

Prüfungsumfang bei einem Antrag auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändigerer Ernährung – Laktase-Tabletten – Laktoseintoleranz

Leitsätze (Juris)
1. Bei einem Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändigerer Ernährung handelt es sich um einen Antrag auf (höhere) Leistungen, über den die Verwaltung nicht isoliert, also unabhängig von der Prüfung, ob laufende lebensunterhaltssichernde Sozialhilfeleistungen zu bewilligen sind, entscheiden kann. Zu prüfen sind alle Anspruchsvoraussetzungen über Grund und Höhe der Leistungen (sog. Höhenstreit, Anschluss an BSG Urteil vom 9. Juni 2011 – B 8 SO 11/10 R).

2. In die Prüfung des gesamten Anspruchs ist bei der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 SGB XII (auch) eine Festlegung des individuellen – höheren – Bedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII einzubeziehen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Sozialgericht Halle (Saale), Urteil vom 07.01.2015 – S 24 SO 135/12

Angelegenheiten nach dem SGB XII – Leistungen zur Teilhabe von Behinderten: Voraussetzung der Gewährung eines persönlichen Budgets im Rahmen der Eingliederungshilfe

Leitsatz (Juris)
1. Der Anspruch auf Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Eingliederungshilfe) als persönliches Budget setzt voraus, dass eine Zielvereinbarung abgeschlossen worden ist.

2. Einigen sich die Beteiligten weder über den Bedarf noch über die Leistung, kann eine fehlende Zielvereinbarung nach § 4 Budgetverordnung nicht durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt werden.

3. Für diesen Fall besteht ein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.2 – Sozialgericht Magdeburg, Urteil vom 12.12.2014 – S 47 SO 90019/09 – rechtskräftig

Streitigkeiten nach dem SGB XII- Sozialhilfe – Eingliederungshilfe – Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung – Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung

Leitsätze (Juris)
Bei einem Kind, das an einer spastischen Hemiparese leidet, umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch eine psychomotorische Förderung, wenn sie im Einzelfall erforderlich und geeignet ist, den Schulbesuch zu ermöglichen und zu erleichtern.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.3 – Sozialgericht Detmold, Urteil vom 03.03.2015 – S 8 SO 259/12 –

Regelbedarfsstufe 1 statt Regelbedarfsstufe 3, Haushaltsführung

SG Detmold folgt nicht der Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.02.2015 betreffend drei Urteile des BSG vom 23.07.2014 zu den Aktenzeichen B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 31/12 R zur Regelbedarfsstufe 3.

Leitsatz (Autor)
Im Sozialhilferecht richtet sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person bei Leistungen für den Lebensunterhalt im Grundsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne deren Partner zu sein.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. BSG, Urteile vom 24.03.2015 – B 8 SO 5/14 R – und – B 8 SO 9/14 R – wonach erwerbsunfähige volljährige behinderte Menschen, die Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten und bei ihren Eltern beziehungsweise einem Elternteil leben, grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach der Regelbedarfsstufe 1 (100 %) besitzen.

7.   EuGH: Schlussanträge des Generalanwaltes Melchior Wathelet vom 26.03.2015 – Rechtssache C -67/14 – Alimanovic

“Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Richtlinie 2004/38/EG – Unionsbürgerschaft – Gleichbehandlung – Unionsbürger, die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten und nicht mehr die Erwerbstätigeneigenschaft besitzen – Regelung eines Mitgliedstaats, die diese Personen von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausschließt”
Weiter: tinyurl.com

InfoCuria – Rechtsprechung des Gerichtshofs
Alimanovic
Rechtssache C-67/14
tinyurl.com

Sozialleistungen für Unionsbürger auf Arbeitssuche in “fremdem” Mitgliedsstaat?

Nach Ansicht von Generalanwalt Melchior Wathelet dürfen Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in einen Mitgliedstaat begeben, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, vom Bezug bestimmter Sozialleistungen ausgeschlossen werden.

Wenn jedoch die betreffende Person dort bereits eine Beschäftigung ausgeübt habe, dürften ihr derartiges Leistungen nicht automatisch ohne individuelle Prüfung verweigert werden, so der Generalanwalt.

Quelle: juris – tinyurl.com

8.   NRW: Widerspruchsverfahren im SGB VIII wieder eingeführt

Das Widerspruchsverfahren in NRW für Verwaltungsakte nach dem SGB VIII (sowie im Wohngeldrecht) ist wieder eingeführt worden.

Wer sich gegen einen Verwaltungsakt nach dem SGB VIII wehren will, hat wieder Gelegenheit Widerspruch bei der erlassenen Behörde (Jugendamt) einzulegen und muss nicht gleich in das Klageverfahren übergehen. Der nordrhein-westfälische Landtag hat dies am 04.12.2014 verabschiedet. Es wurde am 16.12.2014 im Gesetz- und Verordnungsblatt (GV.NRW. S. 874) veröffentlicht und ist zum 01.Januar 2015 in Kraft getreten. Es gilt die grundsätzliche Abschaffung des Widerspruchverfahrens unter anderem nicht mehr für Verwaltungsakte, die nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erlassen werden sowie für Verwaltungsakte nach dem SGB VIII (also die Eingliederungshilfe z. B.) in Verbindung mit den dazu ergangenen landesrechtlichen Regelungen.

Somit muss ab Januar 2015 jeder Adressat, der sich gegen einen Verwaltungsakt nach dem Unterhaltsvorschussgesetz oder dem SGB VIII wehren will, zunächst Widerspruch bei der erlassenden Behörde einlegen, bevor ein Klageverfahren möglich ist.

www.landtag.nrw.de

9.   Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Übernahme von Mietschulden und Energiekostenrückständen im SGB II und SGB XII vom 11.03.2015

www.deutscher-verein.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de